Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Kfz-Kosten bei der Berechnung eines jugendhilferechtlichen Kostenbeitrags
Leitsatz (amtlich)
1. Der Abzug von Belastungen vom Einkommen der kostenbeitragspflichtigen Person gemäß § 93 Abs. 3 Satz 3 bis 5 SGB VIII steht nicht im Ermessen der Behörde.
2. Die nach § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB VIII vom Einkommen abzuziehende Belastung mit den Kosten für die (notwendige) Nutzung eines Kraftfahrzeugs für den Arbeitsweg ist nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben und damit in Form einer sämtliche hiermit verbundenen Kosten (einschließlich etwaiger Finanzierungskosten) abdeckenden Wegstreckenpauschale sowohl für den Weg zur Arbeitsstätte als auch den Heimweg zu berechnen.
3. Die in § 93 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII erwähnten Abzugsposten stehen ihrer Zwecksetzung nach einer doppelten einkommensmindernden Berücksichtigung derselben Abzugsposition entgegen.
Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 06.10.2022; Aktenzeichen 3 A 83/22) |
VG Dresden (Urteil vom 16.12.2021; Aktenzeichen 1 K 500/20) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. Oktober 2022 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem jugendhilferechtlichen Kostenbeitrag.
Rz. 2
Der beklagte Landkreis gewährte für ihren 1999 geborenen Sohn stationäre Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form vollstationärer Unterbringung. Mit zwei Bescheiden vom 5. Dezember 2019 zog der Beklagte die Klägerin zu einem hierfür zu leistenden Kostenbeitrag aus Einkommen heran. Für den Zeitraum vom 23. August 2016 bis zum 18. Juni 2017 setzte er monatlich 289 € und für den Zeitraum vom 26. Februar 2018 bis zum 31. Juli 2019, dem Zeitpunkt, zu dem der Sohn die Einrichtung verließ, monatlich 342 € fest. Die hiergegen gerichteten Widersprüche der Klägerin blieben erfolglos. Auf ihre Klage hat das Verwaltungsgericht die Kostenbeitragsbescheide antragsgemäß aufgehoben, soweit für den Zeitraum vom 23. August bis zum 14. Oktober 2016 überhaupt ein Kostenbeitrag sowie für den Zeitraum vom 15. Oktober 2016 bis zum 18. Juni 2017 ein monatlich 259 € und für den Zeitraum vom 26. Februar 2018 bis zum 31. Juli 2019 ein monatlich 289 € übersteigender Kostenbeitrag festgesetzt wurde. Die nur gegen die teilweise Aufhebung der Kostenbeitragsbescheide für die Zeit ab 15. Oktober 2016 gerichtete Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Die Klägerin sei nur zu dem geringeren Kostenbeitrag heranzuziehen. Von ihrem Einkommen seien die Kosten für ihre Fahrten zur Arbeitsstätte nach unterhaltsrechtlichen Grundsätzen ebenso abzusetzen wie Schuldverpflichtungen, die insbesondere aus der Anschaffung des genutzten Kraftfahrzeugs sowie der Übernahme von "Spielschulden" ihres Ehemannes resultierten.
Rz. 3
Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er insbesondere geltend macht, die Fahrtkosten für den Arbeitsweg seien nach sozialhilfe- oder steuerrechtlichen Grundsätzen zu berücksichtigen, die zu einem geringeren Abzug vom Einkommen führten. Die Schuldverpflichtung für die Anschaffung des Kraftfahrzeugs könne mangels hinreichend konkreter Angaben zum Fahrzeug und seiner Anschaffung nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden. Die kreditfinanzierte Übernahme so bezeichneter "Spielschulden" des Ehemannes sei nicht als eine dem Grunde nach angemessene, die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzende Belastung anzuerkennen.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision des Beklagten ist begründet. Der Senat kann auf der Grundlage der Feststellungen der Vorinstanz nicht selbst entscheiden, ob das angefochtene Urteil gegen Bundesrecht verstößt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) oder sich jedenfalls im Ergebnis als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO). Es ist daher aufzuheben und die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Rz. 5
Die Beteiligten gehen in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen zu Recht davon aus, dass die Klägerin für die ihrem Sohn erbrachten Eingliederungshilfeleistungen nach Maßgabe der § 91 Abs. 1 Nr. 6, § 92 Abs. 1 Nr. 5 Halbs. 1 und Abs. 2 Halbs. 1, §§ 93, 94 Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder und Jugendhilfe - i. d. F. der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022) - SGB VIII -, für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 6. April 2020 zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 30. November 2019 (BGBl. I S. 1948), zu einem Kostenbeitrag heranzuziehen ist. Dementsprechend streiten die Beteiligten nur darüber, ob die Klägerin den Einkommensgruppen 6 bzw. 7 der Anlage zu § 1 der Kostenbeitragsverordnung vom 1. Oktober 2005 (BGBl. I S. 2907), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 5. Dezember 2013 (BGBl. I S. 4040) oder den Einkommensgruppen 5 und 6 zuzuordnen und infolgedessen nur zu dem von den Vorinstanzen ausgeurteilten niedrigeren Kostenbeitrag heranzuziehen ist. Das hierfür maßgebliche Einkommen der Klägerin und die hiervon nach § 93 Abs. 2 SGB VIII abzusetzenden Beträge stehen nicht im Streit. Zwischen den Beteiligten ist allein streitig, ob über den vom Beklagten unter Bezugnahme auf § 93 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB VIII angesetzten Pauschalabzug vom Einkommen um 25 vom Hundert hinaus weitere Belastungen der Klägerin für die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben und Schuldverpflichtungen abzuziehen sind (§ 93 Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB VIII).
Rz. 6
Die Regelung des § 93 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII, wonach Belastungen, die höher als der pauschale Abzug sind, abgezogen werden können, soweit sie nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzen, ist nicht als Ermessensvorschrift zu verstehen, sondern gebietet einen höheren Abzug, sofern ihre Voraussetzungen erfüllt sind (1.). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Kosten der Klägerin für den Arbeitsweg von ihrem Einkommen abzuziehen sind und die Höhe derartiger Kosten nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben zu ermitteln ist (2.). Auch kann die Schuldverpflichtung der Klägerin mit ihren unterschiedlichen Entstehungsgründen einkommensmindernd zu berücksichtigen sein. Ob und in welcher Höhe die Schuldverpflichtung auch im konkreten Fall vom Einkommen abzuziehen ist, kann der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz nicht selbst abschließend entscheiden (3.) und infolgedessen auch nicht darüber befinden, welcher Einkommensgruppe die Klägerin zuzuordnen ist und ob das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Beklagten zu Recht zurückgewiesen hat (4.).
Rz. 7
1. Gemäß § 93 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB VIII sind von dem nach § 93 Abs. 1 und 2 SGB VIII ermittelten Einkommen der kostenbeitragspflichtigen Person deren Belastungen in Höhe von pauschal 25 vom Hundert abzuziehen. Höhere, von der kostenbeitragspflichtigen Person nachzuweisende Belastungen insbesondere für Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, für die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben und für Schuldverpflichtungen können abgezogen werden, soweit sie nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzen (§ 93 Abs. 3 Satz 3 bis 5 SGB VIII). Die Merkmale der Angemessenheit und der Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung sind unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Auslegung und Anwendung im Einzelfall ohne Beurteilungsspielraum der Behörde der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Während die Angemessenheit von Grund und Höhe der Belastungen nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist, bilden die "Grundsätze der wirtschaftlichen Lebensführung" - wovon auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen ist (UA Rn. 21) - einen objektiven Maßstab (vgl. Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, 8. Aufl. 2022, § 93 Rn. 25) dahingehend, dass die Belastung dem Lebensstandard der kostenbeitragspflichtigen Person zu entsprechen und in einem wirtschaftlich vernünftigen Verhältnis zu ihrer Lebens- und Einkommenssituation zu stehen hat (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 27. Februar 2014 - 12 A 2688/12 - juris Rn. 13; Schindler/Eschelbach, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 93 Rn. 28; ferner BR-Drs. 351/19 S. 220 zum gleichlautenden Begriff in § 48 Abs. 2 SGB XIV).
Rz. 8
Soweit diese Voraussetzungen erfüllt sind, steht der Abzug der Belastungen vom Einkommen der kostenbeitragspflichtigen Person nicht im Ermessen der Behörde (a. A. OVG Münster, Beschlüsse vom 18. Dezember 2008 - 12 E 1458/08 - juris Rn. 3 und vom 25. Mai 2020 - 12 A 2691/17 - juris Rn. 36; OVG Lüneburg, Beschluss vom 1. September 2010 - 4 ME 185/10 - juris Rn. 5; OVG Koblenz, Urteil vom 22. Juni 2021 - 7 A 11663/20 - juris Rn. 46; Schindler/Eschelbach, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 93 Rn. 22; Loos, in: Wiesner/Wapler, SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, 6. Aufl. 2022, § 93 Rn. 29; Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, 8. Aufl. 2022, § 93 Rn. 25; Stähr, in: Hauck/Noftz, SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, Stand 3. EL 2023, § 93 Rn. 29). Der Wortlaut "können" spricht zwar grundsätzlich für die Einräumung eines Ermessensspielraums. Er erlaubt aber zugleich das nach dem Sinn und Zweck der Regelung und der Gesetzessystematik hier allein gebotene Verständnis, dass die Behörde mit der Wendung "können" ermächtigt wird, über den stets vorzunehmenden Pauschalabzug hinaus weitere Beträge vom Einkommen abzuziehen. Denn die Regelung über den Abzug angemessener Belastungen verfolgt den Zweck, die kostenbeitragspflichtige Person und ihre Familie nicht finanziell zu überfordern. Dem widerspräche es, dem Grunde und der Höhe nach angemessene Belastungen, die die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzen, nicht vom für die Höhe des Kostenbeitrags maßgeblichen Einkommen abzuziehen. Ebenso deutet die Systematik des § 93 Abs. 3 SGB VIII in gewichtiger Weise darauf hin, dass der Gesetzgeber der Behörde insoweit kein Ermessen einräumen wollte. Während die Ausgangsregelung des § 93 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII anordnet, dass die Belastungen dem Grunde nach abzuziehen "sind", betreffen die Sätze 2 bis 5 des § 93 Abs. 3 SGB VIII lediglich die Höhe der abzuziehenden Belastungen, indem sie zunächst einen pauschalen Abzug in Höhe von 25 vom Hundert des Einkommens oder - unter den Voraussetzungen von Angemessenheit und Nichtverletzung der Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung - einen höheren Abzug nach Maßgabe nachgewiesener Belastungen vorsehen.
