Entscheidungsstichwort (Thema)
Einbehaltung einer Briefmarkensammlung und einer Münzsammlung durch die Dienststellen der Staatssicherheit „zur weiteren Verwendung”;. faktische Enteignung. Verlust beweglicher Sachen. Entschädigungsberechtigung. zeitnaher schriftlicher Beleg
Leitsatz (amtlich)
Der Eigentümer einer Münzsammlung und einer Briefmarkensammlung ist Berechtigter im Sinne des Vermögensgesetzes, wenn diese Sammlungen durch Dienststellen des Ministeriums für Staatssicherheit in Gewahrsam genommen, der Abteilung Finanzen der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit „zur weiteren Verwendung” übergeben wurden und der weitere Verbleib der Gegenstände der Sammlungen nicht mehr aufklärbar ist.
Ein zeitnaher schriftlicher Beleg i.S.v. § 5 a Abs. 5 EntschG n.F. für den Verlust beweglicher Sachen kann in einem von den Dienststellen des MfS erstellten internen Übernahme-/Übergabeprotokoll liegen.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 3, § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1; EntschG § 5a Abs. 5
Verfahrensgang
VG Halle (Saale) (Entscheidung vom 10.12.1998; Aktenzeichen A 1 K 325/97) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 10. Dezember 1998 sowie Nr. 1 des Bescheides des Landratsamtes Weißenfels vom 21. August 1995 und der Widerspruchsbescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen Sachsen-Anhalt vom 13. Dezember 1996 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, die Entschädigungsberechtigung des Klägers hinsichtlich dessen in die Verfügungsgewalt des Ministeriums für Staatssicherheit gelangten Briefmarken- und Münzsammlungen festzustellen.
Im Übrigen wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt die Feststellung seiner Berechtigung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG hinsichtlich einer Briefmarken- und einer Münzsammlung. Diese ihm gehördenden Sammlungen sollen nach seinen Angaben die jeweils postfrischen und gestempelten Briefmarken Deutschlands und Westberlins von 1898 bis 1963 und der ehemaligen DDR bis 1973 sowie alle deutschen Münzen von 1906 bis 1963 sowie diejenigen der DDR von 1945 bis 1974 umfasst haben. Den Wert der Briefmarkensammlung bezifferte der Kläger unter Vorlage der Auskunft eines Fachhändlers auf 433 000 DM und den Wert der Münzsammlung unter Vorlage eines Sachverständigengutachtens auf 125 000 DM.
Nachdem die Ausreise des Klägers und seiner Familie aus der DDR 1974 genehmigt worden war, hinterließ der Kläger die Sammlungen in einem mit seinem Namen beschrifteten Koffer bei seinem Bekannten, Herrn R., der für ihn den Koffer aufbewahren sollte, bis der Kläger eine Möglichkeit gefunden habe, später die Sammlungen heimlich aus der DDR in den Westen zu holen. Herr R. war als informeller Mitarbeiter für das Ministerium der Staatssicherheit der DDR tätig und erstattete seit 1972 ständig Berichte über den Kläger.
Im Februar 1990 teilte Herr R. dem Kläger mit, dass „der Koffer im Zusammenhang mit einer Steuerangelegenheit ≪des R.≫ 1978 eingezogen worden” sei. Ein Mitarbeiter der Staatssicherheit habe ohne Protokoll und Quittung den Koffer abgeholt unter Hinweis auf ein geplantes Devisenvergehen.
Aus den beigezogenen, offensichtlich lückenhaften MfS-Unterlagen geht nicht hervor, wann und wie das MfS in den Besitz des Koffers gekommen ist. In einer Notiz wird aber von einem „Koffer für Münzsammlungen/Marken, zwei Schlüssel” ebenso gesprochen wie von der „Genex”, einem Unternehmen zur Erwirtschaftung kapitalistischer Valuten außerhalb des Staatsplans. Ein weiterer Hinweis auf die streitbefangene Briefmarken- und Münzsammlung findet sich in einem Übergabe-/Übernahmeprotokoll vom 9. Dezember 1983, ausweislich dessen die Kreisdienststelle Weißenfels des MfS die „als Anlage aufgeführten” Münzen und Briefmarken „zur weiteren Verwendung” an die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Halle, Abteilung Finanzen, übergab. Die Anlage zu diesem Protokoll ist in den Beständen des BStU nicht mehr enthalten.
Unter dem 14. August 1990 machte der Kläger vermögensrechtliche Ansprüche hinsichtlich der Sammlungen geltend. Mit Schreiben vom 5. April 1991 beantragte er eine Entschädigung für den Fall, dass die Sammlungen nicht mehr auffindbar wären. Mit Bescheid vom 21. August 1995 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab. Die Sammlungen seien nicht mehr auffindbar, sodass eine Rückgabe der Natur der Sache nach ausgeschlossen sei. Es sei weder eine Verwertungshandlung ersichtlich noch gebe es Hinweise auf einen etwaigen erzielten Erlös. Deshalb sei gemäß § 10 Abs. 2 VermG a.F. auch der Antrag auf Gewährung einer Entschädigung abzulehnen. Aus dem Fehlen des Erlöses sei auf die Wertlosigkeit der Sache zu schließen. Im Übrigen enthalte das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz keine Bemessungsgrundlage für eine Entschädigung dieser Art.
Gegen den Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, soweit der Antrag auf Gewährung vermögensrechtlicher Ansprüche für den Verlust der streitbefangenen Sammlung zurückgewiesen worden ist. Das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen wies mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 1996 den Widerspruch zurück.
Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 10. Dezember 1998 im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen: Ein Entschädigungsanspruch stehe dem Kläger nicht zu, da er schon kein Berechtigter im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG sei. Die Münz- und Briefmarkensammlungen hätten keiner schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 VermG unterlegen, da nicht nachweisbar sei, dass der Kläger über den Besitz hinaus auch das Eigentum an dem Vermögenswert aufgrund staatlicher Unrechtsmaßnahmen verloren habe. Es lasse sich nicht belegen, dass die in staatlichen Gewahrsam übergegangenen Sammlungen derart für staatliche Zwecke verwendet worden seien, dass damit ein Eigentumsverlust verbunden sei. Die bloße Überstellung der Sammlungen an die Abteilung Finanzen des MfS reiche hierfür nicht aus. Eine Enteignung sei vor dem Hintergrund der Rechtswirklichkeit der DDR nur gegeben, wenn der Eigentümer nach Ansicht der staatlichen Organe das Eigentum kraft eines Rechts- oder Realakts verloren hätte und keine realistische Möglichkeit bestünde, das Eigentum wiederzuerlangen. Die Sammlungen seien aber weder auf dem internationalen Markt aufgetaucht noch sei eine anderweitige Verwertungshandlung durch den späteren Besitzer erkennbar, sodass nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Kläger das Eigentum an den Sammlungen gar nicht verloren hätte. Ein Eigentumsverlust wäre jedenfalls dann nicht eingetreten, wenn ein Dritter, beispielsweise ein MfS-Mitarbeiter sich die Sammlungen rechtswidrig angeeignet hätte. Sollten die Sammlungen heute auftauchen, so könnte der Kläger jedenfalls einen zivilrechtlichen Herausgabeanspruch geltend machen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung sachlichen Rechts und vertieft seinen bisherigen Rechtsstandpunkt. Er sei Berechtigter im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG, da es für die Frage der Berechtigung nur darauf ankomme, ob sich der Vermögensverlust für den Betroffenen als unangreifbar darstelle, nicht hingegen auf eine bestimmte Form der Enteignung. Die Beschlagnahme und Einziehung des Koffers mit den Sammlungen stelle einen Realakt dar, durch den der Kläger das Eigentum verloren habe.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Halle vom 10. Dezember 1998 sowie Nr. 1 des Bescheides des Beklagten vom 21. August 1995 und des Widerspruchsbescheides des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 13. Dezember 1996 den Beklagten zu verpflichten, ihn als Berechtigten hinsichtlich der Schädigung seiner Briefmarken- und Münzsammlung festzustellen und ihm einen Entschädigungsbetrag zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und weist darauf hin, dass ein Vermögensverlust des Klägers nicht eingetreten sei. Der Inhalt des Übernahme-/Übergabeprotokolls vom 9. Dezember 1983 belege, dass den Beteiligten seinerzeit bewusst gewesen sei, dass einem Herausgabeverlangen des Klägers hätte entsprochen werden müssen. Die Sammlungen seien weder beschlagnahmt noch eingezogen, sondern nur abgelagert und inventarisiert worden. Es sei auch nicht nachgewiesen, dass die Sammlungen tatsächlich in das Fiskalvermögen der DDR gelangt seien. Eine unlautere Machenschaft liege nicht vor, da der Kläger die Sammlungen aus eigenem Entschluss Herrn R. überlassen habe und zwar mit dem Risiko, dass dieser die Sammlungen veruntreuen könnte.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig und begründet.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht. Es verstößt gegen § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG, da das Verwaltungsgericht die Berechtigteneigenschaft des Klägers zu Unrecht verneint hat. Insoweit ist die Sache entscheidungsreif. Hinsichtlich der Höhe der begehrten Entschädigung ist dem Senat eine abschließende Entscheidung dagegen nicht möglich, da bisher tatsächliche Feststellungen zur Bemessungsgrundlage der Entschädigung für bewegliche Sachen nach § 5 a des Entschädigungsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung vermögensrechtlicher und anderer Vorschriften (Vermögensrechtsergänzungsgesetz – VermRErgG) vom 15. September 2000 (BGBl I S. 1382), das nach Art. 6 am 22. September 2000 in Kraft getreten ist, fehlen. Insoweit muss die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden (§ 144 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VwGO).
Berechtigte i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG sind u.a. natürliche Personen, deren Vermögenswerte von Maßnahmen gemäß § 1 VermG betroffen sind. Das ist bei dem Kläger der Fall. Der Kläger war Eigentümer der Briefmarken- und Münzsammlungen. Die dazu gehörenden einzelnen Briefmarken und Münzen sind gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 VermG restitutionsfähige Vermögenswerte.
Die streitbefangenen Sammlungen unterlagen auch einer schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG. Das Verwaltungsgericht verkennt die Rechtslage, wenn es die Beschlagnahme der Sammlungen und ihre Übergabe an die Dienststellen des MfS lediglich für einen Besitzentzug, nicht aber für eine schädigende Maßnahme nach § 1 VermG gehalten hat.
In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht es als einen das gesamte Vermögensrecht prägenden Rechtsgedanken bezeichnet, dass ein wiedergutzumachendes staatliches Unrecht nicht erst dann anzunehmen ist, wenn der staatliche Zugriff auf das Vermögen nach der maßgeblichen Rechtslage in jeder Beziehung einwandfrei erfolgt ist; denn für viele als wiedergutmachungsbedürftig anzuerkennende Sachverhalte ist es typisch, dass Vermögenswerte nicht rechtswirksam entzogen werden. Eine Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes ist deshalb immer dann anzunehmen, wenn der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt wurde, wobei keine bestimmte Form der Enteignung vorausgesetzt ist (stRspr, Urteile vom 17. April 1997 – BVerwG 7 C 15.96 – BVerwGE 104, 279 = Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 26 und vom 13. Februar 1997 – BVerwG 7 C 50.95 – BVerwGE 104, 84 ≪87≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 104 S. 311 ≪313 f.≫).
Eine vollständige und endgültige Verdrängung des Klägers aus seinem Eigentum an den streitbefangenen Sachen lag spätestens mit der Überstellung der Sammlungen „zur weiteren Verwendung” an die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Halle, Abteilung Finanzen, vor. Jedenfalls mit der Zuführung der Sammlungen zur überörtlichen Dienststelle des MfS in Halle hat sich das MfS die Sammlungen des Klägers zu eigenen Zwecken faktisch angeeignet. Dabei ist es unerheblich, dass buchungsmäßige Nachweise für eine wirtschaftliche Verwertung der Sammlungen nicht auffindbar waren. Denn das auch in der Volkswirtschaft der DDR tätige MfS war bestrebt, die Eigentumsverhältnisse an den in seinen Besitz gelangten Wertgegenständen zu verschleiern. Die Tätigkeit des MfS erschöpfte sich nicht nur in der Unterwanderung der volkseigenen Betriebe mit hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern, sondern das MfS war auch in bestimmten Wirtschaftsbereichen selbst maßgeblich tätig, vor allem im Außenhandel und im Handel mit Luxusgütern und der „Embargoware” (vgl. Seul, Arnold, in seinem Beitrag „Das Ministerium für Staatssicherheit und die DDR-Volkswirtschaft”, in Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland”, herausgegeben vom Deutschen Bundestag, Baden-Baden 1995, Band VIII S. 532 ff.). Mit dem MfS eng verflochten war der zum Zwecke der Devisenbeschaffung beim Ministerium für Außenhandel eingerichtete Bereich „kommerzielle Koordinierung”. Dessen Leiter Schalck-Golodkowski und andere führende Personen dieses Bereichs wurden als „Offiziere im besonderen Einsatz” der Staatssicherheit geführt (vgl. Seul, a.a.O., S. 576).
