Leitsatz (amtlich)
1. Die im Rahmen einer Verlängerungsentscheidung nach § 18 Abs. 3 BImSchG anzustellende kursorische Prüfung kann sich auf Fehler der bestandskräftig gewordenen Anlagengenehmigung erstrecken, wenn ein methodischer Fehler im ursprünglichen Genehmigungsverfahren auf die Prüfung fortwirkt, ob der Gesetzeszweck durch eine Fristverlängerung gefährdet wird.
2. Der Begriff der Gefährdung des Gesetzeszwecks in § 18 Abs. 3 BImSchG stellt ausschließlich auf die in § 1 BImSchG genannten Zwecke des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ab.
3. Die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens zur Fehlerheilung (§ 7 Abs. 5 UmwRG) scheidet im Verlängerungsverfahren nach § 18 Abs. 3 BImSchG nur dann aus, wenn die Fehlerheilung in diesem Verfahren von vornherein ausgeschlossen ist.
Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Entscheidung vom 04.09.2019; Aktenzeichen 11 B 24.16) |
VG Potsdam (Entscheidung vom 17.11.2016; Aktenzeichen 5 K 1355/14) |
Tenor
Hinsichtlich der Revision des Beklagten wird das Verfahren eingestellt.
Auf die Revision der Beigeladenen wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. September 2019 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger, eine anerkannte Umweltschutzvereinigung, wendet sich gegen einen der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Verlängerungsbescheid für die Errichtung und den Betrieb einer Hähnchenmastanlage.
Rz. 2
Der Beklagte genehmigte der Beigeladenen mit Bescheid vom 19. November 2012 die Errichtung und den Betrieb von acht Stallgebäuden mit 380 000 Kurzmastplätzen. Darin wurde unter anderem bestimmt, dass die Genehmigung erlischt, wenn die Anlage nicht innerhalb von zwölf Monaten nach Bekanntgabe errichtet und innerhalb weiterer 24 Monate in Betrieb genommen wird. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden.
Rz. 3
Am 22. Mai 2013 zeigte die Beigeladene dem Beklagten gemäß § 15 BImSchG an, dass sie beabsichtige, den Mastbetrieb unter gleichzeitiger Reduktion der Tierplätze auf 328 000 von Kurzmast auf Langmast umzustellen, die Stallgebäude um acht Meter zu verschieben und die Abluftanlage als zentrale Entlüftung mit einer Ableithöhe von 13 m über Flur und einer Abluftgeschwindigkeit von 10 m/s auszuführen. Mit Bescheid vom 28. August 2013 stellte der Beklagte fest, dass insoweit keine wesentliche Änderung einer immissionsschutzrechtlichen Anlage vorliegt. Unter dem 19. Dezember 2013 wurde der Beigeladenen die Baugenehmigung für die Errichtung der Stallgebäude erteilt.
Rz. 4
Der Beklagte verlängerte die Frist für die Errichtung mit Bescheid vom 14. April 2014 zunächst bis zum 31. Dezember 2014 und für die Inbetriebnahme um weitere zwei Jahre. Die Stallgebäude sind zwischenzeitlich errichtet, aber noch nicht in Betrieb genommen worden. Mit weiterem Bescheid verlängerte der Beklagte die Frist für die Inbetriebnahme bis zum 22. November 2017. Auf einen erneuten Verlängerungsantrag hat der Beklagte das Verfahren bis zur Entscheidung des vorliegenden Verfahrens ausgesetzt.
