Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhaltungssatzung. Milieuschutzsatzung. Zusammensetzung der Wohnbevölkerung. städtebauliche Gründe. Einbau einer Loggia. Verdrängungsgefahr. Vorbildwirkung. Prognose. Lebenserfahrung. atypische Fallgestaltung. Mietbelastungsobergrenze. Höchstbelastungswert. Ermessen
Leitsatz (amtlich)
Eine Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB (“Milieuschutzsatzung”) kann für ein Gebiet mit jeder Art von Wohnbevölkerung erlassen werden, soweit deren Zusammensetzung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll.
Für die Versagung der Genehmigung nach § 172 Abs. 4 Satz 1 BauGB reicht es aus, wenn die Baumaßnahme (hier: Einbau einer Loggia in eine Dachgeschoßwohnung) generell, insbesondere auch im Hinblick auf ihre Vorbildwirkung, geeignet ist, die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu verändern.
Bei der Prognose einer Verdrängungsgefahr darf sich die Gemeinde auf nach der Lebenserfahrung typische Entwicklungen stützen. Mietbelastungsobergrenzen können geeignete Indikatoren sein.
Auch bei Annahme einer Verdrängungsgefahr scheidet in atypischen Fällen eine Genehmigung der beantragten Maßnahme nach pflichtgemäßem Ermessen nicht von vornherein aus. Die Gemeinde muß jedoch Ermessenserwägungen nur anstellen, wenn Anhaltspunkte für eine atypische Fallgestaltung vorliegen.
Normenkette
BauGB § 172 Abs. 4
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Entscheidung vom 12.02.1996; Aktenzeichen 14 B 90.1485) |
VG Ansbach (Entscheidung vom 21.03.1990; Aktenzeichen 3 K 89.791) |
Tenor
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin beantragte am 27. April 1988 die Genehmigung zum Einbau einer Loggia in eine 77 m(2) große Dachgeschoßwohnung, die in der N…. Altstadt im Bereich einer im Jahr 1985 in Kraft getretenen Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB (früher: § 39 h BBauG) liegt. Die beklagte Stadt hat die Genehmigung versagt, weil die beabsichtigte Umbaumaßnahme die Gefahr der Verdrängung der ansässigen Wohnbevölkerung in sich berge. Die Umbaukosten in Höhe von etwa 25 000 DM führten bei einer gesetzlich zulässigen Umlage von 11 % zu einer Mieterhöhung von 2,98 DM pro Quadratmeter. Damit würde die sog. Höchstbelastungsmietengrenze um rund 43 % überschritten werden. Die Beklagte benützt die Höchstbelastungsgrenze als Indikator für die Gefahr der Verdrängung der ansässigen Wohnbevölkerung. Die Höchstbelastungsgrenze wird auf der Basis der durch Haushaltsbefragungen ermittelten gebietsspezifischen Einkommensstrukturen ermittelt und gibt Aufschluß über die finanzielle Belastbarkeit der jeweils ansässigen Wohnbevölkerung. Die Beklagte geht davon aus, daß für die Bewohner des Satzungsgebiets lediglich ein bestimmter Prozentsatz des durchschnittlich verfügbaren Haushaltseinkommens für Mietzahlungen zur Verfügung steht. Bei der Festlegung der Höchstbelastungsgrenze werden auch unterschiedliche Haushaltsgrößen und Wohnungsgrößen des Satzungsgebiets berücksichtigt. Die Höchstbelastungsgrenze liegt zwischen 23 % und 30 % des Durchschnittseinkommens. Die Beklagte unterstellt, daß es bei Überschreitung der Höchstbelastungsgrenze mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Verdrängung der angestammten Wohnbevölkerung mit den damit verbundenen negativen städtebaulichen Folgen kommt. Den städtebaulichen Grund für die Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung sieht die Beklagte hier in erster Linie darin, daß der niedrige Motorisierungsgrad (56 % der Haushalte ohne Pkw) der geringen Aufnahmekapazität der engen Altstadtgassen entspreche, daß die Infrastruktur des Gebiets auf die relativ einfachen Wohn- und Einkommensverhältnisse abgestellt sei, daß bei Verdrängung der ansässigen Bevölkerung frühzeitig Altenheimplätze oder an anderer Stelle günstiger Wohnraum bereitgestellt werden müsse.
