Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit, örtliche – für Sozialhilfe für Kinder und Jugendliche während ihrer Unterbringung in einer Pflegefamilie. Pflegefamilie, örtliche Sozialhilfezuständigkeit während einer Unterbringung in einer –. Bagatellgrenze, keine – bei Erstattungsanspruch wegen vorläufiger Leistungs- gewährung
Leitsatz (amtlich)
- § 104 BSHG ist auch eine Zuständigkeitsregelung.
- Die in entsprechender Anwendung des § 97 Abs. 2 BSHG begründete Zuständigkeit setzt nicht voraus, dass die Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen bereits ihrerseits eine sozialhilferechtliche Maßnahme ist, und erfasst alle Sozialhilfeleistungen in der Zeit, in der das Kind oder der Jugendliche in einer Pflegefamilie oder bei einer Pflegeperson untergebracht ist.
Normenkette
BSHG §§ 97, 103-104, 111
Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Urteil vom 01.02.2002; Aktenzeichen 4 Bf 181/00) |
VG Hamburg (Urteil vom 04.04.2000; Aktenzeichen 5 VG 3219/97) |
Tenor
Das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 1. Februar 2002 wird aufgehoben, soweit es unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 4. April 2000 die Klage auf Feststellung der Pflicht zur Erstattung der bislang für den Hilfeempfänger verauslagten Kosten abgewiesen hat. Insoweit wird die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand
I.
Der im August 1989 geborene Hilfeempfänger lebte bis Juni 1991 bei seiner Mutter im Zuständigkeitsbereich der Beklagten, danach bis März 1992 in einem Kinderheim ebenfalls im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Seitdem lebt er bei Pflegeeltern in der Gemeinde M.… im Zuständigkeitsbereich des Klägers. Mit Bescheid vom 23. Mai 1995 gewährte der Kläger dem Hilfeempfänger Eingliederungshilfe nach § 40 Abs. 1 Nr. 2a BSHG durch Übernahme der Kosten einer ambulanten heilpädagogischen Frühförderung.
Mit Schreiben vom 6. September 1995 machte der Kläger der Beklagten gegenüber Kostenerstattung geltend und bat sie, als für die Eingliederungshilfe zuständig dem Hilfeempfänger die heilpädagogische Frühförderung künftig unmittelbar zu gewähren. Mit Schreiben vom 5. November 1996 erkannte die Beklagte den Kostenerstattungsanspruch im gesetzlichen Umfang an, lehnte aber die eigene Leistungszuständigkeit für die Eingliederungshilfe ab. Als der Kläger später seinen Kostenerstattungsanspruch auf 5 427 DM (für die Zeit September 1995 bis August 1996 4 491 DM und danach bis Dezember 1996 weitere 936 DM) konkretisierte, lehnte die Beklagte die Kostenerstattung unter Hinweis auf die Bagatellgrenze des § 111 BSHG in Höhe von 5 000 DM bezogen auf zwölf Monate ab.
Der Klage des Klägers auf Feststellung, dass die Beklagte der für den Hilfeempfänger örtlich zuständige Träger der Sozialhilfe und verpflichtet sei, dem Kläger die für den Hilfeempfänger verauslagten Sozialhilfekosten zu erstatten, hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht dagegen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
§ 104 BSHG mit seiner Verweisung auf § 97 Abs. 2 BSHG sei keine “versteckte” Zuständigkeitsregelung und deshalb sei der Kläger für die gewährte Eingliederungshilfe örtlich zuständig gewesen. Einem Anspruch auf Kostenerstattung nach § 104 BSHG stehe die Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG entgegen. Denn die aufgewendeten Kosten hätten, bezogen auf einen Leistungszeitraum von bis zu zwölf Monaten, 5 000 DM nicht überschritten, und eine Ausnahme für den Fall einer vorläufigen Leistungsgewährung nach § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG liege nicht vor, weil die Beklagte nicht nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG für die Eingliederungshilfe zuständig gewesen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der er nur noch die Erstattung der bislang für den Hilfeempfänger verauslagten Sozialhilfekosten begehrt. Die Beklagte sei dazu nach §§ 103, 104 BSHG verpflichtet, weil sie der nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG für diese Hilfe zuständige örtliche Träger der Sozialhilfe und der Kläger nur nach § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG vorleistungspflichtig sei.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers, über die das Bundesverwaltungsgericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Denn die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die für den Hilfeempfänger verauslagten Sozialhilfekosten zu erstatten.
Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht einen Kostenerstattungsanspruch auf der Grundlage des § 104 i.V.m. § 103 Abs. 1 Satz 1 BSHG verneint. Ein Erstattungsanspruch nach § 103 Abs. 1 Satz 1 BSHG setzt voraus, dass ein Träger der Sozialhilfe nach § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG Leistungen zu erbringen hatte. Daran fehlt es im Streitfall. Denn keine der alternativen Leistungsvoraussetzungen des § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG lag vor. Zum einen stand der gewöhnliche Aufenthalt des Hilfeempfängers vor seiner Unterbringung in der Pflegefamilie fest, zum anderen bestand für die Hilfe, deren Kostentragung hier im Streit steht, kein Eilfall. Denn über die im April 1995 beantragte Hilfe, für die erst im September 1995 Kosten anfielen, war nicht im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG unverzüglich zu entscheiden. Streit zwischen den Sozialhilfeträgern über die örtliche Zuständigkeit für einen Hilfefall allein erfüllt die Leistungsvoraussetzungen für § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG nicht (ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Oktober 2000 – 12 M 3349/00 –; VG Hamburg, Urteil vom 26. Juni 2000, – 13 VG 3274/99 – ≪ZfJ 2001, 355 f.≫; a.A. Zentrale Spruchstelle, Schiedsspruch vom 2. Oktober 1996 ≪EuG 51, 386 = ZfF 1997, 38≫).
Der Erstattungsanspruch des Klägers ist aber in § 102 SGB X i.V.m. § 43 SGB I begründet.
Der Kläger hat als Träger der Sozialhilfe auf Grund § 43 SGB I vorläufig Sozialhilfe erbracht. Unter den Beteiligten war und ist nicht streitig, dass der Hilfeempfänger einen Anspruch auf Sozialhilfe hatte, sondern nur, wer von ihnen dafür als örtlich zuständig zur Leistung verpflichtet war. Deshalb konnte der Kläger als zuerst angegangener Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen.
Die Beklagte ist als der örtlich zuständige und zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig. Ihre örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 104 i.V.m. § 97 Abs. 2 BSHG. Für den Fall, dass – wie im Streitfall der Hilfeempfänger – ein Kind oder ein Jugendlicher in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als bei seinen Eltern oder bei einem Elternteil untergebracht ist, gelten gemäß § 104 BSHG, § 97 Abs. 2 und § 103 BSHG entsprechend.
Nach seinem Wortlaut ist § 104 BSHG sowohl eine die Zuständigkeit als auch eine die Kostenerstattung regelnde Vorschrift. Er verweist ohne Anhalt für eine Unterscheidung gleichermaßen auf § 97 Abs. 2 und § 103 BSHG. Dass er § 97 Abs. 2 BSHG zuerst nennt, ist nicht Ausdruck einer Rangfolge – Zuständigkeit vor Kostenerstattung –, sondern entspricht nur ihrer numerischen Reihenfolge.
