Entscheidungsstichwort (Thema)
Bebauungsplan. Normenkontrolle. Normenkontrollantrag. Planänderung. mehrfache Auslegung. Einwendungen. Präklusion
Leitsatz (amtlich)
Im Falle mehrfacher öffentlicher Auslegung eines Bebauungsplanentwurfs muss ein Antragsteller jedenfalls dann innerhalb der Auslegungsdauer einer weiteren öffentlichen Auslegung Einwendungen erheben, wenn die Umplanung deshalb erfolgte, um den Eigentümerinteressen des Antragstellers angemessen Rechnung zu tragen. Unterbleibt eine Stellungnahme, ist der Antragsteller mit einem Normenkontrollantrag gemäß § 47 Abs. 2a VwGO präkludiert.
Normenkette
VwGO § 47 Abs. 2a; BauGB § 3 Abs. 2, § 4a Abs. 3
Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Urteil vom 19.12.2012; Aktenzeichen 2 E 11/11.N) |
Tenor
Die Revision der Antragstellerin gegen das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit des Bebauungsplans O. der Antragsgegnerin.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines 482 qm großen Grundstücks, das straßenseitig mit einem dreigeschossigen Wohngebäude und im Inneren mit einem in geschlossener Bauweise errichteten ein- bis zweigeschossigen Hofgebäude bebaut ist. Ein Baustufenplan weist das Gebiet, in welchem sich dieses Grundstück befindet, als Mischgebiet mit viergeschossiger Bauweise aus. Ferner ist das Grundstück Teil eines Sanierungsgebiets.
Im Oktober 2001 beschloss die Antragsgegnerin die Aufstellung des verfahrensgegenständlichen Bebauungsplans. Nach dem ursprünglichen Planentwurf sollte der vollständige hintere (innere) Bereich des Grundstücks der Antragstellerin als private Grünfläche festgesetzt werden.
Die (erste) förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 2 BauGB fand in der Zeit vom 27. August bis 28. September 2007 statt. In der hierzu ergangenen öffentlichen Bekanntmachung vom 14. August 2007 wurde u.a. darauf hingewiesen, dass ein Antrag nach § 47 der Verwaltungsgerichtsordnung unzulässig sei, soweit mit ihm nur Einwendungen geltend gemacht würden, die vom Antragsteller im Rahmen der Auslegung nicht oder verspätet geltend gemacht wurden, aber hätten geltend gemacht werden können. Einwendungen gegen den Bebauungsplanentwurf erhob die Antragstellerin in diesem Zeitraum nicht.
Im weiteren Verfahrensverlauf änderte die Antragsgegnerin einige Festsetzungen im Planentwurf, die sich jedoch nicht auf das Grundstück der Antragstellerin bezogen, und legte den Entwurf erneut aus (vom 1. September bis 15. September 2008). Sie beschränkte dabei die Möglichkeit von Einwendungen auf die geänderten Teile des Bebauungsplans. Auf die Folgen verspäteter oder fehlender Einwendungen für einen Normenkontrollantrag wies sie in der Bekanntmachung vom 19. August 2008 hin. Mit Schreiben vom 11. September 2008 wandte sich die Antragstellerin gegen den Planentwurf und beanstandete die Ausweisung einer privaten Grünfläche auf ihrem Grundstück.
In der Folgezeit entschloss sich die Antragsgegnerin zu einer (weiteren) Umplanung. Die private Grünfläche auf dem Grundstück der Antragstellerin wurde verkleinert und verschoben sowie ein Baufenster zum Teilerhalt des Hofgebäudes ausgewiesen. Anschließend führte die Antragsgegnerin eine (dritte) förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung durch (vom 23. März bis 7. April 2009), beschränkte aber erneut die Möglichkeit von Einwendungen auf die geänderten Teile des Bebauungsplans. Auf die Folgen verspäteter oder fehlender Einwendungen für einen Normenkontrollantrag wies sie – entsprechend dem Hinweis in der Bekanntmachung vom 14. August 2007 – hin. Während dieses Auslegungszeitraums erhob die Antragstellerin keine Einwendungen. Nach Zustimmung der Bezirksversammlung wurde die Verordnung über den Bebauungsplan O. am 27. Mai 2010 erlassen und am 11. Juni 2010 verkündet.
Den von der Antragstellerin am 1. Juni 2011 erhobenen Normenkontrollantrag hat das Oberverwaltungsgericht als unzulässig abgelehnt. Die Antragstellerin sei gemäß § 47 Abs. 2a VwGO präkludiert. Sie habe ihre Einwendungen nicht rechtzeitig im Rahmen der öffentlichen Auslegungen nach § 3 Abs. 2, § 4a Abs. 3 BauGB vorgebracht.
Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt die Antragstellerin die Verletzung des § 47 Abs. 2a VwGO. Die Auslegung der Norm durch das Oberverwaltungsgericht verstoße gegen Art. 19 Abs. 4, Art. 14 Abs. 1 GG sowie den Grundsatz des rechtlichen Gehörs.
Die Antragsgegnerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das angegriffene Urteil verstößt nicht gegen Bundesrecht.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt. Die Antragstellerin ist mit dem Antrag gemäß § 47 Abs. 2a VwGO präkludiert.
Gemäß § 47 Abs. 2a VwGO ist der Antrag einer natürlichen oder juristischen Person, der einen Bebauungsplan zum Gegenstand hat, unzulässig, wenn die den Antrag stellende Person nur Einwendungen geltend macht, die sie im Rahmen der öffentlichen Auslegung (§ 3 Abs. 2 BauGB) nicht oder verspätet geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können, und wenn auf diese Rechtsfolge im Rahmen der Beteiligung hingewiesen worden ist. Die Voraussetzungen der Norm liegen vor.
1. Die Antragstellerin hat sich im Normenkontrollverfahren dagegen gewandt, dass ein Teil ihres Grundstücks durch den Bebauungsplan O. als private Grünfläche ausgewiesen worden ist. Diesen Einwand hat sie im Rahmen der dritten und letzten öffentlichen Auslegung des Planentwurfs vom 23. März bis 7. April 2009 nicht geltend gemacht, obwohl ihr dies möglich gewesen wäre.
§ 47 Abs. 2a VwGO belastet den Antragsteller mit der Obliegenheit, „im Rahmen der öffentlichen Auslegung” nach § 3 Abs. 2 BauGB Einwendungen zu erheben. Eine öffentliche Auslegung ist auch eine Auslegung, die nach § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB erforderlich ist, weil der Entwurf des Bebauungsplans nach dem Verfahren nach § 3 Abs. 2 oder § 4 Abs. 2 BauGB geändert oder ergänzt wird. § 47 Abs. 2a VwGO knüpft die Unzulässigkeit des Normenkontrollantrags an die unterbliebene oder verspätete Geltendmachung von Einwendungen im Rahmen der öffentlichen Auslegung, ohne danach zu unterscheiden, ob es sich um eine erstmalige oder eine erneute Auslegung handelt. Wenn der Entwurf eines Bebauungsplans wegen einer Ergänzung oder Änderung nach dem Verfahren nach § 3 Abs. 2 oder § 4 Abs. 2 BauGB gemäß § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB nochmals ausgelegt und wenn – wie hier – bestimmt wird, dass Stellungnahmen nur zu den geänderten oder ergänzten Teilen abgegeben werden können, muss der Antragsteller deshalb grundsätzlich Einwendungen gegen die sein Grundstück betreffenden Änderungen oder Ergänzungen erheben, wenn er mit ihnen nicht einverstanden ist und sich die Möglichkeit eines Normenkontrollantrags nach § 47 VwGO offen halten möchte.
Es mag Fallgestaltungen geben, in denen ausnahmsweise keine Obliegenheit besteht, dass ein Antragsteller im Rahmen einer nochmaligen öffentlichen Auslegung Einwendungen erhebt. Da § 47 Abs. 2a VwGO zum Ziel hat, die jeweiligen Interessen rechtzeitig dem Abwägungsmaterial hinzuzufügen und im Hinblick auf die grundsätzliche Aufgabenverteilung zwischen Plangeber und den Verwaltungsgerichten zu verhindern, dass sachliche Einwendungen ohne Not erst im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden (BTDrucks 16/2496 S. 18, Urteile vom 26. April 2007 – BVerwG 4 CN 3.06 – BVerwGE 128, 382 Rn. 22, vom 24. März 2010 – BVerwG 4 CN 3.09 – BauR 2010, 1051 = Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 178 Rn. 14, vom 27. Oktober 2010 – BVerwG 4 CN 4.9 – BVerwGE 138, 84 Rn. 16 und vom 18. November 2010 – BVerwG 4 CN 3.9 – BVerwGE 138, 181 Rn. 10), mag dies etwa in solchen Fällen nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen, in denen ein Antragsteller im Rahmen einer vorhergehenden öffentlichen Auslegung zulässigerweise Einwendungen gegen die Planung erhoben hat und aus Sicht der Gemeinde kein vernünftiger Zweifel bestehen kann, dass sein Abwehrwille auch gegen die geänderte Planung fortbesteht.
So hat der Senat bereits entschieden, dass ein anhängiger Normenkontrollantrag nicht nachträglich gemäß § 47 Abs. 2a VwGO unzulässig wird, wenn eine Gemeinde während eines anhängigen Normenkontrollverfahrens ein ergänzendes Verfahren durchführt und der Antragsteller im Rahmen der erneuten öffentlichen Auslegung keine Einwendungen vorbringt. Reagiere der Antragsteller auf das ergänzende Verfahren nicht mit einer Erledigungserklärung, sei nämlich davon auszugehen, dass sich sein Abwehrwille auch gegen den Bebauungsplan in der Gestalt richte, die er durch das ergänzende Verfahren finden solle (vgl. Urteil vom 24. März 2010 a.a.O. Rn. 18). Ob und in welchen Fällen eine im Rahmen einer vorhergehenden öffentlichen Auslegung zulässigerweise erhobene Einwendung im Vorfeld eines Normenkontrollverfahrens den Eintritt der Präklusion verhindert, braucht aus Anlass des vorliegenden Falles nicht entschieden zu werden. Eine frühere Einwendung macht eine Einwendung im Rahmen einer erneuten Auslegung jedenfalls dann nicht entbehrlich, wenn Festsetzungen für das Grundstück des Antragstellers geplant sind, die von der ursprünglichen Planung abweichen und den Antragsteller weniger belasten als anfänglich vorgesehen, aber gleichwohl nicht seine Billigung finden. Würde der Antragsteller aus der Obliegenheit entlassen, eine weitere Stellungnahme abzugeben, wäre die Gemeinde dem Risiko ausgesetzt, dass sie in der Annahme, er sei mit der geänderten Planung einverstanden, seine konkreten Belange verkennt und nicht mehr vor dem Satzungsbeschluss in die Entscheidung einstellen kann (vgl. OVG Münster, Urteil vom 19. Dezember 2011 – 2 D 14/10.NE –BauR 2012, 915 = ZfBR 2012, 463 = juris Rn. 39). Für den Antragsteller bedeutet dies, dass er den Ablauf des Bebauungsplanverfahrens bis zum Erlass des Plans verfolgen und seinen Abwehrwillen auch gegen den geänderten Plan zum Ausdruck bringen muss. Unzumutbares wird ihm damit nicht abverlangt. Aufgrund der in § 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BauGB normierten Hinweispflichten, die nach § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB auch im Fall einer erneuten Auslegung des Planentwurfs gelten, ist sichergestellt, dass er sowohl über seine Obliegenheit zur Erhebung von Einwendungen im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung als auch über die Folgen der Nichtbeachtung informiert wird. Mit einer unverhältnismäßig hohen, mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht vereinbaren Hürde für die Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes wird er nicht konfrontiert (vgl. Urteil vom 18. November 2010 a.a.O. Rn. 12), zumal die Möglichkeit, den Bebauungsplan in einem (späteren) verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegebenenfalls inzident überprüfen zu lassen, durch § 47 Abs. 2a VwGO nicht berührt wird (Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 47 Rn. 257c).
Ein Fall, in dem ein Antragsteller zur Vermeidung des Eintritts der Präklusion nach § 47 Abs. 2a VwGO im Rahmen einer nochmaligen Auslegung Einwendungen geltend machen muss, liegt hier vor. Die Antragstellerin war nach ihrer Stellungnahme im Rahmen der zweiten Öffentlichkeitsbeteiligung mit der Ausweisung der gesamten hinteren Grundstücksfläche als Grünfläche nicht einverstanden, weil sie das aufstehende Hofgebäude erhalten wollte, das nach dem Sanierungskonzept der Antragsgegnerin komplett beseitigt werden sollte. Mit der Änderung des Planentwurfs, wie er der dritten Auslegung zugrunde lag – Reduzierung der Grünfläche und Festsetzung eines Baufensters zum Teilerhalt des Hofgebäudes –, ist die Antragsgegnerin der Antragstellerin entgegen gekommen. Da sich die Stellungnahme der Antragstellerin auf eine andere Planung bezogen hatte, hätte sie im Rahmen der dritten Auslegung dazu vortragen müssen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie ihre bisherigen Einwendungen aufrecht erhalten will. Das hat sie nicht getan.
2. Die Antragsgegnerin hat auf die Folgen unterbliebener oder verspäteter Einwendungen in der Bekanntmachung der dritten Auslegung des Planentwurfs hingewiesen. Der Umstand, dass der Hinweis vom Text des § 47 Abs. 2a VwGO abwich und sich stattdessen am Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB in der durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3316) geänderten Fassung orientierte, steht dem Eintritt der Präklusionswirkung nicht entgegen; denn die von der Antragsgegnerin verwendete Belehrung war nicht geeignet, einen von den Festsetzungen eines künftigen Bebauungsplans Betroffenen irrezuführen und von der rechtzeitigen Geltendmachung von Einwendungen abzuhalten (vgl. Urteil vom 27. Oktober 2010 a.a.O. Rn. 16).
3. Der Eintritt der Rechtsfolge des § 47 Abs. 2a VwGO hängt zusätzlich davon ab, dass die Auslegung des Planentwurfs (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB) und die ortsübliche Bekanntmachung ihres Orts und ihrer Dauer (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BauGB) ordnungsgemäß erfolgt sind (vgl. Urteil vom 18. November 2010 a.a.O. Rn. 14). Diese Voraussetzungen sind nach den tatsächlichen, den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts erfüllt (UA S. 20 f).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Petz, Dr. Decker, Dr. Külpmann
Fundstellen
BVerwGE 2014, 88 |
BauR 2014, 1136 |
ZfIR 2014, 395 |
DÖV 2014, 677 |
VR 2014, 288 |
BayVBl. 2014, 636 |
GV/RP 2015, 302 |
KommJur 2014, 227 |
UPR 2014, 272 |
FSt 2015, 96 |
FuBW 2015, 414 |
FuHe 2015, 452 |
FuNds 2015, 431 |