Die Klägerin hat gegen die Versagung der Genehmigung eingewandt, der Einbau der Loggia habe weder negative städtebauliche Folgen noch führe er zu einer Veränderung der Struktur der Wohnbevölkerung. In dem Gebiet gebe es keine spezifische Bevölkerungsstruktur, die in ihrer typischen Ausprägung erhaltenswert sei. Sie werde die Umbaukosten nicht auf die Miete der Wohnung umlegen, sondern die Miete nach dem Nürnberger Mietspiegel festsetzen. Die Wohnung stehe derzeit leer, so daß auch niemand durch den Umbau verdrängt werde. Die Höchstbelastungsgrenze der Beklagten stelle einen unzulässigen Eingriff in den Wohnungsmarkt dar.
Der Widerspruch der Klägerin, ihre Klage und ihre Berufung blieben erfolglos. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Erhaltungssatzung sei gültig. Für die Wirksamkeit sei nicht Voraussetzung, daß im Satzungsbereich eine Bevölkerungsstruktur bestehe, die im Vergleich zu anderen Wohngebieten Besonderheiten aufweise. Entscheidend sei, daß das Erscheinungsbild des Gebiets von einer besonderen Bau- und Infrastruktur geprägt sei, die auf die Bedürfnisse der dort wohnenden Bevölkerung zugeschnitten sei und aus diesem Grund erhalten werden solle. Hier handle es sich um ein gewachsenes Gebiet mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil alter Menschen, einer geringen Mobilitätsrate und einer unterdurchschnittlichen Pkw-Quote pro Haushalt. Das niedrige Einkommensniveau werde teilweise durch niedrige Mieten kompensiert; die Infrastruktureinrichtungen seien auf die ansässige Bevölkerung abgestimmt. Diese Voraussetzungen hätten nicht nur bei Satzungserlaß vorgelegen, sondern auch noch bei einer von der Beklagten im Jahr 1993 durchgeführten Überprüfung.
Bei dem Einbau der Loggia handle es sich nicht nur um eine Instandhaltungsmaßnahme, sondern um eine genehmigungspflichtige Umbaumaßnahme. Die Versagung der Genehmigung liege nicht im Ermessen der Beklagten. Sie sei zu Recht versagt worden, weil die Maßnahme generell geeignet sei, die vorhandene Wohnbevölkerung zu verdrängen. Ausschlaggebend sei nicht, ob der konkrete Mieter aus der Wohnung verdrängt werde. Es gehe nicht um seinen individuellen Schutz, sondern allgemein um die Erhaltung der Bevölkerungsstruktur. Die zu vermeidende Veränderung sei ein langfristiger Vorgang, der von einer einzelnen Maßnahme in aller Regel nur ausgelöst oder eingeleitet, nicht aber herbeigeführt werde. Die Einzelmaßnahme könne aber, wie hier, negative Vorbildwirkung haben.
Die von der Beklagten verwendete Höchstbelastungsgrenze sei ein geeigneter Indikator für eine Verdrängungsgefahr. Hierbei handle es sich weder um einen Mietspiegel noch um die Regelung der zulässigen Miete in einem konkreten Mietverhältnis. Durch den Grenzwert werde vielmehr dem Umstand Rechnung getragen, daß der Verdrängungseffekt vom gebietstypischen Haushaltsnettoeinkommen abhänge. Modernisierungsvorhaben würden damit grundsätzlich nur in dem Umfang genehmigt, wie sie in ihren finanziellen Konsequenzen für einen Durchschnittshaushalt im betreffenden Gebiet noch zumutbar seien. Hier ergebe sich – bezogen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung – nach Einbau der Loggia ein Mietpreis von 10,60 DM pro Quadratmeter, der deutlich über der Höchstbelastungsgrenze von 8,37 DM liege.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Senat zugelassene Revision eingelegt, mit der sie weiterhin die Verpflichtung der Beklagten begehrt, die beantragte Baugenehmigung zum Einbau einer Loggia zu erteilen.
Zur Begründung der Revision hat die Klägerin insbesondere vorgetragen:
Das Berufungsgericht habe in bezug auf die dem Höchstbelastungswert zugrundeliegenden Annahmen wie auch in bezug auf die Anwendung dieses Wertes seine Aufklärungspflicht verletzt. Das Berufungsgericht habe auch nicht darauf hingewiesen, daß die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen entscheidungserheblich seien; dadurch sei die Gewährung rechtlichen Gehörs vereitelt worden.
Auch in der Sache sei die Entscheidung des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft. Das gelte insbesondere für die Annahme einer besonderen, des Schutzes bedürfenden Bevölkerungsstruktur, die Annahme einer Verdrängungsgefahr und die dieser Annahme zugrundeliegende Nichtunterscheidung zwischen mikro- und makroökonomischen Gegebenheiten. Auch werde mit dem Höchstbelastungswert in unzulässiger Weise Mieterschutz betrieben. Er stehe im eindeutigen Gegensatz zu den im Nürnberger Mietspiegel angeführten ortsüblichen Vergleichsmieten.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
Der Oberbundesanwalt führt aus, bei einer baulichen Aufwertung durch Umbau und Modernisierungsmaßnahmen oberhalb des bauordnungsrechtlich vorgeschriebenen Mindeststandards entstünden für ein Gebiet mit niedrigem Mietniveau grundsätzlich eine Verdrängungsgefahr und dadurch städtebauliche Folgeprobleme. Ein Miethöchstbelastungswert sei ein geeigneter Indikator. Ein Ermessen zur Erteilung der Genehmigung besehe bei Vorliegen von Versagungsgründen nicht.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß der Klägerin kein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung zum Einbau einer Loggia in die Dachgeschoßwohnung zusteht.
Die Wohnung liegt in einem Gebiet, für das die Beklagte gemäß § 39 h Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 BBauG (vgl. jetzt § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB) durch Satzung festgelegt hat, daß zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung u.a. die Änderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedarf.
Bedenken gegen die formelle Gültigkeit der Satzung hat die Klägerin nicht (mehr) geltend gemacht. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Satzung ist auch inhaltlich von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Das Gesetz stellt an die Art der Wohnbevölkerung, deren Zusammensetzung durch eine Erhaltungssatzung (auch “Milieuschutzsatzung” genannt) gewahrt werden soll, keine besonderen Anforderungen. Ziel der Satzung ist es, den in einem intakten Gebiet wohnenden Menschen den Bestand der Umgebung zu sichern und so die Bevölkerungsstruktur in einem bestimmten Ortsteil vor unerwünschten Veränderungen zu schützen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluß vom 20. Januar 1987 – 1 BvR 969/83 – DVBl 1987, 465). Schutzwürdig ist deshalb ein Gebiet mit grundsätzlich jeder Art von Wohnbevölkerung, soweit deren Zusammensetzung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll (nahezu einhellige Meinung, vgl. etwa VGH Mannheim, NVwZ-RR 1994, 313; OVG Lüneburg, NJW 1984, 2905; Hessischer VGH, DVBl 1986, 693; Lemmel, Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Auflage, Rn. 8 zu § 172; Bielenberg/Stock, Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand 1. Juni 1996, Rnrn. 39 ff. zu § 172, jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese städtebauliche Zielsetzung ist das entscheidende inhaltliche Kriterium für die Abgrenzung des Gebiets einer Erhaltungssatzung. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte hier als besondere städtebauliche Gründe ins Feld geführt, daß die Infrastruktureinrichtungen des Altstadtgebiets abgestimmt seien auf die ansässige Bevölkerung, die gekennzeichnet sei durch geringe Mobilität bei einem hohen Anteil älterer Personen und durch ein niedriges Einkommensniveau. Preisgünstiger Ersatzwohnraum könne für die ansässige Bevölkerung im Falle ihrer Verdrängung nicht zur Verfügung gestellt werden. Mit dem Zuzug einkommensstärkerer Bevölkerungskreise in das Satzungsgebiet sei eine Erhöhung des jetzt unterdurchschnittlichen Motorisierungsgrads verbunden; das würde Um- und Neubaumaßnahmen erforderlich machen.
Diese Gründe sind geeignet, als auf die konkrete Situation bezogene und deshalb “besondere” (vgl. zu der entsprechenden Formulierung in § 1 Abs. 9 BauNVO Urteil vom 22. Mai 1987 – BVerwG 4 C 77.84 – Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 5 = NVwZ 1987, 1074) städtebauliche Zielsetzungen den Erlaß einer Erhaltungssatzung zu rechtfertigen.
Bei dem beabsichtigten Einbau einer Loggia handelt es sich um eine Änderung einer baulichen Anlage im Sinne von § 172 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Durch die Maßnahme wird zum einen in die bauliche Substanz des vorhandenen Gebäudes eingegriffen. Die Maßnahme ist zum anderen auch vom Umfang her geeignet, die Ziele der Erhaltungssatzung zu berühren, da sie jedenfalls prinzipiell zu einer Mieterhöhung und damit möglicherweise zu der Gefahr der Verdrängung der ansässigen Bevölkerung führen kann (vgl. Lemmel, Berliner Kommentar, Rn. 12 zu § 172 BauGB).
Das Berufungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung für den Einbau der Loggia hat. Aus der Formulierung in § 172 Abs. 4 Satz 1 BauGB folgt im Umkehrschluß, daß die Genehmigung versagt werden darf, wenn die bauliche Maßnahme geeignet ist, die Gefahr der Verdrängung der vorhandenen Wohnbevölkerung hervorzurufen, und wenn eine solche Verdrängung aus den besonderen städtebaulichen Gründen nachteilige Folgen haben würde. Da das Ziel der Satzung die Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung im Satzungsgebiet ist, ist es für die Erteilung oder Versagung der Genehmigung nicht entscheidend, ob durch die konkrete Baumaßnahme die davon betroffenen Bewohner tatsächlich verdrängt werden. Es reicht vielmehr aus, wenn die Baumaßnahme generell geeignet ist, eine solche Verdrängungsgefahr auszulösen. Die Erhaltungssatzung dient als städtebauliches Instrument nicht – jedenfalls nicht unmittelbar – dem Schutz einzelner konkreter Bewohner, sondern dem allgemeineren und längerfristigen Ziel, die Struktur der Wohnbevölkerung zu erhalten. Dieses Planungsziel kann nur bei Anknüpfung an objektive und dauerhafte Gegebenheiten erreicht werden, die durch eine Umbaumaßnahme in der Regel verändert werden. Die Versagung der Genehmigung kommt deshalb auch dann in Betracht, wenn die Wohnung, an der bauliche Veränderungen vorgenommen werden sollen, derzeit leer steht oder wenn die davon betroffenen derzeitigen Bewohner mit der Baumaßnahme einverstanden sind (vgl. auch VGH Kassel, NVwZ-RR 1993, 401). Da eine einzelne Baumaßnahme innerhalb eines größeren Satzungsgebiets kaum jemals zu einer städtebaulich ins Gewicht fallenden Änderung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung führen wird, darf eine solche Maßnahme auch nicht isoliert gesehen werden. Es kommt vielmehr darauf an, ob die einzelne Maßnahme aufgrund ihrer Vorbildwirkung geeignet ist, eine Entwicklung in Gang zu setzen, die tendenziell die Veränderung der Zusammensetzung der vorhandenen Wohnbevölkerung nach sich zieht (vgl. zur ähnlichen Problematik bei den sog. Fremdenverkehrssatzungen nach § 22 BauGB: Urteil vom 27. September 1995 – BVerwG 4 C 12.94 – BVerwGE 99, 237 = Buchholz 406.11 § 22 BauGB Nr. 3). Das verkennt die Klägerin, wenn sie dem Berufungsgericht vorwirft, nicht zwischen “makro- und mikroökonomischer Betrachtungsweise” zu unterscheiden.
Die Frage, ob eine einzelne genehmigungspflichtige Baumaßnahme zu einer solchen allgemeinen Verdrängungsgefahr führt, ist in den meisten Fällen nur aufgrund einer Prognose der künftigen Entwicklung zu beantworten. Die Beklagte legt ihrer Prognoseentscheidung den sog. Höchstbelastungswert zugrunde; sie unterstellt eine Verdrängungsgefahr, wenn die nach Durchführung der Baumaßnahme erzielbare Miete den Höchstbelastungswert übersteigt. Dieser Wert wird aus statistischen Daten errechnet, die die Beklagte für jedes Satzungsgebiet gesondert erhebt und in gewissen Zeitabständen aktualisiert. Dabei werden fünf Parameter zueinander in Beziehung gesetzt: Die Zimmerzahl der Wohnung, die der Zimmerzahl durchschnittlich entsprechende Wohnungsgröße in Quadratmetern, die dieser Wohnungsgröße durchschnittlich entsprechende Zahl der zum Haushalt gehörenden Personen, das durchschnittlich verfügbare Nettoeinkommen sowie die Annahme, daß vom verfügbaren durchschnittlichen Nettoeinkommen höchstens ein bestimmter Prozentsatz für Mietzahlungen zur Verfügung steht.
Diese von der Beklagten verwendeten Hilfsindikatoren für die Verdrängungsgefahr können rechtlich nicht beanstandet werden. Die gerichtliche Kontrolle dieser ihrem Wesen nach prognostischen Entscheidung der Beklagten bezieht sich allein darauf, ob die der Prognose zugrunde gelegten Maßstäbe methodisch fachgerecht erstellt wurden. Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Es entspricht der Lebenserfahrung, daß bauliche Maßnahmen, die zu Mieterhöhungen führen können, die über der für das Erhaltungsgebiet ermittelten Durchschnittsmiethöhe oder auch durchschnittlichen Mietbelastungsgrenze liegen, tendenziell zur Gefahr der Verdrängung der ansässigen Wohnbevölkerung führen (vgl. auch Lemmel, a.a.O., Rn. 26). Der Einbau einer Loggia in eine Dachgeschoßwohnung kann geradezu als Musterbeispiel einer baulichen Maßnahme dienen, die der Tendenz nach geeignet ist, dem Ziel einer Erhaltungssatzung in einem Gebiet wie der Altstadt der Beklagten entgegenzuwirken.
Das Verfahren der Beklagten zur Ermittlung der Verdrängungsgefahr mittels der Höchstbelastungswerte weist einen Differenzierungsgrad auf, der an sich zum Vollzug einer Erhaltungssatzung nicht stets geboten erscheint. Es wird vielmehr in aller Regel ausreichen, bei Modernisierungsmaßnahmen, die über den im Erhaltungsgebiet üblichen Ausstattungsstandard hinausgehen und die zu einer nicht nur geringfügigen Mieterhöhung führen können, allgemein von einer Verdrängungsgefahr auszugehen. Wenn die Beklagte hier mehr tut als rechtlich unbedingt erforderlich, so kann ihr das nicht zum Nachteil gereichen. Ihrem prognostischen Verfahren könnte aus Rechtsgründen nur entgegengetreten werden, wenn sie willkürliche Annahmen zugrunde legen oder von offensichtlichen Unwahrscheinlichkeiten ausgehen würde (vgl. allgemein zu Prognoseentscheidungen z.B. Urteil vom 6. Dezember 1985 – BVerwG 4 C 59.82 – BVerwGE 72, 282 ≪286≫). Davon kann jedoch keine Rede sein.
Das Berufungsgericht ist somit zutreffend davon ausgegangen, daß die beabsichtigte Umbaumaßnahme die Gefahr der Verdrängung der ansässigen Wohnbevölkerung nach sich zieht und daß deshalb die Genehmigung nach § 172 Abs. 4 Satz 1 BauGB versagt werden konnte.
Der Wortlaut dieser Bestimmung schließt es allerdings nicht aus, daß die Genehmigung trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes gleichwohl nach pflichtgemäßem Ermessen erteilt werden kann. Soll bei Vorliegen eines Versagungsgrundes die Erteilung einer Genehmigung strikt ausgeschlossen sein (gebundene Entscheidung), so bringt das Gesetz das regelmäßig dadurch zum Ausdruck, daß die Genehmigung “zu versagen ist” (vgl. z.B. § 20 Abs. 1 BauGB). Auch bei der Formulierung “darf nur versagt werden, wenn” kann sich aus dem Regelungszusammenhang ergeben, daß bei Vorliegen von Versagungsgründen kein Ermessensspielraum mehr für die Erteilung der Genehmigung bestehen soll, wie das etwa hinsichtlich der Genehmigung des Flächennutzungsplans anzunehmen sein wird (vgl. § 6 Abs. 2 BauGB). Ein solcher für die zwingende Genehmigungsversagung sprechender Regelungszusammenhang ist indes bei § 172 Abs. 4 BauGB nicht in der Weise eindeutig erkennbar, daß trotz des Wortlauts ein Ermessensspielraum ausscheiden müßte. Der Senat vermag es nicht auszuschließen, daß es auch bei Annahme einer Verdrängungsgefahr im Einzelfall atypische Fallgestaltungen geben mag, die gleichwohl die Erteilung der Genehmigung im Ermessenswege rechtfertigen. Es läßt sich nicht erkennen, daß der Gesetzgeber auch in diesen Fällen eine strikte Regelung im Sinne der zwingenden Genehmigungsversagung normieren wollte (so auch im Ergebnis, aber ohne Begründung, Urteil vom 3. Juli 1987 – BVerwG 4 C 26.85 – BVerwGE 78, 23 = Buchholz 406.11 § 39 h BBauG Nr. 1 zu § 39 h BBauG).
Auch bei Annahme einer Ermessensentscheidung bestehen hier an der Rechtmäßigkeit der Genehmigungsversagung keine Zweifel. Zwar enthält der Versagungsbescheid vom 8. September 1988 keine ausdrücklichen Ermessenserwägungen; er begnügt sich vielmehr mit dem Hinweis, daß die Genehmigung nicht erteilt werden könne, weil die Höchstbelastungsmietgrenze um ca. 43 % überschritten und somit die Belange der Erhaltungssatzung beeinträchtigt würden. Die Beklagte hat aber – wie sich aus der Korrespondenz vor Erteilung des förmlichen Bescheids ergibt – ebenfalls berücksichtigt, daß die Wohnung der Klägerin bei der heutigen Marktsituation auch ohne die Umbaumaßnahme problemlos zu vermieten sei (vgl. Schreiben der Beklagten vom 31. Mai 1988). Damit hat die Beklagte der Sache nach auch geprüft, ob die Versagung der Genehmigung für die Klägerin wirtschaftlich zumutbar ist (nach der vorgesehenen Änderung der Bestimmung soll ein Ermessensspielraum offenbar nur für den Fall der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit bestehen, vgl. BTDrucks 13/7588). Da der Klägerin diese Überlegungen bekannt waren, bedurfte es keines ausdrücklichen Eingehens auf diese Erwägungen im Ablehnungsbescheid selbst (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG). Sonstige Gründe, die hier trotz Vorliegens der Verdrängungsgefahr die Erteilung der Genehmigung im Ermessenswege hätten nahelegen können, sind weder von der Klägerin vorgetragen noch sonst ersichtlich, so daß auch das Fehlen weiterer Erwägungen im Ablehnungsbescheid nicht zu dessen Rechtswidrigkeit führt (vgl. auch Lemmel, a.a.O., Rn. 19; zu einer Reduzierung der Begründungspflicht bei Ermessensausübung vgl. auch Beschluß vom 28. August 1980 – BVerwG 4 B 67.80 – Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 168 = BRS 36 Nr. 93).
Auch die Verfahrensrügen greifen nicht durch. Die Aufklärungsrüge genügt nicht den Darlegungsanforderungen. Wird die mangelhafte Erforschung des Sachverhalts gerügt, so ist substantiiert darzulegen, entweder welche Beweise angeboten worden sind oder welche Ermittlungen sich dem Gericht hätten aufdrängen müssen, welche Beweismittel in Betracht gekommen wären und welches Ergebnis von einer entsprechenden Beweisaufnahme zu erwarten gewesen wäre. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. Ihre Auffassung, das Berufungsgericht habe davon ausgehen müssen, daß nach dem Einbau der Loggia wegen der damit verbundenen Reduzierung der Wohnfläche der Berechnung des Höchstbelastungswerts eine Drei-Zimmer-Wohnung zugrunde zu legen sei, trifft außerdem nicht zu; denn aus den Bauantragsunterlagen ergibt sich, daß auch nach dem Einbau der Loggia noch eine Vier-Zimmer-Wohnung vorhanden wäre.
Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Der Klägerin mußte bereits durch den im Verwaltungsverfahren geführten Schriftwechsel, aber auch durch das Urteil des Verwaltungsgerichts und schließlich durch das Aufklärungsschreiben des Berufungsgerichts vom 31. August 1995 klar sein, daß der Art und Weise der Berechnung des Höchstbelastungswerts entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen würde. Es wäre Sache der Klägerin gewesen, zu den in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht übergebenen Berechnungsunterlagen prozessuale Anträge zu stellen, falls diese Unterlagen für sie unklar gewesen sein sollten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Gaentzsch, Hien, Lemmel, Heeren, Halama
Fundstellen
BVerwGE, 67 |
DÖV 1997, 1049 |
BRS 1997, 813 |
BRS 1998, 813 |
DVBl. 1998, 40 |