Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf der Betrauung eines Prüfingenieurs mit hoheitlichen Aufgaben bei fehlender Zuverlässigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Betrauung eines Prüfingenieurs mit hoheitlichen Aufgaben muss widerrufen werden, wenn seine Unzuverlässigkeit feststeht. Eine vorangegangene Abmahnung steht dem nicht entgegen.
2. Widerruft die Überwachungsorganisation gegenüber dem Prüfingenieur die Betrauung mit hoheitlichen Aufgaben, weil die Anerkennungsbehörde ihr gegenüber die Zustimmung zu dieser Betrauung widerrufen hat, muss auf Klage des Prüfingenieurs geprüft werden, ob durch nachträglich eingetretene Tatsachen eine materielle Voraussetzung für die Betrauung - hier die Zuverlässigkeit - entfallen ist.
Normenkette
VwVfG § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3; StVZO 2012 Anl VIIIb
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 21.07.2016; Aktenzeichen 3 LB 15/15) |
VG Schleswig-Holstein (Urteil vom 07.01.2014; Aktenzeichen 3 A 234/12) |
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin ist Witwe und Alleinerbin des am 9. August 2018 verstorbenen Prüfingenieurs G. (im Folgenden: G). Sie führt die noch von ihrem Ehemann erhobene Klage gegen den Widerruf seiner Betrauung mit hoheitlichen Prüfaufgaben durch die Beklagte im Revisionsverfahren fort.
Rz. 2
Die Beklagte ist als Überwachungsorganisation nach der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung für das Gebiet des Landes Schleswig-Holstein anerkannt. Auf ihren Antrag hin stimmte das Ministerium für Wirtschaft, Technik und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein (im Folgenden: Verkehrsministerium) als zuständige Anerkennungsbehörde der Betrauung des Herrn G mit Untersuchungsaufgaben durch die Beklagte zu. Daraufhin betraute die Beklagte Herrn G zum Jahr 1995 mit der Durchführung von Fahrzeuguntersuchungen nach Maßgabe eines zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertrags.
Rz. 3
Die Prüftätigkeit des Herrn G war wiederholt Beanstandungen ausgesetzt. Bereits im Jahr 1996 führte die Beklagte nach Reklamationen eine interne Untersuchung durch, die eine niedrige Mängelerkennungsquote ergab. Insbesondere aber war bei allen 283 ausgewerteten Untersuchungsberichten ein identischer Bremswert angegeben. Die Beklagte untersagte Herrn G daraufhin die Prüftätigkeit in ihrem Namen wegen fachlicher und methodischer Defizite sowie des Verdachts auf Unzuverlässigkeit. Nach erfolgreicher Teilnahme an einer Nachschulung hob die Beklagte die Aussetzung der Betrauung nach knapp einem Monat wieder auf. Aufgrund einer weiteren Beanstandung leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Falschbeurkundung im Amt gegen Herrn G ein, das im Jahr 2012 vom Amtsgericht Kiel nach Zahlung von 800 € gemäß § 153a StPO eingestellt wurde.
Rz. 4
Im Jahr 2008 wies das Verkehrsministerium die Beklagte auf Auffälligkeiten der von Herrn G vorgelegten Prüfzahlen - insbesondere eine unplausibel hohe Zahl gemeldeter Untersuchungen pro Tag - hin und bat um Stellungnahme. Die Beklagte führte daraufhin Kontrollen über die Prüftätigkeit des Herrn G durch, die zu Beanstandungen führten. Bei einem verdeckten Test in der Werkstatt "Autodienst K." am 15. Juni 2011 habe Herr G einen Prüfbericht anhand der Werkstattuntersuchung erstellt, ohne das Fahrzeug zuvor vollständig geprüft zu haben. Auch eine unangekündigte Nachkontrolle der Prüftätigkeit in der Werkstatt "T." am 15. Dezember 2011 habe schwerwiegende Mängel ergeben: Herr G habe die Prüfplakette trotz erheblicher Mängel - insbesondere einer überlackierten und nicht lesbaren Fahrgestellnummer und einer funktionslosen Hupe - zugeteilt. Durch Schreiben vom 17. Januar 2012 sprach die Beklagte daraufhin eine Abmahnung aus, in der Herrn G für den Wiederholungsfall angekündigt wurde, dass "sofort bis zur Absolvierung angemessener Schulungs- und Korrekturmaßnahmen die Betrauung als Prüfingenieur" ausgesetzt werde.