§ 104 BSHG ist nicht aus systematischen Gründen wegen dessen Stellung im Abschnitt 9 des Bundessozialhilfegesetzes “Kostenerstattung zwischen den Trägern der Sozialhilfe” allein als Kostenerstattungsvorschrift zu verstehen. Soweit § 104 BSHG auf § 103 BSHG verweist, regelt er die Kostenerstattung und steht deshalb systematisch richtig im Abschnitt 9 “Kostenerstattung”. Wenn der Gesetzgeber unter den gleichen Voraussetzungen (“wenn ein Kind … untergebracht ist”) auch noch eine weitere Rechtsfolge anordnen will, die – wie hier die Zuständigkeit nach § 97 Abs. 2 BSHG – eine Regelungsmaterie aus einem anderen Gesetzesabschnitt – hier Abschnitt 8 “Träger der Sozialhilfe” – betrifft, so muss er dies nicht in jenem anderen Abschnitt regeln, sondern kann beide Rechtsfragen in einer Norm zusammenfassen. Der Gesetzgeber kann in einem auf eine bestimmte Materie konzentrierten Regelungskontext auch andere Materien mitregeln. Die Überschrift einer Norm, hier: “Kostenerstattung bei Unterbringung in einer anderen Familie”, braucht nicht das volle Regelungsprogramm einer Vorschrift wiederzugeben. Spiegelbildlich zeigt sich diese zulässige Gesetzestechnik der abschnittsübergreifenden Regelung in § 97 Abs. 5 BSHG. In dieser Norm, die zum Abschnitt 8 “Träger der Sozialhilfe” gehört und mit “örtliche Zuständigkeit” überschrieben ist, werden zum einen die Absätze 1 und 2 des § 97 BSHG, also Zuständigkeitsregelungen, zum anderen aber auch die §§ 103 und 109 BSHG und damit mit § 103 BSHG eindeutig eine die Kostenerstattung regelnde Norm für entsprechend geltend bestimmt.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts spricht auch nicht die systematische Beziehung zwischen § 97 Abs. 2 und § 103 BSHG für eine einschränkende Auslegung des § 104 BSHG dahin, dass er auf § 97 Abs. 2 BSHG nicht zuständigkeitsbegründend, sondern nur als Bezugspunkt für die Inbezugnahme in § 103 BSHG verweist. § 103 BSHG setzt, auch wenn auf ihn – wie in § 104 BSHG – verwiesen wird, eine Zuständigkeit nach § 97 Abs. 2 BSHG voraus. Für die Erstattung nach § 103 BSHG genügte es allerdings, die Zuständigkeit nach § 97 Abs. 2 BSHG zu unterstellen. Ein Vorschlag des Deutschen Vereins in seiner Stellungnahme zu den Entwürfen eines 1. und 2. SKWPG (NDV 1993, 450, 452 f.) zur Fassung des § 104 BSHG dahin, dass er allein die Kostenerstattungspflicht nach § 103 BSHG bestimmt und dafür die Zuständigkeit nach § 97 Abs. 2 BSHG (nur) unterstellt (“gilt § 103 mit der Maßgabe, dass der Träger kostenerstattungspflichtig ist, der es bei Anwendung des § 97 Abs. 2 Satz 3 in diesen Fällen wäre”), ist aber nicht Gesetz geworden. § 104 BSHG erklärt vielmehr § 97 Abs. 2 und § 103 BSHG ohne Differenzierung gleichermaßen für entsprechend geltend. Indem er die entsprechende Geltung des § 97 Abs. 2 BSHG anordnet, ist er eine die Zuständigkeit regelnde Norm, indem er die entsprechende Geltung des § 103 BSHG anordnet, ist er eine die Erstattung regelnde Norm. Dies wird bestätigt durch die Gesetzesmaterialien. In einer Bundestagsausschussbegründung heißt es zu der später Gesetz gewordenen Neufassung des § 104 BSHG, es handele sich um eine Ergänzung der “Regelungen über die örtliche Zuständigkeit und die Kostenerstattung zwischen Trägern der Sozialhilfe. Auch für Kinder und Jugendliche, die außerhalb ihres Elternhauses untergebracht seien, solle der Träger ihres vorherigen gewöhnlichen Aufenthaltes zuständig bleiben” (BTDrucks 12/5930 S. 5).
