Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnsitzauflage. Bezug von Sozialhilfe. Aufenthaltsbeschränkungen. Flüchtling. fiskalisches Interesse. migrationspolitisches Interesse. Fortsetzungsfeststellungsklage. Ausländergleichbehandlung. Inländergleichbehandlung
Leitsatz (amtlich)
Wohnsitzauflagen gegenüber anerkannten Flüchtlingen, die Sozialhilfeleistungen beziehen, verstoßen gegen Art. 23 GFK, wenn sie zum Zweck der angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten verfügt werden.
Normenkette
GFK Art. 6; GFK Art. 23; GFK Art. 26; GFK Art. 31; StlÜbK Art. 26; WVRK Art. 31 Abs. 1; EFA Art. 1; Richtlinie 2004/83/EG Art. 32; AufenthG § 12 Abs. 2 S. 2, § 25 Abs. 2; AsylVfG § 3; SGB XII § 23 Abs. 5; VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 08.03.2007; Aktenzeichen 7 A 11320/06) |
VG Trier (Entscheidung vom 13.09.2006; Aktenzeichen 5 K 337/06.TR) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. März 2007 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass die wohnsitzbeschränkenden Nebenbestimmungen in den Aufenthaltsbefugnissen der Kläger vom 17. September 2004 und 2. November 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 3. März 2006 rechtswidrig gewesen sind.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Kläger erstreben die Feststellung, dass die ihren Aufenthaltsbefugnissen aus dem Jahr 2004 beigefügten Wohnsitzauflagen rechtswidrig gewesen sind.
Die Kläger, ein Ehepaar mit zwei Kindern, sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Sie reisten im Dezember 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragten Asyl. Mit Bescheiden vom 17. Mai 2004 erkannte sie das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) – Bundesamt – als Flüchtlinge an (§ 51 Abs. 1 AuslG 1990). Die Kläger bezogen zunächst Sozialhilfe, seit Januar 2005 erhalten sie Leistungen nach dem SGB II.
Der Beklagte erteilte dem Kläger zu 1 im September 2004 und den drei anderen Klägern im November 2004 jeweils auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsbefugnisse. Diese waren jeweils mit der Auflage versehen “Wohnsitznahme auf das Land Rheinland-Pfalz beschränkt”. In dem Bearbeitungsblatt des Beklagten findet sich hierzu der Hinweis, dass die Auflagen wegen der Inanspruchnahme von Sozialhilfe durch die Kläger gemäß einem Rundschreiben des Innenministeriums Rheinland-Pfalz vom 21. August 1997 verfügt wurden.
Die gegen diese Auflagen eingelegten Widersprüche wies der Beklagte im März 2006 zurück. Zur Begründung führte er aus, auch nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum 1. Januar 2005 bleibe die Verteilung ausländischer Leistungsempfänger auf bestimmte Wohnorte erforderlich, weil eine Reihe von Leistungen weiterhin durch kommunale Träger zu erbringen seien. Da die Kläger fortlaufend Leistungen aus Sozialhilfemitteln bezögen und eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG besäßen, lägen die Voraussetzungen für die angefochtenen wohnsitzbeschränkenden Auflagen vor.
Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage der Kläger stattgegeben und die Wohnsitzauflagen aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten mit Urteil vom 8. März 2007 zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen damit begründet, dass die auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gestützten wohnsitzbeschränkenden Maßnahmen das alleinige Ziel verfolgten, eine Verlagerung von Sozialhilfelasten in andere Bundesländer zu vermeiden. Damit verstießen sie gegen Art. 23 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA).
Nach dem Umzug der Kläger hat die Ausländerbehörde der Stadt Trier dem Kläger zu 1 im September 2006 und den anderen Klägern im Dezember 2006 erneut auf zwei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt, die die Nebenbestimmung enthalten: “Für die Dauer des Sozialhilfe- oder Arbeitslosengeld II-Bezugs ist die Wohnsitznahme auf das Land Rheinland-Pfalz beschränkt”. Gegen diese Auflagen haben die Kläger Widerspruch eingelegt und später beim Verwaltungsgericht Untätigkeitsklage erhoben, über die im Hinblick auf das vorliegende Revisionsverfahren noch nicht entschieden wurde.