Rz. 5
Mit an die Beklagte gerichtetem Bescheid vom 3. April 2012 widerrief das Verkehrsministerium die Zustimmung zur Betrauung des Herrn G mit Prüfaufgaben. Ihm sei die weitere Ausübung hoheitlicher Befugnisse mit sofortiger Wirkung zu untersagen.
Rz. 6
Daraufhin widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 5. April 2012 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Betrauung des Herrn G; den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2012 zurück. Herr G erfülle nicht mehr die rechtlichen Anforderungen für eine Betrauung. Zum einen habe das zuständige Ministerium die Zustimmung zu seiner Betrauung widerrufen. Zum anderen habe sich Herr G bei seiner Prüftätigkeit als unzuverlässig erwiesen. Angesichts der wiederholt beanstandeten Mängel und der fruchtlosen Schulungsmaßnahmen müsse davon ausgegangen werden, dass Herr G keine vorschriftskonformen Fahrzeuguntersuchungen vorgenommen, sondern nur die vom Werkstattpersonal mitgeteilten Mängel dokumentiert habe. Hierfür spreche auch, dass Herr G regelmäßig durch extrem kurze Untersuchungszeiten und sehr hohe Tagesstückzahlen aufgefallen sei. Im Juni 2012 kündigte die Beklagte auch den mit Herrn G geschlossenen Prüfingenieurvertrag mit Wirkung zum Jahresende.
Rz. 7
Die gegen den Widerruf der Betrauung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Nach den glaubhaften Angaben der Zeugen habe Herr G den Prüfbericht vom 15. Juni 2011 mit den von der Werkstatt dokumentierten Mängeln unterschrieben, ohne selbst die vorgeschriebenen Prüfhandlungen durchgeführt zu haben. Zur Überzeugung des Gerichts stehe ebenfalls fest, dass Herr G am 15. Dezember 2011 eine Prüfplakette für ein nicht eindeutig identifizierbares Fahrzeug erteilt habe; nach der Beweisaufnahme bestehe kein Zweifel daran, dass die überlackierte Fahrgestellnummer nicht habe abgelesen werden können. Herr G sei damit seiner elementaren Amtspflicht als Prüfingenieur, die Fahrzeuge bei einer Prüfung vollständig zu untersuchen, nicht nachgekommen. Mildere Mittel zum Schutz der hochwertigen Rechtsgüter aller Straßenverkehrsteilnehmer als der Widerruf der Betrauung seien angesichts der langjährigen fruchtlosen Einwirkungsversuche nicht ersichtlich.
Rz. 8
Auf die Berufung des Herrn G hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil geändert und die Bescheide der Beklagten aufgehoben. Das Verwaltungsgericht habe zwar mit zutreffender Begründung das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der nach Landesrecht maßgeblichen Vorschrift über den Widerruf eines Verwaltungsakts festgestellt. Die Pflichtverletzungen des Herrn G bei seinen Prüftätigkeiten am 15. Juni 2011 und am 15. Dezember 2011 stellten nachträglich eingetretene Tatsachen dar, die geeignet seien, die Unzuverlässigkeit zu begründen. Der Widerruf leide jedoch an Ermessensfehlern. Die Beklagte habe in unmittelbar zeitlichem Nachgang zu den Verfehlungen mit Schreiben vom 17. Januar 2012 eine Abmahnung ausgesprochen und für den Wiederholungsfall die Aussetzung der Betrauung als Prüfingenieur angekündigt. Damit habe sie ihr Ermessen auf die befristete Aussetzung der Betrauung verengt. Der im Widerspruchsbescheid benannte weitere Vorfall vom 29. März 2012 rechtfertige für sich genommen allenfalls eine Aussetzung der Betrauung. Der verfügte Widerruf der Betrauung erweise sich damit als unverhältnismäßige Maßnahme.
