Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten die Hauptsache für erledigt erklärt haben. Insoweit und hinsichtlich der jeweiligen Kostenentscheidung sind das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 2. August 1999 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. März 2000 unwirksam.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts geändert, soweit darin der Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 16. März 1998 hinsichtlich § 53 Abs. 4 AuslG aufgehoben worden ist. Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen werden die Revisionen zurückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Beteiligte die Hälfte, die Beklagte drei Achtel. Die Kosten des Verfahrens in erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte zu drei Viertel.
Im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger, ein aus dem Nordirak stammender irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, reiste 1997 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte Asyl. Mit Bescheid vom 12. Februar 1997 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) die Gewährung von Asyl ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich des Irak vorliegen und im Übrigen Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Der Kläger müsse vor allem wegen seiner Asylantragstellung in Deutschland bei einer Rückkehr in den Irak politische Verfolgung und menschenrechtswidrige Behandlung befürchten.
Im Dezember 1997 teilte die Grenzschutzstelle beim Flughafen Stuttgart dem Bundesamt mit, aufgrund von Stempeleintragungen türkischer Grenzbehörden im Reiseausweis des Klägers bestehe der Verdacht, dass sich der Kläger im Irak aufgehalten habe. Nach vorheriger Anhörung widerrief das Bundesamt mit Bescheid vom 16. März 1998 die „Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 und § 53 Abs. 4 AuslG” und stellte unter Nr. 2 des Bescheids fest, dass „Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen”. Zur Begründung führte es aus, die Situation im Nordirak sei nach derzeitigem Erkenntnisstand nunmehr grundlegend anders als zurzeit des Ausgangsbescheids zu bewerten. Für Angehörige der kurdischen Volksgruppe bestehe im Nordirak keine Verfolgungsgefahr. Dies werde auch durch die vorübergehende Rückreise des Klägers in den Irak bestätigt.
Das Verwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Widerrufsbescheid aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, der Widerruf einer Asylanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG setze voraus, dass eine nachträgliche Änderung der asylrechtlichen Umstände eingetreten sei. Dies sei hier nicht der Fall. Die asylrechtlichen „Eckdaten” im Irak, insbesondere die Situation der Kurden im Nordirak, seien seit Ende 1991 im Wesentlichen unverändert geblieben. Mit dem Widerruf habe das Bundesamt nicht einer nachträglichen Veränderung der asylerheblichen Umstände Rechnung tragen, sondern die unzutreffende Beurteilung der Verhältnisse im Ausgangsbescheid heilen wollen. Der Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG könne nicht in eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 VwVfG umgedeutet werden. Es spreche viel dafür, dass die Vorschriften der §§ 72 f. AsylVfG abschließend seien. Außerdem könne die gebundene Entscheidung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht in eine Ermessensentscheidung nach § 48 Abs. 1 VwVfG umgedeutet werden.
Mit der Revision machen die Beklagte und der Beteiligte geltend, § 73 Abs. 1 AsylVfG rechtfertige den Widerruf auch bei einer nachträglichen Änderung der Erkenntnislage.
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung die Feststellung in Nr. 2 des Widerrufsbescheids, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG im Übrigen nicht vorliegen, aufgehoben; darauf haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache insoweit für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen und sind die Entscheidungen der Vorinstanzen für unwirksam zu erklären (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 92 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch der Widerruf der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG sowie der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG. Die Revision der Beklagten hinsichtlich der Frage eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Im Übrigen haben die Revisionen der Beklagten und des Beteiligten keinen Erfolg.
Der Widerruf der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG durch das Bundesamt ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn die Entscheidung kann nicht auf eine tragfähige Aufhebungsbestimmung gestützt werden. Insoweit hat das Berufungsgericht den angefochtenen Widerrufsbescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben.
Die vom Bundesamt seinem Widerrufsbescheid zugrunde gelegte Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG lässt, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, den Widerruf einer Anerkennung als politisch Verfolgter, gleich ob sie rechtswidrig oder rechtmäßig gewährt wurde, nur zu, wenn sich die für die Berurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich geändert haben (vgl. hierzu im Einzelnen das Urteil des Senats vom heutigen Tage in der Sache BVerwG 9 C 12.00). Ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Berufungsgericht auf der Grundlage von den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) eine erhebliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse insbesondere im Hinblick darauf verneint, dass der Kläger im Nordirak nach wie vor vor politischer Verfolgung sicher ist. Die Revisionen haben gegen diese Feststellungen keine Einwände erhoben. § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG scheidet daher als Rechtsgrundlage für den erfolgten Widerruf aus.
Der Widerruf der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG kann auch nicht auf die Aufhebungsbestimmungen des allgemeinen Verwaltungsrechts in den §§ 48 und 49 VwVfG gestützt oder in eine darauf beruhende Aufhebungsentscheidung umgedeutet werden (§ 47 VwVfG; zur ergänzenden Anwendbarkeit des § 48 VwVfG im Asylverfahren vgl. nochmals das Urteil des Senats in der Sache BVerwG 9 C 12.00). Denn hierfür fehlt es jedenfalls an der sowohl für den Widerruf nach § 49 VwVfG als auch für die Rücknahme gemäß § 48 VwVfG gebotenen Ermessensausübung des Bundesamts (vgl. § 47 Abs. 3 VwVfG).
Ob das Berufungsgericht dagegen den Widerrufsbescheid auch insoweit zu Recht aufgehoben hat, als das Bundesamt darin seine im Ausgangsbescheid getroffene positive Feststellung zu § 53 Abs. 4 AuslG widerrufen hat, kann nicht abschließend beurteilt werden. Die Revision des Beteiligten ist in diesem Punkt nicht begründet worden und deshalb insoweit unzulässig (§ 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO). Die Revision der Beklagten hierzu ist demgegenüber zulässig und begründet. Die Beklagte rügt, das Berufungsurteil sei hinsichtlich der Entscheidung zu § 53 Abs. 4 AuslG verfahrensfehlerhaft nicht mit Gründen versehen (§ 138 Nr. 6 VwGO). Dieser Vorwurf trifft zu. Das Berufungsgericht geht weder im Tatbestand noch in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils auf die tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten des Falles hinsichtlich § 53 Abs. 4 AuslG ein. Im Berufungsurteil werden weder die auf § 53 Abs. 4 AuslG bezogenen Regelungen im Ausgangs- bzw. im Widerrufsbescheid des Bundesamts angesprochen noch enthält das Berufungsurteil auch nur im Ansatz eine rechtliche Bewertung der entsprechenden Widerrufsproblematik. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob die Voraussetzungen des § 73 Abs. 3 AsylVfG für die vom Bundesamt vorgenommene Aufhebung seiner positiven Feststellung zu § 53 Abs. 4 AuslG vorliegen. Das Berufungsgericht hat keine tatsächlichen Feststellungen zu § 53 Abs. 4 AuslG getroffen. Auch die Feststellungen des Berufungsgerichts zu § 51 Abs. 1 AuslG reichen für eine abschließende Entscheidung des Senats hierzu nicht aus. Die Sache ist deshalb insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung beruht, soweit sie nicht der Schlussentscheidung vorbehalten ist, hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Verfahrens über die Feststellung zu § 53 AuslG auf § 161 Abs. 2 VwGO und im Übrigen auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO. Dabei bewertet der Senat – unabhängig von der gesetzlichen Streitwertbemessung nach § 83 b Abs. 2 AsylVfG – das Interesse des Klägers an der Aufhebung des Widerrufsbescheids hinsichtlich § 51 Abs. 1 AuslG mit der Hälfte und hinsichtlich § 53 Abs. (1 bis) 4 AuslG einerseits sowie § 53 Abs. 6 AuslG andererseits mit jeweils einem Viertel. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert folgt aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Hund, Richter, Beck, Dr. Eichberger
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.09.2000 durch Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen