Entscheidungsstichwort (Thema)
Singularrestitution. ehemaliger Unternehmensträger als Berechtigter. Liquidationsgesellschaft. Wiederaufleben nach § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG. Erfüllung des Quorums bei Singularrestitution. Vermögensgesetz lex specialis gegenüber Gesellschaftsrecht
Normenkette
VermG § 1 Abs. 6, § 2 Abs. 1 S. 1, § 3 Abs. 1 S. 1, § 6 Abs. 1a S. 2, Abs. 6 Sätze 1, 4, Abs. 6a; AktG § 273 Abs. 4
Verfahrensgang
VG Dresden (Urteil vom 26.07.2001; Aktenzeichen 1 K 1243/98) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 26. Juli 2001 wird aufgehoben mit Ausnahme der Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückübertragung des Eigentums an dem Grundstück Auf dem M.… 12 in Dresden an die Beigeladene.
Eigentümerin des Grundstücks war die Societätsbrauerei W.… AG in Dresden, von der der Vater der Klägerin das Grundstück erwarb; er wurde am 22. Oktober 1935 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Das Grundstück war mit einer großen Zahl weiterer Grundstücke aus der Parzellierung des früheren Flurstücks Nr. 1 … d hervorgegangen; bezweckt war, die Grundstücke als Bauland für Einfamilienhäuser zu veräußern.
Der schriftliche Kaufvertrag zwischen dem Vater der Klägerin und der Societätsbrauerei W.… AG ist nicht mehr auffindbar. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts liegt aber ein Dokument vom 17. September 1935 vor; zwischen den Beteiligten ist allerdings streitig, ob es sich um den Entwurf eines noch abzuschließenden oder um eine Abschrift eines zuvor abgeschlossenen Kaufvertrages handelt. Nach diesem Dokument belief sich der Kaufpreis auf 5 700 RM neben der Übernahme der eingetragenen Rente. Im Grundbuch war seit Anfang des Jahres 1935 als Grundstücksbelastung eine an die Sächsische Landeskulturrentenbank zu zahlende jährliche Rente von 130,88 Goldmark, laufend vom 1. Januar 1935 bis 31. Dezember 1967, eingetragen. Der zum 1. Januar 1936 festgestellte Einheitswert des Grundstücks betrug 7 200 RM.
Zu den Aktionären der Societätsbrauerei W.… AG gehörte nach der Feststellung des Verwaltungsgerichts jedenfalls im März 1937 das Bankhaus B.… und M.… OHG in Dresden, dessen Gesellschafter Dr. Rudolf M.… und sein Bruder Walter M.…; beide Juden waren. Nach einer Verhaftung von Dr. Rudolf M.… durch die Nationalsozialisten wanderten beide Brüder Ende des Jahres 1936 aus und veräußerten im April 1937 den Aktienanteil der B.… & M.… OHG an die Deutsche Bank. Die W.… AG wurde durch das mit Volksentscheid vom 30. Juni 1946 angenommene sächsische Gesetz über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes überführt und im Jahr 1948 im Handelsregister gelöscht.
Unter Vorlage von Vollmachten von Margot M.…, der Witwe des Dr. Rudolf M.…, sowie von Florence M.…, der Witwe des Walter M.…, meldete Rechtsanwalt Br.… u.a. für die Societätsbrauerei W.… AG i.L., die W.… GmbH und die B.… und M.… OHG i.L. vermögensrechtliche Ansprüche an. In der Aufstellung der Grundstücke, deren Rückübertragung er “zusammenfassend” mit Schreiben vom 28. Dezember 1992 beantragte, ist auch das Grundstück Auf dem M.… 12 in Dresden enthalten.
Im Februar 1994 wurde die Societätsbrauerei W.… AG als in Auflösung befindlich wieder im Handelsregister eingetragen; als Liquidatorin wurde Marion Br.… bestellt. Diese genehmigte mit Schreiben vom 18. April 1997 die Anmeldung des Anspruchs auf Rückübertragung des Grundstücks.