Rz. 9
Mit der vom Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision verteidigt die Beklagte ihre Entscheidungen. Sie beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. Juli 2016 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 7. Januar 2014 zurückzuweisen.
Rz. 10
Während des Revisionsverfahrens ist Herr G verstorben. In dem von seiner Witwe fortgeführten Verfahren begehrt sie die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs und macht im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche ein eigenes Fortsetzungsfeststellungsinteresse geltend. Die Klägerin beantragt,
die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass festgestellt wird, dass der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 5. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2012 rechtswidrig war.
Rz. 11
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und verteidigt in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur das angegriffene Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
Rz. 12
Die im Revisionsverfahren erklärte Klageänderung ist zulässig (1.). Die damit nur noch auf ein Feststellungsbegehren bezogene Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt revisibles Recht und erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig. Das Berufungsgericht hätte die angefochtene Verfügung nicht aufheben dürfen (2.). Der Widerruf der Betrauung des Herrn G mit Prüfaufgaben der Beklagten hat sich mit Wirksamwerden der Kündigung des zwischen ihnen geschlossenen Prüfingenieurvertrags erledigt. Das Berufungsurteil hat die Widerrufsverfügung auch zu Unrecht beanstandet (3.). Es hat zwar zutreffend entschieden, dass die Annahme der Unzuverlässigkeit auf Klage des Prüfingenieurs gegen den Widerruf seiner Betrauung auch dann überprüft werden muss, wenn die Überwachungsorganisation den Widerruf darauf gestützt hat, dass die Anerkennungsbehörde ihr gegenüber die Zustimmung zur Betrauung des Prüfingenieurs widerrufen hat. Es hat aber verkannt, dass die Betrauung eines Prüfingenieurs mit hoheitlichen Aufgaben widerrufen werden muss, wenn seine Unzuverlässigkeit feststeht. Eine vorangegangene Abmahnung steht dem nicht entgegen.
Rz. 13
1. Der im Revisionsverfahren erklärte Übergang des Klagebegehrens auf einen Feststellungsantrag ist zulässig.
Rz. 14
Das gerichtliche Verfahren ist durch den Tod des ursprünglichen Klägers nicht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 239 Abs. 1 ZPO unterbrochen worden, weil er durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war, dieser keinen Aussetzungsantrag gestellt und die Alleinerbin den Rechtsstreit aufgenommen hat (vgl. § 246 Abs. 1 ZPO). Das Verfahren wird daher mit Wirkung für und gegen die Rechtsnachfolgerin weitergeführt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. September 2009 - 20 F 6.09 - juris Rn. 1).
Rz. 15
Mit dem ursprünglichen Anfechtungsbegehren hat sich der Rechtsstreit durch den Tod des Herrn G aber in der Sache erledigt. Es ist nicht erkennbar, welche Rechtswirkungen von dem angegriffenen Widerruf der Betrauung als Prüfingenieur noch ausgehen könnten. Die von der Klägerin erklärte Umstellung auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag ist keine im Revisionsverfahren verbotene (§ 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO) Klageänderung; sie erfordert nicht die Einführung neuen Streitstoffs (BVerwG, Urteile vom 28. Oktober 1999 - 7 C 32.98 - BVerwGE 110, 17 ≪19 f.≫ und vom 4. Dezember 2014 - 4 C 33.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:041214U4C33.13.0] - BVerwGE 151, 36 Rn. 11).
Rz. 16
Die Klägerin kann auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung geltend machen: Ohne den Widerruf hätte Herr G seiner Berufstätigkeit nachkommen und dadurch Einkünfte erzielen können. Die Durchführung eines Schadensersatzprozesses erscheint nicht offensichtlich aussichtslos (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 - 2 C 27.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:171116U2C27.15.0] - BVerwGE 156, 272 Rn. 15 m.w.N.). Das für einen Schadensersatzanspruch erforderliche Verschulden kann nicht bereits deshalb verneint werden, weil das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen hat. Von einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit geht die Rechtsprechung nur bei der Bestätigung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns durch ein Kollegialgericht aus (BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 - 2 C 37.04 - BVerwGE 124, 99 ≪105 f.≫ m.w.N.). Die hier vorliegende Einzelrichterentscheidung des Verwaltungsgerichts kann die Kollegialgerichtsregel daher nicht für sich beanspruchen. Verfahren über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sind vom Streitgegenstand nur auf die Regelung des Zwischenzeitraumes gerichtet und ergehen aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage; aus ihnen kann die offensichtliche Aussichtslosigkeit eines Schadensersatzprozesses daher regelmäßig nicht geschlossen werden (BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 a.a.O. S. 106). Im Übrigen haben die Entscheidungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hier die Frage der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung ausdrücklich offen gelassen und auf eine Folgenabwägung abgestellt.
Rz. 17
Kausal ist der Widerruf der Betrauung für den Verdienstausfall des Klägers zwar möglicherweise nur für den Zeitraum bis zum Wirksamwerden der Kündigung des Prüfingenieurvertrages. Da Herr G die Kündigung nicht angegriffen hat, hätte er ab 2013 unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Widerrufs nicht mehr für die Beklagte tätig werden können. Auch für diesen eingeschränkten Zeitraum kann der Klägerin ein Rechtsschutzinteresse indes nicht abgesprochen werden.
Rz. 18
Die Zuständigkeit einer anderen Gerichtsbarkeit für den Schadensersatzanspruch steht dem Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Fall der Erledigung nach Klageerhebung nicht entgegen. Eine "Umgehung" der Zuständigkeitsordnung zur Erlangung "sachnäherer" Richter ist hier nicht zu besorgen.
Rz. 19
2. Mit dem Wirksamwerden der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung des Prüfingenieurvertrags zum Ende des Jahres 2012 hat sich der Widerruf der Betrauung des Herrn G durch die Beklagte erledigt. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts lag ein wirksamer Verwaltungsakt nicht vor, sodass die Verfügung auch nicht mehr aufgehoben werden durfte (BVerwG, Urteil vom 15. November 1990 - 3 C 49.87 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 224 S. 61 f.). § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO sieht in dieser Konstellation nur noch eine Feststellung vor.
Rz. 20
Nach Nr. 3 der Anlage VIIIb zur Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) vom 26. April 2012 (BGBl. I S. 679), in der zum maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung geltenden Fassung vom 10. Mai 2012 (BGBl. I S. 1086) darf die Überwachungsorganisation eine ihr angehörende Person mit der Durchführung von Hauptuntersuchungen und Sicherheitsprüfungen betrauen. Die Betrauung erfasst bereits begrifflich nur der Überwachungsorganisation angehörende Personen. Der betraute Prüfingenieur nimmt die hoheitlichen Befugnisse wahr, mit der die Überwachungsorganisation beliehen ist und führt sie im Namen und für Rechnung der Überwachungsorganisation durch (Nr. 6.1 der Anlage VIIIb zur StVZO). Gehört ein Prüfingenieur der Überwachungsorganisation nicht mehr an, geht die Betrauung daher ins Leere. Sie entfaltet keine Rechtswirkungen mehr und hat sich erledigt (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2012 - 3 C 8.11 - Buchholz 442.16 § 29 StVZO Nr. 1 Rn. 19).
Rz. 21
Dem entspricht auch die konkrete Betrauungsverfügung der Beklagten vom 22. Dezember 1994. Dort wird Herr G zur Durchführung von Untersuchungen "nach Maßgabe des GTÜ-Partnerschafts-Vertrages vom 22.12.1994" ermächtigt. Entfällt der in Bezug genommene Vertrag, fehlen damit die einer Betrauung zugrunde liegenden Tätigkeiten für die Überwachungsorganisation. Ob zugleich der Büroinhabervertrag zwischen den Beteiligten gekündigt wurde, ist hierfür nicht entscheidend. Die Überlassung eines Büros steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Eingliederung des Prüfingenieurs in die Organisationsstruktur der Beklagten und kann unabhängig hiervon sinnvoll fortbestehen.
Rz. 22
3. Die Betrauung eines Prüfingenieurs mit hoheitlichen Prüfaufgaben muss widerrufen werden, wenn seine Unzuverlässigkeit feststeht. Die Annahme des Berufungsgerichts, dem könne eine vorangegangene bloße Abmahnung entgegenstehen, verstößt gegen Bundesrecht.
Rz. 23
a) Rechtsgrundlage für den angegriffenen Widerruf der Betrauung ist Nr. 3 der Anlage VIIIb zur StVZO i.V.m. den Vorschriften zum Widerruf eines Verwaltungsakts im Verwaltungsverfahrensrecht des Landes, dessen Behörde den Widerruf verfügt hat (BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2012 - 3 C 8.11 - Buchholz 442.16 § 29 StVZO Nr. 1 Rn. 9). Maßgeblich ist danach § 117 Abs. 2 Nr. 3 des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz - LVwG) in der Fassung des Gesetzes vom 24. April 2012 (GVOBl. Schl.-H. S. 530), auf den die Beklagte die Verfügung im Widerspruchsbescheid gestützt und den auch das Berufungsgericht herangezogen hat. Die Vorschrift stimmt nach ihrem Wortlaut mit § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes überein. Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde.
Rz. 24
Die Betrauung eines Prüfingenieurs durch eine anerkannte Überwachungsorganisation ist ein Verwaltungsakt: Sie enthält die einseitige Verleihung hoheitlicher Befugnisse (OVG Koblenz, Urteil vom 28. Juni 2010 - 6 A 10154/10 - juris Rn. 20; OVG Münster, Urteil vom 22. September 2000 - 8 A 2429/99 - NZV 2001, 184 ≪189≫; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 29 StVZO Rn. 22; Meyer, in: Bender/König, Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, Bd. 1, 2016, § 29 StVZO Rn. 76). Widerrufsvoraussetzung ist damit der nachträgliche Eintritt einer Tatsache, aufgrund welcher die Beklagte berechtigt wäre, Herrn G nicht mit ihren Prüfaufgaben zu betrauen.
Rz. 25
b) Zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, dass nicht bereits der Umstand, dass das Verkehrsministerium als Anerkennungsbehörde die Zustimmung zur Betrauung widerrufen hat, zur Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Betrauung durch die Überwachungsorganisation führt.
Rz. 26
aa) Gemäß Nr. 3 der Anlage VIIIb zur StVZO darf die Überwachungsbehörde ihr angehörende Personen mit der Durchführung der Hauptuntersuchung (HU) und Sicherheitsprüfung (SP) betrauen, wenn diese die in Nr. 3.1 bis 3.6b benannten Anforderungen erfüllen und wenn die zuständige Anerkennungsbehörde zugestimmt hat (Nr. 3.7). Ohne Zustimmung der Anerkennungsbehörde darf die Überwachungsorganisation damit einen Prüfingenieur nicht betrauen.
Rz. 27
Das Zustimmungserfordernis bei der Betrauung soll eine staatliche Überprüfung der Eignung und Zuverlässigkeit solcher Personen ermöglichen, die als Prüfingenieure mit Außenwirkung hoheitlich tätig werden (BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2012 - 3 C 8.11 - Buchholz 442.16 § 29 StVZO Nr. 1 Rn. 15). Mit dem Erfordernis der amtlichen Anerkennung wollte der Gesetzgeber ausschließen, dass nicht hinreichend sachverständige Personen Haupt- und Abgasuntersuchungen durchführen und mit der damit verbundenen Zuteilung der Prüfplakette möglicherweise nicht verkehrssicheren oder die Abgaswerte nicht erfüllenden Fahrzeugen die Teilnahme am Straßenverkehr erlauben (BT-Drs. 14/8766 S. 58). Bereits im Vorfeld der Betrauung erfolgt so eine prognostische Beurteilung der zu betrauenden Person hinsichtlich der in Nr. 3.1 bis 3.6b der Anlage VIIIb zur StVZO normierten Anforderungen durch die staatliche Anerkennungsbehörde. Nur diejenigen Personen dürfen im Außenverhältnis gegenüber einem Bürger mit hoheitlichen Befugnissen tätig werden, die durch eine staatliche Stelle geprüft worden sind.
Rz. 28
Der Zuständigkeit der Anerkennungsbehörde für die Zuverlässigkeitsprüfung der Prüfingenieure entspricht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sie - und nicht die Überwachungsorganisation - für Amtspflichtverletzungen des Prüfingenieurs haftet (BGH, Urteile vom 30. November 1967 - VII ZR 34/65 - BGHZ 49, 108 ≪115 f.≫, vom 25. März 1993 - III ZR 34/92 - BGHZ 122, 85 ≪87 f.≫und vom 2. November 2000 - III ZR 261/99 - NVwZ-RR 2001, 147).
Rz. 29
Mit dem späteren Wegfall der Zustimmung tritt damit ein Umstand ein, aufgrund dessen die Beklagte berechtigt wäre, die ihr angehörende Person nicht mit ihren Überwachungsaufgaben zu betrauen. Sie wäre hierzu sogar nicht mehr befugt.
Rz. 30
bb) Die Zustimmung der Anerkennungsbehörde ist in Nr. 3.7 der Anlage VIIIb zur StVZO aber als Entscheidung im Verhältnis zur Überwachungsorganisation ausgestaltet (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 13. März 2017 - 3 K 1390/16 - juris Rn. 47). Der Prüfingenieur selbst ist weder Beteiligter des Verfahrens noch wird ihm die Entscheidung zugestellt. Die Zustimmung der Anerkennungsbehörde ist allein auf eine Regelung im Verhältnis zur Überwachungsorganisation gerichtet. Sie kann daher gegen den Prüfingenieur auch keine unmittelbare Rechtswirkung beanspruchen oder entfalten. Gleiches gilt für den gegenüber der Überwachungsorganisation ausgesprochenen Widerruf der Zustimmung zur Betrauung durch die Anerkennungsbehörde.
Rz. 31
Widerruft die Überwachungsorganisation gegenüber dem Prüfingenieur die Betrauung mit hoheitlichen Aufgaben, weil die Anerkennungsbehörde ihr gegenüber die Zustimmung zu dieser Betrauung widerrufen hat, muss auf Klage des Prüfingenieurs geprüft werden, ob durch nachträglich eingetretene Tatsachen eine materielle Voraussetzung für die Betrauung - hier die Zuverlässigkeit - entfallen ist. Anderenfalls würde dem Prüfingenieur, der in seiner Berufsfreiheit berührt ist, der gebotene effektive Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) versagt.
Rz. 32
c) Die Einschätzung des Berufungsgerichts, Herr G habe sich nachträglich als unzuverlässig erwiesen, ist nicht zu beanstanden.
Rz. 33
aa) Die Widerrufsvoraussetzung der Unzuverlässigkeit ist ein gerichtlich voll überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. September 2002 - 3 C 37.01 - NJW 2003, 913 ≪915≫ und vom 15. Juli 2004 - 3 C 33.03 - BVerwGE 121, 257 ≪261≫); steht sie fest, bleibt für Ermessenserwägungen der Behörde kein Raum.
Rz. 34
Unzuverlässig ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird (BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 8 C 6.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:150415U8C6.14.0] - BVerwGE 152, 39 Rn. 14 m.w.N.). Diese Maßstäbe können auf den Prüfingenieur übertragen werden: Unzuverlässig ist danach ein Prüfingenieur, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er die ihm übertragenen Prüfaufgaben künftig ordnungsgemäß wahrnehmen wird.
Rz. 35
Bei den Kraftfahrzeughauptuntersuchungen, Abgasuntersuchungen und Sicherheitsprüfungen sowie Abnahmen im Sinne der Anlage VIIIb zur StVZO handelt es sich um staatliche Aufgaben der Gefahrenabwehr. Die Prüfung von Kraftfahrzeugen auf ihren verkehrssicherheitstechnischen und immissionsschutzrechtlichen Anforderungen genügenden Zustand dient unmittelbar der Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf öffentlichen Straßen und damit dem Schutz gewichtiger Rechtsgüter. Die Betrauung eines Privaten mit der selbständigen Durchführung dieser Aufgaben setzt voraus, dass die Person hinreichend sachverständig und zuverlässig ist. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Prüfplakette nur verkehrssicheren und die Abgaswerte einhaltenden Fahrzeugen zugeteilt wird (vgl. BT-Drs. 14/8766 S. 58). Eine Person, die nicht die Gewähr dafür bietet, die Aufgaben eines Prüfingenieurs zuverlässig zu erfüllen, darf nicht betraut werden. Ergibt sich die fehlende Zuverlässigkeit erst nachträglich, ist die Betrauung zu widerrufen.
Rz. 36
Anknüpfungspunkt für die hierzu erforderliche Prognose sind in der Vergangenheit eingetretene Tatsachen, die den Schluss zulassen, dass der Betroffene auch in Zukunft eine ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung nicht erwarten lässt (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. März 1966 - 1 C 62.65 - BVerwGE 24, 38 ≪40≫ und vom 11. November 2004 - 3 C 8.04 - BVerwGE 122, 182 ≪187≫). Die Prognose hat sich an dem Zweck der Regelung zu orientieren, nicht verkehrssichere oder die Abgaswerte nicht erfüllende Kraftfahrzeuge vom Verkehr auf öffentlichen Straßen auszuschließen.
Rz. 37
Umgekehrt ist zu beachten, dass von keinem Prüfingenieur erwartet werden kann, dass er bei jeder Fahrzeuguntersuchung alle vorhandenen Mängel erkennt. Im Hinblick auf die Vielzahl der von Prüfingenieuren in angemessener Zeit durchzuführenden Untersuchungen würde dies die Anforderungen überspannen. Fehlerhaft durchgeführte Untersuchungen geben daher ab einem bestimmten Ausmaß Anlass zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit, sie lassen sie aber nicht unmittelbar entfallen. In der Praxis werden für die Reaktion auf mangelhafte Untersuchungen gestufte Maßnahmepläne verwendet. Sie sehen ein sich steigerndes System unterschiedlicher Sanktionen und Abhilfemaßnahmen vor, um die Zuverlässigkeit der betroffenen Prüfingenieure zu gewährleisten. Dieses interne Qualitätsmanagement bildet indes nicht alle Fälle fehlender Zuverlässigkeit ab. So kann etwa auch der dort nicht geregelte Vermögensverfall die Annahme einer Unzuverlässigkeit begründen. Insbesondere sind durch den Maßnahmeplan auch diejenigen Fallkonstellationen nicht erfasst, bei denen nicht eine zu niedrige Mängelerkennungsquote in Rede steht, sondern bereits Zweifel an der ordnungsgemäßen - selbständigen und vollständigen - Durchführung der Fahrzeuguntersuchung bestehen. Lässt der Gesamteindruck den Schluss zu, dass der Prüfingenieur bereits nicht willens ist, die ihm übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß auszuüben, kann ihm die berufsnotwendige Zuverlässigkeit nicht mehr zugesprochen werden.
Rz. 38
bb) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Einschätzung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden. Die von den Tatsachengerichten nach einer Beweisaufnahme festgestellten Umstände ließen den Schluss zu, dass Herr G die Aufgaben eines Prüfingenieurs künftig nicht ordnungsgemäß erfüllen würde.
Rz. 39
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, auf die das Berufungsgericht verwiesen hat und die mangels Verfahrensrüge auch der revisionsgerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen sind (§ 137 Abs. 2 VwGO), hat Herr G wiederholt gegen die ihm als Prüfingenieur auferlegte Kernpflicht verstoßen, das Fahrzeug bei der Hauptuntersuchung eigen- und vollständig zu prüfen. Bereits der Aussetzung der Betrauung im Jahr 1996 lagen nicht nur fachliche Mängel der durchgeführten Fahrzeuguntersuchungen zugrunde, vielmehr waren in allen 283 ausgewerteten Untersuchungsberichten identische Bremswerte angegeben. Der Würdigung ist aber insbesondere zugrunde zu legen, dass Herr G am 15. Juni 2011 den Prüfbericht anlässlich einer Hauptuntersuchung unterschrieben und die von der Werkstatt zuvor dokumentierten Mängel in den Bericht übernommen hat, ohne selbst die vorgeschriebenen Prüfhandlungen durchgeführt zu haben. Festgestellt ist darüber hinaus, dass Herr G am 15. Dezember 2011 ein Fahrzeug nicht beanstandet hat, obwohl dessen Fahrgestellnummer teilweise überlackiert und nicht vollständig ablesbar war. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung schließlich einen weiteren Pflichtenverstoß vom 29. März 2012 zugrunde gelegt.
Rz. 40
Festgestellt haben die Tatsachengerichte weiterhin, dass die nicht ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung des Herrn G weder durch Sanktionen oder Unterstützungsmaßnahmen noch in Folge des gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Falschbeurkundung im Amt behoben werden konnte. Aus den Akten ergeben sich eine im Jahr 2008 angeordnete Mentorbegleitung, mehrere - zum Teil wegen Kundenreklamationen veranlasste - Qualitätsgespräche, eine Abmahnung sowie die Anordnung einer Schulung im Jahr 2010. Im Jahr 2011 wurden ein Qualitätszirkel und das Qualitätsgespräch vom 30. November 2011 durchgeführt, bei dem die vereinbarten Mindestprüfzeiten und die Auswertung der Nachkontrollen besprochen worden sind. Der Vorfall vom 15. Dezember 2011 fand in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang zu diesen Abhilfemaßnahmen statt.
Rz. 41
Bei dieser Sachlage ist die Annahme nicht zu beanstanden, dass Herr G nicht die Gewähr dafür bot, dass er die ihm übertragenen Prüfaufgaben künftig ordnungsgemäß wahrnehmen wird. Es ist nicht ersichtlich, welche weiteren Maßnahmen noch hätten ergriffen werden können oder müssen, um eine Verhaltensänderung zu bewirken.
Rz. 42
d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht die Abmahnung vom 17. Januar 2012 dem Widerruf der Betrauung nicht entgegen.
Rz. 43
In der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung wird angenommen, dass im Ausspruch einer Abmahnung regelmäßig der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den gerügten Gründen liege (vgl. etwa BAG, Urteil vom 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - NZA-RR 2012, 43 Rn. 52 f.). Dieser Grundsatz kann auf das Gefahrenabwehrrecht nicht übertragen werden. Daher hindert eine Abmahnung die Überwachungsorganisation nicht, weitergehende Maßnahmen gegen einen Prüfingenieur zu ergreifen, wenn dessen Unzuverlässigkeit feststeht. Ob die Betrauung des Prüfingenieurs mit hoheitlichen Aufgaben widerrufen werden kann oder muss, unterliegt nicht der Privatautonomie oder Entscheidungsfreiheit der Überwachungsorganisation, sondern ist von der Erfüllung der hierfür geltenden öffentlich-rechtlichen Anforderungen abhängig. Kann ein Prüfingenieur nicht mehr als hinreichend zuverlässig zur Durchführung der ihm übertragenen Aufgaben angesehen werden, ist seine Betrauung zu widerrufen. Für eine abweichende Ermessensbetätigung verbleibt im Hinblick auf die hochrangigen Rechtsgüter, deren Schutz das Zuverlässigkeitserfordernis bezweckt, kein Raum.
Rz. 44
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Fundstellen
NZG 2019, 6 |
DÖV 2019, 796 |
GewArch 2019, 389 |
JZ 2019, 752 |
LKV 2019, 3 |
VRS 2019, 135 |
DVBl. 2019, 3 |
KommJur 2019, 6 |
UPR 2019, 398 |