Leitsatz (amtlich)
1. Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung wegen der schlechten humanitären Situation im Herkunftsland begründet nur dann einen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG, wenn sie zielgerichtet von einem Akteur im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG ausgeht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 - 1 B 2.19 - juris Rn. 13).
2. Für eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG muss die willkürliche Gewalt beim Fehlen individueller gefahrerhöhender Umstände ein besonders hohes Niveau für die Zivilbevölkerung erreichen. Hierzu bedarf es Feststellungen zur Gefahrendichte, die neben einer annäherungsweise quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos auch eine wertende Gesamtschau zur individuellen Betroffenheit des Ausländers umfassen (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33, vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u Asylrecht Nr. 58 Rn. 22 f. und vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 14 Rn. 24, jeweils zu der wortgleichen Vorgängernorm des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.; BVerwG, Beschluss vom 8. März 2018 - 1 B 7.18 - juris Rn. 3).
Verfahrensgang
VG Wiesbaden (Urteil vom 14.03.2019; Aktenzeichen 7 K 1139/17.WI.A) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 14. März 2019 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin, eine 1998 in Mogadischu geborene somalische Staatsangehörige, begehrt die Zuerkennung subsidiären Schutzes.
Rz. 2
Die Klägerin reiste nach eigenen Angaben 2015 in das Bundesgebiet ein und beantragte Anfang 2016 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Sie begründete ihren Antrag vor allem mit Bedrohungen durch die Al Shabaab. Mit Bescheid vom 7. Februar 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - ihre Anträge auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf Gewährung subsidiären Schutzes ab und stellte stattdessen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK fest.
Rz. 3
Die zuletzt nur noch auf Gewährung subsidiären Schutzes gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 14. März 2019 abgewiesen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Klägerin bei Rückkehr nach Somalia keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohe. Ihr Vorbringen, sie werde bei Rückkehr von Angehörigen der Al Shabaab getötet, sei nicht glaubhaft. Die Gewährung subsidiären Schutzes komme auch nicht wegen der schlechten humanitären Situation in Somalia in Betracht. Diese begründe zwar eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK. Es fehle aber an einem Akteur i.S.d. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG und Art. 6 Richtlinie 2011/95/EU, der die schlechten humanitären Bedingungen zielgerichtet hervorrufe oder wesentlich verstärke. Die bloße Kausalität zwischen der schlechten Sicherheitslage und der katastrophalen humanitären Lage genüge nicht. Auch der EuGH verneine die Zuerkennung subsidiären Schutzes, solange einem erkrankten Ausländer die medizinische Versorgung in seinem Heimatstaat nicht "absichtlich" versagt werde. Überdies statuiere Erwägungsgrund 35 der Richtlinie 2011/95/EU, dass Gefahren, denen die Bevölkerung eines Landes allgemein ausgesetzt seien, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellten, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre. Von diesem Grundsatz habe der EuGH nur bei Art. 15 Buchst. c Richtlinie 2004/83/EG (Gefährdung im Rahmen eines bewaffneten Konflikts) eine Ausnahme anerkannt. Somalia sei zwar geprägt von einem jahrelangen bewaffneten Konflikt zwischen der Al Shabaab einerseits und den somalischen Regierungstruppen und deren Verbündeten andererseits. Die schlechten humanitären Bedingungen für die Zivilbevölkerung beruhten zwar wesentlich auf der schlechten Sicherheitslage bzw. gingen überwiegend auf direkte oder indirekte Aktionen der am Konflikt beteiligten Akteure zurück. Sie würden von ihnen aber nicht zielgerichtet hervorgerufen oder verstärkt, sondern seien "nur" als Kollateralschaden zu bewerten. Soweit die Konfliktparteien humanitäre Hilfe behinderten, zielten die Maßnahmen nicht auf eine Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Zivilbevölkerung ab, sondern seien Mittel zum Zweck im Kampf um die Vorherrschaft. Selbst wenn man in diesen Handlungen eine zielgerichtete Verschlechterung der humanitären Lage sähe, wäre dies nur ein Teilgrund und sei der bewaffnete Konflikt der maßgebliche Grund für die schlechten Lebensbedingungen. Der Klägerin drohe bei Rückkehr nach Somalia auch kein ernsthafter Schaden infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Ob in Mogadischu von einem bewaffneten Konflikt auszugehen sei, könne dahinstehen, da es jedenfalls an einer individuellen Gefährdung fehle. Die Klägerin weise keine gefahrerhöhenden Umstände auf. Die Lage in Mogadischu sei auch nicht durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Eine genaue Bewertung der Gefahrendichte aufgrund einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos durch Gegenüberstellung der Gesamtzahl der in der Region lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher Gewalt sei mangels belastbarer Zahlen nicht verlässlich möglich. Auch ungeachtet einer quantitativen Bewertung erreichten die dokumentierten Anschläge nicht eine solche Quantität und Qualität, dass von einer Gefährdung der gesamten Zivilbevölkerung auszugehen sei.