Dem Bereich „kommerzielle Koordinierung” war zum einen die in den vorliegenden Akten der Staatssicherheit erwähnte Genex GmbH unterstellt und zum anderen auch der Außenhandelsbetrieb „Kunst und Antiquitäten”, der entsprechende Kunstgüter gegen Devisen in das westliche Ausland veräußerte.
Dieser zeitgeschichtliche Befund deckt sich mit den DDR-internen Anweisungen, die sich aus einer „Zusammenstellung der wesentlichen Rechercheergebnisse zur Einziehung von beweglichen Gegenständen sowie Recherchemöglichkeiten im Amtsermittlungsverfahren” aus dem Bericht des BARoV vom 24. November 1997 ergeben. In Ziffer 3 der Anweisung Nr. 5/77 des Ministerrats der DDR – Ministerium für Staatssicherheit – Abteilung Finanzen vom 11. August 1977 waren die Einzelheiten für die Übernahme und Nachweisführung bezüglich von Asservaten und eingezogenen Gegenständen geregelt, die dem Finanzorgan des MfS zur Verwahrung bzw. Verwertung übergeben wurden. Im Einzelnen sollte die Übernahme der Asservate von den Diensteinheiten des MfS auf der Grundlage von Übergabe-/Übernahmeprotokollen erfolgen, wobei zwischen Verwahrung und Verwertung zu trennen war. Die Verwertung der Asservate war detailliert in der Ziffer 5 geregelt, wobei u.a. ein schriftlicher Verwertungsauftrag der zuständigen Diensteinheit erforderlich war. Nach Ziffer 5.6 der Anordnung waren „bei der Vorbereitung zur Verfügung alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um zu sichern, dass die Asservate (mit Ausnahme der Sparbücher und ihrer Verpackung) keine Rückschlüsse auf ihre Herkunft, die bearbeiteten Vorgänge und Personen zulassen”.
Nach den Feststellungen im verwaltungsgerichtlichen Urteil und den dem Senat vorliegenden Verwaltungsvorgängen spricht alles dafür, dass die Sammlung des Klägers zugunsten des Fiskus der DDR verwertet werden sollten. Mit der Überstellung der Sammlungen an die Bezirksverwaltung der Staatssicherheit gerade der Abteilung Finanzen, die in die beschriebene Devisenbeschaffung eingebunden war, ist der Kläger nach alledem vollständig und dauerhaft aus seinem Eigentum verdrängt worden.
