Leitsatz (amtlich)
Ob die Voraussetzungen für den Ausschluss des Rückfallrechts nach § 5 Abs. 2 Satz 1 des Reichsvermögen-Gesetzes (RVG) in Verbindung mit Art. 134 Abs. 3 GG gegeben sind, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Bedarfsanmeldung durch den Bund.
Der Bund benötigte im maßgeblichen Zeitpunkt einen Vermögensgegenstand für eigene Verwaltungsaufgaben (Art. 134 Abs. 3 GG und § 5 Abs. 2 Satz 1 RVG) auch dann, wenn er ihn nach dem Ende der Besatzungszeit einer verbündeten Streitmacht völkerrechtlichen Verpflichtungen entsprechend zur militärischen Nutzung zur Verfügung stellte (wie Urteil vom 18. Mai 2000 – BVerwG 3 C 8.00 –).
Verfahrensgang
Hessischer VGH (Entscheidung vom 26.10.1999; Aktenzeichen 11 UE 661/99) |
VG Gießen (Entscheidung vom 29.06.1998; Aktenzeichen 10 E 772/94) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Oktober 1999 und des Verwaltungsgerichts Gießen vom 29. Juni 1998 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
I.
Die klagende Stadt begehrt die Rückübertragung zweier Grundstücke, die sie im Jahre 1935 dem Deutschen Reich für militärische Zwecke unentgeltlich im Sinne des Art. 134 Abs. 3 GG übereignet hatte und die nach dem Zweiten Weltkrieg von amerikanischen Streitkräften zunächst beschlagnahmt und sodann bis 1992 aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit dem beklagten Bund genutzt wurden. Die beiden Grundstücke sind zusammen ca. 70 000 m² groß; anstelle des Reichsfiskus ist seit 1959 die beklagte Bundesrepublik als Eigentümerin eingetragen.
Die Klägerin hatte mit Schreiben vom 27. Juli 1961 u.a. die beanspruchten Vermögensgegenstände als Rückfallvermögen angemeldet; der Bundesschatzminister hatte mit Schreiben vom 13. Dezember 1963 hierzu Stellung genommen und ein Rückfallrecht verneint, weil die Vermögensgegenstände dauernd für Verteidigungsaufgaben benötigt würden und für diesen Zweck bereits seit längerem genutzt worden seien.
Die 1994 erhobene, auf Verpflichtung zur Übertragung zielende Klage hat das Verwaltungsgericht als begründet beurteilt, weil das bloße Überlassen von Grundstücken an die US-Streitkräfte zu deren Nutzung keine Wahrnehmung unmittelbar eigener Verwaltungsaufgaben der Beklagten sei. Selbst wenn man dies anders sähe, müssten die Vermögensgegenstände zurückübertragen werden, weil der Bund sie seit der Räumung des Geländes durch die US-Streitkräfte nicht mehr für eigene Aufgaben benötige und das Rückforderungsrecht der Klägerin nicht zeitlich begrenzt sei.
Auch der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage als in der Sache begründet beurteilt. Zu der Übertragung als einem zivilrechtlichen Vorgang sei die Beklagte aufgrund öffentlichen Rechts (Art. 134 Abs. 3 und 4 GG i.V.m. § 5 Abs. 1 des Reichsvermögen-Gesetzes – RVG –) verpflichtet; auf einen eigenen Bundesverwaltungsbedarf im Sinne des § 5 Abs. 2 RVG könne sich die Beklagte demgegenüber nicht berufen, weil der Bund die Vermögensgegenstände in den sechziger Jahren nicht unmittelbar für eigene Verwaltungsaufgaben benötigt habe und im Übrigen sein Bedarf jedenfalls kein dauernder, sondern allenfalls ein vorübergehender (§ 5 Abs. 3 RVG) gewesen sei.
