Entscheidungsstichwort (Thema)

Abwasserabgabe. Ausnahme von der Abgabepflicht. Verrechnung mit Investitionen für Abwasserbehandlungsanlagen. Bauphasenprivileg. Bauzeitbefreiung. Dreijahreszeitraum. vorgesehene Inbetriebnahme. Abwasserbehandlungsanlage

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Berechnung des Dreijahreszeitraums, in dem gem. § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1987/1990 Aufwendungen für den Neubau einer Abwasserbehandlungsanlage zu einer Minderung der geschuldeten Abwasserabgabe führen können, ist nicht der Zeitpunkt der ursprünglich “vorgesehenen”, sondern derjenige der tatsächlichen Inbetriebnahme der neuen Anlage maßgeblich, wenn sich deren Fertigstellung verzögert hat und die Abgabe erst nach der tatsächlichen Inbetriebnahme erhoben wird.

 

Normenkette

AbwAG 1987/1990 § 10 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OVG (Beschluss vom 07.05.1996; Aktenzeichen 2 L 84/95)

VG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 08.12.1994; Aktenzeichen 6 A 151/93)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen den Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. Mai 1996 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin wendet sich im Berufungs- und Revisionsverfahren nur noch gegen die Höhe der von ihr geforderten Abwasserabgabe für das Jahr 1989.

Sie betreibt ein Unternehmen zur Be- und Verarbeitung von Krabben und Fisch. Die dabei anfallenden Abwässer leitete sie seinerzeit ungeklärt in die Eider ein; behördliche Überwachungswerte waren für das Veranlagungsjahr 1989 nicht festgesetzt. Als infolge verschiedener Schwierigkeiten der seit Januar 1991 genehmigte Bau einer Abwasserreinigungsanlage nach Ablauf einer mehrfach verlängerten Frist nicht fertiggestellt war, untersagte der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 29. August 1991 die weitere Einleitung von Abwässern, die eine bestimmte Schadstoffkonzentration überstiegen; dem kam die Klägerin ab 30. November 1991 nach und stellte die Krabbenschälproduktion ein. Die im Dezember 1991 in Auftrag gegebene und für Januar 1992 zugesagte Abwasserbehandlungsanlage wurde nach weiteren Lieferschwierigkeiten schließlich am 10./11. November 1992 in Betrieb genommen; sie hatte Kosten in Höhe von 944 507,13 DM verursacht.

Mit dem – bereits zuvor ergangenen – Bescheid vom 28. Juli 1992 zog der Beklagte die Klägerin für das Veranlagungsjahr 1989 zu einer Abwasserabgabe in Höhe von 166 764 DM heran. Dabei legte er der Berechnung bei den einzelnen Parametern gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AbwAG mangels eines für diesen Zeitraum gültigen wasserrechtlichen Erlaubnisbescheids jeweils den höchsten von fünf behördlich gemessenen Überwachungswerten zugrunde. Mit Widerspruch vom 14. September und 21. Oktober 1992 wies die Klägerin darauf hin, daß sie “in einigen Tagen” mit der Inbetriebnahme der Abwasserbehandlungsanlage rechne und machte “die volle Aufrechnung der Abwasserabgabe für 1989” geltend. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 1993 minderte der Beklagte daraufhin unter dem Vorbehalt der Nacherhebung bei Nichterreichung der gesetzlich gebotenen Schadstoffreduzierung den angefochtenen Heranziehungsbescheid im Hinblick auf die geltend gemachten Investitionen um 23 758 DM auf nunmehr 143 006 DM. Er legte dabei für das Jahr 1989 nur 52 “verrechnungsfähige” Tage zugrunde, weil der Dreijahreszeitraum ausgehend von der tatsächlichen Inbetriebnahme erst am 10. November 1989 beginne.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin unter Hinweis auf den Wortlaut des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG im wesentlichen geltend gemacht, der maßgebliche Zeitpunkt der “vorgesehenen” Inbetriebnahme sei entsprechend der Bestellung der Anlage vom Auftragnehmer für die dritte Kalenderwoche des Jahres 1992 zugesagt worden, also sei für die Verrechnung vom 13. Januar 1989 auszugehen. Nachdem die Klage im ersten Rechtszug erfolglos geblieben war, hat das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht mit Beschluß vom 7. Mai 1996 auch die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte sei bei der für drei Jahre zulässigen Verrechnung der Investitionen zu Recht vom Zeitpunkt der tatsächlichen Inbetriebnahme der Anlage ausgegangen. Die zunächst vorgesehene Inbetriebnahme sei nur ausschlaggebend, solange die endgültige Inbetriebnahme nicht feststehe. Der Wortlaut des § 10 Abs. 3 AbwAG gehe von dem Fall aus, daß während der Investitionsphase bei noch ungewisser tatsächlicher Fertigstellung Abgabenbescheide ergingen und schon jetzt eine Verrechnung ermöglicht werden solle. Wenn jedoch – wie hier – im Zeitpunkt der Festsetzung der Abgabe die Inbetriebnahme der Anlage bereits erfolgt sei und die Behörde deshalb von verläßlichen Daten ausgehen könne, sei es nicht mehr erforderlich, auf in tatsächlicher Hinsicht ungewisse Daten abzustellen. Auch bei Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der tatsächlichen Inbetriebnahme werde die Abgabenminderung drei Jahre lang gewährt; daß im vorliegenden Fall in diesen Zeitraum eine Zeitspanne falle, in der wegen des erzwungenen Betriebsstillstandes keine verrechnungsfähigen Abgaben erwachsen seien, sei eine “konkret-individuelle Zufälligkeit”, die der zugrunde gelegten Gesetzesauslegung nicht entgegenstehe.

