Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung von Lastenausgleichsleistungen. Schadensausgleich. Wegnahme. Rückgabe
Leitsatz (amtlich)
Maßgebliche Grundlage für den Rückforderungsanspruch wegen Schadensausgleichs nach § 349 LAG ist der durch den früheren bestandskräftigen Feststellungsbescheid im Lastenausgleichsverfahren festgestellte Schaden (im Anschluß an Urteile vom 22. Oktober 1998 – BVerwG 3 C 37.97 – BVerwGE 107, 294 und – BVerwG 3 C 16.98 – Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 6; wie Urteil vom 18. Mai 2000 – BVerwG 3 C 9.99).
Normenkette
LAG § 349 Abs. 1 S. 1, § 342 Abs. 3; BFG §§ 3-4
Verfahrensgang
VG Hannover (Entscheidung vom 27.09.1999; Aktenzeichen 5 A 3159/95) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 27. September 1999 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Parteien streiten darüber, ob die Lastenausgleichsbehörde berechtigt ist, die Klägerin nach § 349 LAG zur Rückgewähr erhaltener Lastenausgleichsleistungen zu verpflichten.
Die 1949 geborene Klägerin ist Miteigentümerin an Mietwohngrundstücken in L. Auf ihren Antrag stellte das Ausgleichsamt P. mit Bescheid vom 24. September 1984 einen Wegnahmeschaden an den Grundstücken fest. Mit Bescheid vom 8. Februar 1985 wurde ihr eine Hauptentschädigung in Höhe von 16 120 DM und ein Zinszuschlag in Höhe von 3 546,40 DM zuerkannt. Der Gesamtbetrag wurde ausgezahlt.
Nachdem das Ausgleichsamt P. den Beklagten Ende 1993 darauf hingewiesen hatte, daß seit der Wiedervereinigung die volle Verfügungsgewalt über die Vermögensteile wieder bestehe, forderte dieser mit Bescheid vom 30. November 1994 die gewährte Hauptentschädigung einschließlich Zinszuschlag wegen des Verlustausgleichs nach Wiederverfügbarkeit zurück.
Nach erfolglosem Beschwerdeverfahren hat die Klägerin Anfechtungsklage mit der Begründung erhoben, der Rückforderungsbescheid sei rechtswidrig, weil bei der Ermittlung der Rückforderung nicht auf den Verkehrswert der ehemaligen DDR abgestellt worden sei. § 349 LAG sei im übrigen verfassungswidrig, weil er zur Ungleichbehandlung führe und den Wertverlust des Eigentums während der Verwaltung in der DDR nicht berücksichtige. Während der Verwaltung durch die kommunale Gemeindewirtschaft in L. seien Schäden in Höhe von 446 000 DM entstanden, die ebenso wie die eingetragenen Aufbauhypotheken und Grundschulden wertmindernd berücksichtigt werden müßten. Im übrigen sei sie damals wie heute im Grundbuch eingetragen gewesen, so daß gar keine Rückgabe stattgefunden habe. Die Lastenausgleichsentschädigung habe sie für den Nutzungsentzug erhalten.
Mit Urteil vom 27. September 1999 hat das Verwaltungsgericht Hannover die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: § 349 Abs. 4 Sätze 1 und 3 LAG in der Fassung des 32. Änderungsgesetzes sei die zutreffende und verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Rückforderung. Wertminderungen während der Verwaltung in der DDR seien nicht zu berücksichtigen. Die Höhe der Rückforderung sei richtig berechnet. Auf den Verkehrswert der Grundstücke zu DDR-Zeiten komme es nicht an. Die Auffassung der Klägerin, sie habe Lastenausgleich wegen Nutzungsausfall erhalten, sei schon deshalb unrichtig, weil dieser gar nicht der Schadensfeststellung unterlegen habe.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Senat zugelassene Revision mit dem Ziel eingelegt, die angefochtenen Bescheide aufzuheben. Sie begründet sie mit Verfahrensmängeln und materieller Unrichtigkeit. Verfahrensfehlerhaft sei, daß ihr Vortrag, sie sei „damals wie heute im Grundbuch eingetragen gewesen”, außer acht gelassen worden sei. Vor diesem Hintergrund könne nämlich von einer Rückgabe keine Rede sein. Das Urteil habe sich mit den sich daraus ergebenden Zweifelsfragen überhaupt nicht auseinandergesetzt. Ihrer Auffassung nach sei die Regelung des § 349 LAG nur auf die zu Recht gewährten Ausgleichsleistungen anzuwenden. In ihrem Falle rechtswidriger Gewährung – bei ihr habe ein Wegnahmetatbestand gar nicht vorgelegen – kämen nur die allgemeinen Regeln über eine Wiederaufnahme des Verfahrens in Betracht.
Der Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds beim Bundesverwaltungsgericht tritt dem entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung. Dazu haben die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt (§ 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
Die Revision ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).
1. Die verfahrensrechtlichen Rügen der Revision gehen fehl. Das angefochtene Urteil ist entgegen der Behauptung der Klägerin erkennbar von dem vorgetragenen Sachverhalt, sie habe ihr Eigentum zwischenzeitlich nicht verloren, ausgegangen und hat mit dem Umfang seiner Erörterungen die Pflichten nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht verletzt.
2. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die in den angefochtenen Bescheiden des Beklagten angenommenen Voraussetzungen für eine Rückforderung von Lastenausgleichsleistungen lägen vor, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage der angefochtenen Rückforderungsbescheide ist § 349 des Lastenausgleichsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 845) und des im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung geltenden 32. Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes vom 27. August 1995 (BGBl I S. 1090).
Nach § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG sind „in den Fällen des § 342 Abs. 3” die zuviel gewährten Ausgleichsleistungen zurückzufordern. Ein Fall des § 342 Abs. 3 LAG liegt vor, wenn nach dem 31. Dezember 1989 ein Schaden ganz oder teilweise ausgeglichen worden ist. Diese Voraussetzung verneint die Revision zu Unrecht. Ihre Auffassung, die Rückforderung setze die Feststellung voraus, daß ursprünglich ein Schaden bestanden habe, für den Ausgleichsleistungen zu Recht gewährt worden seien, beruht auf einer unrichtigen Auslegung des § 349 LAG. Mit der rechtlichen Beschränkung der Rückforderung nach § 349 LAG auf frühere – ohne Berücksichtigung der Bestandskraft der im Lastenausgleichsverfahren ergangenen Feststellungs- und Gewährungsbescheide – rechtmäßige Leistungsgewährungen verkennt die Revision den Begriff des Schadens in § 342 Abs. 3 LAG. Maßgeblich ist danach der festgestellte Wegnahmeschaden, der im hier maßgeblichen Zusammenhang in der wirtschaftlichen Einschränkung der Verfügungsmöglichkeit bestand; sie hat zur Gewährung von Lastenausgleichsleistungen geführt und ist nach dem gesetzlichen Stichtag (31. Dezember 1989) weggefallen.
Betrachtet man das Tatbestandsmerkmal „Schaden” in § 342 Abs. 3 LAG nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit der Schadensausgleichsregelung in § 349 Abs. 3 Satz 1 LAG, in dem ausdrücklich von dem „festgestellten” Schaden die Rede ist, spricht schon der Wortlaut der gesetzlichen Regelung gegen die Auffassung der Revision. Er konkretisiert (vgl. § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG) die Rückforderungsregelung in den Fällen des § 342 Abs. 3 LAG und zeigt, daß die Frage des erfolgten Schadensausgleichs nach Maßgabe der ursprünglichen Schadensfeststellung zu beantworten ist.
Sinn und Zweck der Regelung des § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG, Doppelentschädigungen zu Lasten der öffentlichen Hand zu vermeiden (vgl. BTDrucks 12/2170, S. 11), gebieten ebenfalls die Auslegung, daß der Lastenausgleichsgewährung die Grundlage entzogen ist, wenn das Vermögensobjekt, für dessen Entzug Lastenausgleich gezahlt worden ist, nachträglich zurückerlangt wurde. Denn dann ist jedenfalls der festgestellte Schaden ausgeglichen. Insoweit kann es keine Rolle spielen, ob die ursprüngliche Schadensfeststellung rechtmäßig oder rechtswidrig war. Die Auffassung, gegebenenfalls werde die staatliche Einigung als Vorwand für eine Korrektur einer ursprünglichen Rechtswidrigkeit benutzt, entbehrt jeder Grundlage. Nicht eine ursprüngliche Rechtswidrigkeit ist der Grund für die Rückforderung; sie wird dementsprechend in den angefochtenen Bescheiden nicht einmal angesprochen. Der Grund ist vielmehr die Wiederherstellung der uneingeschränkten Verfügungsmöglichkeit im Gefolge der deutschen Einheit, deren Verlust seinerzeit als Wegnahme des Vermögensgegenstandes anerkannt worden ist. Die nach Maßgabe der Ausführungen in den Urteilen vom 22. Oktober 1998 (BVerwG 3 C 16.98 – Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 6 und BVerwG 3 C 37.97 – BVerwGE 107, 294 = Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 5) gebotene wirtschaftliche Betrachtung von „Wegnahme” und „Rückgabe” bzw. „Wiedererlangung der vollen Verfügungsbefugnis” ist selbst dann angezeigt, wenn die festgestellte Wegnahme nicht – wie bei einer Enteignung – in einem Eigentumsverlust (vgl. § 1 Abs. 1 bis 3 VermG) und auch nicht – wie bei der staatlichen Verwaltung – in einer erst durch einigungsbedingte Vorschriften (vgl. § 1 Abs. 4 VermG) aufzuhebenden Einschränkung der Verfügungsbefugnis, sondern „nur” in der dem „Westeigentümer” aufgezwungenen wirtschaftlichen Auszehrung des Eigentums bestand; auch in einem solchen Fall ist die „Wegnahme” bei wirtschaftlicher Betrachtung als Folge der deutschen Einheit entfallen.
Hinzu kommt, daß die gegenüber der seinerzeit bereits bestehenden Regelung der Verfahrenswiederaufnahme bei nachträglichem Schadensausgleich (§ 342 Abs. 2 Satz 1, Ziff. 2 LAG) im Hinblick auf die massenhafte Rückgabe von Vermögenswerten nach der deutschen Einheit vom Gesetzgeber eingeführte Vereinfachung der Rückforderungsabwicklung nach § 349 LAG (vgl. BTDrucks 12/2170, S. 11) ihren Sinn verlieren und geradezu in das Gegenteil verkehrt würde, wenn auch in diesem Rahmen jeweils die materiellrechtliche Rechtmäßigkeit der früheren Schadensfeststellung nachzuprüfen wäre.
Auf der Grundlage dieser Erwägungen kann die Revision keinen Erfolg haben. Das Verwaltungsgericht hat erkannt, die gesetzlichen Voraussetzungen des § 349 LAG für den Rückforderungsbescheid gegenüber der Klägerin seien erfüllt; dagegen ist auf der Grundlage seiner in der Revisionsinstanz nicht beanstandeten Feststellungen nicht zu erinnern. Der bestandskräftige Feststellungsbescheid ist auf den Wegnahmeschaden am Grundvermögen wegen der Verfügungseinschränkungen in der ehemaligen DDR gestützt. Das ergibt sich unmißverständlich aus dem Bescheid. Demgegenüber kann die Klägerin nicht mit Erfolg geltend machen, sie habe die Hauptentschädigung als Nutzungsentschädigung beantragt. Maßgebend ist der in den Bescheiden festgestellte Grund für die Zuerkennung der Lastenausgleichsleistung. Im übrigen hätte die Klägerin unter der von ihr geltend gemachten Vorgabe keine Lastenausgleichsleistungen erlangen können. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 BFG unterliegen die angeführten Nutzungsschäden nämlich nicht der Schadensfeststellung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Fundstellen