Verfahrensgang
VG Schwerin (Aktenzeichen 7 A 3722/96) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 15. November 2000 wird aufgehoben, soweit darin Ziffer 2 des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 13. Dezember 1996 aufgehoben worden ist.
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückübertragung eines ihr gehörenden Hausgrundstücks an die Beigeladene.
Frühere Eigentümer des Grundstücks waren die jüdischen Geschwister Anni C. und Dr. Joachim K. Diese veräußerten das Anwesen, dessen Einheitswert zuvor auf 10 500 RM herabgesetzt worden war, im Jahr 1936 zum Preis von 12 240 RM an den Schwiegervater der Klägerin. Nach dessen Tod schlossen seine Erben im Jahr 1967 einen Erbauseinandersetzungsvertrag, mit dem das Grundstück auf seinen Sohn, den Ehemann der Klägerin, übertragen wurde.
Im Dezember 1992 meldete die Beigeladene als Rechtsnachfolgerin der früheren jüdischen Eigentümer Rückübertragungsansprüche an. Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen lehnte den Antrag ab, weil die gesetzliche Vermutung einer ungerechtfertigten Vermögensentziehung in Form eines Zwangsverkaufs als widerlegt anzusehen sei. Auf den Widerspruch der Beigeladenen hin hob das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen diesen Bescheid auf und übertrug das Grundstück auf die Beigeladene zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes nach § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes – VermG – i.V.m. Abschnitt II der BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin vom 26. Juli 1949 nicht widerlegt sei, weil weder bewiesen sei, dass der Kaufpreis angemessen gewesen sei, noch dass der Kaufvertrag auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre.
Dagegen hat der Ehemann der Klägerin Klage erhoben; nach seinem Tod hat die Klägerin als seine Erbin den Prozess übernommen.
Das Verwaltungsgericht hat den angegriffenen Widerspruchsbescheid aufgehoben, soweit darin die Rückübertragung des Grundstücks angeordnet worden ist, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe zu Recht die Berechtigung der Beigeladenen festgestellt; denn die Klägerin habe nicht den Beweis erbringen können, dass das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre. Einen Anspruch auf Rückübertragung habe die Beigeladene gleichwohl nicht, weil der verstorbene Ehemann der Klägerin das Grundstück im Wege der Erbauseinandersetzung redlich erworben habe.
Mit ihrer Revision gegen dieses Urteil, mit der sie die vollständige Klageabweisung erstreben, berufen sich der Beklagte und die Beigeladene darauf, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Erbauseinandersetzungsvertrag über den zurückverlangten Vermögenswert nicht geeignet sei, einen redlichen Erwerb im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG zu vermitteln.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie räumt ein, dass ein redlicher Erwerb im Wege der Erbauseinandersetzung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht möglich sei, hält das Urteil aber im Ergebnis für richtig, weil sie die Vermutung widerlegt habe, dass das Grundstück verfolgungsbedingt veräußert worden sei. Das Verwaltungsgericht habe es als erwiesen angesehen, dass der Kaufpreis angemessen gewesen sei und die Verkäufer über ihn frei hätten verfügen können. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei aber auch der zusätzlich erforderliche Beweis gelungen, dass das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre. Insoweit sei die Motivlage der Verkäufer maßgebend. Dem Antrag der Voreigentümerin Anni C. vom 6. Februar 1936 auf Herabsetzung des Einheitswerts, mit dem das Verwaltungsgericht sich in diesem Zusammenhang nicht auseinander gesetzt habe, lasse sich entnehmen, dass allein der schlechte Zustand des Hauses und die unzureichenden Einnahmen aus dem Grundstück Grund für die Veräußerung gewesen seien. Dies stehe auch im Einklang mit der Zeugenaussage ihrer – der Klägerin – Schwiegermutter. Danach habe sich deren Ehemann nur widerwillig erst dann zum Kauf des Grundstücks entschlossen, als er von den Verkaufsabsichten erfahren habe, weil er sich seine Investitionen in das Gebäude habe erhalten und den Geschäftsstandort habe beibehalten wollen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Die Teilaufhebung des Widerspruchsbescheids des Beklagten verstößt gegen Bundesrecht; denn das Erwerbsgeschäft des Rechtsvorgängers der Klägerin war seiner Art nach nicht geeignet, einen Rückgabeausschluss nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG wegen redlichen Erwerbs zu begründen (1). Da sich das Urteil auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, muss es aufgehoben und – weil weitere Tatsachenfeststellungen nicht erforderlich sind – die Klage in vollem Umfang abgewiesen werden (2).
