Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsfolgelasten. Staatspraxis. Kampfmittelräumung
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG, die bestimmt, daß der Bund u.a. die Kriegsfolgenlasten im Grundsatz allein zu tragen hat, betrifft nur die Lasten solcher Kriegsfolgen, deren entscheidende Ursache der Zweite Weltkrieg ist (BVerfGE 9, 305). Sie ist nicht anwendbar, wenn es um die Zuordnung solcher Aufwendungen geht, die im Zusammenhang mit Vereinbarungen entstanden sind, welche Küstenfischer zu einem bestimmten Umgehen mit von ihnen aufgefischter, nach dem Zweiten Weltkrieg im Küstenbereich versenkter – deutscher bzw. britischer – Munition anleiten.
Normenkette
GG Art. 120 Abs. 1 Sätze 1, 3
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte grundsätzlich verpflichtet ist, Kosten der Kampfmittelräumung zu übernehmen, die dem Kläger entstehen, wenn er sich gegenüber Fischern verpflichtet, ihnen pauschal Aufwendungen für den Weitertransport unbeabsichtigt bei der Schleppnetzfischerei an Bord gelangter Munition zu vergüten.
In der von den Fischern aufgesuchten 12-Meilen-Zone vor der niedersächsischen Küste befindet sich Munition beider Weltkriege. Insbesondere sind dort 1945 – 1947 unter alliierter Aufsicht große Mengen Munition verschiedener Herkunft versenkt worden. Davon ist ein großer Teil in den Jahren 1947 – 1958 im Auftrage eines Delaborierwerkes wieder geborgen und zum Teil verarbeitet worden.
Das Umweltministerium des Klägers erfaßt seit 1989 als Verdachtsflächen für Rüstungsaltlasten auch die Munitionsversenkungsgebiete in den Küstengewässern der Nordsee. Das vom Kläger vorgelegte Gutachten vom 22. Oktober 1993 kommt u.a. zu dem Ergebnis, daß wegen fortschreitender Korrosion der Sicherheits- und Zündsysteme die Gefahr einer Selbstdetonation der Kampfmittel am Meeresgrund vernachlässigt werden könne. Eine Räumung sei weder technisch noch finanziell realisierbar; der dadurch entstehende ökologische Schaden sei höher zu bewerten als das Risiko des Status quo. Eine Gefährdung könne aber bei unbeabsichtigter Aufnahme durch die damit verbundene mechanische Einwirkung entstehen.
Vor diesem Hintergrund und mit dem erklärten Ziel, insbesondere das Zurückwerfen aufgefischter Munition zu vermeiden, hat der Kläger im Jahre 1995 im Rahmen eines Pilotprojektes mit einem Kutterfischer vertraglich vereinbart, daß dieser die an Bord gelangte Munition bis 10,5 cm in einem ihm zur Verfügung gestellten Transportbehälter verwahren und in Häfen dem Kampfmittelbeseitigungsdienst übergeben solle. Für große Kampfmittel wurde die Verpflichtung des Fischers festgelegt, sie auf der Sandbank „Martensplate” zur Abholung durch den Kampfmittelbeseitigungsdienst bereitzulegen. Das Land verpflichtete sich seinerseits, eine zusätzliche Unfallversicherung für die Schiffsbesatzung abzuschließen, eine Aufwandsentschädigung von 1 000 DM pro Monat zu zahlen und die Aufbewahrungskisten zu stellen. In den Verträgen der Jahre 1997/1998, die mit zehn Kutterfischern abgeschlossen wurden, war als zu ersetzender Aufwand „50 DM je Fangfahrt, von der er Munition mit an Land bringt” und 300 DM pauschal bei Ablegen von Großmunition auf der „Martensplate” vereinbart worden. Das Projekt hat insgesamt folgende Ergebnisse erbracht:
1995: |
Munitionsaufbringung: |
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3 023 kg |
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Versicherungsprämien: |
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4 106,70 DM |
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Aufwandserstattung: |
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6 000 DM |
1996: |
Munitionsaufbringung: |
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599 kg |
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Versicherungsprämien: |
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52 159,73 DM |
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Aufwandserstattung: |
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58 401,28 DM |
1997: |
Munitionsaufbringung: |
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1 863 kg |
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Versicherungsprämien: |
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60 824,30 DM |
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Aufwandserstattung: |
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2 950,– DM |
1998: |
Munitionsaufbringung: |
ca. |
300 kg, |
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Versicherungsprämien: |
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50 755,25 DM |