Der als Eigentumsverlust zu wertenden Überstellung der Sammlung an die Dienststellen des MfS steht auch nicht die Handlungsweise des Klägers bei seiner Ausreise entgegen. Ihm kann nicht zur Last gelegt werden, dass er die Sammlung nicht in den Westen mitgenommen hat. Zwar war die Mitnahme von beweglichem Vermögen auch bei einer Ausreise aus der DDR, selbst wenn dies genehmigungspflichtig war, grundsätzlich zulässig (vgl. Urteil vom 2. Februar 2000 – BVerwG 8 C 29.98 – VIZ 2000, 338). Das Zurücklassen der Sammlung beruhte aber offenbar auf der Befürchtung des Klägers, dass die staatlichen Stellen bei einer Ausreise Zugriff auf die Sammlungen nehmen würden.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts und dem Akteninhalt ist das Eigentum des Klägers auch von einer schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG betroffen. Der eingetretene Vermögensverlust beruhte auf einer unlauteren Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG. Nach dieser Bestimmung ist eine vermögensrechtliche Schädigung gegeben, wenn Vermögenswerte sowie Nutzungsrechte aufgrund unlauterer Machenschaften, z.B. durch Machtmissbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung von Seiten des Erwerbers, staatlicher Stellen oder Dritter erworben wurden. Die Bestimmung betrifft solche Vorgänge, von denen im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf bestimmte Vermögenswerte zugegriffen wurde. Ein derartiges qualifiziertes Einzelfallunrecht liegt vor, wenn bei dem Erwerbsvorgang – gemessen an den in der DDR gültigen Rechtsvorschriften und den sie tragenden ideologischen Grundvorstellungen – nicht „alles mit rechten Dingen zugegangen ist” (stRspr des BVerwG, Urteil vom 29. Februar 1996 – BVerwG 7 C 59.94 – BVerwGE 100, 310 ≪312≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 68 S. 191 ≪192≫ m.w.N.; Urteil vom 20. März 1997 – BVerwG 7 C 23.96 – BVerwGE 104, 186 ≪188≫ = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 108 S. 324 ≪325 f.≫). Dabei muss die als unlautere Machenschaft zu bewertende Maßnahme zielgerichtet den Verlust des zu restituierenden Vermögenswerts bezweckt haben. Ein derartiges qualifiziertes, zielgerichtetes Einzelfallunrecht ist im vorliegenden Fall zu bejahen. Dabei kann allerdings nicht auf die Vorgänge abgestellt werden, bei denen die Dienststellen des MfS die Sammlungen des Klägers auf eine ausweislich der vorhandenen MfS-Unterlagen nicht mehr nachvollziehbare Weise (eventuell im Zusammenhang mit der Steuerangelegenheit des informellen Mitarbeiters R.) an sich gebracht und anschließend in der Dienststelle Weißenfels „abgelagert und inventarisiert” haben, mit dem Ziel der „Durchführung einer operativen Maßnahme zur Nachweisführung strafbarer Handlungen”. Offenbar erwarteten die DDR-Stellen, dass der Kläger nach seiner Ausreise versuchen würde, die Sammlungen aus der DDR herauszuschmuggeln. Da die Dienststellen des MfS hinsichtlich bestimmter Straftaten in der DDR „Untersuchungsorgan” im Sinne des § 88 Abs. 2 Nr. 2 der StPO DDR waren und Ermittlungen wegen Verbrechens u.a. gegen die „Souveränität der DDR, den Frieden, die Menschlichkeit und die Menschenrechte” führen konnten, hätte sich die Mitnahme der Sammlungen des Klägers zunächst als Teil eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und damit als eine Ermittlungsmaßnahme darstellen können. Dafür könnte im Übrigen das am 9. Dezember 1983 gefertigte Übergabe-/Übernahmeprotokoll sprechen, ausweislich dessen zunächst das Ziel verfolgt wurde, dem Kläger strafbare Handlungen nachzuweisen, in deren Rahmen dann eine Einziehung der Sammlungen gemäß § 56 DDR-StGB möglich gewesen wäre. Eine mögliche Einziehung nach § 56 DDR-StGB schied aber aus, als der Kläger sich nicht mehr um die Wiedererlangung der Sammlung während des Bestands der DDR bemühte, also auch keine Straftat im Sinne des DDR-Rechts zu erwarten war.
Das qualifizierte Einzelfallunrecht liegt jedoch in der Abgabe der Sammlungen an die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Halle „zur weiteren Verwendung”. Dadurch wurde manifest, dass die örtliche Dienststelle nicht mehr davon ausging, der Kläger werde noch strafbare Handlungen zur Wiedererlangung der Sammlungen unternehmen. In der Freigabe der beschlagnahmten fremden Gegenstände „zur weiteren Verwendung” verkörpert sich nicht nur der staatliche Zugriff auf das Eigentum des Klägers mit dem Ziel, diesen dauerhaft und vollständig aus seinem Eigentum zu verdrängen, sondern auch ein manipulativer, sittlich vorwerfbarer Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR im Einzelfall. Denn die Kreisdienststelle des MfS hat die Sammlungen gewissermaßen als herrenlos betrachtet, als ob der Kläger sein Eigentum aufgegeben hätte, wie sich insbesondere aus dem Protokoll vom 9. Dezember 1983 ergibt. Die Aneignung der Sammlung durch die Dienststelle des MfS war jedoch vom Recht der DDR nicht gedeckt. Aus dem Umstand, dass der Kläger seine Sammlungen in der DDR zurückgelassen hatte, ergab sich kein Recht für die Staatssicherheitsorgane, den Kläger aus seinem Eigentum vollständig und dauerhaft zu verdrängen. Unerheblich ist dabei, dass trotz intensiver Ermittlungen seitens des Beklagten weder der Verbleib der Sammlungen noch der Existenz der einzelnen Gegenstände als solcher geklärt worden ist. Diese Frage ist nur für die Rückgabe des Vermögenswertes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG von Belang, die im Falle des Klägers gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG ausgeschlossen ist, weil die Rückübertragung dann „von der Natur der Sache her nicht mehr möglich ist”.
Das Verwaltungsgericht ist von seinem rechtlichen Standpunkt her folgerichtig nicht auf die Frage eingegangen, ob das Vermögensgesetz eine Rechtsgrundlage für eine Entschädigung bei Entziehung beweglicher Sachen bot, die von der Natur der Sache her nicht zurückgegeben werden können, und welche Bedeutung eine unterbliebene Erlösauskehr hatte. Fehlte bisher eine gesetzliche Grundlage für die konkrete Bemessung der Entschädigung (vgl. Urteil vom 19. November 1998 – BVerwG 7 C 40.97 – BVerwGE 107, 380 ≪381≫ f. = Buchholz 428 § 9 VermG Nr. 3 S. 11 ≪12≫), so ist nunmehr der Gesetzgeber seiner Verpflichtung, eine solche gesetzliche Bemessungsgrundlage einzuführen durch die Schaffung des § 5 a EntschG n.F. nachgekommen. Das Verwaltungsgericht wird die Regelung des § 5 a Abs. 1 des Entschädigungsgesetzes zu berücksichtigen haben, wonach die Bemessungsgrundlage der Entschädigung für bewegliche Sachen der im Verhältnis 2:1 auf Deutsche Mark umgestellte Wert der Sache zum Zeitpunkt der Entziehung ist und ggf. eine Schätzung vorzunehmen ist, sofern sich der Wert nicht nach § 5 a Abs. 1 S. 2, Abs. 2 oder Abs. 3 EntschG feststellen lässt. Nach den konkreten Umständen des Falles steht der begehrten Entschädigung die Regelung in § 5 a Abs. 5 EntschG nicht entgegen. Danach wird eine Entschädigung nur gewährt, wenn der Verlust der beweglichen Sachen durch einen im zeitlichen Zusammenhang mit der Schädigung erstellten, schriftlichen Beleg nachgewiesen wird. Ein derartiger zeitnaher schriftlicher Beleg ist nämlich in dem von der Dienststelle des MfS erstellten internen Übernahme-/Übergabeprotokoll vom 9. Dezember 1983 zu sehen. Die ausweislich der Akten ursprünglich vorhandene Anlage zu diesem Protokoll, die eine genauere Umschreibung der streitbefangenen Sammlungen umfasste, ist zwar nicht mehr in den Akten der Staatssicherheit enthalten. Dieser Umstand kann jedoch nicht zu Lasten des Klägers ausschlagen, da nach den genannten Dienstanweisungen des Ministeriums für Staatssicherheit bei der wirtschaftlichen Betätigung des MfS ein konspiratives Vorgehen beabsichtigt war, um bei der Verwertung der in Gewahrsam genommenen Wertgegenstände zum Zwecke der Devisenbeschaffung deren wahre Herkunft bewusst zu verschleiern. Eine etwaige daraus resultierende Beweisnot kann dann aber nicht den Geschädigten treffen. Im Übrigen weist der Senat auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/1932 S. 15) hin, wonach zum Nachweis u.a. Einziehungs- oder Beschlagnahmeprotokolle, Asservatenakten, Akten des Beauftragten der Bundesregierung für die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienst der DDR etc. ausreichen.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Sailer, Krauß, Golze
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.10.2000 durch Sieber Angestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 544055 |
BuW 2001, 207 |
BVerwGE, 106 |
NJ 2001, 214 |