Rz. 5
Das Verwaltungsgericht hat der Klage gegen den ersten Verlängerungsbescheid mit der Begründung stattgegeben, dass die bauplanungsrechtliche Privilegierung der Anlage im Außenbereich entfallen sei. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten und der Beigeladenen hiergegen zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Verlängerungsentscheidung sei rechtswidrig, da der im Verlängerungsverfahren durchgeführte Vergleich der Ammoniakimmissionen und Stickstoffdepositionen im genehmigten Zustand mit den Werten im geplanten Zustand nicht geeignet sei, die Unbedenklichkeit der Anlage zu begründen. Die der Anlagengenehmigung von 2012 zugrunde gelegte Prüfung und Bewertung der nach der ursprünglichen Planung der Entlüftung zu erwartenden Ammoniak- und Stickstoffbelastung gehe von rechtlich zu beanstandenden Annahmen aus. Eine Fehlerheilung in einem ergänzenden Verfahren scheide aus. Wenn nicht bereits aufgrund kursorischer Prüfung feststellbar sei, ob die Genehmigungsvoraussetzungen weiter vorliegen, sei ein neues Genehmigungsverfahren nebst Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.
Rz. 6
Hiergegen wendet sich die Revision der Beigeladenen. Das Oberverwaltungsgericht habe verkannt, dass im Rahmen des Verlängerungsverfahrens lediglich die tatsächlichen und rechtlichen Änderungen seit Erteilung der ursprünglichen Genehmigung zu überprüfen seien, nicht aber auch die bestandskräftig gewordene Genehmigung. Der LAI-Leitfaden 2012 zur Ermittlung und Bewertung von Stickstoffeinträgen sei als Verwaltungsvorschrift bindend, auch wenn er nicht entsprechend den strengen Anforderungen der §§ 48, 51 BImSchG erlassen worden sei. Bei der Prüfung der von der Anlage ausgehenden Stickstoffbelastung hätte nicht ohne entsprechende Prüfung der mittlere Spannenwert zugrunde gelegt werden dürfen. Das im Leitfaden enthaltene Abschneidekriterium von 5 kg N/(ha*a) lasse sich mit der mangelnden Messbarkeit eines niedrigeren Wertes begründen. Ebenso wenig sei zu beanstanden, dass bei der Prüfung einer erheblichen Beeinträchtigung besonders geschützter Biotope die Verbreitung des Lebensraumtyps sowie die Dynamik und Stärke der Bedrohung seiner Bestände berücksichtigt worden seien. Jedenfalls hätte der Klage nicht vollumfänglich stattgegeben werden dürfen, da etwaige Fehler in einem ergänzenden Verfahren geheilt werden könnten.
Rz. 7
Der Beklagte hat die von ihm eingelegte Revision mit Schriftsatz vom 19. Februar 2020 zurückgenommen.
Rz. 8
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. September 2019 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Rz. 9
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 10
Er verteidigt das Urteil.
Entscheidungsgründe
Rz. 11
Das Verfahren über die Revision des Beklagten war einzustellen, nachdem dieser den Antrag zurückgenommen hat.
Rz. 12
Die Revision der Beigeladenen ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Rz. 13
A. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als zulässig angesehen. Die Verbandsklagebefugnis des Klägers ergibt sich zwar nicht daraus, dass der Beklagte mit der Gewährung der Fristverlängerung ein eigentlich vorgesehenes Zulassungsverfahren umgangen hat. Sie folgt aber, wie der Senat in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019 - 7 C 28.18 - (BVerwGE 167, 250 Rn. 23 ff.) entschieden hat, aus § 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG. Mit Blick auf die den mitgliedstaatlichen Gerichten obliegende Verpflichtung, das nationale Recht so weit wie möglich im Einklang mit den Zielen des Art. 9 Abs. 3 der Aarhus Konvention (AK) als auch mit dem Ziel eines effektiven Rechtsschutzes auszulegen, ist § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG in erweiternder Auslegung so zu verstehen, dass er auch Verlängerungsentscheidungen nach § 18 Abs. 3 BImSchG, die nur Elemente einer Zulassungsentscheidung enthalten, erfasst.
Rz. 14
B. Im Ergebnis ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Oberverwaltungsgericht entschieden, dass die dem Beigeladenen nach § 18 Abs. 3 BImSchG erteilte Verlängerungsgenehmigung rechtswidrig ist, weil hinreichende objektive Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Gesetzeszwecks durch die Fristverlängerung vorliegen.