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie einen Verstoß gegen § 10 Abs. 3 AbwAG rügt.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen.

Der Oberbundesanwalt verteidigt ebenfalls den angefochtenen Beschluß.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet (§ 144 Abs. 2 VwGO). Oberverwaltungsgericht und Verwaltungsgericht haben die Klage zu Recht abgewiesen; denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Dem angefochtenen Beschluß liegt – anders als dem erstinstanzlichen Urteil – § 10 Abs. 3 des Abwasserabgabengesetzes i.d.F. vom 6. November 1990 (BGBl S. 2432) – AbwAG 1990 – zugrunde; davon gehen auch die angefochtenen Bescheide offenkundig aus. Ob dies im Hinblick darauf, daß die Bescheide erst nach dem Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 2. November 1990 (BGBl S. 2425) erlassen worden sind, zutrifft oder ob wegen der hier zu beurteilenden Festsetzung der Abwasserabgabe für das vor dessen Inkrafttreten abgeschlossene Veranlagungsjahr 1989 das Abwasserabgabengesetz i.d.F. vom 5. März 1987 (BGBl S. 880) – AbwAG 1987 – hätte Anwendung finden müssen, bedarf aus Anlaß des vorliegenden Falles keiner Entscheidung (vgl. zu der Übergangsproblematik Sieder/Zeitler/Dahme, WHG/AbwAG, § 10 AbwAG, Rn. 57 ff.; Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, 3. Aufl., S. 172 f.). Denn die allein umstrittene Auslegung des § 10 Abs. 3 betrifft beide Fassungen in gleicher Weise; die gegenüber der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts alternativ in Betracht kommende Anwendung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1987 könnte der Revision jedenfalls nicht zum Erfolg verhelfen, weil die frühere Gesetzesfassung die Klägerin insoweit schlechterstellt, als danach nur eine parameterbezogene Abgabenminderung, d.h. eine Reduzierung der Abgabe auf der Grundlage der bei planmäßiger Inbetriebnahme der neuen Anlage errechneten Werte in Betracht käme. Demgegenüber hat der Beklagte die Klägerin (zeitanteilig) gem. § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1990 in vollem Umfang von der Abgabe freigestellt.