Mit mehreren Feststellungsbescheiden, zuletzt vom 25. Juli 1994, stellte das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen fest, dass der B.… & M.… OHG i.L., Dresden, an der W.… AG i.L. als Berechtigte Anteile in Höhe von 78,17 % zustehen. An dem Verwaltungsverfahren war die Klägerin nicht beteiligt.
Mit Bescheid vom 19. September 1995 übertrug die Beklagte das Eigentum an dem Grundstück Auf dem M.… 12 in Dresden an die Beigeladene zurück, der die W.… AG i.L. ihre vermögensrechtlichen Ansprüche an dem Grundstück abgetreten hatte. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Der hiergegen erhobenen Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung des Bescheids über die Rückübertragung des Eigentums an dem Grundstück beantragt hat, hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Rückübertragung des Eigentums an dem Grundstück stehe entgegen, dass ein vermögensrechtlicher Anspruch nicht innerhalb der Frist des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG wirksam angemeldet worden sei. Die Anmeldung für die W.… AG i.L. durch Rechtsanwalt Br.… sei als Anmeldung eines vollmachtlosen Vertreters anzusehen; die erforderliche Genehmigung sei aber nicht – jedenfalls nicht innerhalb der Frist des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG – erfolgt. Die mit Schreiben vom 18. April 1997 erteilte Genehmigung durch die Abwicklerin für die im Februar 1994 wieder im Handelsregister eingetragene Aktiengesellschaft sei nicht fristwahrend gewesen. In Anbetracht der verspäteten Anmeldung könne dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 VermG für eine Rückübertragung des Grundstücks erfüllt seien.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten und der Beigeladenen, mit der sie die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und die Abweisung der Klage begehren. Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus: Jedenfalls solange für den unmittelbar geschädigten Unternehmensträger ein Abwickler noch nicht bestellt worden sei, sei die Anmeldung eines Mehrheitsgesellschafters der nach § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG als fortbestehend geltenden Liquidationsgesellschaft ausreichend. § 6 Abs. 6 Satz 1 und 4 VermG sei zumindest entsprechend anwendbar.
Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision. Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Dieses unterscheide zutreffend zwischen einer Unternehmensrestitution und einer Einzelrestitution; § 6 Abs. 6 Satz 1 und 4 VermG gelte nur für die Unternehmensrestitution, die hier nicht in Betracht komme.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Anmeldung des Anspruchs auf Rückübertragung des Grundstücks nicht wirksam durch Gesellschafter der früheren Societätsbrauerei W.… AG habe vorgenommen werden können, verstößt gegen Bundesrecht. Da das Verwaltungsgericht die erforderlichen Feststellungen zur Höhe des Aktienanteils der B.… & M.… OHG an der Societätsbrauerei W.… AG und – im Fall einer wirksamen Anmeldung – zu den Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 VermG nicht getroffen hat, kann der Senat nicht selbst in der Sache entscheiden. Es bedarf deshalb der Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht zur weiteren Aufklärung.
Der Anspruch der W.… AG i.L. auf Rückübertragung des Grundstücks Auf dem M.… 12 in Dresden konnte von der B.… & M.… OHG i.L. als der früheren Gesellschafterin der Aktiengesellschaft wirksam angemeldet werden, sofern diese mehr als 50 vom Hundert der Anteile an der Aktiengesellschaft auf sich vereinte. § 6 Abs. 1a Satz 2 und Abs. 6 Satz 1 und 4 VermG findet zumindest analog Anwendung.
Als Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 6, § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG kommt allein die Societätsbrauerei W.… AG in Betracht, die Eigentümerin des Grundstücks war; sie ist 1946 enteignet und 1948 im Handelsregister gelöscht worden. Sie besteht nach der – zumindest analog anwendbaren – Vorschrift des § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG als in Auflösung befindlich fort. Nach § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG wird das Wiederaufleben eines früheren Unternehmensträgers, der als Gesellschaft im Handelsregister gelöscht worden ist, fingiert, wenn die im Zeitpunkt der Schädigung vorhandenen Gesellschafter oder Mitglieder oder Rechtsnachfolger dieser Personen, die mehr als 50 v.H. der Anteile oder Mitgliedschaftsrechte auf sich vereinen, einen Anspruch auf Rückgabe des Unternehmens oder von Anteilen oder Mitgliedschaftsrechten des Rückgabeberechtigten angemeldet haben.
Diese Vorschrift findet auch Anwendung, wenn der Restitutionsanspruch sich nicht auf ein Unternehmen als solches richtet, sondern – wie hier – auf einzelne, einem Unternehmen entzogene Vermögensgegenstände, das Unternehmen selbst aber nachträglich untergegangen ist. In diesen Fällen ist die begehrte Singularrestitution notwendigerweise mit dem Wiederaufleben des Unternehmensträgers als Merkmal einer Unternehmensrestitution verknüpft, weil allein der seinerzeitige Unternehmensträger rückgabeberechtigt ist. Es müssen daher – auf einer ersten Stufe – die Voraussetzungen für das Wiederaufleben des früheren Unternehmensträgers vorliegen (vgl. hierzu den Feststellungsbescheid des Sächsischen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 25. Juli 1994), bevor – auf einer zweiten Stufe – das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen über die Rückübertragung des Grundstücks auf die wieder belebte Gesellschaft entscheidet.
Der zumindest analogen Anwendung des § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG auf Fälle der vorliegenden Art steht nicht entgegen, dass die Vorschrift die Anmeldung von Ansprüchen auf Rückgabe des Unternehmens voraussetzt. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG nicht nur für Anträge auf Rückgabe des Unternehmens selbst, sondern auch für Anträge auf Rückübertragung einzelner Vermögenswerte als Unternehmensreste im Sinne des § 6 Abs. 6a VermG gilt (Urteil vom 5. Oktober 2000 – BVerwG 7 C 95.99 – Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 40; Beschluss vom 29. Januar 1999 – BVerwG 7 B 302.98 –). Zwar handelt es sich bei dem Anspruch nach § 6 Abs. 6a VermG um einen Sonderfall der Unternehmensrestitution, der aber – wie der Senat wiederholt betont hat – der Singularrestitution angenähert ist (Urteil vom 18. Januar 1996 – BVerwG 7 C 45.94 – Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 17 S. 36; Urteil vom 24. September 1996 – BVerwG 7 C 65.95 – Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 22 S. 43). Die Übertragung der für die Restitution von Unternehmensresten geltenden Anforderungen an eine wirksame Anmeldung auf die Einzelrestitution ist mit Blick auf die vergleichbare Interessenlage und den Normzweck des § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG geboten. In beiden Fällen dient die Fiktion des Wiederauflebens der Gesellschaft als in Auflösung befindlich lediglich dazu, das Zuordnungssubjekt für den Restitutionsanspruch sowie die Grundlage für die Durchführung der Liquidation (vgl. § 6 Abs. 10 Satz 1 VermG) zu schaffen. Auch trifft der Regelungszweck des Quorums, der der Restitution nach § 6 Abs. 6a VermG zugrunde liegt, in gleicher Weise für die Singularrestitution zu: Es soll mit Blick auf mögliche divergierende Interessen der Gesellschafter (Rückgabe oder Entschädigung, § 6 Abs. 7, § 8 VermG) innerhalb der Anmeldefrist Klarheit geschaffen werden, ob der Antrag auf Rückübertragung sich auf die erforderliche Mehrheit stützen kann (vgl. Urteil vom 28. August 1997 – BVerwG 7 C 64.96 – Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 5 S. 6; Urteil vom 15. Dezember 1999 – BVerwG 8 C 27.98 – Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 36 S. 16).
Eine gesellschaftsrechtliche Lösung, wie sie das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Vorschrift des § 273 Abs. 4 AktG über die Nachtragsliquidation in Erwägung gezogen hat, würde den Interessen der Gesellschafter nicht Rechnung tragen, denen vor der Schädigung des Unternehmens Anteilsrechte durch eine Maßnahme im Sinne des § 1 VermG entzogen worden waren, wie es hier der Fall war. Nur das Wiederaufleben der Liquidationsgesellschaft nach § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG ermöglicht es, diese Gesellschafter wieder in ihre Anteilsrechte einzusetzen. Damit wird verhindert, dass an der Verteilung des verbleibenden Vermögens im Rahmen der Liquidation der Ariseur partizipiert, der die Anteilsrechte infolge einer schädigenden Maßnahme erworben hat.
§ 6 Abs. 1a Satz 2 VermG geht deshalb als lex specialis den Vorschriften des Gesellschaftsrechts und damit § 273 Abs. 4 AktG vor. Ein unter den Voraussetzungen des § 273 Abs. 4 AktG bestellter Abwickler ist nicht zur Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche berechtigt. Denn es handelt sich nicht um eine Liquidationsgesellschaft, die unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG wieder aufgelebt ist; sie ist deshalb kein Rückgabeberechtigter im Sinne des § 6 Abs. 1a Satz 1 und 2 sowie Abs. 6 Satz 1 VermG.
§ 6 Abs. 1a Satz 2 VermG setzt für eine erst wieder zu belebende Liquidationsgesellschaft die Anmeldung durch Gesellschafter voraus. Nach § 6 Abs. 6 Satz 1 VermG kann der Antrag auf Rückgabe eines Unternehmens von jedem Gesellschafter, Mitglied oder einem Rechtsnachfolger gestellt werden. Antragsberechtigt sind aber nicht nur Gesellschafter, die zum Zeitpunkt der Schädigung des Unternehmens Gesellschafter waren, sondern auch diejenigen ehemaligen Gesellschafter, deren Anteile oder Mitgliedschaftsrechte schon vor dem Zeitpunkt der Schädigung des Unternehmens entzogen worden waren (§ 6 Abs. 6 Satz 4 VermG). Dies war hier der Fall. Die beiden Gesellschafter der B.… & M.… OHG, die Juden waren, waren von den Nationalsozialisten im Zusammenhang mit ihrer Auswanderung Ende des Jahres 1936 gezwungen worden, den Aktienanteil der Gesellschaft an die Deutsche Bank zu verkaufen. Die Schädigung des Unternehmens selbst erfolgte erst mit dessen Enteignung im Jahr 1946.
Feststellungen dazu, ob die B.… & M.… OHG, wie es für die Erfüllung des Quorums erforderlich ist, mehr als 50 vom Hundert der Kapitalanteile an der W…. AG besaß, hat das Verwaltungsgericht – von seinem Standpunkt aus konsequent – nicht getroffen. Auch für das Jahr 1937, in dem es zur Veräußerung der Aktien kam, hat es dies offen gelassen (Urteil, S. 3; 15). Es bedarf deshalb der Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht zur Aufklärung, ob mit der Anmeldung des Anspruchs auf Rückübertragung des Grundstücks an die W…. AG das Quorum des § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG erfüllt worden ist. Der Senat weist darauf hin, dass es für die Erfüllung des Quorums als Voraussetzung für eine wirksame Anmeldung – anders als für die Entziehungsvermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO – nicht auf die Beteiligungsverhältnisse im Jahr 1935 ankommt, in dem das Grundstück veräußert wurde. Für § 6 Abs. 1a Satz 2 und Abs. 6 Satz 4 VermG ist allein maßgeblich, welche Gesellschafter für den früheren Unternehmensträger den Antrag auf Rückübertragung des Vermögensgegenstandes stellen können. Dies sind nach dem Vermögensgesetz grundsätzlich die im Zeitpunkt der Schädigung des Unternehmens vorhandenen Gesellschafter (§ 6 Abs. 1a Satz 2 VermG) und die Gesellschafter, die hierzu gehören würden, wenn ihnen nicht vor dem Zeitpunkt der Schädigung des Unternehmens durch eine Maßnahme im Sinne des § 1 VermG ihre Anteilsrechte entzogen worden wären (§ 6 Abs. 6 Satz 4 VermG). Der Zeitpunkt des Verlustes eines Vermögensgegenstandes ist hierfür kein Anknüpfungspunkt.
Unterschriften
Gödel, Dr. Pagenkopf, Kley, Herbert, Neumann
Fundstellen