Rz. 9
2. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass sich im Falle der Klägerin der Abzugsbetrag für die mit dem Arbeitsweg verbundenen Belastungen auf monatlich 366,67 € beläuft. Gemäß § 93 Abs. 3 Satz 3 und 4 Nr. 2 SGB VIII gehören zu den vom Einkommen abzuziehenden Belastungen, soweit sie nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzen, die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen Ausgaben. Hierzu zählen auch die einem nichtselbstständigen Arbeitnehmer wie der Klägerin für die Bewältigung des Arbeitsweges entstehenden notwendigen Kosten. Dies ist zwischen den Beteiligten ebenso unstreitig wie die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts, dass hier die Kosten für die Nutzung eines Kraftfahrzeugs für den in der einfachen Strecke 35 Kilometer langen Arbeitsweg notwendig im Sinne von § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB VIII waren, weil die Klägerin nicht auf die Möglichkeit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu verweisen war.
Rz. 10
Zwischen den Beteiligten ist allein die in der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 19. August 2010 - 5 C 10.09 - BVerwGE 137, 357 Rn. 27) bislang offengelassene Frage umstritten, wie die Fahrtkosten zu ermitteln, das heißt nach welcher Methode sie zu berechnen sind. Insoweit ist für die Anwendung sozialhilferechtlicher Maßstäbe unter Rückgriff auf Erwägungen des Senats im Urteil vom 11. Oktober 2012 - 5 C 22.11 - (BVerwGE 144, 313 Rn. 18) kein Raum. Diese bezogen sich ausschließlich auf eine dadurch hervorgerufene Gesetzeslücke, dass sich die bei der Einkommensermittlung anzuwendenden Maßstäbe nicht im Wege der Gesetzesauslegung feststellen lassen. Dies ist hier nicht der Fall. Die Auslegung des § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB VIII ergibt vielmehr - wovon im Ergebnis auch das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht ausgegangen sind -, dass die Belastung mit den Kosten für die Nutzung eines Kraftfahrzeugs für den Arbeitsweg nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben und damit in Form einer sämtliche hiermit verbundenen Kosten (einschließlich etwaiger Finanzierungskosten) abdeckenden Wegstreckenpauschale sowohl für den Weg zur Arbeitsstätte als auch den Heimweg zu berechnen ist.
Rz. 11
Dabei gibt der Gesetzeswortlaut ("die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben") insoweit keinen hinreichenden Aufschluss. Er ist zwar eng an den Wortlaut der sozialhilferechtlichen Regelung des § 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB XII ("Von dem Einkommen sind abzusetzen [...] 4. die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben") angelehnt, steht aber einer unterhalts- oder steuerrechtlichen Berechnung nicht zwingend entgegen, sondern lässt auch diese Berechnungsmethoden zu. Sinn und Zweck des jugendhilferechtlichen Kostenbeitragsrechts sowie die Gesetzessystematik legen jedoch in gewichtiger Weise eine unterhaltsrechtliche Betrachtung nahe und sprechen deshalb dafür, die Fahrtkosten für den Arbeitsweg nach jenen unterhaltsrechtlichen Maßstäben zu berechnen, wie sie in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte zum Ausdruck kommen. Dabei ist insbesondere auf die Richtlinien desjenigen Oberlandesgerichts abzustellen, das für die gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil gerichtete Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs zuständig wäre.
Rz. 12
Mit der Neuregelung des Kostenbeitragsrechts durch Art. 1 Nr. 49 des Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes vom 8. September 2005 (BGBl. I S. 2729) hat der Gesetzgeber zwar einerseits das Ziel einer "Entflechtung des bislang überaus komplizierten Zusammenspiels unterhaltsrechtlicher und sozialrechtlicher Bestimmungen in diesem Bereich" verfolgt. Andererseits sollte die Neuregelung aber nicht zu materiellen Wertungswidersprüchen zum Unterhaltsrecht führen (BT-Drs. 15/3676 S. 41). Dementsprechend knüpft das Kostenbeitragsrecht gerade in den ungeachtet der für den hier maßgeblichen Zeitraum durch § 94 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB VIII (a. F.) vorgegebenen Reihenfolge der Heranziehung unterschiedlicher Kostenbeitragspflichtiger praktisch besonders bedeutsamen Fällen des § 91 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII an die Unterhaltspflicht der Eltern des jungen Menschen an. Weil die vollstationären Angebote auch die Sicherstellung des notwendigen Unterhalts des untergebrachten jungen Menschen umfassen und insoweit zum Erlöschen der darauf gerichteten zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche führen, tritt insoweit der öffentlich-rechtliche Kostenbeitrag an die Stelle von Ansprüchen gegen einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen (BVerwG, Urteil vom 19. August 2010 - 5 C 10.09 - BVerwGE 137, 357 Rn. 15). Diesen Zusammenhang zum Unterhaltsrecht belegt auch die Regelung des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII, der - um zu verhindern, dass ein Unterhaltspflichtiger seiner Barunterhaltspflicht in unveränderter Höhe nachkommt, aber für den gleichen Zeitraum mit einem Kostenbeitrag belastet wird - den Träger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet, den Unterhalts- und Kostenbeitragspflichtigen über die Gewährung der Leistung zu unterrichten und über die Folgen für die Unterhaltspflicht aufzuklären.
Rz. 13
Systematisch ergibt sich die Notwendigkeit, einen Abgleich mit dem Unterhaltsrecht vorzunehmen, vor allem aus § 92 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII, wonach ein Kostenbeitrag nur erhoben werden kann, soweit Unterhaltsansprüche vorrangig oder gleichrangig Berechtigter nicht geschmälert werden. Mit dieser Bezugnahme auf den Gleich- bzw. Vorrang wird die Rangfolge und Wertung des zivilrechtlichen Unterhaltsrechts (§ 1609 BGB) übernommen. Wenn die unterhaltspflichtige Person nach zivilrechtlichen Berechnungen ihre Unterhaltspflichten nicht in vollem Umfang erfüllen kann, ist der Kostenbeitrag des Jugendhilfeträgers entsprechend zu reduzieren. Bei Vorliegen gleich- oder vorrangiger Unterhaltsansprüche ist also eine unterhaltsrechtliche Vergleichsberechnung vorzunehmen. Ferner schreibt § 94 Abs. 2 SGB VIII vor, dass für die Bestimmung des Umfangs der Heranziehung weitere mindestens gleichrangige Unterhaltspflichten der kostenbeitragspflichtigen Person angemessen zu berücksichtigen sind. § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII setzt ebenfalls eine Wechselwirkung zwischen Kostenbeitrags- und Unterhaltsrecht voraus, wenn die durch Zahlung eines Kostenbeitrags verminderte Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen ist. Aus alldem ergibt sich, dass die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit sowohl Grund als auch Grenze der Heranziehung zu einem Kostenbeitrag ist, weshalb der unterhaltsrechtliche Selbstbehalt dem Kostenbeitragspflichtigen in jedem Fall zu belassen ist (BVerwG, Urteil vom 19. August 2010 - 5 C 10.09 - BVerwGE 137, 357 Rn. 12, 14), der insgesamt nicht schlechter gestellt sein soll, als er im Unterhaltsrecht stehen würde (vgl. Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, 8. Aufl. 2022, § 93 Rn. 23).
Rz. 14
Insofern spricht gerade auch die für die Fahrtkostenberechnung in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte vorgesehene Einbeziehung des Heimwegs von der Arbeitsstätte für die Heranziehung unterhaltsrechtlicher Maßstäbe. Der Wortlaut des § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB VIII ("die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben") lässt die Einbeziehung der für den Rückweg anfallenden Kosten zu. Er enthält keine Beschränkung auf die Kosten des Hinwegs. Vielmehr sind dem Wortsinn nach auch die Kosten des Rückwegs "mit der Erzielung des Einkommens verbunden", denn ohne die Tätigkeit an der Arbeitsstätte gäbe es den Rückweg als solchen nicht. Ihre (einkommensmindernde) Einbeziehung in die Berechnung des Kostenbeitrags trägt auch dem jugendhilferechtlichen Anliegen Rechnung, im Interesse des jungen Menschen nicht nur diesen, sondern auch dessen Familie in den Blick zu nehmen und deren Lebensumstände zu berücksichtigen. Dies kommt gesetzessystematisch beispielsweise in § 1 Abs. 3 Nr. 5 ("positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien" bzw. "kinder- und familienfreundliche Umwelt"), § 2 Abs. 2 Nr. 2 ("Angebote zur Förderung der Erziehung in der Familie"), § 4 Abs. 1 Satz 1 ("zum Wohl junger Menschen und ihrer Familien"), § 9 Nr. 2 ("sowie die jeweiligen besonderen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten junger Menschen und ihrer Familien zu berücksichtigen") und § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (Anspruch der Eltern auf Beratung und Unterstützung sowie Förderung der Beziehung zu ihrem Kind) zum Ausdruck. Zu den danach zu berücksichtigenden Lebensumständen gehört auch die Rückkehr des Kostenbeitragspflichtigen nach Arbeitsende in seine Wohnung und gegebenenfalls zu seinen weiteren Familienangehörigen.
Rz. 15
Gegen die Fahrtkostenberechnung anhand der unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte kann nicht eingewandt werden, diese seien nicht einheitlich (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 658/11 - juris Rn. 23), denn sie nehmen entweder ausdrücklich oder doch der Sache nach auf die Entschädigungsregelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG Bezug. Im Übrigen sind jeweils die unterhaltsrechtlichen Leitlinien desjenigen Oberlandesgerichts heranzuziehen, das auch für eine klageweise Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs zuständig wäre. Dies begegnet im Unterhaltsrecht keinen Bedenken (BGH, Urteil vom 1. März 2006 - XII ZR 157/03 - juris Rn. 15). Im Hinblick auf das jugendhilferechtliche Kostenbeitragsrecht gilt nichts anderes.
Rz. 16
Die genannten Zwecke des jugendhilferechtlichen Kostenbeitragsrechts sprechen gegen die Heranziehung der sozialhilferechtlichen Berechnung der Fahrtkosten (dafür etwa Loos, in: Wiesner/Wapler, SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, 6. Aufl. 2022, § 93 Rn. 24), wie sie in § 3 Abs. 6 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 28. November 1962 (BGBl. I S. 692), die zuletzt durch Art. 8 des Gesetzes vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2557) geändert worden ist (SGBXII-§ 82-DV), enthalten ist. Danach ist für notwendige Fahrten mit dem Kraftfahrzeug ein monatlicher Pauschbetrag von 5,20 € für jeden vollen Kilometer, den die Wohnung von der Arbeitsstätte entfernt liegt, jedoch für nicht mehr als 40 Kilometer vom Einkommen abzusetzen. Im jugendhilferechtlichen Kostenbeitragsrecht ist - wie bereits das Verwaltungsgericht (UA S. 10) ausgeführt hat - kein sachlicher Grund für eine Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Entfernungskilometer auf 40 Kilometer erkennbar. Darüber hinaus ordnen die sozialhilferechtlichen Regelungen für die Einkommensberechnung (§ 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGBXII-§ 82-DV: "Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte"; § 3 Abs. 6 Nr. 2 SGBXII-§ 82-DV: "für jeden vollen Kilometer, den die Wohnung von der Arbeitsstätte entfernt liegt") den Rückweg von der Arbeitsstätte der nicht zu berücksichtigenden privaten Lebensführung zu, was zu einer Schlechterstellung des Kostenbeitragspflichtigen im Vergleich zum Unterhaltsrecht und insoweit zu einem Wertungswiderspruch führen würde. Gesetzessystematisch spricht gegen eine Heranziehung von § 3 Abs. 6 SGBXII-§ 82-DV überdies die Regelung des § 90 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII. Während sich danach für den Erlass eines Kostenbeitrags für die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen oder Kindertagespflege die Einkommensberechnung ausdrücklich nach § 82 SGB XII richtet, fehlt eine entsprechende Anordnung in §§ 91 ff. SGB VIII. Vielmehr hat der Gesetzgeber jedenfalls im Zusammenhang mit der Ermittlung von Abzugsbeträgen vom Einkommen nach § 93 Abs. 3 SGB VIII nicht auf § 82 SGB XII und die hierzu ergangene Durchführungsverordnung zurückgreifen wollen. Denn er hat den im Gesetzentwurf (BT-Drs. 15/3676 S. 16) noch ausdrücklich vorgesehenen Verweis auf diese Verordnung gerade nicht in das Gesetz übernommen. Die Gesetzeshistorie steht damit zwar dem Rückgriff auf eine sozialhilferechtlich orientierte Ermittlung des noch nicht bereinigten Einkommens nach der Zuflusstheorie nicht entgegen (BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 5 C 22.11 - BVerwGE 144, 313 Rn. 19), wohl aber einer Heranziehung von § 3 Abs. 6 SGBXII-§ 82-DV für die Berechnung von Abzugsbeträgen.
Rz. 17
Sinn und Zweck der kostenbeitragsrechtlichen Regelungen und ihre unterhaltsrechtliche Anbindung erlauben schließlich auch keinen Rückgriff auf die einkommensteuerrechtliche Wegstreckenpauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Hierfür fehlt es bereits an einem Anhaltspunkt im Jugendhilferecht, namentlich den §§ 91 ff. SGB VIII. Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus einem dem § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 SGB VIII vermeintlich vergleichbaren Wortlaut in § 9 EStG (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG: "Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen"; § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG: "Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte") sowie dem Ziel des Gesetzgebers, eine einfache kostenbeitragsrechtliche Einkommensberechnung zu ermöglichen (so Krome, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 93 Rn. 49). Das Einkommensteuerrecht und das jugendhilferechtliche Kostenbeitragsrecht haben unterschiedliche Zielrichtungen. Maßstab der Besteuerung ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, weshalb Grundlage der Besteuerung von Arbeitnehmern ihr unter anderem um Werbungskosten vermindertes Einkommen ist. Maßstab des jugendhilferechtlichen Kostenbeitrags nach den §§ 91 ff. SGB VIII ist die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Kostenbeitragspflichtigen, dem die Kostenbeteiligung aus dem unter anderem nach Abzug zu entrichtender Steuern verbleibenden Einkommen zugrunde liegt. Ferner würde die Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ("Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte"; "für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte") sowie in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG ("Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte"), wonach für die Wegstreckenpauschale nur die Wegstrecke von der Wohnung zur Tätigkeitsstätte, nicht aber der Rückweg zu berücksichtigen ist, ebenfalls zu einem Wertungswiderspruch zum Unterhaltsrecht führen. Zudem unterscheidet sich entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Krome, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 93 Rn. 49) die einkommenssteuerrechtliche Wegstreckenpauschale auch in Bezug auf die Abgeltung aller mit der Kraftfahrzeugnutzung verbundenen Kosten nicht von der unterhaltsrechtlichen Betrachtung, weil auch § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG ausdrücklich eine umfassende Abgeltungswirkung anordnet. Überdies ist die steuerrechtliche Berechnung auch nicht einfacher oder praktikabler durchzuführen als die unterhaltsrechtliche. Schließlich streitet auch das Urteil des Senats vom 22. Dezember 1998 - 5 C 25.97 - (BVerwGE 108, 221 ≪233≫) schon deshalb nicht für eine einkommensteuerrechtliche Fahrtkostenberechnung, weil dieser Entscheidung eine alte Rechtslage zugrunde lag, die sich in wesentlichen Punkten von der hier anzuwendenden unterscheidet.
Rz. 18
Im Übrigen spricht auch der mit den Kostenbeitragsregelungen der §§ 91 ff. SGB VIII verfolgte Zweck der Verwaltungspraktikabilität gegen die Heranziehung der steuer- oder sozialhilferechtlichen Berechnungsmethode. Die Berechnung der Fahrtkosten nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben vermeidet unnötige Mehrarbeit bei einer zur Wahrung des unterhaltsrechtlichen Selbstbehalts etwaig erforderlich werdenden unterhaltsrechtlichen Vergleichsberechnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. August 2010 - 5 C 10.09 - BVerwGE 137, 357).
Rz. 19
Sind somit die Fahrtkosten für den Weg zur Arbeitsstätte und den Heimweg nach Maßgabe der unterhaltsrechtlichen Leitlinien des Oberlandesgerichts zu ermitteln, das für eine Klage gegen den Kostenbeitragspflichtigen auf Unterhalt zuständig wäre, erfasst die Wegstreckenpauschale hier nach Ziffer 10.2.2. der unterhaltsrechtlichen Leitlinien des Oberlandesgerichts Dresden sämtliche mit der berufsbedingten Nutzung des Kraftfahrzeugs in Zusammenhang stehenden Kosten (insbesondere einschließlich seiner Finanzierung) und ist regelmäßig für lange Fahrtstrecken zu kürzen. Hiervon ausgehend hat sich das Oberverwaltungsgericht die zutreffende Berechnung der Fahrtkosten durch das Verwaltungsgericht nach der Formel "(2 x 0,30 € x 30 km + 2 x 0,20 € x 5 km) x 220 Arbeitstage: 12 Monate" zu eigen gemacht, was einen Betrag von monatlich 366,67 € ergibt.
Rz. 20
3. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob und inwieweit die Schuldverpflichtung der Klägerin in Höhe von monatlich 414,50 €, die aus einem im November 2012 zur Umschuldung von Altschulden abgeschlossenen Kreditvertrag resultiert, einkommensmindernd zu berücksichtigen ist. Insoweit hat das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zwar einen zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt (a). Seine Feststellungen erlauben dem Senat jedoch nicht, die Abzugsfähigkeit der Kreditverpflichtung abschließend zu beurteilen, die auf die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs (b) und von Haushaltsgeräten (c), die Finanzierung sogenannter "Spielschulden" des Ehemannes (d) und den Abschluss einer Restschuldversicherung (e) entfällt.
Rz. 21
a) Der in § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 SGB VIII angesprochene Abzug von Schuldverpflichtungen bezieht sich nach seinem Wortlaut auf Zahlungs-, insbesondere auf Kreditverpflichtungen. Er knüpft binnensystematisch an § 93 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII an, der die "kostenbeitragspflichtige Person" in Bezug nimmt und damit auf die Kostenbeitragspflicht nach § 94 Abs. 1 SGB VIII und den ihr innewohnenden Zweck verweist. Die Kostenbeitragspflicht dient dem (teilweisen) Ersatz von Leistungen, die der Staat namentlich anstelle des Unterhaltspflichtigen erbringt. Das Oberverwaltungsgericht ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass die Berücksichtigungsfähigkeit von Schuldverpflichtungen vorrangig nach unterhaltsrechtlichen Wertungen zu bestimmen ist. Danach ist der Unterhaltsschuldner stets gehalten, dafür Sorge zu tragen, dass er gegenüber dem Unterhaltsberechtigten leistungsfähig ist und bleibt. Seine Ausgaben dürfen den Unterhaltsanspruch nur dann schmälern, wenn sie im Hinblick auf die gesamten Lebensverhältnisse notwendig und angemessen sind, seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gegenüber einem Unterhaltsberechtigten also nicht ohne sachlichen Grund gefährden. Der Prüfung sind die Gesamtumstände des Einzelfalles zugrunde zu legen. Zu berücksichtigen ist etwa, ob die Aufnahme von Schuldverpflichtungen als üblich für den jeweiligen Zweck gelten kann. Es kommt auch darauf an, ob die kostenbeitragspflichtige Person erkennen kann und muss, dass die Belastung etwa ihrem Lebensstandard nicht entspricht, also nicht in einem wirtschaftlich vernünftigen Verhältnis zu ihrer Lebens- und Einkommenssituation steht. Eine Kreditbelastung ist grundsätzlich nicht angemessen, wenn sie der Finanzierung von Luxusgütern oder der Deckung allgemeiner Lebensführungskosten dient, die angesichts der Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII und der Grundsicherung nach dem SGB II nicht kreditfinanziert werden müssen (vgl. Loos, in: Wiesner/Wapler, SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, 6. Aufl. 2022, § 93 Rn. 25; Krome, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 93 Rn. 54; Winkler, in: Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht, Stand Juni 2023, § 93 SGB VIII Rn. 12; Stähr, in: Hauck/Noftz, SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, Stand 3. EL 2023, § 93 Rn. 32; ferner Kunkel/Kepert, in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, 8. Aufl. 2022, § 93 Rn. 23). Maßgebend sind regelmäßig die Verhältnisse bei Begründung der Schuld. Es ist danach grundsätzlich von der Unangemessenheit solcher Schulden auszugehen, die der Unterhaltsschuldner in Kenntnis seiner Unterhaltspflicht unter Inkaufnahme der Möglichkeit nachteiliger Folgen für seine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit eingegangen ist (OVG Münster, Beschluss vom 30. Juli 2004 - 12 A 886/01 - juris Rn. 9). Insoweit ist allerdings auch zu berücksichtigen, ob sich die Aufnahme von Schulden beispielsweise als eine Vorsorgemaßnahme darstellt, die unter dem Blickwinkel der Daseinsvorsorge von vernünftig und vorausschauend planenden Menschen, die kein überzogenes Sicherheitsbedürfnis haben, als ratsam angesehen wird (vgl. Schindler/Eschelbach, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 9. Aufl. 2022, § 93 Rn. 26). Insbesondere bei nach Beginn der Jugendhilfeleistungen neu begründeten Schulden ist ein strengerer Maßstab anzulegen als bei zu diesem Zeitpunkt schon bestehenden Schulden (OVG Bautzen, Beschluss vom 21. Mai 2012 - 1 A 163/09 - juris Rn. 13; OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. Juli 2012 - 4 LA 90/11 - juris Rn. 6; Krome, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 93 Rn. 54), nämlich ob sie beispielsweise zur Anschaffung notwendiger Gegenstände des täglichen Lebens unumgänglich waren (Stähr, in: Hauck/Noftz, SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, Stand 3. EL 2023, § 93 Rn. 32).