2. Der angefochtene Beschluß geht zutreffend davon aus, daß die Klägerin dem Grunde nach zur Entrichtung der Abwasserabgabe verpflichtet ist und der Beklagte die Höhe der an sich geschuldeten Abgabe richtig errechnet hat. Das zieht die Revision nicht in Zweifel. Streitig ist allein, ob der Beklagte die Abwasserabgabe im richtigen Umfang mit den Aufwendungen der Klägerin für die von ihr erstellte Abwasserreinigungsanlage “verrechnet”, insbesondere den “verrechnungsfähigen” anteiligen Zeitraum des Jahres 1989 zutreffend ermittelt hat. Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1987/1990 können Aufwendungen des Einleiters für die Errichtung oder Erweiterung einer Abwasserbehandlungsanlage in den drei Jahren “vor der vorgesehenen Inbetriebnahme der Anlage” mit der während dieser Zeit anfallenden Abwasserabgabe verrechnet werden bzw. läßt eine derartige Investition die Abgabepflicht während dieses Zeitraum in bestimmtem Umfang entfallen, wenn eine mindestens 20 %ige Verringerung der Schadstofffracht eines Überwachungswerts (§ 10 Abs. 3 AbwAG 1990) bzw. der jeweiligen Überwachungswerte (§ 10 Abs. 3 AbwAG 1987) zu erwarten ist. Die Beteiligten und die Vordergerichte gehen offenkundig von dieser voraussichtlichen Mindestreinigungsleistung der von der Klägerin errichteten Anlage aus; Verfahrensrügen sind insoweit nicht erhoben worden.

3. Zu Recht hat das Berufungsgericht ferner den für die Berücksichtigung der Investitionen gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1987/1990 maßgeblichen Dreijahreszeitraum ab der tatsächlichen Inbetriebnahme der Abwasserbehandlungsanlage am 10. November 1992 bemessen und dementsprechend für das Jahr 1989 lediglich den vom 10. November bis zum 31. Dezember 1989 verbleibenden Jahresrest von 52 Tagen anteilig berücksichtigt. Diese Annahme steht mit Bundesrecht in Einklang.

a) Zutreffend ist zunächst der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, der Dreijahreszeitraum – eine im Interesse der Verwaltungsvereinfachung gesetzlich unterstellte Bauzeit (Sieder/Zeitler/Dahme, a.a.O., § 10 AbwAG, Rn. 23) – beziehe sich nicht auf Abgabenjahre, sondern sei taggenau vom maßgeblichen Zeitpunkt der Inbetriebnahme rückzuberechnen (Sieder/Zeitler/Dahme, a.a.O., Rn. 24). Die angefochtene Entscheidung stimmt jedoch auch insoweit mit Bundesrecht überein, als sie für den Dreijahreszeitraum auf den Tag der tatsächlichen Inbetriebnahme abstellt, wenn – wie hier – die Abwasserabgabe erst nach der Fertigstellung der Anlage festgesetzt wird.