Mit seiner Revision trägt der Beklagte vor, entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts seien die wegen des Sozialhilfebezugs verhängten Auflagen rechtmäßig. Der in Art. 1 EFA und Art. 23 GFK geregelte fürsorgerechtliche Gleichbehandlungsanspruch mit deutschen Staatsangehörigen vermittle nicht das Recht, seinen Wohnsitz zum Zweck des Sozialhilfebezugs frei wählen zu können. Die Freizügigkeit werde vielmehr nach Maßgabe des Art. 26 GFK gewährt. Die auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gestützten Auflagen schränkten den Schutzbereich des Art. 26 GFK nicht ein, sondern bestimmten dessen Inhalt in zulässiger Weise. Sie seien zudem nicht nur auf den Gesichtspunkt der Verteilung von Sozialhilfelasten gestützt, vielmehr würden in der Rechtsprechung hierfür auch integrationspolitische Gründe angeführt. Hierauf habe der Beklagte bereits im Berufungsverfahren hingewiesen.
Die Kläger begehren nunmehr im Hinblick auf die 2006 erneut verfügten wohnsitzbeschränkenden Auflagen nur noch die Feststellung, dass die 2004 verfügten Wohnsitzauflagen rechtswidrig waren. Sie leiten ihr Interesse an einer solchen Feststellung aus der Wiederholungsgefahr ab, wie sie sich 2006 in Gestalt erneuter Auflagen bereits realisiert habe. In der Sache verteidigen sie das Berufungsurteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und teilt im Wesentlichen die Rechtsauffassung des beklagten Landkreises.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision hat keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht ist mit Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass die angefochtenen Wohnsitzauflagen rechtswidrig sind. Das Berufungsurteil war nach Erledigung der streitigen Auflagen und Umstellung der Klage auf ein Feststellungsbegehren mit der Maßgabe zu bestätigen, dass die Rechtswidrigkeit der wohnsitzbeschränkenden Nebenbestimmungen in den Aufenthaltsbefugnissen der Kläger festgestellt wird.
1. Die Kläger konnten ihr ursprüngliches Anfechtungsbegehren nach Erledigung der streitgegenständlichen Wohnsitzauflagen aus dem Jahr 2004 durch die 2006 erneut verfügten Auflagen als Fortsetzungsfeststellungsbegehren nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO weiterverfolgen. Ihr berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflagen aus 2004 ergibt sich daraus, dass ihnen gegenüber erneut entsprechende Auflagen verfügt worden sind und über die von ihnen dagegen erhobene Klage im Hinblick auf das vorliegende Verfahren noch nicht entschieden worden ist (vgl. hierzu Beschluss vom 21. Oktober 1999 – BVerwG 1 B 37.99 – Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 7).
2. Die angefochtenen Wohnsitzauflagen sind rechtswidrig, weil sie mit Art. 23 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention, BGBl 1953 II S. 560/BGBl 1954 II S. 619) – GFK – nicht vereinbar sind.
a) Rechtsgrundlage für die verfügten Auflagen ist seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Januar 2005 § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Danach kann eine Aufenthaltserlaubnis – auch nachträglich – mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Zu den Aufenthaltserlaubnissen im Sinne dieser Vorschrift zählen auch die den Klägern auf der Grundlage des bis zum 31. Dezember 2004 geltenden § 70 AsylVfG erteilten Aufenthaltsbefugnisse, die gemäß § 101 Abs. 2 AufenthG seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes als Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 2 AufenthG fortgalten. Die Erteilung einer Wohnsitzauflage ist nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG grundsätzlich zulässig, weil sie gegenüber der in der Vorschrift ausdrücklich genannten räumlichen Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis einen geringeren Eingriff darstellt. Sie ordnet zwar eine Residenzpflicht an, schränkt die Freizügigkeit im Bundesgebiet im Übrigen aber nicht ein.
b) Ob eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Auflage verbunden wird, steht im Ermessen der zuständigen Behörde. Ihre Entscheidung ist daher nur darauf überprüfbar, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Ermessenserwägungen, die für die streitigen Wohnsitzauflagen maßgebend waren, halten einer solchen Überprüfung nicht stand.
Ein Ermessensfehler ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, dass die Beklagte sich zur Begründung der Auflagen allein auf das Rundschreiben des Innenministeriums des Landes Rheinland-Pfalz vom 21. August 1997 gestützt hat und nicht auf individuelle Belange der Kläger eingegangen ist. Nach der Rechtsprechung des Senats ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass – wie hier – das Ermessen im Einzelfall durch bundeseinheitliche Ländererlasse gelenkt wird und sich die Vorgaben der Erlasse nicht auf einzelne Ausländer, sondern auf Gruppen von Ausländern beziehen. Ein Bedürfnis für eine Wohnsitzbeschränkung kann sich nämlich aus dem erwarteten oder befürchteten Verhalten einer Ausländergruppe insgesamt ergeben, ohne dass für jeden Einzelfall geprüft werden muss, ob eine solche Beschränkung gerechtfertigt ist (vgl. Urteil vom 19. März 1996 – BVerwG 1 C 34.93 – BVerwGE 100, 335 ≪340 f.≫). Die dadurch bewirkte Ermessensbindung geht aber nicht so weit, dass wesentlichen Besonderheiten des Einzelfalles nicht mehr Rechnung getragen werden könnte. Das Erfordernis einer individuellen Ermessensentscheidung gebietet es deshalb, die der Behörde bekannten oder erkennbaren Belange des Ausländers – etwa die Notwendigkeit des Umzugs in ein anderes Bundesland zwecks Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft – von Amts wegen bereits bei der Entscheidung über die Auflagenerteilung zu berücksichtigen und nicht erst in einem nachgelagerten, vom Ausländer einzuleitenden Verfahren auf Streichung oder Änderung der Auflage. Entsprechende Anhaltspunkte für berücksichtigungswürdige individuelle Belange der Kläger lagen hier aber nicht vor, so dass es insoweit keiner weitergehenden Ermessenserwägungen bedurfte.
Die Wohnsitzauflagen sind aber deshalb ermessensfehlerhaft ergangen, weil sie anerkannten Flüchtlingen im Sinne von § 3 AsylVfG auferlegt wurden, ohne die für diesen Personenkreis geltenden Vorgaben der Genfer Flüchtlingskonvention zu beachten, die in Bundesrecht transformiert wurden.
aa) Nach Art. 26 GFK genießen Flüchtlinge, die sich rechtmäßig im Aufnahmestaat befinden, Freizügigkeit vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden. Die Kläger erfüllen die Voraussetzungen dieser Vorschrift, weil sie sich aufgrund der ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnisse rechtmäßig im Sinne dieser Vorschrift im Bundesgebiet befanden. Der Senat folgt damit nicht der vom Beklagten und vom Vertreter des Bundesinteresses vertretenen Auffassung, erst die nationale Aufenthaltserlaubnis und die mit ihr verbundenen Auflagen nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bestimmten den Inhalt des rechtmäßigen Aufenthalts im Sinne von Art. 26 GFK, die Vorschrift gewähre demnach Freizügigkeit nur nach Maßgabe des nationalen Aufenthaltstitels. Vielmehr unterscheidet die Genfer Flüchtlingskonvention zwischen Beschränkungen der Freizügigkeit von Flüchtlingen, deren Rechtsstellung noch nicht geregelt ist (Art. 31 Abs. 2 GFK), und solchen, bei denen – etwa durch Erteilung eines Aufenthaltstitels – geklärt ist, dass sie sich rechtmäßig im Aufnahmestaat befinden (Art. 26 GFK). Aus der Tatsache, dass Art. 31 Abs. 2 GFK – anders als Art. 26 GFK – ausdrücklich zum Erlass aller notwendigen Wohnsitzbeschränkungen ermächtigt, muss geschlossen werden, dass derartige Beschränkungen im Rahmen von Art. 26 GFK nicht ohne weiteres zulässig sind, sondern als Eingriff in den Schutzbereich der Norm nur unter den hierfür geltenden Voraussetzungen verfügt werden dürfen. Insofern unterscheiden sich auch die völkerrechtlichen Regelungen, die für Flüchtlinge in der Genfer Flüchtlingskonvention einerseits und für Staatenlose in Art. 26 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 (BGBl 1976 II S. 473/1977 II S. 235) – StlÜbk – andererseits getroffen wurden, da das Staatenlosenübereinkommen eine Art. 31 Abs. 2 GFK entsprechende Regelung nicht kennt. Von daher sind auch die Ausführungen des Senats zu Art. 26 StlÜbk nicht uneingeschränkt auf Art. 26 GFK übertragbar (vgl. Urteil vom 19. März 1996 – BVerwG 1 C 34.93 – BVerwGE 100, 336 ≪345 f.≫).
