Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Aktenzeichen A 9 S 1924/99)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. Februar 2001 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

I.

Der 1974 geborene Kläger ist togoischer Staatsangehöriger. Er reiste 1992 nach Deutschland ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 18. März 1994 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte ihm die Abschiebung nach Togo an.

Das Verwaltungsgericht hob mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 31. Januar 1996 den Bescheid des Bundesamts auf, soweit dem Kläger darin die Abschiebung nach Togo angedroht wurde, und verpflichtete die Beklagte, das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Togos festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, abgeschobene Asylbewerber seien in besonders hohem Maße der Gefahr ausgesetzt, ins Blickfeld der togoischen Sicherheitskräfte zu geraten und von ihnen misshandelt oder ermordet zu werden. In Befolgung des Urteils stellte das Bundesamt durch Bescheid vom 20. Mai 1996 zu Gunsten des Klägers fest, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Togos vorliegen.

Mit Bescheid vom 3. Dezember 1998 widerrief das Bundesamt diese Feststellung. Den auf § 73 Abs. 3 AsylVfG gestützten Widerruf begründete es damit, dass die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses allein wegen der Asylantragstellung oder der Mitgliedschaft bzw. untergeordneten Funktionärstätigkeit in einer Exilorganisation aufgrund der derzeitigen Asylrechtsprechung sowie neuerer Auskünfte nicht mehr vorlägen.

Das Verwaltungsgericht hat den Widerrufsbescheid des Bundesamts aufgehoben. Nach Togo abgeschobene Asylbewerber müssten dort nach wie vor eine unmenschliche Behandlung durch die staatlichen Behörden befürchten.

Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Widerruf der Feststellung eines Abschiebungshindernisses stehe die Rechtskraft des Verpflichtungsurteils durch das Verwaltungsgericht vom 31. Januar 1996 entgegen. Die für dieses Urteil maßgebliche Sach- und Rechtslage habe sich seit dessen Ergehen nicht geändert. Die Gefährdung abgelehnter Asylbewerber bei ihrer Rückkehr nach Togo werde heute vom Auswärtigen Amt und anderen Auskunftsstellen gleichermaßen uneinheitlich eingeschätzt wie im Januar 1996. Im Ergebnis begründe die Stellung eines Asylantrags in Deutschland und der Auslandsaufenthalt für einen in seinen Heimatstaat zurückkehrenden Togoer heute ebenso wenig wie damals das ernsthafte Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt kein revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Aufhebung des Widerrufsbescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) durch das Verwaltungsgericht zu Recht im Ergebnis bestätigt, weil dem Widerruf die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 31. Januar 1996 entgegensteht.

Nach § 73 Abs. 3 AsylVfG ist die Entscheidung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 AuslG vorliegt, zurückzunehmen, wenn sie fehlerhaft ist, und zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Beruht die Feststellung eines solchen Abschiebungshindernisses durch das Bundesamt auf einem rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsurteil, hindert die Rechtskraft dieser Entscheidung bei unveränderter Sachlage die Aufhebung der Feststellung durch das Bundesamt. Dies folgt jedenfalls aus § 121 VwGO, wonach rechtskräftige Urteile die Beteiligten binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. § 73 Abs. 3 AsylVfG, auf den sich das Bundesamt hier beruft, befreit nicht von dieser Rechtskraftbindung, sondern setzt vielmehr voraus, dass die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung der Rücknahme oder dem Widerruf der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nicht entgegensteht. Dies hat der früher für das Asylrecht zuständige 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts bereits grundsätzlich für den Fall einer rechtskräftigen Verpflichtung zur Asylanerkennung und deren Rücknahme nach § 73 Abs. 2 AsylVfG entschieden (Urteil vom 24. November 1998 – BVerwG 9 C 53.97 – BVerwGE 108, 30 ≪33 f.≫; vgl. auch Urteil vom 8. Dezember 1992 – BVerwG 1 C 12.92 – BVerwGE 91, 256 ≪258≫ m.w.N.). Nichts anderes gilt hier für das Verhältnis zwischen der rechtskräftigen Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG und der nachfolgenden behördlichen Aufhebung der in Befolgung des Urteils getroffenen Feststellung gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG.

Das Bundesamt durfte die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Togos auch nicht mit Rücksicht auf eine nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 31. Januar 1996 erfolgte Veränderung der Verhältnisse in Togo aufheben, wie sie die Beklagte geltend macht. Die Rechtskraftwirkung eines Urteils endet allerdings, wenn sich die für das Urteil maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich verändert. Dies ist dann der Fall, wenn neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist. Dies hat der erkennende Senat in dem zeitgleich ergangenen Urteil in der Sache BVerwG 1 C 7.01 im Einzelnen dargelegt; hierauf wird verwiesen.

Von diesem rechtlichen Maßstab zur Bestimmung der zeitlichen Grenzen der Rechtskraft geht im Kern auch das angefochtene Urteil aus. Das Berufungsgericht stellt letztlich entscheidend darauf ab, ob sich die „für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen wesentlichen Faktoren, wie die allgemeine politische Lage in Togo, die Herrschaft des Präsidenten Eyadèma und seiner Partei RPT über Togo, die allgemeine Menschenrechtslage und in erster Linie die Verhaltensweise des Regimes gegenüber nach der erfolglosen Durchführung eines Asylverfahrens aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union abgeschobenen Togoern,” nachhaltig geändert haben (UA S. 8).

Eine entscheidungserhebliche Änderung der für die Gefahrenprognose wesentlichen Merkmale verneint das Berufungsgericht. Es stellt fest, dass die Erkenntnismittel, auf die sich die richterliche Gefahrenprognose stützt, im Januar 1996 ebenso uneinheitliche Aussagen enthielten wie im Februar 2001 zum Zeitpunkt des Ergehens des angefochtenen Urteils. Auch die zwischenzeitliche politische Entwicklung in Togo, wie etwa die „zu Gunsten Eyadèma's manipulierten Präsidentschaftswahlen vom Juni 1998” (UA S. 12), führen nach Auffassung des Berufungsgerichts zu keiner veränderten Beurteilung der entscheidenden Frage, ob nach Togo zurückkehrende Asylbewerber allein wegen des Auslandsaufenthalts und der Asylantragstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung durch das Regime zu befürchten haben.

Dies ist aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden. An die der Gefahrenprognose zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen ist das Revisionsgericht mangels hiergegen vorgebrachter Revisionsgründe gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Auch soweit die Gefahrenprognose auf der tatrichterlichen Würdigung dieser Feststellungen beruht, ist sie der revisionsrichterlichen Überprüfung grundsätzlich entzogen (Urteil vom 19. September 2000 – BVerwG 9 C 12.00 – ≪UA S. 11 f.≫ – BVerwGE 112, 80). Verletzungen revisiblen Rechts bei der Anwendung des rechtlichen Maßstabs für die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft lässt das Urteil auch im Übrigen nicht erkennen. Insbesondere hat das Berufungsgericht bei seiner Gefahrenprognose nicht die besondere Bedeutung der Zahl zurückgeführter erfolgloser Asylbewerber auf der einen und belegter erheblicher Übergriffe gegen diese auf der anderen Seite verkannt (UA S. 10). Es hat jedoch, anders als die Revision, auch insofern keine wesentliche Änderung der Verhältnisse seit Januar 1996 feststellen können. Auch dies ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

Ohne Erfolg beruft sich die Revision in diesem Zusammenhang auf die Aussage im Urteil des 9. Senats vom 19. September 2000 (a.a.O., ≪UA S. 7≫ – BVerwGE 112, 80), wonach aus dem Ablauf einer längeren Zeitspanne auch ohne besondere Ereignisse im Verfolgerstaat eine erhebliche, die Pflicht zum Widerruf begründende Veränderung der Verhältnisse folgen könne. Zum einen ist sie auf den Widerruf einer Asylanerkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG bezogen und ungeachtet einer im Grundsatz vergleichbaren Problemlage nicht ohne weiteres auf die Frage nach den zeitlichen Grenzen der Rechtskraft übertragbar. Zum anderen hatte diese Aussage des 9. Senats in dem Urteil vom 19. September 2000 ersichtlich lediglich die Fallkonstellation vor Augen, dass die Asylanerkennung zunächst auf unsicherer Tatsachengrundlage wegen einer allgemeinen Rückkehrgefährdung zumindest vertretbar erfolgt ist, sich später aber eine andere Gefahrenprognose aufdrängt, weil trotz zahlreicher Rückführungen keine Verfolgungsfälle festgestellt werden. Auch insoweit taugt sie nicht als Einwand gegen das angefochtene Urteil, da diesem eine andere Fallgestaltung zugrunde liegt. Allerdings kann nach den oben dargelegten Grundsätzen – insoweit zielt der Einwand der Revision im Grundsatz in die richtige Richtung – gerade in asylrechtlichen Streitigkeiten der Zeitablauf als Indiz für eine mögliche erhebliche Sachlagenänderung durchaus von Bedeutung für die Rechtskraftwirkung sein. In Anbetracht der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und seiner tatrichterlichen Würdigung zu der im Wesentlichen unverändert gebliebenen Gefährdungslage kann hier indes auch unter dem Gesichtspunkt des Zeitablaufs die Rechtskraftbindung an das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht verneint werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert folgt aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.

 

Unterschriften

Dr. Paetow, Dr. Mallmann, Richter, Beck, Dr. Eichberger

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 18.09.2001 durch Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Dokument-Index HI666462

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