Auch nach seinem Sinn und Zweck ist § 104 BSHG sowohl eine Zuständigkeits- als auch eine Kostenerstattungsregelung. Um des Schutzes der Pflegestellenorte willen hätte es einer Änderung der Zuständigkeit nicht bedurft; denn Einrichtungs- bzw. Pflegestellenorte sind auch dann weitgehend kostengeschützt, wenn sie zwar zuständig sind, aber Kostenerstattung erhalten. Maßgeblich für die Zuständigkeitsverlagerung war vielmehr das vom Gesetzgeber bereits mit dem Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms verfolgte, damals allerdings noch nicht auf § 104 BSHG erstreckte Ziel, ein Auseinanderfallen von Zuständigkeit und gewollter Kostentragung und damit eine sonst nötige Kostenerstattungen zu vermeiden. Während der Gesetzgeber diese Zielsetzung bereits mit der Änderung der §§ 97 und 103 BSHG im Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms durchgesetzt, § 104 BSHG aber zunächst unverändert gelassen hatte, hat er nunmehr mit der Änderung des § 104 BSHG im Zweiten Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms dahin, dass § 97 Abs. 2 und § 103 BSHG entsprechend gelten, diese Zielsetzung (Vermeidung von Kostenerstattungen) auch auf § 104 BSHG übertragen.
§ 104 BSHG ordnet die entsprechende Geltung des § 97 Abs. 2 BSHG an. Anders als bei einer Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit in unmittelbarer Anwendung des § 97 Abs. 2 BSHG, für die die Auslegung allein des § 97 Abs. 2 BSHG maßgebend ist, ist bei der Zuständigkeitsbestimmung in Anwendung des § 104 BSHG entscheidend auf die Auslegung des § 104 BSHG abzustellen, weil sich daraus Voraussetzungen und Ausmaß der entsprechenden Geltung des § 97 Abs. 2 BSHG ergeben.
§ 104 BSHG bestimmt die entsprechende Geltung des § 97 Abs. 2 BSHG nicht beschränkt auf und für eine besondere Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen als Maßnahme der Sozialhilfe (etwa dahin: “Für die Unterbringung eines Kindes … gelten § 97 Abs. 2 … entsprechend”), sondern allein abhängig von der tatsächlichen Unterbringung (“wenn ein Kind … untergebracht ist”), also ungeachtet ihres (sozialhilfe-, jugendhilfe- bzw. familien-) rechtlichen Grundes. Die Zuständigkeitsbestimmung nach § 104 i.V.m. § 97 Abs. 2 BSHG setzt demnach nicht voraus, dass die die örtliche Sozialhilfezuständigkeit begründende Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen bereits ihrerseits eine sozialhilferechtliche Maßnahme ist.
Aus der Anordnung der entsprechenden Geltung des § 97 Abs. 2 BSHG durch § 104 BSHG ergibt sich nicht, dass sich die örtliche Zuständigkeit danach nur dann richtet, wenn es allein um “die Hilfe in einer anderen Familie oder bei anderen Personen” (als bei den Eltern oder einem Elternteil) geht. Dabei lässt der Senat die umstrittene Frage offen, ob § 97 Abs. 2 BSHG in seiner direkten Anwendung nur “für die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung” oder auch für damit in Zusammenhang stehende Sozialhilfeleistungen gilt. § 97 Abs. 2 BSHG in seiner durch § 104 BSHG entsprechenden Geltung bezieht sich jedenfalls nicht nur auf die Hilfe in einer anderen Familie oder bei einer anderen Person als den Eltern oder einem Elternteil. Denn § 104 BSHG regelt die örtliche Sozialhilfezuständigkeit in entsprechender Geltung des § 97 Abs. 2 BSHG nicht auf eine bestimmte Sozialhilfeleistung maßnahmebezogen, sondern allein abhängig von der Unterbringung in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als bei seinen Eltern oder bei einem Elternteil”. Für diesen Fall richtet sich die Zuständigkeitsbestimmung in dessen entsprechender Geltung allein nach § 97 Abs. 2 BSHG und schließt eine zusätzliche Zuständigkeit nach § 97 Abs. 1 BSHG aus.