bb) Die streitigen Wohnsitzauflagen genügen den Anforderungen an eine zulässige Beschränkung der Freizügigkeit nach Art. 26 GFK indes nicht, weil sie nach den maßgeblichen Ermessenserwägungen des Beklagten zum Zweck der angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten verfügt worden sind und deshalb nicht mit Art. 23 GFK vereinbar sind.
Beschränkungen der Freizügigkeit nach Art. 26 GFK haben zum einen den in der Vorschrift selbst geregelten Grundsatz der Ausländergleichbehandlung zu beachten. Zum anderen müssen sie sich, wenn sie – wie hier – an die Inanspruchnahme von Sozialhilfe anknüpfen, auch an Art. 23 GFK messen lassen. Dies gebietet die systematische Auslegung der beiden Vorschriften nach ihrem inneren Zusammenhang entsprechend Art. 31 Abs. 1 und 2 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl 1985 II S. 926/1987 II S. 757) – WVRK – (zur Auslegung der GFK entsprechend den Regeln des WVRK vgl. Urteil vom 13. Dezember 2005 – BVerwG 1 C 36.04 – BVerwGE 125, 1 Rn. 13). Nach Art. 23 GFK ist Flüchtlingen, die sich rechtmäßig im Zufluchtsland aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstiger Hilfeleistungen die gleiche Behandlung zu gewähren wie den Staatsangehörigen des Aufnahmelandes (Grundsatz der Inländergleichbehandlung). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die “gleiche Behandlung” im Sinne von Art. 23 GFK ein weit gefasster Ausdruck, der nicht nur die gleichen Leistungen nach Art und Höhe einschließt, sondern auch voraussetzt, dass in vergleichbaren Situationen mit Flüchtlingen nicht anders umgegangen wird als mit den eigenen Staatsangehörigen (vgl. Urteil vom 18. Mai 2000 – BVerwG 5 C 29.98 – BVerwGE 111, 200 ≪205≫).
Aus dem Zusammenspiel der in Art. 26 GFK gewährten Freizügigkeit mit dem Grundsatz fürsorgerechtlicher Gleichbehandlung in Art. 23 GFK ergibt sich, dass freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen gegenüber Flüchtlingen nicht zum Zweck der angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten eingesetzt werden dürfen. Verfolgt die Ausländerbehörde bei der Anordnung von Wohnsitzauflagen derartige fiskalische Ziele, macht sie von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch. Art. 23 GFK verbietet jedoch nicht prinzipiell bei aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen gegebenenfalls auch am Sozialhilfebezug anzuknüpfen, wenn damit z.B. aus migrationspolitischen Gründen eine Gruppe von Ausländern erfasst werden soll, für die etwa ein besonderer Bedarf an Integrationsmaßnahmen gesehen wird. Denn auch die Zusammenschau von Art. 26 und Art. 23 GFK schließt es nicht aus, dass Flüchtlinge als Folge zulässiger aufenthaltsrechtlicher Beschränkungen ihre Sozialhilfe nur an dem Ort ihres rechtmäßigen Aufenthalts erhalten. Dem entspricht die mit Wirkung zum 1. Januar 2005 geänderte Vorschrift des § 23 Abs. 5 Satz 2 und 3 SGB XII, die eine Einschränkung des Sozialhilfebezugs mit Blick auf die Freizügigkeitsregelung der GFK davon abhängig macht, ob der Flüchtling einen räumlich beschränkten oder räumlich unbeschränkten Aufenthaltstitel besitzt. Rechtmäßig ist eine solche die Sozialhilfegewährung nach Art. 23 GFK erfassende Regelung aber nur als Folge einer aus anderen Gründen gerechtfertigten aufenthaltsrechtlichen Beschränkung, nicht als ihr eigentlicher Zweck (ähnlich bereits Urteil vom 18. Mai 2000, a.a.O., 210). Das gebietet die Auslegung der Art. 26 und Art. 23 GFK nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz.
cc) Im vorliegenden Fall dienten die verfügten Wohnsitzbeschränkungen nach den in Bezug genommenen Ländererlassen dem fiskalischen Zweck, eine Verlagerung von Sozialhilfelasten in andere Bundesländer durch Binnenwanderung bestimmter Gruppen von Ausländern zu vermeiden. Die Anknüpfung an den Sozialhilfebezug diente dabei ausweislich der Begründung des Widerspruchsbescheids nicht der Verwirklichung migrationspolitischer Ziele, sondern dem fiskalischen Zweck der angemessenen Verteilung der mit Fürsorgeleistungen verbundenen finanziellen Belastungen. Dies ist kein zulässiger Zweck für aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen gegenüber anerkannten Flüchtlingen. Da die verfügten Auflagen nicht auf einen nach Art. 26 GFK legitimen aufenthaltsrechtlichen Zweck gestützt waren, der eine unterschiedliche Behandlung von Ausländern und Inländern rechtfertigt, verstoßen sie gegen den in Art. 23 GFK verankerten Grundsatz der Inländergleichbehandlung, denn der Zweck der angemessenen Verteilung von Sozialhilfelasten rechtfertigt auch bei Deutschen keine Wohnsitzbeschränkung.
dd) Der Beklagte hat die Rechtswidrigkeit seiner auf § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gestützten Entscheidung auch nicht durch Ergänzung seiner Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren geheilt.
Es braucht nicht entschieden zu werden, ob der Beklagte – wie er geltend macht – in seinem Schriftsatz an das Oberverwaltungsgericht vom 26. Oktober 2006 überhaupt ergänzende Ermessenserwägungen vorgebracht hat. Dagegen spricht, dass er in dem Schriftsatz lediglich wiedergibt, in der “Verwaltungsrechtsprechung” sei “seit geraumer Zeit anerkannt”, dass die bundesweit verfügten wohnsitzbeschränkenden Auflagen der Steuerung der Binnenwanderung dienten und damit zugleich mehrere Zielsetzungen verfolgten, ohne diese zitierten Zwecke ausdrücklich oder in anderer Weise erkennbar zur Grundlage einer eigenen ergänzenden Ermessensentscheidung zu machen. Zwar finden sich unter den ergänzend erwähnten Zwecken nicht allein fiskalische, sondern auch solche, die migrationspolitischen Zielen dienen, etwa der “Vermeidung der Konzentrierung von sozialhilfepflichtigen Ausländern, der Entstehung von sozialen Brennpunkten und den damit verbundenen Integrations- und sonstigen Folgeproblemen”. Migrationspolitische Ziele dürfen – wie bereits dargelegt (oben Rn. 20) – grundsätzlich mit aufenthaltsrechtlichen Beschränkungen nach Art. 26 GFK verfolgt werden, wenn die übrigen Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Dann müssen von den zuständigen Behörden aber jedenfalls die integrationspolitischen Probleme beschrieben, mögliche soziale Brennpunkte benannt und die Eignung von Wohnsitzauflagen, einen Beitrag zur Lösung der Probleme zu leisten, jedenfalls in Umrissen angegeben werden, ohne dass die dabei anzuerkennende generelle Einschätzungsprärogative der Verwaltung von dieser Darlegungsverpflichtung berührt wird. An entsprechenden konkreten und nachvollziehbaren Ausführungen fehlt es im vorliegenden Fall. Grundsätzlich zulässig erscheint es hingegen, wenn die Ausländerbehörden – wie hier – im Rahmen des nach Art. 26 GFK gebotenen Grundsatzes der Ausländergleichbehandlung Flüchtlingen solche Beschränkungen auferlegen, die allgemein für Ausländer als Inhaber von Aufenthaltserlaubnissen des 5. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes gelten. Denn Art. 26 GFK erlaubt die Anwendung der Bestimmungen, die allgemein für Ausländer unter den “gleichen Umständen” gelten. Der Begriff der “gleichen Umstände” wird in Art. 6 GFK näher definiert. Danach sind Differenzierungen, die sich “auf die Dauer und die Bedingungen des vorübergehenden oder dauernden Aufenthalts beziehen”, zulässig, wenn sie die betroffenen Personen auch erfüllen müssten, falls sie nicht Flüchtlinge wären, wenn sie also auch für andere Ausländer gelten. Daher darf etwa zwischen Ausländern mit unbefristetem Aufenthaltsrecht und solchen, die nur einen befristeten Aufenthaltstitel haben, differenziert werden. Es darf aber auch differenziert werden nach den Aufenthaltszwecken, für die Aufenthaltserlaubnisse erteilt wurden. Flüchtlingen sind Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen zu erteilen, so dass die Ausländern allgemein unter den gleichen Umständen zu erteilenden Aufenthaltstitel solche des 5. Abschnitts in Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes sind. Bei den Aufenthaltstiteln dieses Abschnitts ist der Bezug von Sozialhilfe – anders als bei den Titeln nach anderen Abschnitten – kein (Regel-)Versagungsgrund (vgl. § 5 Abs. 3 AufenthG). Werden die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des 5. Abschnitts in gleicher Weise auf Flüchtlinge wie auf alle anderen dort erfassten Ausländer angewandt, wird dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 26 GFK Rechnung getragen. In diesem Rahmen erscheint gegebenenfalls auch eine weitere Differenzierung möglich, die Wohnsitzauflagen auf Bezieher von Leistungen aus Sozialhilfemitteln beschränkt, wenn mit den Auflagen migrationspolitische und nicht fiskalische Ziele verfolgt werden (dazu oben Rn. 20).
c) Aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) vom 11. Dezember 1953 (BGBl II 1956 S. 564) i.V.m. Art. 2 des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen (ZP) vom 11. Dezember 1953 (BGBl II 1956 S. 578) ergeben sich keine weitergehenden Beschränkungen für Wohnsitzauflagen gegenüber Sozialhilfe beziehenden Flüchtlingen. Soweit aufenthaltsrechtliche Beschränkungen nach Art. 26 GFK aus migrationspolitischen Gründen zulässig sind, verstoßen sie nicht gegen Art. 1 EFA.
Nicht zu entscheiden brauchte der Senat, ob sich aus Art. 32 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (Qualifikations-Richtlinie) engere Vorgaben für das Erfordernis der Ausländergleichbehandlung bei wohnsitzbeschränkenden Maßnahmen ergeben. Art 32 der Richtlinie wählt als Vergleichsgruppe der Gleichbehandlung die anderen Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Aufnahmestaat aufhalten, und enthält keine Präzisierung wie Art. 6 GFK.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Prof. Dr. Dörig, Richter, Beck, Prof. Dr. Kraft
Fundstellen
Haufe-Index 1975496 |
BVerwGE 2008, 148 |
DÖV 2008, 970 |
InfAuslR 2008, 268 |
ZAR 2008, 21 |
ZAR 2008, 270 |
AuAS 2008, 98 |
DVBl. 2008, 717 |
FuBW 2008, 410 |
FuHe 2008, 494 |
FuNds 2008, 502 |