Hinsichtlich des Bedarfs (Bedarfsprognose) sei eine ex-ante-Betrachtung aufgrund der während des Anmeldeverfahrens bekannten Tatsachen maßgebend. Insbesondere aus den Vorschriften der §§ 7 und 10 RVG sowie entsprechenden Gesetzgebungs-Materialien lasse sich ableiten, dass der Gesetzgeber des Reichsvermögen-Gesetzes eine alsbaldige endgültige Zuordnung des Eigentums an Gegenständen des früheren Reichsvermögens gewollt habe und nur im Fall des vorübergehenden Bedarfs ein Besitzrecht des Bundes habe einräumen wollen („Konzept der definitiven Eigentumszuordnung”). Allerdings führe auch eine andere Sicht der Dinge nicht zu anderen Ergebnissen: Zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Grundgesetzes hätten weder eine völkerrechtliche Verpflichtung des Bundes noch etwa ein eigener Anschlussbedarf bestanden. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung habe sich ferner ergeben, dass ein aus den Verpflichtungen zur Nutzungsüberlassung zugunsten der verbündeten Streitkräfte ableitbarer Bedarf ein lediglich vorübergehender gewesen sei. Der Stationierungsbedarf habe auf der Grundlage der zur Zeit des In-Kraft-Tretens des Reichsvermögen-Gesetzes vorzufindenden Rechtslage nicht als Dauerbedarf angesehen werden können. Sowohl nach dem innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland als auch völkerrechtlich seien die Teilung Deutschlands und damit auch der hieraus abzuleitende erhöhte Stationierungsbedarf als vorübergehend anzusehen gewesen.
Da der Bund einen sog. „Anschlussbedarf” im Hinblick auf die Vermögensgegenstände niemals geltend gemacht habe, stehe der Umstand, dass der Bund zur Gewährleistung des Stationierungsbedarfs der US-Streitkräfte hinsichtlich der beanspruchten Vermögensgegenstände nicht auf das Eigentum an diesen Liegenschaften angewiesen gewesen sei, der mithin allein in Betracht zu ziehenden Annahme entgegen, dass in dieser Gewährleistung zugleich die Erfüllung eigener Verwaltungsaufgaben zu sehen sei.
Das Rückübertragungsrecht sei weder untergegangen noch verwirkt. Die Klägerin habe bei der Beklagten nicht den Eindruck entstehen lassen, sie werde ihren Restitutionsanspruch nicht mehr geltend machen. Es habe für das Zuwarten bis zur Räumung des Geländes durch die US-Streitkräfte nachvollziehbare Gründe gegeben.
Die auf Klageabweisung zielende Revision vertritt unter Vertiefung des vorinstanzlichen Vortrags folgende Standpunkte:
Das angefochtene Urteil verfehle die Abgrenzung eines vorübergehenden von einem nicht nur vorübergehenden Bedarf. Entscheidend sei insoweit, ob das Ende einer gegenwärtigen Nutzung absehbar sei oder nicht. In den sechziger Jahren habe niemand ernsthaft annehmen dürfen, die Nutzung von Militärgelände durch die NATO oder deren einzelne Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sei hinsichtlich ihres Endes absehbar gewesen. Sogar heute noch sei der Aufenthaltsvertrag aus dem Jahre 1954 eine taugliche Rechtsgrundlage für die Stationierung ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Ende des den Stationierungsbedarf auslösenden „Kalten Kriegs” sei überhaupt nicht absehbar gewesen, und tatsächlich habe er noch annähernd dreißig Jahre angedauert. Auf die hieraus folgende Bedrohungslage sei abzustellen, nicht etwa auf das davon unabhängige Wiedervereinigungsgebot der Verfassung. Übersehen habe das Berufungsgericht auch den Zusammenhang des Reichsvermögen-Gesetzes mit dem davor erlassenen Landbeschaffungsgesetz (LBG). Unzutreffend sei ferner die Einbeziehung der Frage eines Anschlussbedarfs in die für die sechziger Jahre anzustellende Bedarfsprognose. Stattdessen sei festzuhalten, dass die Bereitstellung und Überlassung von Rückfallgrundstücken zugunsten alliierter Streitkräfte oder der NATO zu den Verwaltungsaufgaben des Bundes gehört habe; es sei nicht zu bezweifeln, dass die Aufgabe der Erfüllung völkerrechtlich bestehender Verpflichtungen zur Bereitstellung von Liegenschaften zur Nutzung durch ausländische Streitkräfte zu den Bundesverwaltungsaufgaben gehöre, die darüber hinaus – entgegen der Annahme des Berufungsgerichts – das Eigentumsrecht des Bundes an den zu überlassenden Vermögensgegenständen zur Voraussetzung habe.