Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Aktenzeichen A 9 S 402/99) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 16. Februar 2001 wird aufgehoben, soweit es Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 23. Juli 1998 betrifft.
Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der 1968 geborene Kläger ist togoischer Staatsangehöriger. Er reiste 1992 nach Deutschland ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 29. März 1994 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte ihm die Abschiebung nach Togo an.
Das Verwaltungsgericht hob mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 3. Mai 1995 den Bescheid des Bundesamts auf, soweit dem Kläger darin die Abschiebung nach Togo angedroht wurde, und wies die Klage im Übrigen ab. Zur Begründung führte es aus, der Kläger müsse im Falle seiner Abschiebung nach Togo eine menschenrechtswidrige Behandlung durch die dortigen Sicherheitskräfte befürchten, weil aus dem Ausland zurückkehrende Flüchtlinge generell als Regimegegner angesehen würden.
Mit Bescheid vom 23. Juli 1998 widerrief das Bundesamt die mit dem Urteil „getroffene Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 4 AuslG” und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Togo an. Den auf § 73 Abs. 3 AsylVfG gestützten Bescheid begründete es damit, dass aufgrund der derzeitigen Asylrechtsprechung sowie neuerer Auskünfte Abschiebungshindernisse für togoische Staatsangehörige allein wegen der Asylantragstellung oder einfacher exilpolitischer Betätigung nicht vorlägen.
Das Verwaltungsgericht hat den Widerrufsbescheid des Bundesamts mit der Begründung aufgehoben, dass nach Togo abgeschobene Asylbewerber nach wie vor eine unmenschliche Behandlung durch die staatlichen Behörden befürchten müssten.
Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Der angefochtene Widerrufsbescheid sei rechtswidrig. Auf § 73 Abs. 3 AsylVfG könne der Widerruf nicht gestützt werden, da das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses rechtskräftig festgestellt habe. Der Widerruf könne auch nicht in eine Feststellung des Bundesamts umgedeutet werden, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos vorliegen. Auch dem stehe die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 3. Mai 1995 entgegen. Eine wesentliche Änderung der Sachlage, die zu einer Befreiung von der Rechtskraftbindung führe, habe seitdem nicht stattgefunden. Die Gefährdung abgelehnter Asylbewerber bei ihrer Rückkehr nach Togo werde heute vom Auswärtigen Amt und anderen Auskunftsstellen gleichermaßen uneinheitlich eingeschätzt wie im Mai 1995.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten. Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Gegenstand der Revision ist nur der Widerruf der Feststellung über das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt). Gegen die Aufhebung der Abschiebungsandrohung in diesem Bescheid hatte die Beklagte keine Revision eingelegt.
Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Es misst dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 3. Mai 1995 eine Bedeutung zu, die es nicht hat, und verkennt so Umfang und Reichweite seiner Rechtskraft. Das Berufungsgericht hat deshalb zu Unrecht die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) gegen die Aufhebung des Widerrufsbescheids des Bundesamts durch das Verwaltungsgericht zurückgewiesen. Ob der Widerruf in die erneute Feststellung des Bundesamts umzudeuten ist, dass keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos vorliegen, kann der Senat auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entscheiden. Das Urteil des Berufungsgerichts ist daher insoweit aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Das Berufungsgericht hat das rechtskräftige Urteil vom 3. Mai 1995 so verstanden, dass das Verwaltungsgericht damit das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und Art. 3 EMRK habe ausdrücklich feststellen wollen (UA S. 5). Der Widerruf dieser Feststellung sei von vornherein unzulässig. Auch sei eine Umdeutung in die ein Abschiebungshindernis verneinende Neufeststellung wegen der entgegenstehenden Rechtskraftwirkung des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht möglich (UA S. 5). Der dieser Auffassung zu Grunde liegenden Deutung des Urteils des Verwaltungsgerichts vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Das Berufungsgericht überschreitet damit die Grenzen der zulässigen Auslegung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Dies hat der erkennende Senat zeitgleich in der insoweit gleich gelagerten Sache BVerwG 1 C 4.01 entschieden und näher begründet; hierauf wird verwiesen. Danach hat das Verwaltungsgericht in dem rechtskräftigen Urteil vom 3. Mai 1995 nicht selbst das Vorliegen von Abschiebungshindernissen gem. § 53 Abs. 4 AuslG festgestellt, sondern hierauf lediglich die Begründung für die Aufhebung der Abschiebungsandrohung gestützt. An dieser Auslegung ändert sich auch nichts dadurch, dass das Verwaltungsgericht – worauf sich das Berufungsgericht beruft – in dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 3. Dezember 1998 ausgeführt hat, die fragliche Tenorierung in dem Urteil vom 3. Mai 1995 habe der damaligen Praxis des Gerichts entsprochen und sei als ausreichend angesehen worden. Es kann dahinstehen, inwieweit dieser Hinweis des Verwaltungsgerichts auf seine frühere Spruchpraxis überhaupt zu deren Auslegung herangezogen werden kann. Jedenfalls läßt er erkennen, dass das Verwaltungsgericht in dem Urteil vom 3. Mai 1995 weder eine ausdrückliche Feststellung über das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses noch eine Verpflichtung der Beklagten hierzu für geboten hielt.
