Entscheidungsstichwort (Thema)
Begutachtungsstellen für Fahreignung. amtliche Anerkennung. Schutzbereich Art. 12 Abs. 1 GG. Gesetzesvorbehalt (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG). Bedarfsprüfung als Anerkennungsvoraussetzung
Leitsatz (amtlich)
§ 66 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. August 1998 (Fahrerlaubnisverordnung – FeV – BGBl I S. 2214), der eine Bedarfsprüfung der Behörden als Voraussetzung für die amtliche Anerkennung als Begutachtungsstelle für Fahreignung zulässt, entbehrt einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigung.
(wie Urteil vom 15. Juni 2000 – BVerwG 3 C 10.99 –)
Normenkette
FeV § 66 Abs. 1, 2 S. 1 i.V.m. Anl. 14, S. 2; StVG § 2 Abs. 13, § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. k; GG Art. 12 Abs. 1 S. 2, Art. 33
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Entscheidung vom 13.04.1999; Aktenzeichen 10 S 1188/98) |
VG Stuttgart (Entscheidung vom 28.11.1997; Aktenzeichen 10 K 3894/95) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 13. April 1999 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin als Begutachtungsstelle für Fahreignung (bis 1. Januar 1999: medizinisch-psychologische Untersuchungsstelle – MPU-Stelle) anzuerkennen.
Die Klägerin führt bundesweit – überwiegend mit eigenen Untersuchungsfahrzeugen und Röntgenbussen – arbeitsmedizinische Untersuchungen bei gewerblichen Unternehmen, Gesundheitsämtern, Krankenhäusern, Katastrophenschutzeinrichtungen und Feuerwehren durch. Daneben wurde sie in Hessen 1991 als MPU-Stelle im Sinne des § 3 Abs. 3 StVZO amtlich anerkannt. In mehreren weiteren Bundesländern hat die Klägerin ebenfalls Anerkennungsanträge gestellt, die teilweise erfolgreich waren.
Ihren Antrag vom 30. Juli 1993, sie als MPU-Stelle für den Raum O. und L. anzuerkennen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 7. August 1995 mit der Begründung ab, für ihre Anerkennung bestehe kein Bedürfnis. Der Bedarf an Untersuchungsstellen werde von dem Technischen Überwachungsverein Süd-West e.V. und der Universität H. als Träger von Untersuchungsstellen gedeckt.
Die Klage mit dem Antrag, den Bescheid des Beklagten vom 7. August 1995 aufzuheben und ihn zu verpflichten, sie als MPU-Stelle amtlich anzuerkennen (hilfsweise, neu zu bescheiden), hat das Verwaltungsgericht S. mit Urteil vom 28. November 1997 im Hauptantrag abgewiesen. Auf den Hilfsantrag hat es den Beklagten unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids zur Neubescheidung verpflichtet. Es hat die Entscheidung damit begründet, die Klägerin könne aus § 3 Abs. 3 StVZO – einer Zuständigkeitsregelung – keine subjektiven Rechte auf Anerkennung herleiten. Die erstrebte Anerkennung sei allerdings keine allein im öffentlichen Interesse zu treffende Organisationsentscheidung. Über den Antrag sei nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Ablehnung verletze die Klägerin in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG. Sie habe deshalb Anspruch auf ermessenfehlerfreie neue Bescheidung.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat die Berufung zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil er nicht auf den seit dem 1. Januar 1999 zugrunde zu legenden § 66 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV –) vom 18. August 1998 gestützt werden könne. § 66 Abs. 2 Satz 2 FeV sei nämlich nichtig, weil er mit der von ihm zugelassenen konkreten Bedürfnisprüfung unzulässig in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) eingreife. Ob die amtliche Anerkennung als Begutachtungsstelle für Fahreignung die Berufsausübung oder die Berufswahl beeinträchtige, bedürfe keiner Entscheidung. Auch erstere sei von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt. § 66 Abs. 2 Satz 2 FeV stehe mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht im Einklang, weil die in der Vorschrift vorgesehene konkrete Bedürfnisprüfung nicht in einer Rechtsverordnung hätte normiert werden dürfen. Zwar dürfe nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG die Berufsfreiheit nicht nur durch Gesetz, sondern auch aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Die Bedürfnisprüfung greife jedoch sowohl nach den wirtschaftlichen Folgen für die Betroffenen als auch nach den rechtlichen Voraussetzungen, unter denen die Berufsfreiheit beschränkt werden dürfe, so intensiv in den Schutzbereich ein, dass sie vom Gesetzgeber selbst hätte einer Regelung zugeführt werden müssen. Er hätte eine eigene Grundsatzentscheidung zugunsten der Bedürfnisprüfung zu treffen und zumindest die Kriterien für ein rechtsförmiges Auswahlverfahren vorzusehen gehabt. Daran fehle es.