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Dabei kann offen bleiben, ob auf Seiten der Klägerin die Voraussetzungen eines Rückübertragungsanspruchs nach Art. 134 Abs. 3 Halbsatz 1 GG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Reichsvermögen-Gesetz (RVG) erfüllt sind. Selbst wenn – was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist – davon ausgegangen wird, dass die umstrittenen Liegenschaften dem Deutschen Reich von der Klägerin unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden sind und die Klägerin ihren Rückübertragungsanspruch innerhalb der Frist des § 5 Abs. 1 Satz 2 RVG geltend gemacht hat, ist diesem Anspruch nach Art. 134 Abs. 3 letzer Halbsatz GG in Verbindung mit § 5 Abs. 2 RVG die Grundlage entzogen, weil der Bund die fraglichen Grundstücke im maßgeblichen Zeitpunkt überwiegend und nicht nur vorübergehend unmittelbar für eigene Verwaltungsaufgaben benötigte und diesen Bedarf rechtzeitig geltend gemacht hat. Dies hat das Berufungsgericht verkannt.
1. In Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht ist der erkennende Senat der Auffassung, dass der Beurteilung, ob die Voraussetzungen für den Ausschluss des Rückfallrechts nach § 5 Abs. 2 Satz 1 RVG gegeben sind, die Sachlage im Zeitpunkt der Bedarfsanmeldung durch den Bund zugrunde zu legen ist. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
a) Das Reichsvermögen-Gesetz gibt für die Geltendmachung des Rückfallanspruchs wie für die Geltendmachung des eigenen nicht nur vorübergehenden Verwaltungsbedarfs des Bundes enge Fristen vor. Grundsätzlich konnte der Rückfallanspruch nach § 5 Abs. 1 Satz 2 RVG nur innerhalb eines Jahres nach In-Kraft-Treten des Gesetzes geltend gemacht werden. Da das Gesetz nach § 22 Abs. 1 RVG am 1. August 1961 in Kraft trat, endete die Frist am 31. Juli 1962. Korrelierend dazu bestimmt § 5 Abs. 2 Satz 2 RVG: „Der Bund kann sich auf seinen Bedarf nur innerhalb eines Jahres nach Geltendmachung eines Rückfallrechts, mindestens aber bis zum Ablauf von drei Jahren nach In-Kraft-Treten dieses Gesetzes, berufen.” Schon die in der Gegenwartsform gehaltene Formulierung dieser Vorschrift legt die Auslegung nahe, dass der angemeldete Bedarf in dem Zeitpunkt vorliegen musste, in dem der Bund sich darauf berief. Dies wird bestätigt durch § 5 Abs. 2 Satz 3 RVG, wonach der Bund sich auf einen von ihm geltend gemachten Eigenbedarf nicht mehr berufen konnte, wenn der Vermögensgegenstand von ihm nicht innerhalb von zwei Jahren nach der Geltendmachung des Bedarfs hierfür tatsächlich genutzt wurde. Das Gesetz räumte dem Bund mithin für die tatsächliche Ausübung der Nutzung eine Frist von zwei Jahren ab Anmeldung des Bedarfs ein. Der geltend gemachte Bedarf musste sich also auf eine Nutzung beziehen, die entweder im Zeitpunkt der Geltendmachung schon ausgeübt wurde oder deren Notwenigkeit jedenfalls so konkret absehbar war, dass sie binnen zwei Jahren nach der Anmeldung tatsächlich umgesetzt werden konnte. Dies bestätigt, dass der Gesetzgeber entscheidend auf das Vorliegen eines entsprechenden Bedarfs im Zeitpunkt der Anmeldung abstellen wollte.
In diese Richtung weist auch die Regelung des § 5 Abs. 3 RVG, wonach der Rückfallberechtigte verpflichtet war, den Vermögensgegenstand dem Bund für die Dauer seines Verwaltungsbedarfs zur unentgeltlichen Nutzung zu überlassen, wenn der Bund einen nach Abs. 1 zurückzugebenden Vermögensgegenstand „nach den bei In-Kraft-Treten dieses Gesetzes bestehenden Verhältnissen” vorübergehend überwiegend für eigene Verwaltungsaufgaben benötigte. Einerseits zeigt diese Regelung, dass es dem Gesetzgeber auf die Verhältnisse in zeitlicher Nähe zum Erlass des Reichsvermögen-Gesetzes ankam. Andererseits lässt sich aus dem Fehlen einer gerade auf den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens selbst abstellenden Bestimmung in § 5 Abs. 2 RVG im Gegensatz zu der zitierten Regelung des § 5 Abs. 3 RVG entnehmen, dass der Gesetzgeber in der erstgenannten Bestimmung einen flexibleren zeitlichen Maßstab vorgeben wollte.
Im Übrigen würde sich am Ergebnis nichts ändern, wenn man auch für die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 RVG auf den in § 5 Abs. 3 RVG genannten Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesetzes abstellen würde, da hier zwischen dem 1. August 1961 und dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Bedarfs durch den Bund im Dezember 1963 keine entscheidungsrelevanten tatsächlichen Veränderungen in der Nutzung der streitigen Liegenschaften eingetreten sind.
b) Art. 134 GG zwingt nicht zu einer anderen Auslegung des § 5 Abs. 2 RVG. Zwar könnte der Wortlaut des Art. 134 Abs. 3 GG („wird wiederum Vermögen der Länder und Gemeinden”) dahin verstanden werden, dass hier ein gesetzlicher Vermögensübergang nach Maßgabe der Verhältnisse bei In-Kraft-Treten des Grundgesetzes angeordnet worden sei. Insbesondere könnte die Parallele zum Wortlaut des Art. 134 Abs. 1 GG in diesem Sinne verstanden werden, wonach das Vermögen des Reiches grundsätzlich Bundesvermögen wird; diese Bestimmung begründet in der Tat einen unmittelbaren Übergang des früheren Reichsvermögens auf den Bund (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 5. Aufl., 2000, Art. 134 Rn. 3).
Eine solche Argumentation würde jedoch zum einen übersehen, dass nach Art. 134 Abs. 2 GG Vermögensgegenstände, die nach ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung für nicht dem Bund obliegende Verwaltungsaufgaben bestimmt waren, auf die nunmehr zuständigen Aufgabenträger zu übertragen waren. Die Zuordnung von Vermögensgegenständen nach Verwaltungsaufgaben wollte das Grundgesetz mithin durch Übertragungsakte des zunächst in die Rechtsstellung des Reichs eingetretenen Bundes vonstatten gehen lassen. Eine solche Zuordnung sieht auch Art. 134 Abs. 3 GG vor, der den Rückfallanspruch in Bezug auf unentgeltlich dem Reich zur Verfügung gestelltes Vermögen unter den Vorbehalt eines eigenen Verwaltungsbedarfs des Bundes stellt.
Eine abweichende Auffassung wäre schon aus Gründen der Rechtssicherheit nicht zu vertreten. Sowohl die Frage der unentgeltlichen Überlassung an das Deutsche Reich als auch die Frage eines entgegenstehenden Bundesbedarfs kann unter Umständen schwierig zu beantworten sein und zu lang dauernden Auseinandersetzungen führen. Wollte man Art. 134 Abs. 3 GG im Sinne eines unmittelbaren Vermögensübergangs auf den ursprünglichen Rechtsinhaber verstehen, so wäre unter Umständen über lange Zeit für viele Vermögensgegenstände niemand eindeutig verantwortlich gewesen. Es kann nicht angenommen werden, dass das Grundgesetz eine derart unklare Rechtslage habe schaffen wollen (vgl. zu der entsprechenden Problematik in Art. 26, 27 EV, Urteil vom 15. Juli 1999 – BVerwG 3 C 15.98 – BVerwGE 109, 221 m.w.N.).