Für eine umfassende Zuständigkeit des Trägers der Sozialhilfe, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Unterbringung im Sinne des § 104 BSHG hatte, sprechen auch Sinn und Zweck dieser Regelung. Denn für Kinder und Jugendliche, die im Sinne von § 104 BSHG außerhalb ihres Elternhauses untergebracht sind, soll der Träger ihres vorherigen gewöhnlichen Aufenthaltes zuständig (BTDrucks 12/5930 S. 5) und damit auch kostentragungspflichtig bleiben. In Fällen der Familienpflege werden so ein Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeit für Sozialhilfemaßnahmen in dieser Zeit vermieden und Sozialhilfeträger weiterhin vor Kostenbelastungen durch Familienpflege in ihrem Bereich von Kindern und Jugendlichen aus anderen Zuständigkeitsbereichen geschützt.
Dem Erstattungsanspruch des Klägers nach § 102 SGB X i.V.m. § 43 SGB I steht nicht § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG entgegen. Nach dieser Vorschrift in ihrer für die streitgegenständliche Zeit maßgebenden Fassung sind Kosten unter 5 000 DM, bezogen auf einen Zeitraum der Leistungsgewährung von bis zu zwölf Monaten, außer in den Fällen einer vorläufigen Leistungsgewährung nach § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG, nicht zu erstatten.
Die Frage, ob § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG mit seiner systematischen Stellung im Abschnitt 9 des Bundessozialhilfegesetzes nur für die dort geregelten Kostenerstattungsansprüche oder weiter grundsätzlich für alle Kostenerstattungsansprüche zwischen Sozialhilfeträgern – unabhängig von deren Rechtsgrundlage – gilt, ist umstritten (zum Streitstand siehe OVG Münster, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 16 A 30/01 – ZfSH/SGB 2003, 475), bedarf aber hier keiner Entscheidung. Denn auch wenn man von der Anwendbarkeit des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG über den Bereich des Abschnitts 9 des Bundessozialhilfegesetzes hinaus ausgeht, gilt die Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG nicht für Erstattungsansprüche in Fällen vorläufiger Leistungsgewährung, hier nach § 102 SGB X i.V.m. § 43 SGB I. Zwar nimmt § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG nach seinem Wortlaut von der Bagatellgrenze nur Fälle “einer vorläufigen Leistungsgewährung nach § 97 Abs. 2 Satz 3” aus. Doch das beruht darauf, dass § 111 BSHG im Abschnitt 9 des Bundessozialhilfegesetzes zusammen mit den dort geregelten Kostenerstattungsansprüchen steht und darin als Fall einer vorläufigen Leistungsgewährung nur diejenige nach § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG geregelt ist. Erweiterte man, was als zulässig offen bleiben kann, den Anwendungsbereich des § 111 BSHG über die im Abschnitt 9 des Bundessozialhilfegesetzes geregelten hinaus auf weitere Kostenerstattungsfälle, so müsste auch für diese der Ausschluss der Bagatellgrenze nach § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG gelten, soweit es sich, wie hier im Streitfall nach § 102 SGB X i.V.m. § 43 SGB I, um Kostenerstattung im Falle einer vorläufigen Leistungsgewährung handelt. Denn Grund für die Ausnahme von der Bagatellgrenze ist, dass der eigentlich für die Leistung zuständige Träger für seine Nichtleistung, die Grund für die vorläufige Leistung eines anderen Trägers war, nicht durch die Bagatellgrenze belohnt werden soll. Vielmehr soll der Wegfall der Bagatellgrenze in solchen Fällen dem eigentlich zuständigen Sozialhilfeträger jeden Anreiz nehmen, nicht rechtzeitig zu leisten und damit die Vorleistung eines anderen erforderlich zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO. Für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht, nicht aber vor dem Bundesverwaltungsgericht werden Gerichtskosten nicht erhoben (§ 188 Satz 2, § 194 Abs. 5 VwGO).
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen
Haufe-Index 1151039 |
BVerwGE 2004, 356 |
FamRZ 2004, 1286 |
DÖV 2004, 796 |
FEVS 2004, 292 |
ZfF 2005, 236 |
DVBl. 2004, 966 |
JAmt 2004, 331 |