1. Der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat mit Urteil vom 13. September 2000 – BVerwG 8 C 12.99 – (Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG Nr. 11) entschieden, dass ein Erbauseinandersetzungsvertrag über den zurückverlangten Vermögenswert keinen redlichen Erwerb im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG vermitteln könne, weil es sich dabei nicht um einen vom Erbfall losgelösten Folgeerwerb handele; deshalb müsse sich auch nach der Auseinandersetzung jeder Miterbe behandeln lassen wie der Erblasser selbst. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung, die sich der erkennende Senat zu Eigen macht, kommt ein redlicher Erwerb des Grundstücks durch den Rechtsvorgänger der Klägerin nicht in Betracht, so dass die Rückgabe des Vermögenswerts nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG ausgeschlossen sein kann.
2. Die in der Teilaufhebung des Widerspruchsbescheids liegende Versagung des Rückübertragungsanspruchs der Beigeladenen erweist sich auch nicht im Ergebnis deswegen als richtig, weil das Verwaltungsgericht – wie die Klägerin meint – zu Unrecht den Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 6 VermG bejaht hat. Es ist im Gegenteil aus bundesrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz in Übereinstimmung mit der Widerspruchsbehörde die vermögensrechtliche Berechtigung der Beigeladenen festgestellt hat.
Diese Feststellung ist nicht der Überprüfung des Revisionsgerichts entzogen, obwohl sie durch die revisionsführende Beigeladene naturgemäß nicht angegriffen worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann die Klägerin diese Teilentscheidung, durch die sie erst dann beschwert wird, wenn der vom Verwaltungsgericht angenommene Restitutionsausschluss infolge der Revision der Beigeladenen keinen Bestand hat, selbst noch im Rechtsmittelverfahren im Wege der Gegenrüge angreifen und damit zum Gegenstand der Überprüfung machen (zuletzt Urteile vom 16. April 1998 – BVerwG 7 C 32.97 – BVerwGE 106, 310 ≪312 f.≫ sowie vom 16. Juli 1998 – BVerwG 7 C 39.97 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 159). Daran, dass sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will, lässt der Vortrag der Klägerin keinen Zweifel.
Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Beigeladene sei im Hinblick auf das Grundstück vermögensrechtlich berechtigt, verstößt jedoch nicht gegen Bundesrecht; denn die früheren Eigentümer des Grundstücks waren Opfer einer Schädigungsmaßnahme nach § 1 Abs. 6 VermG, so dass die Beigeladene als deren Rechtsnachfolgerin nach § 2 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 1 VermG Berechtigte ist.
Nach § 1 Abs. 6 VermG ist das Gesetz entsprechend auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen anzuwenden, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Nach Satz 2 dieser Vorschrift, der seinerseits auf die Regelungen des Art. 3 der Anordnung BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin (Rückerstattungsanordnung – REAO) vom 26. Juli 1949 (VOBl für Groß-Berlin I S. 221) verweist, wird zugunsten des Berechtigten ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust vermutet, wenn ein Vermögensgegenstand in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 durch jemanden veräußert worden ist, der zu einem von den Nationalsozialisten kollektiv verfolgten Personenkreis gehörte. Einer solchen kollektiven Verfolgung waren ab dem Tag der „Machtübernahme” alle Juden, also auch die früheren Eigentümer des Grundstücks ausgesetzt. Die damit zu ihren und ihrer Rechtsnachfolger Gunsten wirkende Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes kann, wenn keine anderen Tatsachen eine ungerechtfertigte Entziehung beweisen oder für eine solche Entziehung sprechen, nur durch den Beweis widerlegt werden, dass die Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis erhalten haben und über ihn frei verfügen konnten (vgl. Art. 3 Abs. 2 REAO). Für Veräußerungen, die – wie der hier getätigte Verkauf – in der Zeit vom 15. September 1935 bis zum 8. Mai 1945 vorgenommen worden sind, ist nach Art. 3 Abs. 3 REAO zur Widerlegung der Vermutung zusätzlich der Beweis erforderlich, dass das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre oder der Erwerber in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg den Schutz der Vermögensinteressen des Berechtigten oder seines Rechtsvorgängers wahrgenommen hat, beispielsweise durch Mitwirkung bei einer Vermögensübertragung ins Ausland. Das Verwaltungsgericht hat ohne Rechtsverstoß festgestellt, dass der Klägerin dieser zusätzliche Beweis nicht gelungen ist. In Betracht kam hier nur die erste Alternative dieser Entlastungsmöglichkeiten. Die Klägerin hatte sich zum Beweis dafür, dass allein der schlechte Zustand des Hauses und die Probleme mit der Unterhaltung und der Erhaltung des Anwesens Motiv für die Veräußerung gewesen seien, auf den Inhalt des Schreibens der Voreigentümerin Anni C. an das Finanzamt Schwerin vom 6. Februar 1936 sowie das Zeugnis ihrer Schwiegermutter berufen. Die Zeugin hat bestätigt, dass das Haus in sehr schlechtem Zustand gewesen sei und bereits bei ihrem und ihres Mannes Einzug im Jahr 1933 zum Verkauf gestanden habe. Die Zeugin hatte auch Kenntnis davon, dass weitere Häuser der Voreigentümer in der Nachbarschaft verkauft worden sind. Das Verwaltungsgericht hat der Beweisaufnahme nicht entnehmen können, dass die Veräußerungen nicht verfolgungsbedingt seien: Möglicherweise hätten die Alteigentümer die anderen Gebäude verkauft, um das umstrittene Gebäude noch unterhalten zu können. Möglicherweise sei das Gebäude aber auch 1933 nicht mehr zum Verkauf angeboten worden, weil mit dem Ehemann der Zeugin ein Mieter gefunden worden sei, und erst, nachdem für die Eigentümer deutlich geworden sei, dass sie in Deutschland keine Zukunftsperspektive mehr gehabt hätten, der (erneute) Entschluss zum Verkauf dieses Gebäudes getroffen worden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Eigentümer in Hamburg und Berlin gelebt hätten und dort Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen seien, die die Beteiligten in Schwerin nicht hätten nachempfinden können. Die Beweisaufnahme ergebe somit kein klares Bild; da weitere Beweismittel nicht ersichtlich seien, gehe dies zu Lasten der Klägerin.
Eine fehlerhafte, § 108 Abs. 1 VwGO verletzende Überzeugensbildung ergibt sich daraus nicht, und zwar auch nicht im Hinblick auf das Schreiben der Voreigentümerin an das Finanzamt, dessen Inhalt das Verwaltungsgericht zwar im Tatbestand des Urteils wiedergibt, das es aber im Zusammenhang mit der Würdigung der Zeugenaussage nicht ausdrücklich erwähnt. Dass dieses Schreiben bei der Tatsachen- und Beweiswürdigung willkürlich ausgeblendet wurde, ließe sich nur dann feststellen, wenn sein Inhalt keine Berücksichtigung in den Entscheidungsgründen gefunden hätte, obwohl er zwingend darauf hindeutet, dass der Verkauf verfolgungsunabhängig war. So verhält es sich jedoch nicht. Zwar legt die Voreigentümerin in diesem Schreiben dar, dass sich ihr Haus in sehr schlechtem Zustand befinde und die Einnahmen nicht für die notwendigen Reparaturen reichten, so dass sie in den letzten Jahren ständig habe zuschießen müssen, und dass sie durch die „schlechten Verhältnisse” gezwungen sei, das Haus anzubieten. Diese Umstände, der Zustand des Hauses und die Schwierigkeiten mit seiner Unterhaltung haben jedoch durchaus Eingang in die Überlegungen des Verwaltungsgerichts gefunden; nur so lässt sich die Erwägung erklären, die Eigentümer hätten möglicherweise andere Häuser verkauft, um den Erhalt des umstrittenen Objekts zu sichern. Auch der seit langem bestehende Verkaufswunsch der Eigentümer ist vom Verwaltungsgericht berücksichtigt worden, ohne dass es jedoch daraus gefolgert hätte, der konkrete Verkauf habe mit den Verfolgungsmaßnahmen, denen Juden seinerzeit in Deutschland ausgesetzt waren, nichts zu tun. Einen solchen Schluss hat es schon deswegen nicht gezogen, weil es nicht hat feststellen können, dass die Verkaufsabsicht in der gesamten Zeit seit 1933 unverändert stark war. Vor diesem Hintergrund musste und konnte das Verwaltungsgericht nicht zu der Überzeugung gelangen, mit den in dem Schreiben genannten „schlechten Verhältnissen” seien ausschließlich verfolgungsunabhängige gemeint.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Gödel, Kley, Herbert, Postier, Neumann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 17.01.2002 durch Schröter Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftstelle
Fundstellen