Überdies besteht kein Grund für die Annahme, Art. 134 Abs. 3 GG habe den dem ursprünglichen Berechtigten zustehenden Rückübertragungsanspruch umfassend an die bei In-Kraft-Treten des Grundgesetzes bestehenden Verhältnisse binden wollen. Das Grundgesetz ist nach seinem Art. 145 Abs. 2 am 23. Mai 1949 in Kraft getreten. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine funktionsfähige Bundesverwaltung. Es war daher auch nicht abzusehen, welche konkreten Vermögensgegenstände der Bund zur Wahrnehmung der ihm künftig obliegenden Verwaltungsaufgaben benötigen würde. Würde man der Beurteilung des Verwaltungsbedarfs des Bundes die Verhältnisse bei In-Kraft-Treten des Grundgesetzes zugrunde legen, so hätte Art. 134 Abs. 3 GG seinen Zweck, dem Bund die für den Neuaufbau erforderlichen Verwaltungsmittel an die Hand zu geben, nicht erfüllen können. Es ist deshalb anzunehmen, dass der Grundgesetzgeber insoweit nicht selbst eine abschließende Regelung treffen wollte, sondern die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts dem einfachen Gesetzgeber überließ, dem er in Art. 134 Abs. 4 GG die Befugnis einräumte, das Nähere zu regeln.
c) Entgegen der Ansicht der Klägerin kann Art. 134 Abs. 3 GG auch nicht die Absicht entnommen werden, einen auf Dauer offenen Rückfallanspruch für den Fall zu statuieren, dass der Bundesbedarf irgendwann entfallen würde. Schon der Wortlaut der Bestimmung steht einer solchen Auslegung entgegen. Die Formulierung, das fragliche Vermögen werde wiederum Vermögen des ursprünglichen Berechtigten, „soweit” der Bund es nicht für eigene Verwaltungsaufgaben benötige, stellt einen funktionalen Bezug her. Hätte der Grundgesetzgeber die von der Klägerin für richtig gehaltene zeitliche Dimension im Auge gehabt, so hätte sich aufgedrängt, das Wort „solange” zu verwenden. Auch der Zweck der Regelung steht der von der Klägerin für richtig gehaltenen Auslegung entgegen. Die Vorschrift steht im Abschnitt „Übergangs- und Schlussbestimmungen”. Sie sollte die sachgerechte Verteilung des früheren Reichsvermögens auf Bund, Länder und Gemeinden nach dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Deutschland sicherstellen. Ihr Ziel war die Neuordnung des öffentlichen Vermögens nach einem Staatsbankrott, um vor allem eine Grundlage für die zukünftige Entwicklung des Staates zu schaffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. März 1997 – 2 BvG 3, 4/95 – BVerfGE 95, 250, 264). Dieser Zielsetzung entsprach eine Regelung, die auf eine endgültige Zuordnung der zur Verfügung stehenden Vermögensgegenstände an diejenigen gerichtet war, die sie zur Wahrnehmung der ihnen obliegenden Aufgaben benötigten. Die Schaffung eines dauernden Anspruchstatbestandes zugunsten der ursprünglichen Berechtigten lag außerhalb dieses Regelungskonzepts.
2. Zum hiernach maßgeblichen Zeitpunkt, der Geltendmachung des Bundesbedarfs durch den Bundesschatzminister am 13. Dezember 1963, benötigte der Bund die streitigen Liegenschaften vollständig für eigene Verwaltungsaufgaben.
Allerdings ist es richtig, dass das Grundgesetz die Überlassung von Grundvermögen an die Streitkräfte der NATO-Verbündeten (hier: die amerikanischen Streitkräfte) zur militärischen Nutzung nicht ausdrücklich als Verwaltungsaufgabe des Bundes bezeichnet. Gleichwohl ergibt eine systematische Auslegung der Verfassung, dass es sich hierbei um eine allein dem Bund obliegende Verwaltungsaufgabe handelt.
Die Überlassung von Kasernengelände an die verbündeten Streitkräfte dient der Landesverteidigung (vgl. in diesem Zusammenhang auch Urteil vom 3. Dezember 1992 – BVerwG 4 C 24.90 – BVerwGE 91, 227 ff.) und damit einer Verwaltungsaufgabe des Bundes. Das Gebiet der Landesverteidigung ist in den Kompetenznormen für die Gesetzgebung des Bundes in Art. 73 Nr. 1 GG ausdrücklich benannt und gemeinsam mit den auswärtigen Angelegenheiten ausschließlich dem Bund zugewiesen. In dem Kapitel über die Bundesverwaltung taucht die entsprechende Aufgabenstellung zwar nicht auf. Es wird aber festgelegt, dass der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt (Art. 87 a GG) und dass die Bundeswehrverwaltung in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau geführt wird (Art. 87 b GG). Es kommt hinzu, dass dem Bund in Art. 24 Abs. 2 GG das Recht eingeräumt ist, sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einzuordnen. Davon hat er mit dem Beitritt zur NATO Gebrauch gemacht (vgl. BVerfG, Urteil vom 12. Juli 1994 – 2 BvE 3/92 u.a. – BVerfGE 90, 286, 351).
Aus der Gesamtheit dieser Regelungen lässt sich entnehmen, dass die Wahrnehmung der Landesverteidigung insgesamt in die ausschließliche Verwaltungskompetenz des Bundes fällt. In Bezug auf die eigenen Streitkräfte und ihre Verwaltung ist dem Bund ausdrücklich die entsprechende Kompetenz eingeräumt worden. Zugleich sieht das Grundgesetz seine Einordnung in ein kollektives Sicherheitssystem einschließlich des dazu notwendigen Verzichts auf eigene Hoheitsrechte vor. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Eingliederung nicht nur den in Art. 73 Nr. 1 GG angesprochenen Bereich der Gesetzgebung betrifft, sondern auch die verwaltungsmäßige Zusammenarbeit mit den verbündeten Streitkräften einschließt. Die Landesverteidigung ist hiernach eine eigene Verwaltungsaufgabe des Bundes unabhängig davon, ob er sie durch eigene Streitkräfte oder durch die Überlassung der hierzu erforderlichen sächlichen Mittel an die auf dem Boden der Bundesrepublik agierenden Streitkräfte der Verbündeten erfüllt.
Der Sinn und Zweck des § 5 RVG bestätigt diese Auslegung des Begriffs der Verwaltungsaufgaben des Bundes. Die Vorschrift enthält eine Verteilungsregelung für früheres Reichsvermögen. Die frühere unentgeltliche Überlassung an das Reich führt zu einem Rückfallanspruch der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, soweit die Vermögenswerte nicht für Verwaltungsaufgaben des Bundes benötigt werden. Das Gesetz kennt also nur die Alternative Rückgabe an Länder und Gemeinden oder Fortbestand der Rechtsstellung des Bundes. Hiernach kann kein Zweifel bestehen, dass die Bereitstellung von Grundstücken für die Landesverteidigung dem Bund zugeordnet ist. Letztlich räumt selbst die Klägerin ein, dass dem Bund bei einer Rückübertragung des Eigentums aufgrund des Rückgabeverlangens von 1961 ein unentgeltliches Nutzungsrecht hätte eingeräumt werden müssen, damit er die Grundstücke weiterhin den alliierten Streitkräften überlassen konnte.
Dies entspricht im Übrigen auch der seit jeher geübten Staatspraxis, wie sie etwa in § 1 Abs. 1 Nr. 2 Landbeschaffungsgesetz vom 23. Februar 1957 (BGBl I S. 134) zum Ausdruck kommt. Danach ist es Aufgabe des Bundes, zur Erfüllung von Verpflichtungen des Bundes aus zwischenstaatlichen Verträgen über die Stationierung und die Rechtsstellung von Streitkräften auswärtiger Staaten im Bundesgebiet Land zu beschaffen. Die Auffassung der Klägerin, dass zwar die Landbeschaffung für die Verteidigungsaufgaben der verbündeten Streitkräfte eine Verwaltungsaufgabe des Bundes sei, dass dies aber nicht für die Überlassung der Grundstücke gelte, ist nicht nachzuvollziehen. Der Beschaffungsvorgang kann von dem letztlich mit ihm verfolgten Zweck nicht getrennt werden.
3. Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht in seiner Auffassung, § 5 Abs. 2 Satz 1 RVG greife deshalb nicht zugunsten des Bundes ein, weil er zur Wahrnehmung der Aufgabe der Landesverteidigung nicht auf das Eigentumsrecht an den streitigen Liegenschaften angewiesen gewesen sei; es hätte ausgereicht, das Eigentumsrecht Zug um Zug gegen die Einräumung eines unentgeltlichen Nutzungsrechts an die Klägerin zurückzuübertragen und die Liegenschaften aufgrund dieses Nutzungsrechts weiterhin den amerikanischen Streitkräften zu überlassen. Diese Auffassung verkennt, dass § 5 RVG zwischen den Vermögensrechten und den Gegenständen, an denen sie bestehen, unterscheidet. Der Verwaltungsbedarf des Bundes bezieht sich auf den Vermögensgegenstand als solchen. Das ist schon der Anknüpfung des Relativsatzes in § 5 Abs. 2 Satz 1 RVG zu entnehmen, die unmittelbar an den Begriff „Gegenstände” anschließt. Noch deutlicher ist dies in § 5 Abs. 3 RVG, der ausdrücklich davon spricht, dass der Bund einen Vermögensgegenstand benötigt.
Ausschlaggebendes Gewicht kommt insoweit auch den unterschiedlichen Rechtsfolgen zu, die die Absätze 2 und 3 des § 5 RVG vorsehen. § 5 Abs. 2 RVG schließt für Gegenstände, welche der Bund nicht nur vorübergehend für eigene Verwaltungsaufgaben benötigt, den Übergang des Vermögensrechts auf den ursprünglichen Berechtigten vollständig aus; bei einem nur vorübergehenden Verwaltungsbedarf des Bundes ordnet § 5 Abs. 3 RVG hingegen ein bloßes unentgeltliches Nutzungsrecht des Bundes an. Diese eindeutige Zuordnung unterschiedlicher Rechtsfolgen bei einem vorübergehenden und einem nicht nur vorübergehenden Verwaltungsbedarf des Bundes unterläuft der Verwaltungsgerichtshof, indem er auch bei einem nicht nur vorübergehenden Verwaltungsbedarf des Bundes die bloße Einräumung eines Nutzungsrechts zugunsten des Bundes für ausreichend erklärt. Demgegenüber ist der Gesetzgeber unzweifelhaft von der Überzeugung ausgegangen, dass der Bund an einem Gegenstand, den er dauerhaft zur Erfüllung seiner Verwaltungsaufgaben benötige, auch das Vollrecht behalten solle.
Dieser eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers könnte die Gefolgschaft nur dann versagt werden, wenn dies von Verfassungs wegen eindeutig geboten wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwingt nicht zu einer einschränkenden Auslegung des Gesetzes.
Entscheidend ist insoweit, dass vorliegend nicht die Entziehung von Grundeigentum im staatlichen Interesse im Streit ist. Es geht vielmehr um die Begründung eines Rückfallanspruchs für Vermögensgegenstände, die vor der Geltung des Grundgesetzes und noch dazu von einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf das Deutsche Reich übertragen worden waren. Bei der Schaffung einer solchen Regelung konnte der Gesetzgeber in Rechnung stellen, dass die uneingeschränkte Verfügungsbefugnis der Wahrnehmung einer dauerhaften Verwaltungsaufgabe angemessener ist als die bloße Einräumung eines Nutzungsrechts, das stets mit einem gewissen Abstimmungsbedarf und der Notwendigkeit der Rücksichtnahme verbunden ist. Andererseits durfte er berücksichtigen, dass ein dauerhaftes Nutzungsrecht des Bundes ein gleichwohl einzuräumendes Eigentum von Land oder Gemeinde weitgehend seine Bedeutung beraubt hätte. Das belegt nicht zuletzt die Tatsache, dass die Klägerin nach der Geltendmachung von Eigenbedarf durch den Bund 30 Jahre lang ihren vermeintlichen Rückfallanspruch hat auf sich beruhen lassen. Im Zusammenhang mit den Erörterungen zur Verwirkung führt der Verwaltungsgerichtshof hierzu aus, das Verhalten der Klägerin sei verständlich gewesen, weil die Rückübertragung des Eigentums bei gleichzeitiger Begründung eines Nutzungsrechts für sie keinen praktischen Nutzen gehabt hätte. Diese Bewertung ist richtig, hat aber zur Konsequenz, dass die auf Belassung des Vollrechts zielende gesetzliche Regelung sachgerecht ist.