Mangels einer solchen Feststellung von Abschiebungshindernissen im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 3. Mai 1995 geht deren Widerruf durch den angefochtenen Bescheid des Bundesamts ins Leere. Möglicherweise kann der Widerrufsbescheid jedoch insoweit in die eigene, erneute Feststellung des Bundesamts umgedeutet werden, dass für den Kläger Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Togos nicht vorliegen. Ein fehlerhafter Verwaltungsakt kann gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden dürfen und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind unter diesen Voraussetzungen auch die Verwaltungsgerichte im Gerichtsverfahren ermächtigt, fehlerhafte Verwaltungsakte umzudeuten. Dies gilt auch im Revisionsverfahren, sofern die das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) ausreichen, den Beteiligten hierzu rechtliches Gehör gewährt worden ist und sie in ihrer Rechtsverteidigung hierdurch nicht beeinträchtigt sind (zu diesen Grundsätzen vgl. zuletzt Urteil vom 23. November 1999 – BVerwG 9 C 16.99 – BVerwGE 110, 111 ≪114 f.≫ m.w.N.). Ob sämtliche dieser Voraussetzungen hier vorliegen, kann der Senat auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend entscheiden.
Die neuerliche Entscheidung zu § 53 AuslG ist allerdings auf das gleiche Ziel wie der fehlerhaft verfügte Widerruf, nämlich darauf gerichtet, mit Bindungswirkung für die zur Durchführung der Abschiebung berufene Ausländerbehörde festzustellen, dass einer etwa notwendig werdenden Vollstreckung der Ausreisepflicht keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 AuslG (mehr) entgegenstehen. Einen Verwaltungsakt dieses Inhalts hätte das Bundesamt in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig erlassen können; insbesondere war es hierfür auch sachlich zuständig (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. November 1999, a.a.O., S. 115).
Der erneuten negativen Feststellung zu § 53 AuslG steht, anders als dies das Berufungsgericht meint, auch nicht die Rechtskraft des Urteils vom 3. Mai 1995 entgegen. Das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Togos hat das Verwaltungsgericht in diesem Urteil nicht rechtskräftig festgestellt. Diese Frage ist dort auch nicht als für das hier streitige Verfahren vorgreiflich mit Rechtskraftbindung entschieden. Die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG war lediglich Vorfrage der Entscheidung über den Anspruch auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung. Sie hat deshalb nicht an der Rechtskraftbindung des Urteils vom 3. Mai 1995 teil. Dies hat der erkennende Senat in dem bereits erwähnten Urteil in der Sache BVerwG 1 C 4.01 entschieden; auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen.
Ob auch die inhaltlichen Voraussetzungen für eine Umdeutung des angefochtenen Bescheids des Bundesamts in die negative Feststellung zu § 53 AuslG hinsichtlich Togos vorliegen, vermag der Senat nicht zu entscheiden. Hierfür fehlen die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil – aus seiner Sicht folgerichtig – lediglich Feststellungen dazu getroffen, ob sich die für die Verfolgungsprognose bei abgelehnten Asylbewerbern maßgebliche Sachlage in Togo seit dem Urteil vom 3. Mai 1995 wesentlich geändert hat. Ausreichende tatsächliche Feststellungen und eine tragfähige tatrichterliche Würdigung, die eine Entscheidung des Senats darüber erlaubten, ob dem Kläger als abgelehntem Asylbewerber im Falle seiner Abschiebung nach Togo mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefährdungen drohten, die ein Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG begründeten, enthält das angefochtene Urteil nicht. Das Berufungsgericht wird bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) die hierzu erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.
Unterschriften
Dr. Paetow, Dr. Mallmann, Richter, Beck, Dr. Eichberger
Fundstellen