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Aufwandserstattung: |
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200,– DM |
Der Kläger hält die Beklagte aus Art. 120 GG in Verbindung mit der zwischen Bund und Ländern bestehenden Staatspraxis für verpflichtet, die im Zusammenhang mit den Munitionsfunden und ihrer Beseitigung entstehenden Kosten jedenfalls insoweit zu übernehmen, als es sich um Reichsmunition handelt. Zu diesen Kosten zählten auch die Aufwendungen für die Anfertigung der Transportkisten. Für das Ablegen aufgefischter Großkampfmittel (Torpedos, Minen) auf der „Martensplate” solle den Fischern in Zukunft eine Kostenerstattungspauschale in Höhe von 1 000 DM angeboten werden.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm im Rahmen der Kampfmittelräummaßnahmen auf Bundeswasserstraßen diejenigen notwendigen Kosten zu erstatten, die notwendig sind, um Fischer, die beim Fischen reichseigene Munition aufnehmen, zu veranlassen, diese Munition dem Kamfmittelbeseitigungsdienst im Heimathafen zu übergeben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klage für jedenfalls unbegründet. Kampfmittelbeseitigungsmaßnahmen auf bundeseigenen Liegenschaften müßten gemäß der zwischen Bund und Ländern bestehenden Staatspraxis grundsätzlich mit der zuständigen Bundesverwaltung abgesprochen werden. Die Finanzierung bestimme sich in erster Linie nach dem Verursacherprinzip. Könne ein Verursacher oder anderweitiger Verantwortlicher nicht festgestellt werden, trügen die Länder die Kostenlast, könnten aber ihrerseits vom Bund die Erstattung der Zweckaufwendungen verlangen, die zur Beseitigung der Kampfmittel, von denen unmittelbare Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen ausgehe, erforderlich seien. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Ein Einvernehmen mit der Bundesbehörde sei nicht hergestellt worden. Eine nachvollziehbare Gefahreneinschätzung gebe es nicht; in der Ausgangslage stelle die Munition auf dem Grunde des Meeres keine Gefahr dar. Die geborgenen Kampfmittel kämen nicht ausschließlich von den Bundeswasserstraßen, für die der Bund zuständig sei. Die vom Land aufgewandten Kosten seien nicht notwendig, wie sich beispielsweise aus dem Mißverhältnis der Höhe der Versicherungsprämie zur Menge der Fundmunition ergebe. Eine Gefahrenlage sei erst durch die Schleppfischerei geschaffen worden. Die Fischer seien nach den bestehenden abfallrechtlichen Regelungen selbst zur ordnungsgemäßen Entsorgung der gelegentlich ihrer Fischereitätigkeit aufgenommenen Munition verpflichtet. Ein Zurückwerfen der aufgefischten Munition sei eine das Wohl der Allgemeinheit beeinträchtigende Abfallbeseitigung. Wenn das Land die Bereitschaft der Fischer zur ordnungsgemäßen Entsorgung mit vertraglichen Prämien fördern wolle, bleibe ihm das unbenommen; es könne die Kosten aber nicht dem Bund anlasten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Das Bundesverwaltungsgericht ist nach § 50 Abs. 1 VwGO in erster und letzter Instanz zuständig. Der Rechtsstreit betrifft eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Dies ist der Natur des Rechtsverhältnisses zu entnehmen, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (vgl. Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluß vom 10. April 1986 – GemS OBG 1/85 – BVerwGE 74, 368 ≪370≫). Der Kläger stützt den geltend gemachten Anspruch auf eine öffentlich-rechtliche Grundlage, indem er sich auf Art. 120 GG und die fortgeltende Staatspraxis für Kampfmittelräumung beruft (vgl. die bisherigen Urteile des Senats zur Kampfmittelräumung, z.B. Urteil vom 26. Januar 1995 – BVerwG 3 A 1.93 – Buchholz 316 § 59 VwVfG Nr. 12). Zutreffend geht die Klage auch davon aus, daß das Streitverfahren durch die Eigenart der föderalen Beziehungen zwischen Bund und Land geprägt ist (vgl. Urteile vom 28. Mai 1980 – BVerwG 7 A 2.79 – BVerwGE 60, 162 ≪173≫ und vom 30. November 1990 – BVerwG 7 A 1.90 – BVerwGE 87, 160 ≪171≫) und sich das Verfahren somit von den üblichen vor den Verwaltungsgerichten zu verhandelnden Verwaltungsstreitigkeiten abhebt. Schließlich handelt es sich vorliegend trotz der Berufung des Klägers auf die im Grundgesetz enthaltenen finanzwirtschaftlichen Grundsätze des Bund-Länder-Verhältnisses (Art. 104 a GG) und die Regelung der Kriegsfolgelasten (Art. 120 GG) um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art. Streitgegenstand ist der Erstattungsanspruch, der dem Kläger aus seinem Verwaltungshandeln (Pilotprojekt) entstehen könnte; dieser ist dem Verwaltungsrecht zuzurechnen (vgl. Urteil vom 18. April 1986 – BVerwG 8 A 1.83 – Buchholz 454.4 § 19 II. Wohnungsbaugesetz Nr. 1).