4. Die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 2 Satz 1 RVG kann schließlich nicht mit der Begründung verneint werden, der Verwaltungsbedarf des Bundes sei im Jahre 1963 nur vorübergehend gewesen. Der Hinweis auf das seinerzeit in der Präambel des Grundgesetzes enthaltene Wiedervereinigungsgebot geht fehl, weil er die Bedeutung des Begriffs „nicht nur vorübergehend” verkennt.
Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet „vorübergehend” ein Geschehen, das nur eine kurze Zeit dauert, dessen baldiges Ende also absehbar ist (vgl. DUDEN, Deutsches Universalwörterbuch, 2. Aufl.; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1984). Diese Bedeutung drängt sich insbesondere wegen des bildhaften Gehalts des Wortes „vorübergehend” auf. Der Begriff ist damit weitgehend bedeutungsgleich mit dem Ausdruck „kurzfristig”.
Dieser Bedeutungsgehalt wird in § 5 Abs. 2 Satz 1 RVG noch unterstrichen durch die Zufügung des Wortes „nur”. Ein nur vorübergehender Bedarf sollte nicht ausreichen, dem Bund das Vermögensrecht zu erhalten. Dadurch wird der ohnehin einschränkende Bedeutungsgehalt zusätzlich betont.
Die sich aus dem Wortsinn ergebende Auslegung wird bestätigt durch den Sinn und Zweck des § 5 RVG sowie des ihm zugrunde liegenden Art. 134 Abs. 3 GG. Prinzipiell zielen die Absätze 2 und 3 des Art. 134 GG darauf, den verschiedenen Verwaltungsträgern jeweils diejenigen Vermögensgegenstände aus dem ehemaligen Reichsvermögen rechtlich zuzuordnen, die sie zur Erfüllung ihrer Verwaltungsaufgaben benötigen. Dabei geht die Verfassung im Interesse einer möglichst ungestörten Aufgabenwahrnehmung grundsätzlich von der Notwendigkeit der endgültigen und vollständigen Rechtszuweisung aus. Die bloße Zuweisung eines Nutzungsrechts an den Aufgabenträger unter gleichzeitiger Begründung eines Rückfallanspruchs des früheren Berechtigten hinsichtlich des Eigentums ist im Regelungsprogramm des Art. 134 GG grundsätzlich nicht angelegt. Das schließt die Befugnis des Gesetzgebers nicht aus, in Wahrnehmung des ihm in Art. 134 Abs. 4 GG übertragenen Gestaltungsauftrags für besondere Verhältnisse eine solche Regelung einzuführen. Dabei kann es sich aber nur um Ausnahmefälle handeln, die den in Art. 134 GG verfolgten Grundsatz der Zusammenführung von Verwaltungszuständigkeit und Rechtsinhaberschaft nicht aufhebt. Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn als ein nur vorübergehender Bedarf im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 1 RVG entsprechend dem Wortsinn ein zeitlich von vornherein überschaubarer Bedarf angesehen wird.
Gemessen an diesem Maßstab war der vom Bund geltend gemachte Verwaltungsbedarf an den streitigen Liegenschaften im Jahre 1963 nicht nur vorübergehend. Sein Ende war in keiner Weise absehbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass selbst für den seinerzeit zwar angestrebten, aber in keiner Weise konkret vorhersehbaren Fall der Wiedervereinigung sich die Notwendigkeit hätte ergeben können, die streitigen Liegenschaften weiter für (den Bundesgrenzschutz oder für) die Wahrnehmung der Landesverteidigung zu nutzen. Welcher Bedarf insoweit künftig zu decken sein würde, war 1963 nicht absehbar.
Das angefochtene Urteil kann hiernach keinen Bestand haben. Unter Aufhebung auch der erstinstanzlichen Entscheidung ist die Klage ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick ist wegen Urlaubs an der Unterzeichnung verhindert. Prof. Dr. Driehaus, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.05.2000 durch Riebe Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen