Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermögenseinziehung. Rehabilitierung. russische Rehabilitierungsentscheidung;. Aufhebung der Vermögenseinziehung. redlicher Erwerb. Bodenreformeigentum. Erbe. Zuteilungsfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Der gemäß Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 § 12 Abs. 3 EGBGB zuteilungsfähige Erbe eines Bodenreformeigentümers kann sich gegenüber dem Restitutionsbegehren eines nach § 2 Abs. 1 VermG Berechtigten auf den Ausschlussgrund des § 4 Abs. 2 VermG berufen, wenn der Erblasser bei der Zuteilung des Bodenreformeigentums redlich gewesen ist.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 7, § 4 Abs. 2; EGBGB Art. 233 § 11 Abs. 2 S. 1, § 12 Abs. 3
Verfahrensgang
VG Chemnitz (Entscheidung vom 09.12.1998; Aktenzeichen 5 K 2376/95) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 9. Dezember 1998 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
I.
Die Klägerinnen begehren als Erben nach ihren Eltern die vermögensrechtliche Rückübertragung von zwei Flurstücken.
Der Vater der Klägerinnen, Alfred H., war Inhaber einer landwirtschaftlichen Hofstelle und Eigentümer eines Buchgrundstücks, das aus insgesamt dreizehn Flurstücken bestand, darunter den hier streitigen. Der Vater der Klägerinnen wurde am … 1947 durch ein Sowjetisches Militärtribunal zu 10 Jahren Zwangsarbeitslager unter Einziehung seines Vermögens verurteilt. Er verstarb während der Haft am … 1948. Erben waren zu je einem Viertel seine Ehefrau sowie die Klägerinnen, die ihrerseits Erben ihrer am … 1962 verstorbenen Mutter sind.
Nach der Verurteilung des Vaters hatte ein Vertreter der Militärkommandantur das bewegliche und unbewegliche Vermögen im April 1947 dem Landratsamt S. übergeben. Das Grundstück wurde dem Bodenfonds zugeführt und als Bodenreformland verteilt. Die streitigen Flurstücke von rd. 10 ha Größe mit dem Wohnhaus und einem Teil der Wirtschaftsgebäude erhielt der Vater des Beigeladenen. Dieser wurde am … 1948 in das Grundbuch eingetragen. Er war ab 1960 Mitglied einer LPG und verstarb am … 1981. Erben zu je ein Halb waren seine Ehefrau und der Beigeladene. Die Rechtsnachfolgerin der LPG bestätigte der Witwe, sie sei ebenfalls vom … 1969 bis zum … 1990 Mitglied der LPG gewesen. Der Erblasser blieb zunächst als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Am … 1993 erfolgte die Umschreibung des Eigentums auf den Beigeladenen und seine Mutter. Die Mutter des Beigeladenen verstarb am … 1998. Ihr Alleinerbe ist der Beigeladene.
Den vermögensrechtlichen Antrag der Klägerinnen auf Rückübertragung des Grundstücks lehnte der Beklagte ab, weil das Grundstück auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden sei.
Die Klägerinnen erhoben Widerspruch. Während des Widerspruchsverfahrens legten sie eine „Bescheinigung über die erfolgte Rehabilitierung”, ausgestellt von der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, vor. Die Bescheinigung hat in deutscher Übersetzung folgenden Wortlaut:
Bescheinigung über die erfolgte Rehabilitierung
Der deutsche Staatsbürger H., Alfred, geboren im Jahre …, Geburtsort T. im Kreis S., Nationalität deutsch, wurde am … 1946 ohne ersichtlichen Grund verhaftet und aus politischen Motiven am … 1947 vom Kriegsgericht der Sowjetischen Militäradministration des Landes Sachsen gemäß § 58-14 Strafgesetzbuch der RSFSR zu zehn Jahren Zwangsarbeitslager unter Einziehung seiner persönlichen Habe verurteilt. Die Strafe wurde verbüßt in den Lagern der Städte Stollberg, Kassberg, Chemnitz, Bautzen. Er verstarb am … 1948. Der Ort seiner Bestattung ist in der Akte nicht ausgewiesen.
Auf der Grundlage des § 3 des Gesetzes der Russischen Föderation „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressalien” vom 18. Oktober 1991 wird Herr H., Alfred, rehabilitiert.
Durch einen daraufhin erlassenen Teilgrundlagenbescheid stellte der Beklagte fest, dass der Erbengemeinschaft nach Alfred H. wegen des Eigentumsverlustes an den streitigen Flurstücken ein Anspruch auf Entschädigung zustehe. Den Antrag auf Rückübertragung dieser Flurstücke lehnte der Beklagte ab: Die Erbengemeinschaft sei zwar Berechtigte im Sinne des § 3 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 7 VermG. Die Rückübertragung der Flurstücke sei jedoch wegen redlichen Erwerbs des Voreigentümers der jetzigen Eigentümer ausgeschlossen.
Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage der Klägerinnen hat das Verwaltungsgericht durch das angefochtene Urteil mit der Begründung abgewiesen: Die Rückübertragung der Flurstücke sei gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG ausgeschlossen. Sie seien auf besatzungsrechtlicher Grundlage enteignet worden. Die Klägerinnen könnten sich nicht gemäß § 1 Abs. 7 VermG auf die Rehabilitierung ihres Vaters berufen. Der Rehabilitierungsbescheinigung sei nicht zu entnehmen, dass auch der Vermögensverlust als rechtsstaatswidrig angesehen werde und nach dem Willen der entscheidenden Stelle keinen Bestand mehr haben solle. Aber auch dann, wenn man das Vorliegen einer schädigenden Maßnahme bejahe, sei die Rückübertragung ausgeschlossen, weil in diesem Falle der Rechtsvorgänger des Beigeladenen die Flurstücke redlich erworben habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerinnen. Sie machen geltend: Nach dem Wortlaut der Rehabilitationsbescheinigung sei eine Verurteilung zu zehn Jahren Zwangsarbeitslager mit Vermögenseinziehung ausgesprochen worden. Freiheitsstrafe und Vermögenseinziehung stünden in unmittelbarem Zusammenhang. Sie dürften nicht als getrennte einzelne Maßnahmen betrachtet werden. Mit der Rehabilitierung werde nicht nur der strafrechtliche Vorwurf beseitigt, sondern auch die Vermögenseinziehung für rechtsunwirksam erklärt. Ein redlicher Erwerb von Bodenreformland durch den Vater des Beigeladenen komme nicht in Betracht. Aber auch bei unterstellter Anwendbarkeit des § 4 Abs. 2 VermG werde der mit dem Schutz des redlichen Erwerbs verfolgte Zweck jedenfalls in den Fällen verfehlt, in denen der Verfügungsberechtigte Auflassungsansprüchen des Fiskus nach Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB ausgesetzt sei.
Der Beklagte hält die Revision für unbegründet: Aus der vorgelegten Rehabilitierungsbescheinigung ergebe sich nicht, auch nicht im Wege der Auslegung, dass mit dem Rehabilitierungsausspruch der Vermögensverlust habe erfasst und als rechtsstaatswidrig gekennzeichnet werden sollen. Es werde nur der Sachverhalt dargestellt. Der folgende Rehabilitierungsausspruch sei auf die Person, nicht auf die Vermögenseinziehung bezogen.
Der Beigeladene verteidigt das angefochtene Urteil. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 7 VermG lägen nicht vor. Die Rehabilitierungsbescheinigung ergebe nicht, dass die Rehabilitierung sich auf die Konfiskation des Vermögens erstrecke. Im Übrigen sei die Rückübertragung wegen redlichen Erwerbs durch seinen Vater ausgeschlossen. Einem Auflassungsanspruch nach Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB sei er nicht ausgesetzt. Er sei vorrangig Berechtigter bzw. Rechtsnachfolger seiner vorrangig berechtigten Mutter. Für die Hofstelle folge dies daraus, dass er und seine Mutter als Erben des Bodenreformlandnehmers die Hofstelle zum maßgeblichen Stichtag am 15. März 1990 bewohnt hätten. Für die landwirtschaftlich genutzte Fläche beruhe die vorrangige Berechtigung auf der Zuteilungsfähigkeit seiner Mutter. Sie sei Mitglied einer LPG gewesen.
II.
Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht. Die Klägerinnen sind Berechtigte im Sinne von § 2 Abs. 1 VermG, denn die von ihnen vorgelegte russische Rehabilitierungsbescheinigung erfüllt die Voraussetzungen des § 1 Abs. 7 VermG (1). Das den Gegenstand des Rechtsstreits bildende Restitutionsbegehren ist jedoch – entgegen der Auffassung der Revision – nur begründet, wenn sich der Beigeladene als Verfügungsberechtigter nicht auf den zu seinen Gunsten wirkenden Ausschlussgrund des redlichen Erwerbs gemäß § 4 Abs. 2 VermG stützen kann. Hierzu lassen die bislang festgestellten Tatsachen eine abschließende Entscheidung nicht zu (2). Daher ist das Urteil des Verwaltungsgerichts nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
1. Die Berechtigung der Klägerinnen gemäß § 2 Abs. 1 VermG ergibt sich aus § 1 Abs. 7 VermG, denn die von ihnen vorgelegte Rehabilitierungsbescheinigung genügt den Anforderungen dieser Vorschrift. Nach § 1 Abs. 7 VermG gilt das Vermögensgesetz entsprechend für die Rückgabe von Vermögenswerten, die im Zusammenhang mit der nach anderen Vorschriften erfolgten Aufhebung rechtsstaatswidriger straf-, ordnungsstraf- oder verwaltungsrechtlicher Entscheidungen steht.
Die Bestimmungen des Gesetzes der Russischen Föderation über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen sind „andere Vorschriften” im Sinne des § 1 Abs. 7 VermG (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 2000 – BVerwG 8 C 16.99 – VIZ 2000, 526 ≪527≫). Das Gesetz bezieht in seiner geänderten Fassung vom 3. September 1993 ausländische Staatsangehörige ein. Die Rehabilitierung nach diesem Gesetz kommt einer Aufhebung des Unrechtsaktes gleich. Rehabilitierung bedeutet, dass die betroffene Person als Opfer politischer Repression anerkannt wird (vgl. Art. 8 ≪1≫ Abschnitt 1 des Gesetzes). Der Begriff der politischen Repression erfasst gerade auch den Einsatz staatlicher Mittel, wie etwa strafgerichtliche Verurteilungen, aus Gründen politischer Verfolgung (vgl. Art. 1 des Gesetzes) und damit Vorgänge, die in § 1 Abs. 7 VermG als rechtsstaatswidrig gekennzeichnet werden (vgl. auch § 1 Abs. 1 StrRehaG). Diese Anerkennung der Verurteilung als rechtsstaatswidrig genügt den Anforderungen, die § 1 Abs. 7 VermG an die „Aufhebung” einer Entscheidung stellt (BVerwG VIZ 2000, 526 ≪527≫).
Rehabilitierungen nach dem Gesetz der Russischen Föderation über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repression eröffnen den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 7 VermG nur dann, wenn es sich um eine Enteignung oder sonstige Vermögensentziehung handelt, die durch Gerichte, Verwaltungsbehörden oder sonstige staatliche Stellen der Sowjetunion (als der Rechtsvorgängerin der Russischen Föderation) selbst verfügt wurden. Es reicht nicht aus, wenn eine deutsche Stelle eine eigene vermögensentziehende Maßnahme getroffen hat, bei der sie an die zwar rechtsstaatswidrige, aber selbst noch nicht vermögensentziehende Entscheidung sowjetischer Stellen angeknüpft hat, wegen welcher der Betroffene später rehabilitiert wurde (BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1999 – BVerwG 7 C 9.98 – BVerwGE 108, 315 ≪321 f.≫).
Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Dem Rechtsvorgänger der Klägerinnen ist das streitige Grundstück ebenso wie sein gesamtes übriges Vermögen unmittelbar durch das Urteil des Sowjetischen Militärtribunals entzogen worden. Er ist nach dem Urteilsausspruch, wie die Rehabilitierungsbescheinigung ihn wiedergibt, zu zehn Jahren Zwangsarbeit unter Einbeziehung seiner persönlichen Habe verurteilt worden. In den vorhandenen Unterlagen deutscher Stellen aus jener Zeit wird der Grundbesitz des Vaters der Klägerinnen durchweg als Vermögen behandelt, das aufgrund eines Urteils eines Sowjetischen Militärtribunals eingezogen worden ist. Das Grundstück ist in einer besonderen Liste aufgeführt, welche nur die Grundstücke von solchen Personen erfasste, deren Vermögen durch Gerichte der Besatzungsmacht im Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Verurteilung eingezogen worden war. In dem Protokoll über die Übergabe des Vermögens von der Militärkommandantur an das Landratsamt wird das Vermögen als bereits enteignet bezeichnet.
Der den Klägerinnen erteilten Rehabilitierungsbescheinigung ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts im Wege der Auslegung unschwer zu entnehmen, dass die in Rede stehende Vermögensentziehung als unbegründete politische Verfolgung angesehen wird und daher keinen Bestand mehr haben soll (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 17. April 1997 – BVerwG 7 C 15.96 – BVerwGE 104, 279 ≪289≫; BVerwGE 108, 315 ≪322≫; BVerwG VIZ 2000, 526 ≪527≫). Sie gibt das Urteil des Sowjetischen Militärtribunals mit dem Straftatbestand, wegen dessen der Vater der Klägerinnen verurteilt wurde, und mit der verhängten Strafe wieder. Sie erwähnt ausdrücklich die neben der verhängten Freiheitsstrafe ausgesprochene Vermögenseinziehung. Die Vermögenseinziehung bildete nach dem zugrunde gelegten Straftatbestand eine in diesen Fällen mögliche und wohl auch regelmäßig verhängte Nebenstrafe. Die Vermögenseinziehung war Teil des Strafausspruchs. Diese Verurteilung wird ohne Einschränkung dahin gekennzeichnet, sie sei aus politischen Motiven erfolgt. Hieran anknüpfend spricht die Bescheinigung in ihrem Entscheidungssatz wiederum ohne Einschränkung die Rehabilitierung des Vaters der Klägerinnen aus. Die Bescheinigung enthält keinen Zusatz, dass sich die Rehabilitierung auf die Freiheitsstrafe beschränken und die zugleich damit verhängte Vermögenseinziehung nicht umfassen soll. Gegenstand der Rehabilitierung ist damit die zuvor dargestellte Verurteilung. Anders als der Beklagte und der Beigeladene meinen, trennt die Rehabilitierungsbescheinigung ersichtlich nicht zwischen der (unverbindlichen) Schilderung des historischen Sachverhalts einerseits und dem eigentlichen, für den Umfang der Rehabilitierung allein verbindlichen Rehabilitierungsausspruch andererseits. Die Wiedergabe des Urteils, die als Bewertung bereits den Hinweis auf die politischen Motive der Verurteilung enthält, legt vielmehr die Maßnahmen fest, auf die sich der anschließende Rehabilitierungsausspruch bezieht.
2. Der aus der Berechtigung der Klägerinnen gemäß § 3 Abs. 1 VermG folgende Anspruch auf Rückübertragung des Eigentumsrechts an den in Rede stehenden ehemaligen Bodenreformgrundstücken kann jedoch dem – vom Beigeladenen auch geltend gemachten – Einwand eines redlichen Erwerbs gemäß § 4 Abs. 2 VermG ausgesetzt sein.
Ein solcher redlicher Erwerb ist hier nicht bereits aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Der Beigeladene hat – ebenso wie seine im Jahre 1998 verstorbene Mutter – das Eigentum an den ehemaligen Bodenreformgrundstücken geerbt. Dieser Erwerb ging zwar ursprünglich über eine tatsächliche Chance nicht hinaus. Er ist jedoch durch das Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform vom 6. März 1990 (GBl I S. 134) zu Volleigentum erstarkt. Damit ist ein Restitutionsanspruch ausgeschlossen, wenn – erstens – dieses Eigentum nicht dem Auflassungsanspruch eines Besserberechtigten gemäß Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB ausgesetzt ist und – zweitens – der Erblasser bei der Zuteilung des Bodenreformeigentums seinerseits redlich im Sinne der genannten Vorschrift gewesen ist. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
a) Bodenreformeigentum ist Eigentum im Sinne des § 4 Abs. 2 VermG. Es war zwar infolge der ihm eigenen personenbezogenen Verpflichtungen, Bindungen und Verfügungsbeschränkungen substantiell ausgehöhlt. Trotz dieser innewohnenden rechtlichen Beschränkungen hatte das Bodenreformeigentum aber einen vermögenswerten Inhalt (BVerwG, Urteil vom 27. Juli 1995 – BVerwG 7 C 12.94 – BVerwGE 99, 82 ≪84≫).
Das Eigentum an Bodenreformgrundstücken konnte auf den Erben des Bodenreformeigentümers übergehen. Dessen Eigentumserwerb vollzog sich zunächst nicht allein nach den Bestimmungen des bürgerlichen Erbrechts. Diese Bestimmungen wurden vielmehr durch die Vorschriften der Besitzwechselverordnungen überlagert. Nach der hier einschlägigen Verordnung über die Durchführung des Besitzwechsels bei Bodenreformgrundstücken vom 7. August 1975 – Besitzwechsel-VO 1975 – (GBl I S. 629) trat der Erbe nur dann in die mit dem Bodenreformgrundstück verbundenen Rechte und Pflichten ein, wenn er Mitglied einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft oder Arbeiter der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft und darüber hinaus in der Lage war, das Grundstück zweckentsprechend zu nutzen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Besitzwechsel-VO 1975). Mehrere Erben hatten sich innerhalb einer vom Rat des Kreises festgelegten Frist darüber zu einigen, welchem Erben das Bodenreformgrundstück „übertragen” werden sollte (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Besitzwechsel-VO 1975). Waren die Voraussetzungen für eine Übertragung nicht gegeben, war das Bodenreformgrundstück in den staatlichen Bodenfonds zurückzuführen (§ 4 Abs. 3 Besitzwechsel-VO 1975). Demnach setzte der Eigentumserwerb des Erben die (erneute) staatliche Übertragung des Bodenreformgrundstücks an ihn persönlich oder (bei Alleinerben) die staatliche Zustimmung zu seinem Erwerb voraus. Den Erben wuchs das Eigentum an einem Bodenreformgrundstück mithin bei Eintritt des Erbfalls nur belastet mit einer Pflicht zur Rückgabe an den Bodenfonds zu. Mit der staatlichen Übertragung oder Zustimmung trat der Erbe des Neubauern in dessen Rechtsposition als Bodenreformeigentümer ein (vgl. BVerwG Urteil vom 25. Februar 1994 – BVerwG 7 C 32.92 – BVerwGE 95, 170 ≪174≫). Bis zu dieser Entscheidung des Staates hatte der Erbe (oder bei mehreren Erben einer von ihnen) lediglich die tatsächliche Aussicht oder bestenfalls, insbesondere nach § 4 Abs. 1 Besitzwechsel-VO in der Fassung der Zweiten Verordnung über die Durchführung des Besitzwechsels bei Bodenreformgrundstücken vom 7. Januar 1988 (GBl I S. 25), einen Rechtsanspruch auf Erwerb des Eigentums an dem Bodenreformgrundstück (BVerwG, Urteil vom 29. August 1996 – BVerwG 7 C 43.95 – Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 23).
Hiermit stimmt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Ergebnis überein. Der Bundesgerichtshof nimmt an, mit dem Tod eines Begünstigten aus der Bodenreform seien seine Erben Eigentümer der dem Begünstigten aus der Bodenreform zugewiesenen Grundstücke geworden (Urteil vom 17. Dezember 1998 – V ZR 200/97 – BGHZ 140, 223). Der Bundesgerichtshof hebt ebenfalls hervor, das kraft erbrechtlicher Nachfolge erworbene Eigentum habe öffentlich-rechtlichen Bindungen unterlegen. Die Rechtsstellung der Erben habe sich tatsächlich in der Aussicht eines von ihnen erschöpft, das Eigentum an den Bodenreformgrundstücken durch einen Verwaltungsakt übertragen zu erhalten oder aufgrund eines solchen Verwaltungsakts behalten zu können.
b) Eine solche bloß tatsächliche Aussicht hätte – unbeschadet ihres Erwerbs durch Erbgang – keinen tauglichen Anknüpfungspunkt für einen Redlichkeitsschutz nach § 4 Abs. 2 VermG sein können. Dieses Hindernis ist jedoch durch das bereits erwähnte Gesetz vom 6. März 1990 beseitigt worden. Mit seinem In-Kraft-Treten wurden alle Verfügungsbeschränkungen aufgehoben, die für Grundstücke aus der Bodenreform galten. Für das Recht zum Besitz und zur Nutzung solcher Grundstücke sowie zur Verfügung über sie galten fortan die Bestimmungen des Zivilgesetzbuches (ZGB). Das Bodenreformeigentum erstarkte zum Volleigentum (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. April 1991 – 1 BvR 1170, 1174, 1175/90 – BVerfGE 84, 90 ≪99≫).
Das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz hat durch Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 EGBGB diesen Erwerb unter der Voraussetzung als endgültig bestätigt, dass der Erbe bei Ablauf des 15. März 1990 zuteilungsfähig war. Unter dieser Voraussetzung wirkt Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EGBGB ebenso als Bestätigung des Erwerbs wie in den Fällen der Nr. 1 dieser Vorschrift, in denen der im Grundbuch eingetragene Bodenreformeigentümer bei Ablauf des 15. März 1990 noch lebte. Art. 233 § 11 Abs. 2 EGBGB stellt den Erwerb durch den eingetragenen Bodenreformeigentümer und den Erwerb durch dessen zuteilungsfähige Erben hinsichtlich der zivilrechtlichen Rechtsbeständigkeit gleich.
Ein solcher Vollerwerb ist, was die Anwendung des § 4 Abs. 2 VermG angeht, als Erwerb kraft Erbfolge anzusehen, denn er beruht auf der Erbenstellung, die mit dem Gesetz vom 6. März 1990 ihrer öffentlich-rechtlichen Überlagerung entkleidet worden ist, durch Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 EGBGB ihre Bestätigung erfahren hat und in diesem Sinne auf den Zeitpunkt des Erbfalls „zurückwirkt”.
In diesen Fällen verlangt der sozialverträgliche Ausgleich, den das Vermögensgesetz unter anderem mit § 4 Abs. 2 VermG anstrebt, dem Bestandsinteresse des Erben des Bodenreformeigentümers den Vorrang vor dem Restitutionsinteresse des Alteigentümers einzuräumen, nicht anders als in den Fällen des Erwerbs von unbeschränktem Eigentum im Wege der Erbfolge.
c) Dem Erben kommt ein redlicher Erwerb nicht zugute, wenn Besserberechtigte im Sinne des Art. 233 § 12 Abs. 2 EGBGB vorhanden sind. Anderenfalls würden Fälle dem Schutzbereich des § 4 Abs. 2 VermG zugeordnet, in denen ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der erworbenen Rechtsposition unter Geltung gerade der Rechtsordnung der DDR nicht bestand. Zudem würde in diesen Fällen der Ausschluss der Restitution nach § 4 Abs. 2 VermG letztlich zugunsten des Besserberechtigten wirken, der Eigentum erstmals durch die Auflassung nach Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB erwirbt und sich für diesen rechtsgeschäftlichen Erwerb nach In-Kraft-Treten des Vermögensgesetzes weder auf eigene Redlichkeit noch auf eine solche des früheren Bodenreformeigentümers berufen könnte. Damit käme der Restitutionsausschluss auch dem besserberechtigten Landesfiskus als dem Nachfolger des Bodenfonds zugute, in den bei einer Nachzeichnung der Besitzwechselentscheidungen das Bodenreformgrundstück hätte zurückgeführt werden müssen. Diese Wertungswidersprüche bestehen unabhängig davon, ob Ansprüche nach Art. 233 § 11 Abs. 3 EGBGB auf unentgeltliche Auflassung des Grundstücks geltend gemacht, durchgesetzt oder nach Art. 233 § 14 EGBGB inzwischen verjährt sind. Dementsprechend kommt es auch nur auf das Vorhandensein eines Besserberechtigten an, nicht aber darauf, ob er seinen Auflassungsanspruch geltend gemacht hat.
Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu der Rechtsprechung, die dem Erben eines Bodenreformeigentümers die Berechtigtenstellung im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG in den Fällen abspricht, in denen das Bodenreformeigentum Gegenstand einer schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 VermG gewesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1996 – BVerwG 7 C 43.95 – Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 23; Beschluss vom 27. Januar 2000 – BVerwG 8 B 346.99 – Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 42). Diese Rechtsprechung knüpft wesentlich daran an, dass sich die Rechtsstellung der Erben tatsächlich in der Aussicht eines von ihnen erschöpft hat, das Eigentum an dem Bodenreformgrundstück durch eine staatliche Entscheidung übertragen zu erhalten oder aufgrund einer solchen Entscheidung behalten zu können. Das Gesetz vom 6. März 1990 hat diese Überlagerung zwar aufgehoben. War aber das Grundstück zuvor in das Eigentum des Volkes überführt gewesen, wie dies in den Schädigungsfällen des § 1 VermG der Fall ist, kam das Gesetz vom 6. März 1990 und daran anknüpfend Art. 233 § 11 Abs. 2 EGBGB dem ursprünglichen Bodenreformeigentümer und dessen Erben nicht mehr zugute. Das Gesetz vom 6. März 1990 begünstigte nur solche natürlichen Personen, die als Eigentümer von Bodenreformgrundstücken im Grundbuch standen. Eine Privatisierung volkseigener Grundstücke aus der Bodenreform war nicht Gegenstand dieses Gesetzes (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2000 – BVerwG 8 B 346.99 – a.a.O.).
d) Soweit danach die Vorschrift des § 4 Abs. 2 VermG zugunsten des Erben eines Bodenreformeigentümers eingreift, ist für den Redlichkeitsschutz, wie stets bei einem Erwerb durch Erbfolge, auf den vorangegangenen Erwerb durch den Erblasser abzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Februar 1997 – BVerwG 7 B 44.97 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 39), dem das Bodenreformeigentum ursprünglich zugeteilt wurde. Diese Zuteilung konnte redlichen Erwerb begründen, denn § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG erfasst nicht nur den Erwerb durch ein zweiseitiges Rechtsgeschäft. Das ergibt sich unmittelbar aus der Vorschrift selbst. Sie schließt die Rückübertragung eines Vermögenswertes aus, wenn an ihm ein dingliches Nutzungsrecht (redlich) erworben wurde. Dingliche Nutzungsrechte an volkseigenen Grundstücken wurden nicht durch Rechtsgeschäft erworben, sondern durch staatlichen Hoheitsakt verliehen (§ 287 ZGB). Für die Anwendbarkeit des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG kommt es entscheidend darauf an, ob der Erwerbsvorgang seiner Art nach die Prüfung der Redlichkeit des Erwerbers zulässt (BVerwG, Beschluss vom 14. Februar 1997 – BVerwG 7 B 44.97 – a.a.O.; Beschluss vom 27. Februar 1995 – BVerwG 7 B 49.95 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 16). Wie bei der Verleihung eines dinglichen Nutzungsrechts musste der Erwerber bei der Zuteilung von Bodenreformland mitwirken. Seine Redlichkeit bei dieser Mitwirkung kann geprüft werden (BVerwG VIZ 2000, 526 ≪527≫).
e) Der Beigeladene und seine Mutter sind aufgrund von Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 EGBGB als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen worden. Ob sie für das streitige Grundstück zuteilungsfähig waren, hat das Verwaltungsgericht nicht weiter geprüft. Daher ist der Rechtsstreit zur Nachholung der dazu erforderlichen Feststellungen an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Das Verwaltungsgericht wird insbesondere den Einwendungen weiter nachzugehen haben, welche die Klägerinnen gegen die Zuteilungsfähigkeit des Beigeladenen und seiner Mutter erhoben haben. Dabei kann gemäß Art. 233 § 12 Abs. 2 EGBGB zwischen dem Wohnhaus und den für die Land- oder Forstwirtschaft genutzten Grundstücken zu unterscheiden sein.
Sollten der Beigeladene und/oder seine Mutter für die streitigen Flurstücke zuteilungsfähig gewesen sein, kommt es für den Restitutionsausschluss auf die Redlichkeit des Vaters des Beigeladenen bei der Zuteilung des Bodenreformeigentums an. Das Verwaltungsgericht hat sich mit dieser Frage zwar befasst, aber nur eine vorläufige Einschätzung nach Aktenlage abgegeben. Es wird vor allem dem Hinweis der Klägerinnen nachgehen müssen, der Vater der Beigeladenen habe nicht zu dem Kreis der Personen gehört, denen Land aus dem Bodenfonds zuzuteilen war. Nach der Verordnung über die landwirtschaftliche Bodenreform vom 10. September 1945 (Amtl. Nachrichten Sachsen S. 28) sollte das Land aus dem Bodenfonds vergeben werden an bereits bestehende Bauernhöfe unter 5 ha Größe, an landlose Bauern, Landarbeiter und kleine Pächter sowie an Umsiedler und Flüchtlinge (Art. I Nr. 2 Buchst. a – c). Der Vater des Beigeladenen arbeitete nach Angaben der Klägerinnen als Strumpfwirker. Arbeitern und Angestellten konnten zum Zwecke des Gemüseanbaus kleine Grundstücke (Parzellen) zur Verfügung gestellt werden. Die Zuweisung einer Hofstelle von hier 10 ha Größe war für sie jedenfalls nach dem Wortlaut der Bestimmungen nicht vorgesehen. Die Klägerinnen haben weiter vorgetragen, bereits vor der Übergabe des Grundstücks von der sowjetischen Militärverwaltung an deutsche Stellen, jedenfalls vor Ausschreibung des Grundstücks zur Verteilung habe der damalige Vorsitzende der Kreisbodenkommission den Besitz mit dem Vater des Beigeladenen abgeschritten, offenbar zum Zwecke späterer Zuteilung an diesen. Der Vater des Beigeladenen sei ebenso wie der Vorsitzende der Ortsbodenkommission Mitglied der SED gewesen. Nach Umzug auf die entzogene Hofstelle habe der Vorsitzende der Kreisbodenkommission die Wohnung der Familie des Beigeladenen übernommen. Der Vater des Beigeladenen habe, wenn überhaupt, sich erst am letzten Tag um die Vergabe von Land aus dem entzogenen Grundbesitz beworben. Ihm seien sofort die jetzt streitigen Flurstücke, für die andere Bewerbungen vorlagen, zugeteilt worden. Sollte der Vater des Beigeladenen nicht zu dem Personenkreis gehört haben, die für die Zuteilung einer Neubauernstelle in Betracht kamen, könnten die weiteren Umstände die Vergabe einer solchen Siedlerstelle an ihn als sittlich anstößige Manipulation und damit seinen Erwerb als unredlich erscheinen lassen.
Unterschriften
Dr. Franßen, Gödel, Kley, Herbert, Neumann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.10.2000 durch Nöpel Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BuW 2001, 299 |
DÖV 2001, 434 |
NJ 2001, 156 |