b) Zwar spricht § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1987/1990 von der Maßgeblichkeit der “vorgesehenen Inbetriebnahme”. Der Gesetzeswortlaut, der zunächst für die Ansicht der Revision streitet, schließt die vom Berufungsgericht für richtig gehaltene Auslegung jedoch nicht zwingend aus. Die Betonung liegt dabei vor allem auf der Inbetriebnahme einer gewässerschonenden neuen Abwasserbehandlungsanlage als solcher. Bereits die anschließenden Bestimmungen der Sätze 2 und 3 in § 10 Abs. 3 AbwAG 1987 bzw. des Satzes 4 in § 10 Abs. 3 AbwAG 1990 knüpfen an die tatsächlichen Verhältnisse an. Die Abgabe entsteht danach rückwirkend in voller Höhe, wenn die Anlage nicht in Betrieb genommen wird oder die geforderte Mindestreinigungsleistung nicht erbringt. Darin liegt zugleich die Regelung inbegriffen, daß die Abgabenpflicht für jeden Zeitabschnitt rückwirkend anteilig entsteht, um den sich etwa die Fertigstellung verzögert (vgl. Berendes/Winters, Das neue Abwasserabgabengesetz, 2. Aufl., S. 151; Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, 3. Aufl., S. 163; Sieder/Zeitler/Dahme, a.a.O., Rn. 31; Nisipeanu, Abwasserabgabenrecht, Schriftenreihe Natur und Recht, Bd. 3, 1997, S. 185). Da auch die Auslegung nach dem Wortsinn nicht bei dem vordergründigen Wortlaut verharren darf, sondern die erkennbare Aussage im Satzzusammenhang würdigen muß, läßt schon das grammatikalische Verständnis des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1987/1990 die Annahme zu, daß bei der Bemessung des Dreijahreszeitraums zunächst auf den vom Einleiter geplanten, letztlich aber auf den tatsächlichen Zeitpunkt der Inbetriebnahme abzustellen ist. Die Grenzen zulässiger Auslegung sind damit entgegen der Auffassung der Klägerin nicht überschritten, weil das dem angefochtenen Beschluß zugrundeliegende Normverständnis noch einen hinreichenden Anhaltspunkt im Gesetzestext findet (vgl. hierzu: BVerfGE 8, 28 ≪34≫ und BVerfGE 71, 81 ≪105≫ sowie Urteil vom 23. August 1996 – BVerwG 8 10.95 – Buchholz 401.64 § 4 AbwAG Nr. 4 S. 7 ≪10 f.≫). Zwar darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz im Wege der Auslegung nicht ein entgegengesetzter Inhalt verliehen werden (BVerfGE 86, 59 ≪64≫ und BVerfGE 87, 48 ≪60 f.≫). Ein derartiger Fall liegt hier jedoch schon bei grammatikalischer Betrachtung, erst recht bei gesetzessystematischer und zweckorientierter Würdigung nicht vor.

c) Der systematische Zusammenhang zwischen den Regelungen in Satz 1 und den Sätzen 2 sowie 3 des § 10 Abs. 3 AbwAG 1987 bzw. Satz 4 des § 10 Abs. 3 AbwAG 1990 macht nämlich hinreichend deutlich, daß die Anknüpfung der Abgabenbefreiung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1987/1990 an die “vorgesehene” Inbetriebnahme lediglich in sprachlich verkürzter Form im Vorgriff auf das nach der Planung des Einleiters zu erwartende Ergebnis – und damit gewissermaßen vorläufig auf die von dem Einleiter in Aussicht genommene Fertigstellung – Bezug nimmt, die endgültige Freistellung von der Abgabe aber sowohl dem Grunde nach (§ 10 Abs. 3 Satz 2 AbwAG 1987), als auch der Höhe nach (§ 10 Abs. 3 Satz 3 AbwAG 1987 bzw. § 10 Abs. 3 Satz 4 AbwAG 1990) letztlich von den tatsächlichen Verhältnissen nach Inbetriebnahme der Anlage abhängt. Denn die Pflicht zur Nacherhebung auf der Grundlage der wirklichen Gegebenheiten zeigt, daß die in Satz 1 erwähnte “vorgesehene” Inbetriebnahme für die Frage der Freistellung von der Abgabe nicht bindend ist und offenkundig zunächst zugunsten des Einleiters schon vor der endgültigen abgabenrechtlichen Beurteilung finanzielle Erleichterungen für den abgabenpflichtigen Bauherrn ermöglichen soll, also ersichtlich – auch wenn diese Einschränkung nicht erwähnt wird – nur eine vorläufige Freistellung zum Gegenstand hat (vgl. auch Sieder/Zeitler/Dahme, a.a.O., § 10 AbwAG Rn. 28 ff., 31). Nichts anderes gilt im übrigen für die insoweit nur sprachlich anders formulierte Regelung in § 10 Abs. 3 AbwAG 1990.

d) Daß die Freistellung von der Abwasserabgabe mit Blick auf den vorgesehenen Zeitpunkt der Inbetriebnahme einer verbesserten Abwasserbehandlungsanlage nur vorläufigen Charakter hat, die endgültige Bemessung der Abgabe aber von der tatsächlichen Inbetriebnahme und ihrem wirklichen Reinigungserfolg abhängt, entspricht auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Dieser gebietet es, bei der Abgabenfestsetzung und der darin eingeschlossenen Berücksichtigung von Investitionskosten auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Inbetriebnahme abzustellen, wenn – wie hier – während der Bauzeit von einer vorläufigen, mit Blick auf die Planungsabsichten des Einleiters und Bauherrn ausgerichteten Abgabenfestsetzung abgesehen worden ist und die Abgabe erst nach Fertigstellung der Anlage für die zurückliegenden Veranlagungsjahre erhoben wird. Denn dann handelt es sich nicht mehr um eine vorläufige, unter dem Vorbehalt der Nacherhebung stehende, sondern um eine endgültige Festsetzung der Abwasserabgabe. Diese steht der im Gesetz ausdrücklich geregelten Nacherhebung gleich. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Das Abwasserabgabengesetz strebt in erster Linie an, die Einleitung von Abwasser in oberirdische Gewässer, Küstengewässer oder in das Grundwasser zu vermeiden. Aus dieser Zielsetzung erklärt sich die Förderung der Errichtung bzw. Verbesserung von Kläranlagen. Diesem Zweck dient speziell auch das in § 10 Abs. 3 AbwAG 1987/1990 verankerte “Bauphasenprivileg”, mit dem finanzielle Anreize zur Schaffung oder Verbesserung von Abwasserbehandlungsanlagen vermittelt werden sollen. Zur Vermeidung der andernfalls eintretenden (Doppel-)Belastung durch den Investitionsaufwand und die gleichzeitig zu entrichtenden Abwasserabgaben soll der Einleiter als Betreiber der künftigen Abwasserbehandlungsanlage schon während der auf drei Jahre geschätzten Bauzeit so gestellt werden, als werde die Reinigungsleistung der neuen Anlage bereits erbracht (Urteil vom 13. November 1992 – BVerwG 8 17.90 – Buchholz 401.64 § 10 AbwAG Nr. 10 S. 1 ≪2 f.≫; Berendes, 3. Aufl., a.a.O., S. 152). Die doppelte Belastung wird nur dann effektiv vermieden, der Zweck der Regelung also nur dann erreicht, wenn der Einleiter und Bauherr nicht erst nach Abschluß der Bauarbeiten einen Rückerstattungsanspruch bezüglich der – bei nachträglicher Betrachtung – zunächst zu viel gezahlten Abwasserabgabe erhält, sondern wenn er schon während der finanziell belastenden Bauphase auf seinen Antrag hin von der Abgabe zumindest vorläufig entlastet wird (vgl. Amtl. Begründung zu §§ 27, 28 RegE, BTDrucks 7/2271, S. 38 f.). Dieser erkennbare Zweck der Regelung verdeutlicht den vorläufigen Charakter der gesetzlichen Anknüpfung der Abgabenbefreiung an den Zeitpunkt der “vorgesehenen” Inbetriebnahme. Er begrenzt zugleich die Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts auf Fälle, in denen der Vorbehalt der Nachberechnung der Abgabe noch Bedeutung erlangen kann, also mangels Fertigstellung der Anlage bei Abgabenfestsetzung noch keine endgültige Berechnung möglich ist. Ist aber bei Erlaß der Heranziehungsbescheide eine Beurteilung des Betriebs und der Reinigungsleistung der neuen Anlage möglich, besteht keine Rechtfertigung für eine nur vorläufige, ggf. sofort durch die Pflicht zur Nacherhebung zu korrigierende Abgabenfestsetzung. Noch weniger berechtigt der erkennbare Gesetzeszweck zu der Annahme, es müsse für die Abgabenbefreiung nach § 10 Abs. 3 AbwAG 1987/1990 endgültig von der ursprünglich beabsichtigten, aber tatsächlich nicht verwirklichten Planung des Einleiters ausgegangen werden.

e) Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt dieses Verständnis der Norm. In dem ursprünglichen Gesetzentwurf war eine dem § 10 Abs. 3 AbwAG 1987 im wesentlichen entsprechende Regelung nicht enthalten; dieser sah vielmehr in § 27 einen Anspruch des Abgabenpflichtigen auf Stundung – also auf Hinausschieben der Fälligkeit im Sinne eines vorläufigen Aufschubs der Zahlungspflicht – “während einer angemessenen Zeit bis zur Inbetriebnahme einer Abwasserbehandlungsanlage” und in § 28 einen Anspruch auf Erlaß – also auf endgültige Freistellung von der Abgabe – für die drei der Inbetriebnahme vorausgehenden Kalenderjahre in der Höhe vor, die der Reinigungsleistung der Anlage entspricht (vgl. BTDrucks 7/2272, S. 12 f. und 38 f.). In Anlehnung an diese Vorschriften kam auf Antrag des Innenausschusses (vgl. BTDrucks 7/5088) die später vom Bundestag beschlossene Fassung des § 10 Abs. 3 AbwAG in das Gesetzgebungsverfahren. In dem Ausschußbericht (BTDrucks 7/5183, S. 5 und 7) wird hervorgehoben, daß mit der Abgabenbefreiung in den drei Jahren “vor der vorgesehenen Inbetriebnahme einer Abwasserbehandlungsanlage” und mit der Anordnung rückwirkender Entstehung der Abgabe in voller Höhe, wenn die Anlage nicht in Betrieb genommen wird, die ursprüngliche Stundungs- und Erlaßregelung aufgegriffen werden sollte. Das legt es nahe, § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1987/1990 – soweit an die vorgesehene Inbetriebnahme angeknüpft wird – als eine nur vorläufige Regelung anzusehen und die endgültige Freistellung bzw. Abgabenfestsetzung an den tatsächlichen Gegebenheiten nach Inbetriebnahme auszurichten. Dementsprechend ist bei späteren Novellierungen (vgl. Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes, BTDrucks 11/4942, S. 10) im Zusammenhang mit den durch § 10 Abs. 3 AbwAG bezweckten Vergünstigungen stets von der Inbetriebnahme die Rede (– “in den drei Jahren vor Inbetriebnahme” bzw. “vor der Errichtung oder Erweiterung der Anlage” –)

4. Da im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Abgabenbescheide die Abwasserbehandlungsanlage der Klägerin bereits errichtet und in Betrieb genommen war, kam nach Wortlaut, Systematik und Zweck der Freistellungs- bzw. Verrechnungsregelung des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1987/1990 eine auf den (ursprünglich) für Januar 1992 vorgesehenen, aber nicht plangemäß verwirklichten Zeitpunkt der Inbetriebnahme bezogene Berücksichtigung der Aufwendungen nicht in Betracht. Vielmehr hat der Beklagte zu Recht im Rahmen seiner endgültigen Abgabenfestsetzung den Zeitpunkt der tatsächlichen Inbetriebnahme am 10. November 1992 zugrunde gelegt und deshalb für das Jahr 1989 zutreffend nur noch 52 Tage als berücksichtigungsfähig anerkannt. Daß diese Betrachtungsweise im konkreten Fall zu einer faktischen Benachteiligung der Klägerin führt, weil sie im Jahre 1992 mangels Abwassereinleitung keine Abwasserabgabe zu entrichten hatte und damit ihren Aufwendungen keine verrechnungsfähige Schuld gegenüberstand, führt zu keiner anderen Beurteilung. Das Gesetz billigt dem Abgabepflichtigen – auch der Klägerin – für die Freistellung bzw. Verrechnung des Investitionsaufwandes einen Dreijahreszeitraum zu; ob und in welcher Höhe die Aufwendungen für die Errichtung der Abwasserbehandlungsanlage tatsächlich durch den Wegfall der Abgabenzahlungspflicht ausgeglichen werden, ist keine mit der streitigen Auslegung der Norm verbundene Frage, sondern hängt ausschließlich von den jeweiligen tatsächlichen Gegebenheiten ab; eine vergleichbare Folge wäre auch bei dem Normverständnis der Klägerin unter abgewandelten tatsächlichen Umständen nicht ausgeschlossen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Kleinvogel, Dr. Silberkuhl, Sailer, Krauß, Golze

 

Fundstellen

BVerwGE, 272

DÖV 1998, 475

NuR 1998, 140

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge