Leitsatz (amtlich)
1. Verfehlungen heranwachsender Soldaten können disziplinarrechtlich milder beurteilt werden, wenn sie im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG von jugendlicher Unreife geprägt sind.
2. Die überlange Dauer des Einleitungsverfahrens verletzt Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK und ist disziplinarrechtlich durch eine Maßnahmemilderung auszugleichen.
Verfahrensgang
Truppendienstgericht Nord (Urteil vom 21.03.2018; Aktenzeichen N 6 VL 32/17) |
Tatbestand
Rz. 1
Das Disziplinarverfahren betrifft eine eigenmächtige Abwesenheit eines heranwachsenden Soldaten für zwei Wochen.
Rz. 2
...
Rz. 3
...
Rz. 4
...
Rz. 5
Wegen des hier angeschuldigten Fernbleibens vom Dienst wurde dem Soldaten unter dem 11. Mai 2015 ein ausdrücklicher Hinweis auf eine im Wiederholungsfall drohende vorzeitige Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG erteilt. Das wegen der unerlaubten Abwesenheit geführte Strafverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft im Mai 2015 nach jugendstrafrechtlichen Grundsätzen eingestellt. Es liege zwar eine Wehrstraftat vor; eine zusätzliche erzieherische Einwirkung sei im Hinblick auf die disziplinarische Ahndung jedoch nicht nötig. Zuvor hatte der Kompaniechef... wegen des angeschuldigten Verhaltens unter dem 2. Oktober 2014 eine Disziplinarbuße in Höhe von 800 € verhängt.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
1. Nach Aufnahme disziplinarer Vorermittlungen am 20. Juli 2015 leitete der Kommandeur der... das gerichtliche Disziplinarverfahren mit Verfügung vom 19. Oktober 2015 ein. In der Folgezeit führte die Wehrdisziplinaranwaltschaft das Vorermittlungsverfahren durch und warf dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 20. Oktober 2017 folgende Pflichtverletzungen vor: Er sei am 1. September 2014 nicht um 07:00 Uhr zum Dienst in seiner Einheit erschienen, sondern ihr bis zu seiner Rückkehr am 15. September 2014 um 07:00 Uhr unerlaubt ferngeblieben. Zur Verschleierung dessen habe er dem Hauptgefreiten A am 31. August und 1. September 2014 per SMS bewusst wahrheitswidrig mitgeteilt, er leide an Durchfall, sei zum Arzt gegangen und habe den Status "krank zu Hause" erhalten. Dadurch habe er den Hauptgefreiten veranlasst, die vermeintliche Krankschreibung am 2. September 2014 dem Hauptfeldwebel B zu melden. Ferner habe der Soldat es nach seinem Arztbesuch vom 8. September 2014 am Sanitätsversorgungszentrum Z vorschriftswidrig unterlassen, seiner Einheit die standortfremde Krankmeldung mitzuteilen und die Entscheidung zumindest seines Kompaniefeldwebels über seinen Aufenthaltsort einzuholen. Zugleich habe er gegen den Befehl von Oberstabsarzt C verstoßen, sich am 11. September 2014 bei dem Truppenarzt seines Standorts oder bei seiner Einheit wiedervorzustellen. Schließlich habe er bei der disziplinarischen Befragung durch Frau Oberleutnant D am 24. September 2014 bewusst wahrheitswidrig angegeben, er habe sich bereits am 1. September 2014 im Sanitätsversorgungszentrum Z vorgestellt.
Rz. 7
2. Das Truppendienstgericht Nord hat mit Urteil vom 21. März 2018 unter Feststellung eines Dienstvergehens das gerichtliche Disziplinarverfahren eingestellt. Aufgrund der weitgehend geständigen Einlassungen des Soldaten ging es in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass der Soldat im angeschuldigten Zeitraum unerlaubt dem Dienst fernblieb. Er habe die angeschuldigten unwahren Aussagen gemacht, sich am 8. September 2014 beim Oberstabsarzt C im Sanitätsversorgungszentrum vorgestellt und eine Krankschreibung erhalten. Er habe die Krankschreibung aber nicht in der Einheit eingereicht und sei auch der Anweisung, sich am 11. September 2014 dort zurückzumelden, nicht gefolgt.
Rz. 8
In rechtlicher Hinsicht liege ein Dienstvergehen vor. Die Pflicht zum treuen Dienen habe der Soldat dadurch verletzt, dass er vorsätzlich sieben Tage dem Dienst unerlaubt fern geblieben sei. Die Abwesenheitszeiten während der Wochenenden und während der Krankschreibung seien nicht einzurechnen. Ferner habe der Soldat seine Wahrheitspflicht durch falsche Angaben gegenüber dem Hauptgefreiten A und der Frau Oberleutnant D verletzt. Einher gehe damit die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswahrendem Verhalten im dienstlichen Bereich. Mit der unterlassenen Meldung nach Krankschreibung habe er wissentlich gegen die ihm bekannte Weisung aus der Anlage 11 der ZDv 10/5 und damit ebenfalls gegen die Pflicht zum treuen Dienen verstoßen. Dabei handele es sich jedoch ebenso wenig um einen Befehl wie bei der Anweisung des Oberstabsarztes, sich drei Tage später beim Truppenarzt des Standortes zurückzumelden.
Rz. 9
Da der Soldat insgesamt sieben Tage rechtswidrig und schuldhaft dem Dienst ferngeblieben sei, bilde eine Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Es sei für den Dienstherrn nicht unzumutbar, das Dienstverhältnis fortzusetzen, weil sowohl das Vertrauen der militärischen Vorgesetzten als auch das objektive Vertrauen des Gerichts in die zukünftig korrekte Pflichterfüllung gegeben seien. Der Beweggrund für die Abwesenheiten sei eigennützig gewesen, auch wenn der Soldat aus Mitleid mit seiner Freundin gehandelt habe. Seine Freundin sei wegen eines Schlaganfalls ihrer Großmutter verstört gewesen und er habe sich verpflichtet gefühlt, die Freundin zu unterstützen. Bei der ersten Abwesenheit liege eine unbedachte Augenblickstat vor, weil der Soldat schon auf dem Weg zum Dienstort gewesen und dann umgekehrt sei. Dies spreche eindeutig für unüberlegtes, spontanes Handeln. Der Soldat sei zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung gerade 19 Jahre alt gewesen und die Pflichtverletzung sei jugendtypisch von dem emotionalen Aspekt, sich zu impulsiven Handlungen hinreißen zu lassen, geprägt gewesen. Nach der Tat habe der Soldat sein Leistungsbild kontinuierlich gesteigert. Er werde jetzt zu Aufgaben eingesetzt, die seine Dienstgradebene überstiegen, so dass der Milderungsgrund der Nachbewährung vorliege.
Rz. 10
Eine Disziplinierung des Soldaten sei nicht mehr notwendig. Das Disziplinarrecht solle nicht sühnen, sondern für die Zukunft formen. Der Soldat habe sich in der Hauptverhandlung von seinem damaligen Handeln klar distanziert. Angesichts eines durchgehend reuigen, geständigen und verständigen Soldaten, dem von seinem Einheitsführer ein guter Leumund gegeben und ein ordnungsgemäßes Verhalten bescheinigt worden sei, sei keine weitere Disziplinarmaßnahme mehr erforderlich. Dabei sei auch die Verfahrensdauer heranzuziehen. Seit der Tat seien dreieinhalb Jahre vergangen, in denen der Soldat ständig mit dem Disziplinarverfahren belastet gewesen sei und er ein faktisches Beförderungsverbot erlitten habe; er hätte ansonsten schon Stabsunteroffizier sein können. Da in seiner Laufbahn die Beförderungen in den ersten vier Jahren rasch erfolgten, seien die vergangenen dreieinhalb Jahre für ihn eine schmerzhafte Mahnung gewesen, wodurch die Notwendigkeit einer weiteren Disziplinierung entfalle.
Rz. 11
3. Gegen das Urteil hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft zu Ungunsten des Soldaten in vollem Umfang Berufung eingelegt. In tatsächlicher Hinsicht habe das Truppendienstgericht nicht berücksichtigt, dass der Soldat am 8. September 2014 nach eigener Einlassung eine Erkrankung nur simuliert habe. In rechtlicher Hinsicht sei die Zeit der Krankschreibung schon deswegen als unerlaubt zu werten, weil die Anwesenheitspflicht eines Soldaten nach der Dienstordnung der Bundeswehr nicht mit der Krankschreibung, sondern erst mit seiner Freistellung durch den Disziplinarvorgesetzten entfalle. Diese Freistellung sei nicht erteilt worden. Der Soldat sei somit unter Begehung einer Wehrstraftat nach § 15 WStG in einem zusammenhängenden Zeitraum von insgesamt zwölf Tagen ohne Erlaubnis dem Dienst fern geblieben. Dabei seien noch erschwerende Umstände zu berücksichtigen. Der Soldat habe ein Lügenkonstrukt aufgebaut. Selbst bei dem Geständnis der Tat gegenüber dem Disziplinarvorgesetzten habe er durch die unrichtige Entschuldigung seines Verhaltens mit einem Todesfall in der Familie erneut die Wahrheitspflicht verletzt. Ferner liege in der Missachtung des von Oberstabsarzt C angeordneten Wiedervorstellungstermins eine Befehlsverweigerung.
Rz. 12
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bilde bei einer zusammenhängenden Abwesenheit von insgesamt zwölf Tagen die Entfernung aus dem Dienstverhältnis. Es lägen zwar gewichtige Milderungsgründe vor; eine unbedachte Augenblickstat sei jedoch nicht anzunehmen, weil ein Dauerdelikt vorliege. Die Nachbewährung führe nicht zwingend dazu, dass das Erziehungserfordernis entfalle. Die jugendliche Unreife des Soldaten könne sich zumessungsrelevant auswirken; Jugendstrafrecht und Disziplinarrecht hätten jedoch unterschiedliche Anwendungsbereiche. Für junge Soldaten gelte im Dienst ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab, der disziplinarrechtlich zu berücksichtigen sei. Für das Pflichtbewusstsein und die Disziplin junger Soldaten sei es verheerend, wenn unerlaubte Abwesenheiten ohne fühlbare disziplinare Konsequenzen blieben.
Rz. 13
Die zulässige Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist begründet. Da das Rechtsmittel in vollem Umfang eingelegt worden ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung aufgrund eigener Tat- und Schuldfeststellungen über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Dabei erweist sich die Verhängung eines zwölfmonatigen Beförderungsverbots als schuld- und tatangemessen. Für die vom Truppendienstgericht ausgesprochene Einstellung des Verfahrens bestand keine rechtliche Grundlage, da die Voraussetzungen des § 108 Abs. 3 WDO nicht vorlagen.