Die Rechtswidrigkeit der Regelung über die Bedürfnisprüfung habe nur eine auf § 66 Abs. 2 Satz 2 FeV beschränkte Nichtigkeit zur Folge. Der Beklagte müsse neu bescheiden, und dabei berücksichtigen, dass gegen die Gültigkeit von § 66 Abs. 2 Satz 1 FeV i.V.m. Anlage 14 keine Gültigkeitsbedenken bestünden; bei der Prüfung der in Anlage 14 aufgestellten Voraussetzungen müsse die Behörde berücksichtigen, dass eine volle Einrichtung im Zeitpunkt noch ungewisser amtlicher Anerkennung nicht in jedem Fall verlangt werden könne.
Mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und Abweisung der Klage.
Das angefochtene Urteil verstoße gegen Bundesrecht, weil § 66 Abs. 2 Satz 2 FeV entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs mit Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG im Einklang stehe. Regelungen, die nicht gezielt in die Berufsfreiheit eingriffen, sondern lediglich infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet seien, die Berufsfreiheit zu beeinträchtigen, könnten durch Rechtsverordnung getroffen werden. Die Ermächtigung in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. k StVG genüge den verfassungsmäßigen Anforderungen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung. Dazu haben die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt (§ 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
Die Revision ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).
Zu Recht hat das Berufungsgericht den Beklagten durch das angefochtene Urteil gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO verpflichtet, die Klägerin mit ihrem Antrag, sie als Begutachtungsstelle für Fahreignung im Sinne des § 66 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. August 1998 (BGBl I S. 2214) – FeV – anzuerkennen, neu zu bescheiden. Die dafür entscheidungstragende Annahme, die Bedarfsklausel des § 66 Abs. 2 Satz 2 FeV sei als objektive Beschränkung der Berufsfreiheit mangels ausreichender gesetzlicher Ermächtigung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG unwirksam, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
An der Bewertung der Bedarfsklausel des § 66 Abs. 2 Satz 2 FeV als verfassungswidrig ist die Fachgerichtsbarkeit nicht gehindert. Das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts gilt nur für nachkonstitutionelle Bundesgesetze (vgl. BVerfGE 70, 35 ≪57≫) und nicht für Rechtsverordnungen (vgl. BVerfGE 1, 184 ≪189 f.≫, stRspr).
1. Die Tätigkeit, für die die Klägerin die Anerkennung begehrt, wird vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG erfasst. Darunter fallen auch von Einzelnen frei gewählte untypische Betätigungen (vgl. BVerfGE 7, 377 ≪397≫; BVerfGE 75, 284 ≪292≫). Die von dem Beklagten unter Berufung auf Literaturstimmen (vgl. etwa Steiner, Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht, 1991, 249 ff.) vertretene Ansicht, Art. 12 GG werde hier nicht berührt, hält einer bundesrechtlichen Überprüfung nicht stand. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht erkannt, je näher ein Beruf durch öffentlich-rechtliche Bindungen und Auflagen an den „öffentlichen Dienst” herangeführt werde, desto stärker könnten Sonderregelungen in Anlehnung an Art. 33 GG die Wirkung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG tatsächlich zurückdrängen (vgl. BVerfGE 7, 377 ≪398≫). Dies könne auch bei sog. staatlich gebundenen Berufen der Fall sein, die zwischen freien Berufen mit gewissen öffentlich-rechtlichen Auflagen und Berufen mit völliger Einbeziehung in die unmittelbare Staatsorganisation angesiedelt seien (a.a.O.). Bei der angestrebten Tätigkeit der Klägerin handelt es sich indessen nicht um einen staatlich gebundenen Beruf und noch weniger um eine Einbindung in die unmittelbare Staatsorganisation. Allein die Bindungen an öffentlich-rechtliche Vorschriften, denen Begutachtungsstellen unterworfen sind, sowie der bloße Umstand, dass sich der Staat bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben ihrer Mitarbeit bediente, lässt keine begründeten Zweifel zu, dass solche Stellen vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG erfasst werden (vgl. BVerfGE 73, 280 ≪292≫). Als Eingriff genügt, dass durch staatliche Maßnahmen der Wettbewerb beeinflusst und die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit dadurch behindert wird (vgl. BVerfGE 86, 28 ≪37≫). Ohne Belang ist es auch, ob die angestrebte Tätigkeit mit Blick auf einschlägige Gebührenordnungen bestenfalls kostendeckend erfolgen kann oder einen ausreichenden Ertrag verspricht (vgl. BVerfG a.a.O., S. 38).
2. Dass der Verwaltungsgerichtshof die Klägerin als Grundrechtsträgerin ansieht, begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Gemäß Art. 19 Abs. 3 GG kommt die Berufsfreiheit den inländischen juristischen Personen des Privatrechts jedenfalls insoweit zugute, als diese eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit verrichten, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 65, 196 ≪209≫; BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 1994 – BVerwG 1 C 13.93 – BVerwGE 97, 12 ≪23≫ m.w.N.). Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin, soweit sie durch angestellte Arbeits- und Allgemeinmediziner sowie Psychologen medizinisch-psychologische Untersuchungen vornehmen und darüber Gutachten erstellen möchte, Trägerin des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG. Es kann im Hinblick auf die Grundrechtslage schlechthin keinen Unterschied machen, ob sich natürliche Personen zur Einrichtung einer Begutachtungsstelle als Personengesellschaft organisieren oder ob das in der Rechtsform einer GmbH geschieht.
3. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erlaubt Eingriffe in die Berufsfreiheit nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lässt. Diesem Gesetzesvorbehalt unterliegen Maßnahmen, die die Freiheit der Berufswahl betreffen ebenso wie solche, die lediglich die Ausübung des Berufs berühren, so dass hier offen bleiben kann, ob die von der Klägerin begehrte Ausweitung ihrer Berufstätigkeit durch die Anerkennung als Begutachtungsstelle der Berufswahl oder der Berufsausübung im Sinne des Art. 12 GG zuzurechnen ist. In dem einen wie dem anderen Fall nämlich kann der Gesetzgeber zwar Einzelheiten der Regelung durch eine Rechtsverordnung oder die Satzung einer öffentlichen Körperschaft überlassen. Indes hat er nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets „selbst zu entscheiden, ob und inwieweit Freiheitsrechte des Einzelnen gegenüber Gemeinschaftsinteressen zurücktreten müssen” (BVerfGE 86, 28 ≪40≫). An einer derartigen Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers fehlt es hier.
Richtig ist, dass gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. k StVG Rechtsverordnungen erlassen werden können über „die Anerkennung und Beauftragung von Stellen oder Personen nach § 2 Abs. 13, die Aufsicht über sie, …”. In Satz 1 der in Bezug genommenen Vorschrift des § 2 Abs. 13 StVG heißt es, dass Stellen oder Personen, die die Eignung oder Befähigung zur Teilnahme am Straßenverkehr zwecks Vorbereitung einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung beurteilen oder prüfen, für diese Aufgaben gesetzlich oder amtlich anerkannt oder beauftragt sein müssen. Dies wird in § 2 Abs. 13 Satz 3 StVG durch die Bestimmung ergänzt, dass „Voraussetzungen, Inhalt, Umfang und Verfahren für die Anerkennung oder Beauftragung und die Aufsicht … durch Rechtsverordnung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. k StVG näher bestimmt” werden. Damit hat aber der Gesetzgeber die verfassungsrechtlich wesentliche Frage, ob überhaupt und unter welchen Voraussetzungen eine Anerkennung mit Blick auf wichtige Gemeinwohlinteressen von Bedarfsgesichtspunkten abhängig gemacht und in dieser Weise in die Freiheitsrechte des Einzelnen eingegriffen werden darf, weder ausdrücklich noch sinngemäß selbst beantwortet.
Die Revision musste deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO erfolglos bleiben.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Fundstellen