Rz. 4
Die Klägerin rügt mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision eine Verletzung des § 4 Abs. 1 AsylG und des Art. 15 Richtlinie 2011/95/EU. Für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne dieser Vorschriften sei auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen und bedürfe es nicht einer zielgerichteten Handlung eines Akteurs. Mit Blick auf ein beim EuGH anhängiges Vorabentscheidungsverfahren zu Art. 15 Buchst. c Richtlinie 2011/95/EU sei sie mit einer Aussetzung des Verfahrens einverstanden.
Rz. 5
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die (Sprung-)Revision der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht ist ohne Verletzung revisiblen Rechts davon ausgegangen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG hat. Insbesondere droht ihr bei Rückkehr weder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen der schlechten humanitären Situation in Somalia, weil diese nicht zielgerichtet von einem Akteur i.S.d. § 3c AsylG ausgeht (1.), noch ein ernsthafter Schaden infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG, weil es jedenfalls an der erforderlichen individuellen Gefährdung fehlt (2.). Einer weiteren Klärung durch den EuGH bedarf es nicht (3.).
Rz. 7
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist das Asylgesetz (AsylG) in seiner aktuellen Fassung (derzeit: in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 ≪BGBl. I S. 1798≫, zuletzt geändert durch das am 26. November 2019 in Kraft getretene Zweite Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 vom 20. November 2019 ≪BGBl. I S. 1626≫). Rechtsänderungen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz eintreten, sind im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, wenn das Tatsachengericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die aktuelle Fassung zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 12). Die hier maßgeblichen Bestimmungen haben sich seit der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aber nicht geändert.
Rz. 8
Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 AsylG - vorbehaltlich der in § 4 Abs. 2 AsylG normierten und hier nicht einschlägigen Ausschlussgründe - subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: (1.) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, (2.) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder (3.) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Nach § 4 Abs. 3 AsylG gelten die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend, wobei an die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens treten; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung, ABl. L 337 S. 9) - sog. Anerkennungsrichtlinie - zum subsidiären Schutz umgesetzt.
Rz. 9
1. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Somalia wegen der schlechten humanitären Situation kein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) droht, weil es an einem Akteur i.S.d. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG fehlt, von dem zielgerichtet eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ausgeht, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 10
a) Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist - wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK - aufgrund weitgehend identischer sachlicher Regelungsbereiche (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 36) auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen. Danach haben die sozio-ökonomischen und humanitären Bedingungen im Abschiebezielstaat weder notwendig noch ausschlaggebenden Einfluss auf die Frage, ob eine Person tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein (EGMR, Urteile vom 28. Juni 2011 - Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi - Rn. 278 und vom 29. Januar 2013 - Nr. 60367/10, S.H.H. - Rn. 74). Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK annehmen zu können. Denn die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Anderes gilt nach der Rechtsprechung des EGMR nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteile vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N. - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42 und vom 28. Juni 2011 - Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi - Rn. 278; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 23, 25, und Beschluss vom 13. Februar 2019 - 1 B 2.19 - juris Rn. 6).