Rz. 14
1. Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass der angeschuldigte Sachverhalt weitgehend zutrifft.
Rz. 15
a) Dass der Soldat am 1. September 2014 nicht um 07:00 Uhr zum Dienst erschienen und bis zum 15. September um 07:00 Uhr abwesend gewesen ist, steht in objektiver Hinsicht fest. Dies folgt aus den Zeugenaussagen und den insoweit geständigen Einlassungen des Soldaten, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht. Ferner hat er dem Hauptgefreiten A am 31. August 2014 und 1. September 2014 zwei SMS-Nachrichten mit dem unzutreffenden Inhalt übermittelt, er leide an Durchfall und sei "krank zu Hause" geschrieben. Der Soldat hat zwar wenig glaubhaft ausgeführt, er könne sich nicht mehr daran erinnern, auf Vorhalt aber eingeräumt, es werde schon so gewesen sein wie vom Hauptgefreiten A dargestellt. Den Entschluss zum Fernbleiben und zum Verschleiern seiner Abwesenheit hat der Soldat in subjektiver Hinsicht willentlich und wissentlich, also vorsätzlich, gefasst.
Rz. 16
b) Ferner ist festzustellen, dass der Soldat sich am 8. September 2014 in Z bei Oberstabsarzt C vorgestellt und eine nicht näher aufklärbare, tatsächlich nicht bestehende Erkrankung behauptet hat. Dies folgt aus der als Telefax vorliegenden "Krankmeldung Standortfremder Soldaten" vom 8. September 2014, der glaubhaften Aussage des Arztes als neutraler Zeuge und der insoweit ebenfalls glaubhaften Einlassung des Soldaten vor dem Truppendienstgericht. Dort hat er auch die Tatsache eingeräumt, dass er nicht krank gewesen ist. Dies hat der Soldat vor dem Senat durch den Hinweis indirekt bestätigt, ein Arzt müsse ja nicht alles glauben, was ihm erzählt werde. Allerdings ist die Tatsache der wahrheitswidrigen Krankmeldung von der Wehrdisziplinaranwaltschaft nicht angeschuldigt worden.
Rz. 17
c) In objektiver Hinsicht nicht erweislich ist die Anschuldigung, der Soldat habe von Oberstabsarzt C den Befehl erhalten, sich am 11. September 2014 beim Truppenarzt oder bei seiner Einheit zu melden. Der Arzt konnte sich als Zeuge nicht mehr an den Vorgang erinnern und auch nicht sagen, ob er ausdrücklich mündlich einen Befehl dieses Inhalts erteilt hat. Dass ein entsprechender mündlicher Befehl seinen Angaben zufolge üblicherweise ergeht, reicht als sicherer Nachweis nicht aus. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die mündliche Aufforderung, sich am 11. September 2014 am Standort zurückzumelden, nicht als zwingender Befehl, sondern nur als dienstliche Weisung formuliert war. Denn der Soldat hat sich unwiderleglich dahingehend eingelassen, dies nicht als Befehl verstanden zu haben. Er sei sich jedoch bewusst gewesen, sich nach Ende der Krankschreibung entweder in der Einheit oder beim Truppenarzt zurückmelden zu müssen.
Rz. 18
Etwas anderes folgt auch nicht aus der schriftlichen Krankmeldung vom 8. September 2014. Sie enthält zwar unter der Rubrik "Wiedervorstellung Truppenarzt d. Einheit am:" den Vermerk "11. September 2014". Die Krankmeldung ist aber an die Einheit gesendet und dem Soldaten nicht nachweislich ausgehändigt worden. Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihm mit Übergabe des Schriftstücks ein schriftlicher Befehl erteilt worden sei. Im Übrigen ist das Verständnis der Krankschreibung als Befehl zur Wiedervorstellung auch für einen verständigen Empfänger fernliegend. Die erkennbare Funktion des Datums innerhalb der Krankschreibung besteht darin, die Dauer der diagnostizierten krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit bis zum Wiedervorstellungstermin zu befristen. Mithin fehlt es objektiv an einem mündlichen oder schriftlichen Befehl zur Wiedervorstellung.
Rz. 19
d) Hingegen steht aufgrund der Einlassungen des Soldaten und des neutralen Zeugen Major E objektiv fest, dass der Soldat sich nicht unter Berufung auf den ärztlichen Befund bei seiner Einheit krankgemeldet und von seinen Vorgesetzten keine Freistellung vom Dienst erhalten hat. Ebenso unterliegt es keinen Zweifeln, dass der Soldat bei seiner Vernehmung durch Oberleutnant D unrichtiger Weise angegeben hat, bereits am 1. September 2014 im Sanitätsversorgungszentrum Z gewesen zu sein. Der Soldat hat glaubhaft eingeräumt, erstmals am 8. September 2014 ins Sanitätsversorgungszentrum gegangen zu sein. Dabei hat der Soldat in subjektiver Hinsicht in beiden Fällen wissentlich und willentlich gehandelt. Ihm war - wie erstinstanzlich eingeräumt - im einen Fall die Weisungslage zur standortfremden Krankmeldung und im anderen Fall die wahre Tatsachenlage bewusst.
Rz. 20
2. In rechtlicher Hinsicht hat der Soldat ein Dienstvergehen nach § 23 SG begangen.
Rz. 21
a) Durch sein Fernbleiben vom Dienst hat er die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) verletzt. Mit der eigenmächtigen Abwesenheit hat er zugleich nach § 15 Abs. 1 WStG eine Straftat verwirklicht. Diese Wehrstraftat setzt als zweiaktiges Delikt tatbestandlich voraus, dass ein Soldat zuerst eigenmächtig seiner Truppe fernbleibt und anschließend vorsätzlich oder fahrlässig länger als drei volle Kalendertage abwesend ist. Im vorliegenden Fall ist es unzweifelhaft, dass der Soldat vorsätzlich am 1. September 2014 seiner Truppe, der 3./Logistikbataillon 142, fernblieb und dabei eigenmächtig, das heißt ohne die erforderliche Genehmigung seiner Vorgesetzten, handelte. Er war am 1. September 2014 weder wegen Urlaubs noch aufgrund einer Erkrankung vom Dienst befreit. Der Soldat war auch im Anschluss länger als drei volle Kalendertage abwesend von der Truppe. Seine Abwesenheit endete erst, als er am 15. September 2014 um 07:00 Uhr seinen regulären Dienst wieder antrat.
Rz. 22
Für die Dauer der Abwesenheit stellt das Wehrstrafgesetz auf volle Kalendertage ab. Mit dem Abwesendsein ist der Zustand der räumlichen Lösung von der Truppe und der Verfügungsgewalt ihres Befehlshabers gemeint (vgl. Lingens/Korte, WStG, 5. Aufl. 2012, § 15 Rn. 15). Dabei kommt es für die Dauer der Abwesenheit nicht auf die entgangene Dienstzeit an. Die Norm unterscheidet nach ihrem Wortlaut nicht zwischen Tagen mit Dienstbetrieb und dienstfreien Tagen oder zwischen Werk- und Feiertagen. Sie zählt die vollen Kalendertage, in denen der Soldat sein Unterstellungsverhältnis zur Truppe durch das eigenmächtige Fernbleiben gelöst hat. Demzufolge ist es - anders als das Truppendienstgericht meint - nicht möglich, Samstage und Sonntage generell bei der Frist unberücksichtigt zu lassen. Denn die strafbare Lösung aus dem Truppenverband dauert jedenfalls in den von der Abwesenheit eingeschlossenen Feiertagen und Wochenenden an (BayObLG, Urteil vom 17. August 1982 - RReg 4 St 83/82 - NZWehrr 1982, 231 ≪233 f.≫).
Rz. 23
Im vorliegenden Fall war der Soldat die gesamten zwei Wochen abwesend. Eine explizite Genehmigung dafür, an den Wochenenden nicht zumindest im Bedarfsfall abrufbar zu sein, gab es nicht. Da zum Tatzeitpunkt die Verordnung über die Arbeitszeit der Soldatinnen und Soldaten (Soldatenarbeitszeitverordnung - SAZV) vom 16. November 2015 (BGBl. I S. 1995) noch nicht galt, bedarf die Frage keiner Klärung, ob wegen § 8 Satz 1 SAZV nunmehr eine Rechtfertigung für die Abwesenheit und Unerreichbarkeit an den Wochenenden gegeben wäre oder ob dies weiterhin wegen der in § 30c Abs. 4 SG zum Ausdruck kommenden Besonderheiten des verfassungsmäßigen Auftrags der Streitkräfte nicht der Fall ist (vgl. dazu BT-Drs. 18/3697 S. 53 f.).
Rz. 24
Auch hatte der Soldat aufgrund der Krankschreibung durch Oberstabsarzt C für die Zeit vom 8. bis 11. September 2014 keine Erlaubnis zum Fernbleiben vom Dienst. Ein Soldat, der sich außerhalb des Standorts krank fühlt, muss sich nach Nr. 412 ZDv 10/5 "Leben in der militärischen Gemeinschaft" (Stand Februar 2014) dem nächst erreichbaren Truppenarzt vorstellen. Hält der Truppenarzt die Befreiung des Soldaten von allen Dienstverrichtungen für angezeigt, teilt er dies dem Disziplinarvorgesetzten mit, der aufgrund der Empfehlung "krank zu Hause" über den Aufenthaltsort des Soldaten entscheidet. Erst im Rahmen dieser Entscheidung entfällt die Verpflichtung des Soldaten zum Erscheinen am Dienstort und zur Dienstleistung (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 1986 - 2 WD 48.85 - BVerwGE 83, 265). Eine solche die Dienstbefreiung bewirkende Entscheidung ist weder vom damaligen Disziplinarvorgesetzten Major E noch in seinem Auftrag vom Kompaniefeldwebel erteilt worden.
Rz. 25
Daher lag eine strafbare eigenmächtige Abwesenheit an mindestens zwölf Tagen vor. Dabei kann offen bleiben, ob man bei der Auslegung des § 15 Abs. 1 WStG das von der unerlaubten Abwesenheit nicht eingeschlossene letzte Wochenende nicht mitzählt (Lingens, NStZ 1989, 561; Zetzsche, NZWehrr 2009, 259 ≪260≫) oder ob man es mitrechnet und dann sogar auf 14 Tage käme (Dau, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand März 2019, § 15 WStG Rn. 12). Denn disziplinarrechtlich bleibt die unerlaubte Lösung vom Truppenverband bis zur Rückmeldung bei der Einheit pflichtwidrig.
Rz. 26
b) Ein Verstoß gegen das Gebot des treuen Dienens liegt auch darin, dass der Soldat der Weisung des Oberstabsarztes C, sich am 11. September 2014 bei der Einheit oder beim dortigen Truppenarzt zu melden, nicht gefolgt ist. Hingegen kann es ihm nicht als Verstoß gegen § 7 SG angelastet werden, dass er nach der Krankschreibung am 8. September 2014 nicht unverzüglich seine Einheit benachrichtigt und eine Entscheidung über seinen Aufenthaltsort eingeholt hat. Denn die damals geltende Nr. 1 der Anlage 11/2 zur ZDv 10/5 sah eine Verpflichtung zur Meldung nur im Falle einer Erkrankung außerhalb des Standortes vor. In diesem Fall sollte der Soldat mit der eigenen Unterschrift auf einem Formblatt bestätigen, dass er erkrankt sei. Der Soldat war aber - wie festgestellt - in Wahrheit nicht krank, so dass er zu einer solchen Meldung nicht rechtlich verpflichtet sein konnte. Als gesunder Soldat war er zum unverzüglichen Dienstantritt und nicht zu einer Falschmeldung aufgerufen.
Rz. 27
c) Des Weiteren hat der Soldat durch zwei unrichtige SMS-Nachrichten an den Hauptgefreiten A und durch eine Falschaussage gegenüber Frau Oberleutnant D seine Pflicht zur Wahrheit in innerdienstlichen Angelegenheiten (§ 13 Abs. 1 SG) vorsätzlich verletzt. Diese angeschuldigten Falschaussagen sind auch verwertbar. Insbesondere war der Soldat bei seiner Vernehmung durch Frau Oberleutnant D am 24. September 2014 nicht berechtigt, die Unwahrheit zu sagen (§ 32 Abs. 4 Satz 4 WDO). Es hätte ihm lediglich freigestanden, sich nicht zur Sache zu äußern (§ 32 Abs. 4 Satz 3 WDO). Dass der Soldat darüber nicht ordnungsgemäß belehrt worden sei, hat er weder selbst noch durch seinen Anwalt im Prozess vorgetragen und der Verwertung auch nicht widersprochen. Demgemäß muss er die Verwertung dieser Wahrheitspflichtverletzung gegen sich gelten lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2012 - 2 WD 19.11 - juris Rn. 24).
Rz. 28
d) Durch sein zweiwöchiges Fernbleiben vom Dienst und durch seine unwahren Aussagen hat der Soldat auch seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat bedarf der Achtung seiner Kameraden sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2018 - 2 WD 8.18 - juris Rn. 22 m.w.N.). Dieses funktionsnotwendige Ansehen innerhalb der Truppe hat der Soldat durch sein Verhalten beschädigt.
Rz. 29
3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb zu gewährleisten. Ziel des Wehrdisziplinarrechts ist es, die Integrität, das Ansehen und die Disziplin in der Bundeswehr aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (BVerwG, Urteil vom 11. Juni 2008 - 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Im Einzelnen geht der Senat von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
Rz. 30
a) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen". Dabei entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass bei einer einmaligen kürzeren Abwesenheit vom Dienst die Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet; bei länger andauerndem Fernbleiben, wiederholt eigenmächtiger Abwesenheit oder Fahnenflucht ist das Dienstvergehen so schwerwiegend, dass es regelmäßig die Entfernung aus dem Dienst oder den Ausspruch der sonst gebotenen Höchstmaßnahme indiziert (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2018 - 2 WD 8.18 - juris Rn. 37 m.w.N.). Dabei ist zur Abgrenzung der kürzeren von einer längeren Abwesenheit der Zeitraum herangezogen worden, der durch den regulären Jahresurlaub abgedeckt werden kann (BVerwG, Urteile vom 12. Februar 2015 - 2 WD 2.14 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 47 Rn. 55, vom 19. Mai 2015 - 2 WD 13.14 - juris Rn. 42 und vom 24. Januar 2018 - 2 WD 11.17 - juris Rn. 34). Im vorliegenden Fall ist jedoch selbst bei Anlegung eines strengeren Abgrenzungsmaßstabs von einer einmaligen kürzeren Abwesenheit auszugehen, so dass die Herabsetzung im Dienstgrad den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet.
Rz. 31
b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme gebieten. Dabei ist zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht hinsichtlich des Disziplinarmaßes einen Spielraum eröffnet (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2015 - 2 WD 11.14 - juris Rn. 52 m.w.N.).
Rz. 32
aa) Nach diesen Maßstäben liegen erschwerende Umstände darin, dass der Soldat seine Treuepflicht auch durch die mangelnde Befolgung der ärztlichen Weisung verletzt hat. Vor allem hat er sich durch die Wahrheitspflichtverletzungen erheblich diskreditiert. Die Einhaltung der Wahrheitspflicht nach § 13 Abs. 1 SG ist für die militärische Verwendungsfähigkeit eines Soldaten essenziell. Eine militärische Einheit kann nicht ordnungsgemäß geführt werden, wenn sich die Führung und die Vorgesetzten nicht auf die Richtigkeit abgegebener Meldungen, Erklärungen und Aussagen Untergebener verlassen können. Wer in dienstlichen Äußerungen und Erklärungen vorsätzlich unrichtige Angaben macht, beschädigt seine persönliche Integrität und militärische Verwendungsfähigkeit (BVerwG, Urteil vom 28. März 2019 - 2 WD 13.18 - juris Rn. 20 m.w.N.). Da die Lügengeschichten des Soldaten aber im Wesentlichen nur der nachträglichen Verschleierung seiner eigenmächtigen Abwesenheit und der Abschwächung des damit verbundenen Schuldvorwurfs dienten, hat er das Vertrauen in seine Integrität nicht völlig verspielt.
Rz. 33
bb) Die Wahrheitspflichtverletzungen hat er teilweise dadurch ausgeglichen, dass er sich im Laufe des Verfahrens geständig gezeigt hat. Dabei hat er selbst unwahre Aussagen wieder zurechtgerückt, deren Unrichtigkeit - wie das Fehlen einer Erkrankung bei dem Arztbesuch - ihm nicht ohne Weiteres hätte nachgewiesen werden können. Allerdings sind seine Geständnisse nur schrittweise erfolgt und waren teilweise mit einer unwahren Entschuldigungsgeschichte unterlegt. Ferner hat er sich im Berufungsverfahren in wenig glaubhafter Weise auf Erinnerungslücken zurückgezogen und damit keinen wirklichen Einblick in die wahren Motive seines Fernbleibens und die Ereignisse während seiner Abwesenheit gegeben. Daher waren seine Motive im Wesentlichen eigennützig. Unrechtseinsicht und Reue konnte er gleichwohl vermitteln.
Rz. 34
cc) Von der im Regelfall für die eigenmächtige Abwesenheit vorgesehenen Degradierung ist jedoch deswegen abzusehen, weil der Soldat bereits erhebliche Nachteile im beruflichen Fortkommen durch das faktische Beförderungsverbot des laufenden Verfahrens erlitten hat. Hierfür ist zwar nicht ausreichend, dass eine Beförderung während des Verfahrens nach den laufbahnrechtlichen Voraussetzungen möglich gewesen wäre; etwas anderes gilt jedoch dann, wenn eine konkret anstehende Beförderung durch das Disziplinarverfahren verhindert wurde (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2018 - 2 WD 4.18 - juris Rn. 44 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt nicht nur vor, wenn die Aushändigung einer bereits erstellten Beförderungsurkunde aktenkundig wegen des Disziplinarverfahrens unterbleibt. Er ist auch gegeben, wenn nach Bestehen einer beruflichen Prüfung regelmäßig eine Beförderung erfolgt und dies im konkreten Fall allein wegen des Disziplinarverfahrens entfällt. Dies kommt der Wirkung nach einer Degradierung im Verhältnis zu gleichaltrigen Kameraden derselben Ausbildungs- und Verwendungsreihe nahe und hat damit erhebliche pflichtenmahnende Wirkung.
Rz. 35
So liegt der Fall hier. Wie der Disziplinarvorgesetzte des Soldaten nachvollziehbar dargelegt hat, werden Mannschaftsdienstgrade in der Laufbahn der Unteroffizieranwärter in seinem Versorgungsbataillon nach Bestehen der zivilberuflichen Ausbildung zum... regelmäßig zum Unteroffizier befördert. Denn sie haben damit die "Gesellenebene" erreicht, die für die Beförderung zum Unteroffizier Voraussetzung ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2019 - 1 WB 35.18 - Rn. 25 f.). Bei dem Soldaten hat diese Beförderung auch nach Aussage des Disziplinarvorgesetzten allein wegen des laufenden Disziplinarverfahrens nicht stattgefunden, so dass dieser bereits erlittene konkrete Nachteil in Verbindung mit einer ebenfalls unterbliebenen weiteren Beförderung zum Stabsunteroffizier dazu führt, dass von einer Degradierung abgesehen werden kann.
Rz. 36
dd) Bei der Bemessung der nächstmilderen Maßnahme des Beförderungsverbots ist als gewichtiger Umstand zugunsten des Soldaten zu berücksichtigen, dass die Tat von jugendlicher Unreife geprägt war. Der Soldat war bei der Tatbegehung zwar 19 Jahre alt und damit volljährig. Es ist in der Rechtsordnung jedoch anerkannt, dass auch Heranwachsende in der Altersspanne von 18 bis 21 Jahren noch Jugendverfehlungen begehen können. § 105 Abs. 1 JGG sieht für solche Fälle eine mildere Strafe vor. Dies gilt auch für heranwachsende Soldaten, für die in den §§ 112a und 112d JGG eigene Verfahrensregeln vorgesehen sind. Es ist kein Grund ersichtlich, diesen Tatmilderungsgrund im Disziplinarrecht anders als im Strafrecht nicht zu berücksichtigen. Dabei kann bei heranwachsenden Soldaten eine mildere Disziplinarmaßnahme allerdings nur verhängt werden, wenn in dem angeschuldigten Tatgeschehen entweder personenbezogen (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG analog) oder tatbezogen (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG analog) eine jugendliche Unreife festzustellen ist. Denn nicht jedes im Alter zwischen 18 und 21 Jahren begangene Dienstvergehen kann auf mangelnde persönliche Reife zurückgeführt oder als Jugendverfehlung angesehen werden.
Rz. 37
Im vorliegenden Fall ist zwar nicht erwiesen, dass der Soldat bei Tatbegehung allgemein noch im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG von jugendlicher Unreife geprägt war und dass bei dem damals 19-jährigen noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirkten. Eine entsprechende Stellungnahme eines Disziplinarvorgesetzten oder des Jugendamts liegt nicht vor. Jedoch weist die Tat ein jugendtypisches Gepräge auf. Eine Jugendverfehlung im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG liegt vor, wenn unabhängig vom generellen Reifegrad des angeschuldigten Soldaten die konkrete Tat auf jugendlichen Leichtsinn, Unüberlegtheit oder soziale Unreife zurückgeht (BGH, Urteil vom 17. Oktober 2000 - 1 StR 261/00 - NStZ 2001, 102 ≪102≫). Maßgeblich ist, ob die Tat nach ihrem äußeren Erscheinungsbild und den Beweggründen des Täters Merkmale jugendlicher Unreife aufweist (BGH, Urteil vom 12. März 2014 - 5 StR 18/14 - NStZ 2014, 408 ≪409≫).
Rz. 38
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die spontane Entscheidung des Soldaten, auf der Fahrt zum Dienst umzukehren, zeugt von jugendlicher Unbedachtheit. Ebenso vermittelt sein weiteres Vorgehen, einerseits sich im Sanitätsversorgungszentrum Z krankschreiben zu lassen, andererseits diese ihm günstige Bescheinigung nicht vorzulegen, den Eindruck von Planlosigkeit. Auch sein Entschluss war unüberlegt, sich nach Ablauf der von Oberstabsarzt C gesetzten Frist weder bei seiner Einheit noch bei einem Truppenarzt zu melden. Das gesamte Vorgehen des Soldaten erinnert an einen Jugendlichen, der zuerst im Überschwang der Gefühle einen unüberlegten Fehler begeht und sich danach nicht mehr nach Hause traut. Daher ist eine entsprechende Maßnahmemilderung geboten.
Rz. 39
ee) Dabei kann allerdings nicht zusätzlich zugunsten des Soldaten als Milderungsgrund ins Feld geführt werden, dass eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat vorliege. Denn zum einen ist eine aus jugendlicher Unüberlegtheit begangene Tat für einen heranwachsenden Soldaten nicht persönlichkeitsfremd. Zum anderen kann eine zweiwöchige unerlaubte Abwesenheit vom Dienst schon allein aufgrund der Dauer nicht als Augenblickstat begriffen werden. Da der Soldat an zehn Arbeitstagen jeweils erneut den Entschluss fassen musste, nicht zum Dienst zu gehen, liegt ein mehraktiges Handeln vor (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 7. Februar 2013 - 2 WD 36.12 - juris Rn. 50).
Rz. 40
ff) Für den Soldaten spricht zusätzlich, dass er sich während des Disziplinarverfahrens leistungsmäßig gesteigert hat und auch durch sein sonstiges Verhalten zur Spitzengruppe im Bereich der Mannschaftsdienstgrade aufgestiegen ist. Damit liegt der Milderungsgrund der Nachbewährung vor (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. November 2012 - 2 WD 10.12 - juris Rn. 47 f. und vom 28. März 2019- 2 WD 13.18 - juris Rn. 30). Der Disziplinarvorgesetzte hat wiederholt und glaubhaft vor Gericht ausgeführt, dass der Soldat sich nach dem Dienstvergehen nichts mehr zuschulden kommen ließ, sich vorbildlich geführt und stets in jeder Hinsicht überzeugende Arbeitsergebnisse vorgelegt hat. Er werde aufgrund seiner Erfahrungen und Kenntnisse mit Erfolg auf der Ebene eines Unteroffiziers ohne Portepee eingesetzt, so dass er zur Spitzengruppe der Mannschaftsdienstgrade gehört.
Rz. 41
Angesichts dieser erheblichen Milderungsgründe hätte es nahe gelegen, dass Beförderungsverbot im unteren Bereich bei etwa zwei Jahren anzusiedeln.
Rz. 42
c) Bei dem Maß der Disziplinarmaßnahme ist zugunsten des Soldaten zu berücksichtigen, dass sein Disziplinarverfahren unangemessen lang gedauert hat. Zwar war das eigentliche Gerichtsverfahren vor dem Truppendienstgericht gerechnet vom Eingang der Anschuldigungsschrift am 6. November 2017 bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils am 21. März 2018 eher ungewöhnlich kurz. Auch kann der Zeitraum von der Einleitung des Disziplinarverfahrens im Oktober 2015 bis zur Anschuldigung im November 2017 nicht maßnahmemildernd berücksichtigt werden; denn der Soldat hat es in diesen zwei Jahren in der Hand gehabt, durch einen Antrag nach § 101 Abs. 1 WDO eine Beschleunigung des Verfahrens zu bewirken (BVerwG, Urteil vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 D - BVerwGE 159, 366 Rn. 12).
Rz. 43
Im vorliegenden Fall war jedoch bereits der Zeitraum bis zur Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens unangemessen lang und in diesem Verfahrensstadium stand dem Soldaten kein dem § 101 Abs. 1 WDO vergleichbarer Rechtsbehelf zur Verfügung. Ähnlich wie im Disziplinarverfahren der Beamten trifft die Einleitungsbehörde im Wehrdisziplinarrecht eine Einleitungspflicht, sobald zureichende Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines schwerwiegenden Dienstvergehens rechtfertigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2018 - 2 C 60.17 - NVwZ-RR 2019, 470 Rn. 21). Werden dem Wehrdisziplinaranwalt Tatsachen bekannt, welche die Verhängung einer gerichtlichen Disziplinarmaßnahme erwarten lassen, nimmt er nach § 92 Abs. 1 Satz 2 WDO Vorermittlungen auf und führt die Entscheidung der Einleitungsbehörde herbei. Maßgeblich für die Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens ist auch bei § 92 Abs. 3 WDO, ob zureichende Anhaltspunkte für den Anfangsverdacht eines schwerwiegenden Dienstvergehens vorliegen. Ist das der Fall, dürfen Einleitungsbehörde und Wehrdisziplinaranwaltschaft nicht die Vorermittlungen weiterführen, bis der Sachverhalt anschuldigungsreif aufgeklärt ist. Vielmehr haben sie das Verfahren einzuleiten und danach die noch nötigen weiteren Ermittlungen der Wehrdisziplinaranwaltschaft zugunsten und zulasten des Soldaten zu veranlassen. Ansonsten würde die gesetzliche Zweiteilung zwischen Einleitung des Verfahrens und Anschuldigung ebenso umgangen wie die verfahrensmäßige Sicherung einer beschleunigten Durchführung des vorgerichtlichen Verfahrens in § 101 Abs. 1 WDO. Dabei unterliegt auch die Zeitdauer der Prüfung, ob ein hinreichender Anfangsverdacht vorliegt, dem für das gesamte Disziplinarverfahren geltenden Beschleunigungsgebot des § 17 Abs. 1 WDO.
Rz. 44
Im vorliegenden Fall benötigte die Einleitungsbehörde, obwohl bereits am 2. Oktober 2014 eine einfache Disziplinarmaßnahme wegen des Sachverhalts ergangen war, noch bis zum 19. Oktober 2015, um die Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens zu verfügen. Dabei lagen zureichende Anhaltspunkte für den Anfangsverdacht eines schwerwiegenden Dienstvergehens bereits aufgrund der geständigen Einlassungen des Soldaten und der vom Disziplinarvorgesetzten durchgeführten Ermittlungen vor. Nach der erforderlichen Anhörung des Soldaten gemäß § 92 Abs. 2 i.V.m. § 97 Abs. 3 WDO hätte das gerichtliche Disziplinarverfahren zügig eingeleitet werden können. Entsprechende Vorermittlungen und Aktivitäten wurden aber tatsächlich erst acht Monate nach Verhängung der sachgleichen Disziplinarmaßnahme aufgenommen, ohne dass das Verfahren in dieser Zeit nennenswert gefördert worden wäre.
Rz. 45
Dieser Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz des § 17 Abs. 1 WDO hatte zur Folge, dass der Soldat länger als nötig dem gerichtlichen Disziplinarverfahren ausgesetzt war. Zugleich wirkte sich die verspätete Einleitung des gerichtlichen Verfahrens nachteilig auf das von Art. 6 Abs. 1 EMRK und vom verfassungsrechtlichen Grundsatz effektiver Rechtsschutzgewährung aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG gewährleistete Recht des Betroffenen auf eine Verhandlung und Entscheidung in angemessener Zeit aus. Denn die unangemessene Verzögerung des zwingend einzuhaltenden vorgerichtlichen Verfahrens führte zugleich zu einer entsprechenden Verlängerung des gesamten gerichtlichen Disziplinarverfahrens und damit zu einer Verletzung dieser Verfahrensgarantie. Denn bei der Überprüfung der angemessenen Verfahrensdauer sind Zeiten eines gesetzlich vorgeschriebenen behördlichen Vorschaltverfahrens einzurechnen (vgl. EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - 6232/73 - NJW 1979, 477 Rn. 98 und vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 Rn. 44).
Rz. 46
Daher ist auch eine unangemessene Dauer des Einleitungsverfahrens maßnahmemildernd einzustellen. Gleicht man die mit dieser Überlänge des Verfahrens verbundenen immateriellen Nachteile aus, erweist sich ein Beförderungsverbot in der gesetzlichen Mindestdauer von zwölf Monaten als tat- und schuldangemessen.
Rz. 47
4. Die gesetzliche Folge der nachträglichen Verhängung dieser gerichtlichen Disziplinarmaßnahme ist, dass die vorangegangene einfache Disziplinarmaßnahme - hier die Disziplinarbuße vom 2. Oktober 2014 - nach § 96 Abs. 2 Satz 1 WDO aufzuheben ist.
Rz. 48
5. Auch wenn die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft damit in vollem Umfang erfolgreich gewesen ist, entspricht es der Billigkeit, den Soldaten und den Bund je zur Hälfte mit den Verfahrens- und Anwaltskosten zu belasten (§ 139 Abs. 1 Satz 2, § 140 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 WDO). Denn die Kosten für zwei Instanzen sind nur angefallen, weil das Truppendienstgericht eine im Gesetz nicht vorgesehene Einstellung des Verfahrens vorgenommen hat. Außerdem hatte der Soldat auch nach Einleitung des Disziplinarverfahrens unter der - vermutlich auf Personalmangel beruhenden - schleppenden Behandlung seines Falles durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft zu leiden.
Fundstellen
Haufe-Index 13401916 |
BVerwGE 2020, 189 |
ZBR 2019, 432 |
JZ 2020, 110 |