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet; denn für das Erstattungsbegehren des Klägers gibt es keine Rechtsgrundlage.
a) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der geltend gemachte Anspruch nicht auf Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG gestützt werden. Nach dieser Bestimmung trägt der Bund u.a. die sonstigen inneren und äußeren Kriegsfolgelasten nach näherer Bestimmung von Bundesgesetzen. Soweit – wie hier – keine einschlägigen Bundesgesetze ergangen sind, bestimmt Art. 120 Abs. 1 Satz 3 GG, daß der Bund zur Übernahme von Aufwendungen für Kriegsfolgelasten nicht verpflichtet ist, wenn entsprechende Aufwendungen vor dem 1. Oktober 1965 von den Ländern oder sonstigen Aufgabenträgern erbracht worden sind. Ob sich aus diesem Ausschluß der Rückschluß rechtfertigt, Art. 120 GG räume den Ländern in gewissem Umfang die Möglichkeit ein, dem Bund Kosten für Kriegsfolgenbeseitigung in Rechnung zu stellen, die nicht unter den Ausschluß fallen, hat der Senat in seinen bisherigen beiden Entscheidungen zu Kriegsfolgelasten nicht erörtert (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1995 – BVerwG 3 A 1.93 – a.a.O. und Urteil vom 20. Februar 1997 – BVerwG 3 A 2.95 – Buchholz 11 Art. 120 Nr. 5); in beiden Fällen stellte sich diese Frage nicht, weil die Parteien zuvor Grundsatzvereinbarungen über die Kostenerstattung getroffen hatten und die Verteilungsregel des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG nur für die Ermittlung des Umfangs der Erstattungsansprüche heranzuziehen war.
Einer Entscheidung der aufgeworfenen Frage bedarf es auch in diesem Rechtsstreit nicht, weil selbst bei ihrer Bejahung der geltend gemachte Anspruch die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG nicht erfüllt. Denn die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen beziehen sich nicht auf Kriegsfolgelasten im Sinne dieser Vorschrift. Hierunter fallen nämlich nur solche öffentlichen Lasten, deren wichtigste und maßgebende Ursache der Zweite Weltkrieg ist (BVerfG, Beschluß vom 16. Juni 1959 – 2 BvF 5/56 – BVerfGE 9, 305 ≪324≫). Die Erstattung von Kosten, die dem Kläger aus den von ihm eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Fischern entstehen, gehören nicht hierzu. Zwar ist nicht in Abrede zu stellen, daß der Zweite Weltkrieg und namentlich die nach der Kapitulation durchgeführten Munitionsversenkungen nicht hinwegzudenkende Ursachen für die Probleme waren und sind, zu deren Lösung die vom Kläger abgeschlossenen Verträge beizutragen suchen. Es kann jedoch nicht außer Betracht bleiben, daß die nach den Räumungsmaßnahmen der fünfziger Jahre verbliebene und seit mehreren Jahrzehnten auf dem Meeresboden eingesandete oder eingeschlickte Munition keine Gefahr für die Schiffahrt auf den Bundeswasserstraßen darstellt. Zu deren Wiederaufspürung und systematischen Entsorgung besteht daher nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien derzeit keine Veranlassung. Somit zielt das Projekt des Klägers nicht auf die Bewältigung von Kriegsfolgen, „deren entscheidende – und in diesem Sinne alleinige – Ursache der Zweite Weltkrieg ist” (BVerfG, Beschluß vom 16. Juni 1959 – 2 BvF 5/56 – a.a.O.). Vielmehr ist die meeresbodennahe Verwendung von Schleppnetzen durch die Fischer und die dadurch bedingte Zutageförderung von Kampfmitteln die maßgebliche Ursache dafür, daß sich der Kläger zum Handeln entschlossen hat.
b) Soweit aus dem Auffischen und Anbordnehmen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entsteht, ist für deren Beseitigung der Kläger originär zuständig. Dies gilt auch dann, wenn sich unter der Munition – unterscheidbar oder nicht – sogenannte Reichsmunition befindet. Nach dem Zweck der Versenkung durch die nach dem Krieg zuständigen alliierten Behörden ist von einem Verlust des Eigentums durch Dereliktion (§ 959 BGB) auszugehen, so daß eine sachenrechtliche Haftung des Bundes ausscheidet.
c) Das Institut der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag scheidet hier schon deshalb als Anspruchsgrundlage aus, weil der Kläger im Rahmen der Gefahrenabwehr tätig wird und somit eine ihm – und nicht der Beklagten – obliegende Aufgabe wahrnimmt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.12.1999 durch Riebe Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 558241 |
DÖV 2000, 733 |
BayVBl. 2000, 601 |
DVBl. 2000, 1634 |