Entscheidungsstichwort (Thema)

Auskunft aus Fahrzeugregister. Verwaltungsgebühr Kostenfreiheit für Sozialleistungsträger. Rückgriff beim Schädiger als “Erbringung” von Sozialleistungen. Amtshilfe. eigene Aufgabe

 

Leitsatz (amtlich)

Die von einem Sozialleistungsträger erbetene Auskunft aus dem Fahrzeugregister über einen Fahrzeughalter, gegen den als Schädiger Rückgriff genommen werden soll, ist nach § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X kostenfrei.

 

Normenkette

SGB X §§ 3, 7 Abs. 1, § 64 Abs. 2 S. 1, § 116; VwVfG §§ 4, 8 Abs. 1; StVZO § 26 Abs. 5

 

Verfahrensgang

OVG Berlin (Beschluss vom 22.11.1985; Aktenzeichen 1 B 5.84 u.a.)

VG Berlin (Urteil vom 02.11.1983; Aktenzeichen 4 A 334.82 u.a.)

 

Tenor

Die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 22. November 1985. das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. November 1983 und dessen Urteile vom 16. Mai 1984 werden aufgehoben.

Ferner werden die Bescheide des Polizeipräsidenten vom 23. Februar 1982, vom 7. Juni 1982 und vom 30. April/13. Mai 1982 sowie die Widerspruchsbescheide des Senators für Wirtschaft und Verkehr vom 28. Juli 1982, vom 11. August 1982 und vom 10. August 1982 aufgehoben.

Das beklagte Land trägt die Kosten der Verfahren.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerinnen sind Träger der gesetzlichen Kranken- bzw. Unfallversicherung; sie wenden sich gegen ihnen auferlegte Verwaltungsgebühren. Sie haben Sozialleistungen für Versicherte erbracht, die bei Verkehrsunfällen verletzt wurden und wollen nunmehr kraft Forderungsübergangs (§ 116 SGB X) Rückgriff beim Unfallverursacher nehmen. Auf Anfrage wurden ihnen vom Polizeipräsidenten des beklagten Landes aus dem Fahrzeugregister die Halter der an den Unfällen beteiligten Fahrzeuge mitgeteilt. Für die Auskunft setzte der Polizeipräsident eine Verwaltungsgebühr von jeweils 4.40 DM fest.

Die unter Hinweis auf die Gebührenfreiheit von Amtshilfe eingelegten Widersprüche blieben ebenso wie die anschließend durchgeführten Klagen und Berufungen erfolglos. In den Begründungen der Berufungsentscheidungen heißt es: Die Erteilung von Auskünften an Behörden nach § 26 Abs. 5 StVZO sei keine Amtshilfe. sondern eine eigene Aufgabe der Zulassungsstellen im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG. § 3 Abs. 2 Nr. 2 SGB X. Sie stehe nämlich in untrennbarem sachlichen Zusammenhang mit dem Kernbereich der von den Zulassungsstellen zu erbringenden Tätigkeiten, dem Führen von Fahrzeugkarteien. Die Karteien dienten nicht nur den internen Zwecken der Straßenverkehrsbehörden. sondern auch der Weitergabe der registrierten Daten unter den in § 26 Abs. 5 StVZO genannten Voraussetzungen.

Mit den vom erkennenden Senat zugelassenen Revisionen tragen die Klägerinnen vor: Auskünfte aus dem Fahrzeugregister an Sozialleistungsträger. die auf sie gemäß § 116 SGB X übergegangene Ansprüche verfolgten. seien (gebührenfreie) Amtshilfe. Die Vorschrift des § 26 Abs. 5 StVZO habe nur den Zweck. die Weitergabe personenbezogener Daten zu erlauben. Die Zuweisung einer eigenen Aufgabe sei dies unter anderem deshalb nicht, weil die Zulassungsstelle die Berechtigung des Auskunftsbegehrens nicht prüfen dürfe. Dem Institut der gebührenfreien Amtshilfe liege gerade der Gedanke zugrunde, die in Erfüllung der behördlichen Aufgaben erzielten Arbeitsergebnisse auch anderen Behörden zur Ersparung von Aufwendungen verfügbar zu machen. Die Gebührenfreiheit folge ferner aus der Bestimmung des § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X. Das Geltendmachen von Ersatzansprüchen gehöre zu den dort aufgeführten Geschäften und Verhandlungen aus Anlaß der Erbringung oder Erstattung von Sozialleistungen.

Das beklagte Land hält die Berufungsentscheidungen für richtig und meint zudem, daß sich aus § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X eine Gebührenfreiheit nicht herleiten lasse. Diese Vorschrift gelte nur für das Verhältnis Bürger-Behörde. Überdies fehle es bei einer zu Zwecken des Rückgriffs erbetenen Halterauskunft an dem konkreten Zusammenhang mit der Erbringung oder der Erstattung einer Sozialleistung.

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Er hält die Vorschriften über Amtshilfe für nicht anwendbar, bejaht dagegen die Gebührenfreiheit aus § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revisionen sind begründet. Die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts sind mit Bundesrecht nicht vereinbar; die Auskünfte aus dem Fahrzeugregister hätten gebührenfrei erteilt werden müssen.

Der Senat kann die Frage unentschieden lassen. ob Auskünfte an Behörden nach § 26 Abs. 5 StVZO Maßnahmen der Amtshilfe und deshalb gebührenfrei sind (§§ 4 Abs. 1. 8 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. §§ 3 Abs. 1, 7 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – vom 18. August 1980. BGBl. I S. 1469 – SGB X –) oder ob es sich um von der Amtshilfe ausgenommene “eigene Aufgaben” der Zulassungsstellen handelt (vgl. §§ 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG. 3 Abs. 2 Nr. 2 SGB X). Die Befreiung von den in der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) vorgesehenen Verwaltungsgebühren ergibt sich für die Klägerinnen als Sozialleistungsträger jedenfalls aus § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X.

Nach dieser Vorschrift sind Geschäfte und Verhandlungen, die aus Anlaß der Beantragung, Erbringung oder der Erstattung einer Sozialleistung nötig werden, kostenfrei. Diese Regelung gilt, wie auch für die inhaltlich vergleichbare Bestimmung des § 118 Abs. 1 Halbsatz 1 BSHG allgemein anerkannt war, nicht nur für die Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Sozialleistungsträger. sondern gleichfalls im Verhältnis von Sozialleistungsträgern zu anderen Behörden. und zwar auch zu solchen, deren Verwaltungstätigkeit wie im Fall der Zulassungsstellen nicht nach dem Sozialgesetzbuch ausgeübt wird. Der erkennende Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des 8. Senats im Urteil vom 26. Juni 1987 – BVerwG 8 C 70.85 – NVwZ 1987, 1070 m.w.N. an.

Die Einwände des beklagten Landes gegen diese Rechtsprechung greifen nicht durch. Es verweist auf die systematische Stellung des § 64 SGB X im Abschnitt “Kosten, Zustellung und Vollstreckung” und meint, hierbei handele es sich um Bereiche, die typischerweise das Verhältnis Bürger-Behörde beträfen. Dies trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu; denn zumindest die Vorschriften über Kosten und Zustellung haben auch im Verhältnis von Behörden zueinander ihren Sinn und ihre praktische Bedeutung (vgl. z.B. die durch § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB X für anwendbar erklärte Bestimmung des § 5 Abs. 2 VwZG). Auch der Hinweis auf die Bestimmung des § 7 Abs. 1 SGB X, die nach Ansicht des beklagten Landes im Anwendungsbereich des Sozialgesetzbuches die Kostenfreiheit im Verhältnis zwischen Behörden abschließend regelt, überzeugt nicht. § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist vielmehr als Spezialvorschrift anzusehen, die für das behördliche Zusammenwirken anläßlich der Beantragung, Erbringung oder Erstattung einer Sozialleistung stets Kostenfreiheit anordnet, gleichgültig, ob die betreffenden Maßnahmen auch als Amtshilfe anzusehen sind oder nicht (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1987 a.a.O.). Denn die Befreiung von den Kosten bezweckt, im Bereich der Sozialleistungen die verfügbaren, der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit dienenden Mittel (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB – Allgemeiner Teil –) möglichst ungeschmälert ihrer eigentlichen Zweckbestimmung zuzuführen, indem die Leistungsempfänger und Leistungsträger von vermeidbaren Kostenbelastungen freigehalten werden. Bei dieser Auslegung des § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X bleibt durchaus noch Raum für eine Anwendung von § 7 Abs. 1 SGB X nämlich bei der behördlichen Tätigkeit außerhalb des engeren Sozialleistungsbereichs (z.B. allgemeine Verwaltung. Erhebung von Beiträgen. Verwaltung und Anlage der Mittel).

Die Erteilung von Auskünften aus dem Fahrzeugregister zu dem Zweck, die Person eines ersatzpflichtigen Unfallverursachers zu ermitteln, gehört zu den in § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X angesprochenen “Geschäften und Verhandlungen”. Diese Begriffe sind. entsprechend dem mit der Kostenfreiheit verfolgten Zweck, weit zu verstehen. Sie umfassen alle mit der Beantragung, Erbringung oder Erstattung von Sozialleistungen in Zusammenhang stehenden Verwaltungstätigkeiten, wie dies schon für die insoweit gleichlautende Vorschrift des § 118 Abs. 1 Halbsatz 1 BSHG anerkannt war (vgl. Knopp/Fichtner. Kommentar zum BSHG. 4. Aufl. 1979. § 118 RdNr. 4; Gottschick/Giese. Kommentar zum BSHG, 5. Aufl. 1974, § 118 RdNr. 4).

Schließlich sind die von den Klägerinnen beantragten Auskünfte aus dem Fahrzeugregister aus Anlaß der “Erbringung” einer Sozialleistung erteilt worden. Allerdings dienten die Auskünfte, anders als in dem dem Urteil des 8. Senats vom 26. Juni 1987 a.a.O. zugrundeliegenden Fall, nicht dazu, den Klägerinnen die Gewährung der Sozialleistungen an ihre Versicherten zu ermöglichen. Gleichwohl sind auch Maßnahmen. die wie der Rückgriff beim Schadensersatzpflichtigen kraft gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 116 SGB X in einem untrennbaren inneren Zusammenhang mit der Leistungsgewährung stehen. von der Kostenfreiheit erfaßt. Dies ergibt sich aus den folgenden Überlegungen.

Bereits die Formulierung “aus Anlaß” der Erbringung von Sozialleistungen legt ein Verständnis nahe, das die Kostenfreiheit nicht auf den engen Bereich der eigentlichen Leistungsgewährung beschränkt. Das wird unterstrichen durch den mit der Kostenfreiheit verfolgten Zweck, die Sozialleistungsträger im Leistungsbereich von unnötigen Ausgaben zu entlasten. Dieses Ziel gebietet es, die Besonderheiten des Rechts der Sozialleistungen, insbesondere die enge Verflechtung zwischen Leistung und Rückgriff zu beachten. In Fällen wie den hier zu beurteilenden ist der Sozialleistungsträger zwar dem Versicherten gegenüber zunächst leistungspflichtig, doch soll der Aufwand im Ergebnis nicht von der Solidargemeinschaft der Versicherten, sondern vom Schädiger getragen werden. Die Kehrseite dieser Vorleistungspflicht sind also die Befugnis und die Verpflichtung der Sozialleistungsträger, die bereits mit Eintritt des Schadensereignisses auf sie nach § 116 SGB X übergegangenen Ersatzansprüche gegen Dritte geltend zu machen. Leistung und Rückgriff sind so gesehen ein einheitlicher Vorgang. Auch in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ist anerkannt, daß die Folgeaufgabe des Rückgriffs gegen den Schädiger so eng mit der Leistungsgewährung verknüpft ist, daß sie dieser in aller Regel noch zuzurechnen ist (vgl. BSG, Urteil vom 10. November 1977, MDR 1978, 346 ≪347≫).

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, daß die von den Klägerinnen eingeholten Auskünfte aus dem Fahrzeugregister “nötig” waren, um die schadensersatzpflichtigen Halter von unfallbeteiligten Kraftfahrzeugen zu ermitteln. Damit sind auch in tatsächlicher Hinsicht die Voraussetzungen einer Kostenbefreiung nach § 64 Abs. 2 Satz 1 SGB X erfüllt. Der Senat kann deshalb in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO) und die angefochtenen rechtswidrigen Gebührenbescheide aufheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

 

Unterschriften

Prof. Dr. Sendler, Kreiling, Seebass, Dr. Paetow, Dr. Bardenhewer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1344467

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