Rz. 11
b) Ob das Verwaltungsgericht in Anwendung dieses strengen Prüfungsmaßstabs zu Recht das für eine unmenschliche Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen erforderliche hohe Gefährdungsniveau angenommen hat, das erforderlich ist für das Vorliegen eines außergewöhnlichen Falles, in dem die gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung (zur Einschätzung der Gefahrenlage durch den EGMR vgl. Urteil vom 5. September 2013 - Nr. 886/11, K.A.B. - Rn. 91, wonach anders als noch im Juni 2011 jedenfalls in Mogadischu keine Gewalt in einem Ausmaß mehr herrscht, dass jedem Rückkehrer allein deswegen eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung droht). Denn es hat erkannt, dass für die Anwendung des Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EU allein eine in der Auslegung des EGMR in Ausnahmefällen drohende Verletzung des Art. 3 EMRK nicht genügt. Vielmehr muss eine den subsidiären Schutz begründende Gefahr eines ernsthaften Schadens in Form von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 3 AsylG stets von einem Akteur i.S.d. § 3c AsylG ausgehen (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 29 und Beschluss vom 13. Februar 2019 - 1 B 2.19 - juris Rn. 6).
Rz. 12
In der Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass der mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wortgleiche Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Richtlinie 2011/95/EU) dahingehend auszulegen ist, dass es einer direkten oder indirekten Aktion eines Akteurs bedarf, die die unmenschliche Lebenssituation im Sinne einer Zurechenbarkeit, die jenseits nicht intendierter Nebenfolgen ein auf die bewirkten Effekte gerichtetes Handeln oder gar Absicht erfordert, zu verantworten hat. Im Fall einer unzureichenden medizinischen Versorgung hat der EuGH mit Urteil vom 18. Dezember 2014 - C-542/13 [ECLI:EU:C:2014:2452] M'Bodj - (Rn. 35, 41) entschieden, dass der in Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Richtlinie 2011/95/EU) genannte ernsthafte Schaden nicht bloß die Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems des Herkunftslandes sein darf. Dies entnimmt der EuGH vor allem Art. 6 Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Richtlinie 2011/95/EU), der eine Liste der Akteure enthält, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann. Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, stellen für sich genommen hingegen normalerweise keine individuelle Bedrohung dar, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre (Erwägungsgrund 26 der Richtlinie 2004/83/EG; inzwischen: Erwägungsgrund 35 der Richtlinie 2011/95/EU). Die Anerkennungsrichtlinie zielt darauf ab, die Schutzregelung für Flüchtlinge durch den subsidiären Schutz zu ergänzen und insoweit die Personen zu bestimmen, die tatsächlich internationalen Schutz benötigen; ihr Geltungsbereich erstreckt sich hingegen nicht auf Personen, die aus anderen - etwa familiären oder humanitären - Gründen in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten verbleiben dürfen (vgl. Erwägungsgrund 5, 6, 9 und 24 der Richtlinie 2004/83/EG; inzwischen: Erwägungsgrund 6, 12, 15 und 33 der Richtlinie 2011/95/EU). Der EuGH verneint infolgedessen das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Richtlinie 2011/95/EU), solange einem erkrankten Antragsteller bei Rückkehr die medizinische Versorgung nicht "absichtlich" verweigert wird (EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2014 - C-542/13, M'Bodj - Rn. 41). Dies bekräftigend geht auch Generalanwalt B. davon aus, dass ein ernsthafter Schaden i.S.d. Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Richtlinie 2011/95/EU) durch direktes oder indirektes Behördenhandeln verursacht werden muss. Die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung müsse auf Faktoren beruhen, die den Behörden des Landes direkt oder indirekt anzulasten und ihnen stets bewusst seien, und zwar entweder weil die Behörden des Staates, dem der Betroffene angehöre, ihn persönlich bedrohten oder diese Bedrohung tolerierten, oder weil diese Bedrohung auf unabhängige Gruppen zurückgehe, vor denen die Behörden ihre Staatsangehörigen nicht wirksam schützen könnten (Schlussanträge des Generalanwalts B. vom 24. Oktober 2017 - C-353/16, M.P. - Rn. 30 ff.). Im Einklang damit führt der EuGH im Urteil vom 24. April 2018 - C-353/16 [ECLI:EU:C:2018:276], M.P. - (Rn. 51) aus, dass die Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines an einer schweren Krankheit leidenden Drittstaatsangehörigen, die auf das Fehlen angemessener Behandlungsmöglichkeiten in seinem Herkunftsland zurückzuführen ist, ohne dass diesem Drittstaatsangehörigen die Versorgung "vorsätzlich" verweigert würde, keine ausreichende Rechtfertigung dafür sein kann, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Dieser Rechtsprechung zufolge muss die schadenszufügende Handlung oder Unterlassung des Akteurs bewusst und zielgerichtet ("absichtlich" bzw. "vorsätzlich") ausgeführt werden. Ähnlich wie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Feststellung einer Verfolgungshandlung im Rahmen der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 Asyl(Vf)G (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2009 - 10 C 52.07 - BVerwGE 133, 55 Rn. 24) bedarf es damit eines zielgerichteten Handelns bzw. Unterlassens eines Akteurs, das die schlechte humanitäre Lage hervorruft oder erheblich verstärkt (BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 - 1 B 2.19 - juris Rn. 13; s.a. Broscheit/Gormik, ZAR 2018, 302 ≪305 f., 307≫). Dies gilt unter Berücksichtigung der vom EuGH allgemein hervorgehobenen Ziele der Richtlinie und der ausdrücklichen Bezugnahme auf Art. 6 Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Richtlinie 2011/95/EU) nicht nur, wenn der drohende Schaden auf allgemeine Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems im Herkunftsland zurückzuführen ist, sondern für alle von Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EG erfassten Fallkonstellationen einer im Herkunftsland drohenden unmenschlichen Lebenssituation.
Rz. 13
Diese Auslegung steht im Einklang mit Art. 3 EMRK sowie der in ihrem Lichte auszulegenden Regelungen in Art. 4 und Art. 19 Abs. 2 GRC. Eine in der Auslegung des EGMR in Ausnahmefällen drohende Verletzung des Art. 3 EMRK im Herkunftsland steht einer Abschiebung in diesen Staat entgegen. Dies bedeutet aber nicht, dass dem Drittstaatsangehörigen deswegen auch erlaubt werden muss, sich auf der Grundlage des subsidiären Schutzes in einem Mitgliedstaat aufzuhalten (EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2014 - C-542/13, M'Bodj - Rn. 40). Mit der möglichen Versagung internationalen Schutzes wird weder unionsrechtlich (s.a. VGH Mannheim, Urteil vom 3. November 2017 - A 11 S 1704/17 - juris Rn. 80) noch nach nationalem Recht (vgl. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) abschließend darüber entschieden, ob eine Rückführung in den Herkunftsstaat - auch in Bezug auf Art. 3 EMRK - rechtlich zulässig ist.
Rz. 14
c) In Anwendung dieser Grundsätze hat das Verwaltungsgericht stichhaltige Gründe für die Annahme eines ernsthaften Schadens i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG allein infolge der schlechten humanitären Situation in Somalia verneint, weil diese nicht zielgerichtet von einem Akteur ausgeht. Dabei ist es in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, dass Somalia geprägt ist von einem jahrelangen bewaffneten Konflikt zwischen der Al Shabaab einerseits und den somalischen Regierungstruppen und deren Verbündeten andererseits. Die dadurch kausal herbeigeführte Verschlechterung der Lebensbedingungen für die somalische Zivilbevölkerung hat es aber "nur" als Kollateralschaden des intensiven Bürgerkrieges bewertet. Maßnahmen der Al Shabaab und der Behörden, die sich auf die humanitäre Lage auswirkten, zielten nicht auf eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der Zivilbevölkerung ab, sondern seien Mittel zum Zweck im Kampf um die Vorherrschaft. Selbst wenn man in diesen Handlungen eine zielgerichtete Verschlechterung der humanitären Lage sehen würde, wäre dieser Einfluss relativ gering, weil der bewaffnete Konflikt der maßgebliche Grund für die schlechten Lebensbedingungen sei und die zielgerichtete Verschlechterung nur einen Teilgrund bildete.
Rz. 15
Weder die tatrichterliche Würdigung der Verhältnisse in Somalia durch das Verwaltungsgericht noch dessen hilfsweise daran anknüpfende rechtliche Schlussfolgerung, dass allein eine allenfalls untergeordnete zielgerichtete Verschlechterung der humanitären Lage durch einen Akteur i.S.d. § 3c AsylG nicht für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG genügt, sind revisionsrechtlich zu beanstanden. Schlechte humanitäre Verhältnisse in einem Land sind typischerweise auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen. Bedarf es für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG eines Akteurs, dem die unmenschliche Lebenssituation zuzurechnen ist, muss diese jedenfalls maßgeblich und nicht nur in geringem Umfang auf das bewusste und zielgerichtete Handeln eines Akteurs zurückzuführen sein.
Rz. 16
2. Die Klägerin erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Danach gilt als ernsthafter Schaden auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Mit dieser - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c Richtlinie 2011/95/EU umsetzenden - dritten Fallgruppe erfasst der subsidiäre Schutz Gefahrenlagen in Bezug auf das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die im Rahmen von bewaffneten Konflikten entstehen und nach der Grundkonzeption der Genfer Flüchtlingskonvention für sich genommen nicht als Verfolgung zu qualifizieren sind.
Rz. 17
a) Das Verwaltungsgericht hat für seine Prognose, ob die Klägerin bei Rückkehr nach Somalia einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, zu Recht auf die tatsächlichen Verhältnisse in Mogadischu abgestellt. Bezugspunkt für die nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gebotene Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - C-465/07 [ECLI:EU:C:2009:94], Elgafaji - NVwZ 2009, 705 Rn. 40). Da die Klägerin vor ihrer Ausreise in Mogadischu gelebt hat, ist die Annahme gerechtfertigt, dass sie dorthin zurückkehren wird.
Rz. 18
b) Zutreffend ist das Verwaltungsgericht weiter davon ausgegangen, dass sich eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Personen im Rahmen eines - vom Verwaltungsgericht zugunsten der Klägerin unterstellten - bewaffneten Konflikts ergeben kann, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet.
Rz. 19
Nach der Rechtsprechung des EuGH bezieht sich das Erfordernis einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt auf schädigende Eingriffe, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - C-465/07, Elgafaji - Rn. 35). Mit Blick auf den 26. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: 35. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU), wonach Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen "normalerweise" keine individuelle Bedrohung darstellen, "die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre", den subsidiären Charakter des in Frage stehenden Schadens und die Systematik des Art. 15 Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Richtlinie 2011/95/EU), bei dem die unter Buchstabe a und b definierten Schäden einen klaren Individualisierungsgrad voraussetzen, bleibt dies allerdings einer außergewöhnlichen Situation vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - C-465/07, Elgafaji - Rn. 36 ff.). Dies präzisiert der EuGH dahin, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - C-465/07, Elgafaji - Rn. 39). Geht aufgrund des in Somalia herrschenden bewaffneten Konflikts in der Region Mogadischu für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr aus, muss sich diese für einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung subsidiären Schutzes folglich in ihrer Person so verdichten, dass sie für diese eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt.
Rz. 20
Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Zu berücksichtigen sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33). Derartige gefahrerhöhende individuelle Umstände hat das Verwaltungsgericht - für das Revisionsgericht bindend - bei der Klägerin nicht festgestellt.
Rz. 21
Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann ausnahmsweise auch in Fällen, in denen - wie hier - individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 15 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - C-465/07, Elgafaji). Liegen keine gefahrerhöhenden Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33). Zur Bestimmung der hierfür erforderlichen Gefahrendichte bedarf es nach der Rechtsprechung des Senats - in Anlehnung an die von ihm zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Grundsätze (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 20 ff.) - zunächst einer annäherungsweise quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos und auf deren Grundlage einer wertenden Gesamtschau zur individuellen Betroffenheit des Ausländers (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33, vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u Asylrecht Nr. 58 Rn. 22 f. und vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 14 Rn. 24, jeweils zu der wortgleichen Vorgängernorm des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.; BVerwG, Beschluss vom 8. März 2018 - 1 B 7.18 - juris Rn. 3). Dieser "quantitative" Ansatz in der Rechtsprechung des Senats unterscheidet sich im Ergebnis allenfalls graduell von der teilweise vertretenen Gegenposition, wonach es einer rein qualitativen Betrachtung bedürfe (vgl. etwa Dietz, NVwZ-Extra 24/2014). Denn er zielt nicht auf einen gar höchstrichterlich auf alle Konfliktlagen anzuwendenden "Gefahrenwert" im Sinne einer zwingend zu beachtenden mathematisch-statistischen Mindestschwelle, sondern lässt durch das Erfordernis einer abschließenden Gesamtbetrachtung ausreichend Raum für qualitative Wertungen; auch die Gegenposition kommt bei ihrer rein qualitativen Betrachtung letztlich nicht ohne einen Rückgriff auf das reale Verfolgungsgeschehen aus (vgl. Berlit, ZAR 2017, 110).
Rz. 22
Ob insoweit mit Blick auf die Rechtsprechung in anderen europäischen Staaten und einen dies aufgreifenden Vorlagebeschluss des VGH Mannheim zu den unionsrechtlichen Kriterien, nach denen das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung zu beurteilen ist (VGH Mannheim, Vorlagebeschluss vom 29. November 2019 - A 11 S 2374/19 u.a. - juris mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung anderer Mitgliedstaaten), eine weitere Klärung durch den EuGH zu erwarten ist, kann vorliegend indes dahinstehen. Denn das Verwaltungsgericht ist im Wege einer Gesamtbetrachtung zu dem Ergebnis gekommen, dass das Ausmaß der allgemeinen Gefahr in Mogadischu - unabhängig von einer quantitativen Relationsbetrachtung - nicht die erforderliche Gefahrendichte aufweist. Das Fehlen quantitativer Feststellungen zum Tötungs- und Verletzungsrisiko durch Gegenüberstellung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher Gewalt hat es damit begründet, dass derartige Feststellungen hinsichtlich der Lage in Somalia kaum verlässlich möglich seien. Die Gesamtzahl der Personen, die Opfer willkürlicher Gewalt geworden seien, könne nicht einmal annäherungsweise verlässlich geschätzt werden, weil belastbare Zahlen nicht vorhanden seien. Ob das Verwaltungsgericht damit seiner gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO hinreichend nachgekommen ist und ihm eine weitere Aufklärung weder möglich noch zumutbar war, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, da die Sprungrevision allein der Klärung von grundsätzlichen Rechtsfragen dient und nicht auf Verfahrensrügen gestützt werden kann (§ 134 Abs. 4 VwGO), die hier auch nicht erhoben worden sind. Unterstellt man auf der Grundlage der den Senat grundsätzlich bindenden tatrichterlichen Feststellungen, dass das Tötungs- und Verletzungsrisiko in quantitativer Hinsicht im Rahmen der dem Bundesamt und den Gerichten obliegenden Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts noch nicht einmal annäherungsweise verlässlich bestimmt werden kann, ist die dann nicht zuletzt auf qualitative Erwägungen gestützte, weitere Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Region Mogadischu keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, nicht zu beanstanden.
Rz. 23
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist die Sicherheitslage in Mogadischu zwar weiterhin volatil. Die größte Gefahr geht für die Zivilbevölkerung in der Region aber nicht von bewaffneten Auseinandersetzungen der Bürgerkriegsparteien, sondern von Anschlägen der islamistischen Miliz Al Shabaab aus. Diese richten sich vielfach gegen militärische und politische Ziele, auch wenn die Al Shabaab mit ihren Anschlägen teilweise gezielt die Zivilbevölkerung ins Visier nimmt, um Chaos zu stiften und das Vertrauen in die Stabilität der Regierung zu unterminieren. Die dokumentierten und im Einzelnen aufgeführten Anschläge hat das Verwaltungsgericht tatrichterlich dahingehend gewürdigt, dass sie bislang nicht eine solche Quantität und Qualität erreichten, dass von einer Gefährdung der gesamten Zivilbevölkerung in Mogadischu auszugehen sei. Dabei hat es berücksichtigt, dass Mogadischu aktuell nicht zu den besonders vom Konflikt betroffenen Regionen Somalias gehört und in den Berichten zumindest von Verbesserungen der Sicherheitslage die Rede ist, auch wenn diese weiterhin als schlecht zu bewerten ist. Auf der Grundlage dieser den Senat bindenden tatrichterlichen Feststellungen ist die im Wege einer Gesamtwürdigung gezogene Schlussfolgerung, dass in der Region Mogadischu nicht jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 24
3. Der Senat kann entscheiden, ohne dass es zuvor einer weiteren Klärung durch den EuGH bedarf.
Rz. 25
a) Die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen einer auf schlechte Lebensverhältnisse im Herkunftsstaat zurückzuführenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ergeben sich aus der zitierten Rechtsprechung des EuGH, ohne dass der vorliegende Fall Anlass für eine weitere Klärung durch den EuGH gibt. Soweit in der Rechtsprechung des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs für die Zuerkennung subsidiären Schutzes die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK ausreicht, ohne dass es einer Verursachung durch einen Akteur i.S.d. Art. 6 RL 2011/95/EU bedarf, weist der Verwaltungsgerichtshof selbst daraufhin, dass dies lediglich Folge einer - unionsrechtswidrig - günstigeren Regelung im nationalen österreichischen Recht ist (Österreich. VwGH, Erkenntnis vom 21. Mai 2019 - Ro 2019/19/0006 - NLMR 2019, 353). Diese Rechtsprechung lässt sich nicht auf die deutsche Rechtslage übertragen, da der deutsche Gesetzgeber mit dem Verweis in § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG auf § 3c AsylG die Anwendung des Art. 6 Richtlinie 2011/95/EU (auch) für den subsidiären Schutz unionsrechtskonform umgesetzt und mit § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG auch jenseits des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes Vorsorge dagegen getroffen hat, Menschen der realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK auszusetzen.
Rz. 26
b) Ob es für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG wegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bei der Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos einer quantitativen Mindestschwelle bedarf (vgl. hierzu VGH Mannheim, Vorlagebeschluss vom 29. November 2019 - A 11 S 2374/19 u.a. - juris mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung anderer Mitgliedstaaten) folgt jedenfalls nicht aus der Rechtsprechung des Senats und ist im vorliegenden Verfahren schon deshalb nicht entscheidungserheblich, weil das Verwaltungsgericht unabhängig davon eine hinreichende Gefahrendichte auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung verneint hat. Auch diese wirft ihrerseits keine zweifelhaften unionsrechtlichen Maßstabsfragen auf.
Rz. 27
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Rz. 28
5. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
Fundstellen
DÖV 2020, 951 |
InfAuslR 2020, 363 |
VR 2020, 396 |
ZAR 2021, 39 |
ZAR 2021, 67 |