Rz. 22
b) Nach § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 SGB VIII können Schuldverpflichtungen einkommensmindernd zu berücksichtigen sein, auch wenn sie nicht mit der Erzielung des Einkommens verbunden sind. Dies gilt je nach den Umständen des Einzelfalles auch für Finanzierungskosten für die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs. Hiervon ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Allerdings hat es insoweit verkannt, dass die dem Weg zur Arbeitsstätte zuzurechnenden Finanzierungskosten bereits durch die Wegstreckenpauschale abgegolten werden und nicht (zusätzlich) auch im Rahmen des Abzugs von Schuldverpflichtungen berücksichtigt werden können. Die in § 93 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII erwähnten Abzugsposten stehen ihrer Zwecksetzung nach einer doppelten einkommensmindernden Berücksichtigung derselben Abzugsposition entgegen. Dies ergibt sich aus dem § 93 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII in Satz 3 vorangestellten Erfordernis der Angemessenheit der Belastung dem Grunde und der Höhe nach. Belastungen sind nicht mehr "angemessen", soweit sie bereits anderweitig beim Abzug vom Einkommen vollständig berücksichtigt worden sind. Mit der - wie ausgeführt - nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben zu berechnenden Wegstreckenpauschale sind sämtliche Fahrzeugkosten abgegolten, insbesondere auch etwaige Finanzierungskosten (BGH, Urteil vom 1. März 2006 - XII ZR 157/03 - juris Rn. 15), wie dies in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte zum Ausdruck kommt (hier des Oberlandesgerichts Dresden vom 1. Januar 2017, Ziffer 10.2.2.). Dem ist bei der Ermittlung der berücksichtigungsfähigen Finanzierungskosten in geeigneter Weise Rechnung zu tragen.
Rz. 23
Im Übrigen ist unter Beachtung unterhaltsrechtlicher Wertungen zu prüfen, ob die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs und die diesbezügliche Kreditaufnahme aus (privaten) Gründen jenseits einer etwaigen beruflich veranlassten Nutzung angemessen war und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht verletzte. Entscheidend sind die konkreten Umstände des Einzelfalles, insbesondere aus welchen (nachvollziehbaren) Gründen ein Kraftfahrzeug angeschafft wurde und wann, um welches Modell es sich handelt und welche Anschaffungskosten hiermit verbunden waren. Es obliegt der kostenbeitragspflichtigen Person, die insoweit maßgeblichen Umstände darzulegen und nachzuweisen (§ 93 Abs. 3 Satz 5 SGB VIII). Die (kostenbeitragsrechtliche) Bewertung dieser Umstände ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zuvörderst Teil der tatrichterlichen Würdigung.
Rz. 24
Weder hat das Oberverwaltungsgericht hier eine solche Prüfung vorgenommen, noch hat es konkrete Feststellungen getroffen. Vielmehr hat es sich mit unspezifischen Angaben der Klägerin zum Anschaffungsjahr und -preis begnügt, die sich aber weder zu den Gründen der Anschaffung eines Kraftfahrzeugs, dem Modell und den konkreten Anschaffungskosten verhalten. Deshalb kann der Senat auch nicht selbst entscheiden, ob die geltend gemachten monatlichen Finanzierungskosten für die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs hier vom Einkommen der Klägerin abzuziehen sind.
Rz. 25
c) Vorstehendes gilt gleichermaßen für den vom Oberverwaltungsgericht einkommensmindernd berücksichtigten Kreditanteil, der auf die von der Klägerin geltend gemachte Ersatzanschaffung defekter Haushaltsgeräte entfällt. Auch insoweit hat es sich allein auf Angaben der Klägerin gestützt, die keine Einzelheiten etwa zur Art der Haushaltsgeräte, ihrem Anschaffungsjahr und -preis enthalten. Weder ist der Subsumtionsschluss des Oberverwaltungsgerichts nachvollziehbar, noch ist dem Revisionsgericht eine eigenständige Beurteilung der Abzugsfähigkeit dieser Belastung möglich.
Rz. 26
d) Soweit die Kreditverpflichtung der Klägerin ihren Grund in sogenannten "Spielschulden" ihres Ehemannes hat, sind die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts zu ihrer dem Grunde nach bestehenden Abzugsfähigkeit revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Seiner Einschätzung hat das Oberverwaltungsgericht im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend zugrunde gelegt, dass "Spielschulden" als Schuldverpflichtungen desjenigen, der sie verursacht hat, regelmäßig nicht angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung verletzen (§ 93 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII), weil der Betreffende über seine Verhältnisse lebt und seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gegenüber einem Unterhaltsberechtigten ohne sachlichen Grund gefährdet. Eine andere Bewertung kann aber ausnahmsweise unter besonderen Umständen gerechtfertigt sein. Solche können beispielsweise gegeben sein, wenn - so wie hier - eine andere Person aus beachtenswerten und nachvollziehbaren Gründen für eine auf "Spielschulden" gründende Kreditverpflichtung bürgt, später aus dieser Bürgschaft in Anspruch genommen wird und hierfür wiederum eine Kreditverpflichtung eingeht. Auf der Grundlage der Feststellungen und tatrichterlichen Wertungen des Oberverwaltungsgerichts ist dessen rechtlicher Schluss, die auf die "Spielschulden" des Ehemannes zurückzuführende Kreditverpflichtung der Klägerin sei angemessen und verletzte die Grundsätze einer wirtschaftlichen Lebensführung nicht, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Insoweit kommt der konkreten Situation und der sich hieraus ergebenden Motivation der Klägerin für ihr Handeln entscheidendes Gewicht zu. Sie hat - ohne hierzu rechtlich (insbesondere nicht durch § 1360a BGB) verpflichtet zu sein - die Bürgschaftsverpflichtung als Ausdruck einer ehelichen Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft in einer finanziell äußerst angespannten Situation übernommen, um die finanzielle Belastung der Familie auf ein zu diesem Zeitpunkt vertretbares Maß zu senken. Zu diesem Zeitpunkt mögen sich zwar Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem gemeinsamen Sohn möglicherweise bereits abgezeichnet haben, die Gewährung kostenbeitragspflichtiger Kinder- und Jugendhilfe war aber nicht einmal ansatzweise absehbar. Zur Erfüllung der Bürgschaftsverpflichtung nahm die Klägerin später einen Kredit auf, der Gegenstand der 2012 erfolgten Umschuldung war und damit Teil der nunmehr in Rede stehenden Schuldverpflichtung wurde.
Rz. 27
Allerdings reichen die diesbezüglichen Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts, wonach das zur Umschuldung abgeschlossene easyCredit-Darlehen "etwa zur Hälfte" auf den hierin eingeflossenen "Spielschulden" beruht, nicht aus, um den insoweit abzugsfähigen Anteil hinreichend zuverlässig bestimmen zu können.
Rz. 28
e) Schließlich kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob der auf den Abschluss einer Restschuldversicherung entfallende Anteil des easyCredit-Darlehens vom Einkommen der Klägerin abzuziehen ist. Aus der zugehörigen Vertragsunterlage, die Bestandteil der im angefochtenen Urteil in Bezug genommenen und deshalb vom Bundesverwaltungsgericht verwertbaren Behördenakten ist, ergibt sich, dass der Kreditvertrag nicht nur Altschulden abgelöst, sondern die Klägerin auch neue Schulden für eine Restschuldversicherung aufgenommen hat, die das Oberverwaltungsgericht weder gewürdigt noch auch nur erwähnt hat. Danach setzt sich der Nettokreditbetrag in Höhe von 32 530,85 € aus dem Auszahlungsbetrag von 26 286,00 € (Altschulden) und weiteren 6 244,85 € für eine Restschuldversicherung zusammen, was etwa 19,2 vom Hundert des Gesamtnettokreditbetrages entspricht. Außerdem ist der Nettokreditbetrag mit einem effektiven Jahreszins von 9,5 vom Hundert zu verzinsen.
Rz. 29
Derartige Schuldverpflichtungen sind in aller Regel nicht abzugsfähig im Sinne von § 93 Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 SGB VIII. Eine Restschuldversicherung dient im Umfang der versicherten Risiken (etwa Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Tod) dem Sicherheitsbedürfnis einerseits des Kreditnehmers und andererseits der finanzierenden Bank, die sich darüber hinaus eine zusätzliche Einnahmequelle erschließt, wenn - wie hier - die Kosten der Restschuldversicherung ihrerseits finanziert werden und dafür Zinsen berechnet werden. Hingegen dient eine Restschuldversicherung allenfalls mittelbar auch der Anschaffung der finanzierten Gegenstände. Hierfür dürfte der Abschluss einer Restschuldversicherung jedenfalls in - wie hier - Umschuldungsfällen, in denen schon bestehende Kreditverpflichtungen lediglich neu geordnet und zusammengefasst werden, regelmäßig nicht erforderlich und angemessen sein, weil die Interessen der finanzierenden Bank im Vordergrund stehen. Ob es sich hier ausnahmsweise anders verhält, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Das Oberverwaltungsgericht hat zu den näheren Umständen des Abschlusses der Restschuldversicherung und der Finanzierung der hierauf entfallenden Kosten keine Feststellungen getroffen. Ferner ist der Klägerin insoweit noch kein rechtliches Gehör gewährt worden.
Rz. 30
4. Da der Senat nicht abschließend entscheiden kann, welcher Einkommensgruppe die Klägerin zuzuordnen ist und ob das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Beklagten zu Recht zurückgewiesen hat, ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO), um es diesem zu ermöglichen, die unterbliebenen tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Würdigungen nachzuholen.
Rz. 31
5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 16256677 |
BVerwGE 2024, 246 |
DÖV 2024, 668 |
JZ 2024, 332 |
LKV 2024, 3 |
NZS 2024, 6 |
ZfSH/SGB 2024, 127 |
Jugendhilfe 2024, 367 |
RdW 2024, 259 |
FSt 2024, 590 |
FuHe 2024, 147 |
NZFam 2024, 7 |
NZFam 2024, 860 |