Rz. 15
1. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, die nach § 18 Abs. 3 BImSchG im Rahmen einer Verlängerungsentscheidung anzustellende Prüfung sei nicht auf nach der Erteilung der bestandskräftig gewordenen ursprünglichen Anlagengenehmigung eingetretene Veränderungen beschränkt, sondern es sei auch das Fehlen von Genehmigungsvoraussetzungen zu prüfen, die bereits seinerzeit hätten gerügt werden können. Es entspreche dem Zweck des Erlöschenstatbestandes in § 18 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, den Genehmigungsinhaber nach fruchtlosem Fristablauf im Interesse leichterer Durchsetzbarkeit neuer Immissionsschutzanforderungen in die Rolle des Antragstellers zurückzuversetzen.
Rz. 16
a) Richtig ist, dass den Erlöschenstatbeständen des § 18 Abs. 1 BImSchG die generalisierende Annahme des Gesetzgebers zugrunde liegt, dass der in § 1 BImSchG beschriebene Zweck des Bundes-Immissionsschutzgesetzes bei einer Fortgeltung einer Errichtungs- und Betriebsgenehmigung über die gewährte angemessene Realisierungsfrist hinaus gefährdet wäre und sich daher die Genehmigungsfrage im Grundsatz neu stellt. Das Verlängerungsverfahren stellt sich insoweit als ein "Korrektiv" dar, um den Erlöschenszeitpunkt im Einzelfall hinauszuschieben und so die Zeit einer genehmigungsunschädlichen Nichterrichtung und -inbetriebnahme bzw. Stilllegung einer Anlage zu verlängern, sofern für die Nichteinhaltung der Frist bzw. die Betriebsunterbrechung ein wichtiger Grund besteht und der Zweck des Gesetzes (ausnahmsweise) nicht gefährdet wird (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 7 C 2.10 - Buchholz 406.25 § 15 BImSchG Nr. 8 Rn. 4, 15). Hieraus hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung keine umfassende Prüfungspflicht hinsichtlich aller Genehmigungsvoraussetzungen abgeleitet. Es hat vielmehr betont, bereits aus dem Wortlaut des § 18 Abs. 3 BImSchG folge, dass die Behörde einen Antrag auf Fristverlängerung nicht in derselben Weise zu prüfen habe, wie den ursprünglichen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung. Die Verlängerung der Erlöschensfrist setze (nur) voraus, dass die Verlängerung den Gesetzeszweck nicht erkennbar gefährde. Bei der Verlängerungsentscheidung handele es sich nicht um eine Entscheidung, die die Zulassung einer Anlage zum Gegenstand hat. Sie modifiziere lediglich eine Nebenbestimmung der Zulassungsentscheidung, nämlich deren Befristung (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2019 - 7 C 28.17 - BVerwGE 167, 250 Rn. 17). Es sei daher im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens nach § 18 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BImSchG zu prüfen, ob sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die der Genehmigung zugrunde lagen, möglicherweise wesentlich verändert haben (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 7 C 2.10 - Buchholz 406.25 § 15 BImSchG Nr. 8 Rn. 14, 17).
Rz. 17
Diese Ausrichtung des § 18 Abs. 3 BImSchG auf die Prüfung, ob sich gegenüber dem Zeitpunkt der Genehmigungserteilung Änderungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ergeben haben, spricht gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, das Verlängerungsverfahren habe sich auf alle bereits im ursprünglichen Genehmigungsverfahren geprüften Genehmigungsvoraussetzungen zu erstrecken. Eine generelle Ausweitung des Prüfungsumfangs würde den Rahmen der vom Bundesverwaltungsgericht nur geforderten "kursorischen" Prüfung des Fortbestehens der Genehmigungsvoraussetzungen sprengen und das Verlängerungsverfahren weitgehend dem Vollprüfungsverfahren angleichen. Eine erneute Prüfung aller Genehmigungsvoraussetzungen liefe jedenfalls dann, wenn die genehmigte Anlage nach Lage, Beschaffenheit und Betrieb unverändert ist und sich im Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung auch die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse nicht verändert haben, Gefahr, die Funktion des Verlängerungsverfahrens weitgehend zu entwerten. Das Verlängerungsverfahren wäre nicht mehr ein an die bestandskräftige Genehmigung und die darin enthaltene Befristung anknüpfendes Korrektiv für die auf einer generalisierenden gesetzgeberischen Wertung beruhenden Erlöschenstatbestände des § 18 Abs. 1 BImSchG, sondern käme einem zweiten Genehmigungsverfahren gleich. Seine Wirkung erschöpfte sich weitestgehend in Verfahrenserleichterungen, wie der Nichtdurchführung einer (erneuten) Öffentlichkeitsbeteiligung und der Möglichkeit, auf die bereits vorliegenden und auf ihre Vollständigkeit geprüften Genehmigungsunterlagen zurückzugreifen.
Rz. 18
Zu einer erneuten Vollprüfung im Rahmen der Verlängerungsentscheidung nach § 18 Abs. 3 BImSchG zwingt auch nicht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2020 - C-254/19 [ECLI:EU:C:2020:680], Friends of the Irish Environment -. Danach ist eine Entscheidung, mit der eine Fristverlängerung für die Durchführung eines Projekts gewährt wird, das ein FFH-Gebiet erheblich beinträchtigen kann, als Zustimmung im Sinne von Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie anzusehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass in jedem Fall im Rahmen einer Verlängerungsentscheidung nach § 18 Abs. 3 BImSchG hinsichtlich eines solchen Projekts erneut eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen wäre. Der Gerichtshof der Europäischen Union betont vielmehr, dass es der zuständigen Behörde obliege zu beurteilen, ob eine Entscheidung, mit der die ursprünglich gesetzte Frist für die Durchführung eines Projekts verlängert wird, einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist und ob sich diese auf das gesamte Projekt oder nur einen Teil davon beziehen muss. Dabei sind sowohl eine eventuell durchgeführte frühere Verträglichkeitsprüfung als auch die Entwicklung der relevanten Umweltdaten und wissenschaftlichen Daten, aber auch etwaige Änderungen des Projekts oder das Vorliegen anderer Pläne oder Projekte zu berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 9. September 2020 - C-245/19, Friends of the Irish Environment - Rn. 56, 59). Das entspricht dem Prüfprogramm wie es die Senatsrechtsprechung zu § 18 Abs. 3 BImSchG entwickelt hat. Im Rahmen der kursorischen Prüfung, ob eine Gefährdung des Gesetzeszwecks zu befürchten ist, ist auch eine im ursprünglichen Genehmigungsverfahren durchgeführte Verträglichkeitsprüfung daraufhin zu betrachten, ob sie aufgrund von Änderungen des Projekts oder aufgrund (wesentlich) veränderter wissenschaftlicher Erkenntnisse oder rechtlicher Anforderungen noch hinreichend aktuell und aussagekräftig ist. Ist eine FFH-Prüfung im ursprünglichen Genehmigungsverfahren gänzlich unterblieben, obwohl sie (offensichtlich) erforderlich gewesen wäre, liegt eine Gefährdung des Gesetzeszwecks schon wegen dieses Unterlassens vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2019 - 7 C 28.18 - BVerwGE 167, 250 Rn. 28).
Rz. 19
b) Einer abschließenden Entscheidung, inwieweit im Rahmen der Verlängerungsentscheidung die bereits im ursprünglichen Genehmigungsverfahren geprüften Genehmigungsvoraussetzungen erneut untersucht werden dürfen und gegebenenfalls müssen, bedarf es allerdings nicht. Vorliegend plant die Beigeladene eine von der genehmigten Anlage nach Lage, Beschaffenheit und Betriebsweise abweichende Verwirklichung des Vorhabens. Im Rahmen des Anzeigeverfahrens nach § 15 BImSchG hat sie eine vergleichende Betrachtung der Ammoniakimmissionen und der Stickstoffdepositionen im ursprünglich genehmigten Zustand mit den Werten im geänderten Zustand vorgelegt, die auf der im Genehmigungsverfahren erstellten Untersuchungen aufbaut und deren methodische Ansätze insbesondere hinsichtlich der Ermittlung der Critical Loads übernimmt. Dieser Vergleich stellt die Grundlage für die von dem Beklagten vorgenommene Prüfung im Verlängerungsverfahren dar. Hiervon ausgehend ist es nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung nach § 18 Abs. 3 BImSchG darauf überprüft hat, ob im ursprünglichen Anlagengenehmigungsverfahren die auch in der vergleichenden Betrachtung herangezogenen Werte fehlerfrei ermittelt worden sind. Denn ein (methodischer) Fehler im ursprünglichen Genehmigungsverfahren setzt sich in diesem Fall im Verlängerungsverfahren fort und wirkt sich (auch) dort auf die Prüfung aus, ob der Gesetzeszweck durch eine Verlängerung gefährdet wird.
Rz. 20
Die Prüfung nach § 18 Abs. 3 BImSchG wird nicht durch die hinsichtlich der Änderungen der Anlage - Verschiebung der Stallgebäude, Änderung der Abluftanlage und Umstellung von Kurz- auf Langmast - erteilte Freistellungserklärung des Beklagten nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG entbehrlich. Mit der Freistellungserklärung wird nur bindend geregelt, dass die Änderungen keiner Genehmigung nach § 16 Abs. 1 BImSchG bedürfen. Sie enthält dagegen keine bestandskräftige Feststellung des Inhalts, dass von den angezeigten Änderungen keine Auswirkungen ausgehen, die den Zweck des Bundes-Immissionsschutzgesetzes gefährden; sie entfaltet daher im Rahmen der Prüfung des Verlängerungsantrags nach § 18 Abs. 3 BImSchG keine Bindungswirkung (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 7 C 2.10 - Buchholz 406.25 § 15 BImSchG Nr. 8 Rn. 19, 23 ff.).
Rz. 21
2. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der den Prüfungen der Stickstoffauswirkungen der Hähnchenmastanlage zugrunde gelegte "Leitfaden zur Ermittlung und Bewertung von Stickstoffeinträgen der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz, Stand: 1. März 2012" (LAI-Leitfaden 2012) im gerichtlichen Verfahren keine Bindungswirkung entfaltet. Es handelt sich bei dem Leitfaden weder um eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift noch um eine naturwissenschaftliche Fachkonvention.
Rz. 22
a) Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften sind dadurch gekennzeichnet, dass sie auf der Grundlage des § 48 BImSchG von der Bundesregierung nach Anhörung der beteiligten Kreise nach § 51 BImSchG erlassen werden und sie deswegen, soweit sie die unbestimmten Rechtsbegriffe des Gesetzes durch grundsätzlich verbindliche Festlegungen und Vorgaben konkretisieren, unter bestimmten Voraussetzungen rechtliche Außenwirkung entfalten und es der gerichtlichen Kontrolle unterliegt, ob und in welchem Umfang die Voraussetzungen ihrer Anwendung gegeben sind (BVerwG, Urteile vom 20. Dezember 1999 - 7 C 15.98 - BVerwGE 110, 216 ≪218≫ und vom 21. Juni 2001 - 7 C 21.00 - BVerwGE 114, 342 ≪346≫). Es fehlt hier schon an den verfahrensrechtlichen Voraussetzungen. Weder hat die Bundesregierung den Leitfaden mit Zustimmung des Bundesrates als allgemeine Verwaltungsvorschrift förmlich erlassen noch hat die in § 51 BImSchG vorgesehene Anhörung der beteiligten Kreise stattgefunden. Der Leitfaden ist vielmehr von einer Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft unter Mitwirkung von Fachleuten aus den Ministerien mit dem Ziel einer Standardisierung der Bearbeitung von Genehmigungsanträgen erstellt und veröffentlicht worden.
Rz. 23
b) Dem Leitfaden kommt im gerichtlichen Verfahren auch nicht die gleiche Bedeutung wie dem 2019 veröffentlichten "Stickstoffleitfaden Straße" zu. Der "Stickstoffleitfaden Straße", der inzwischen in der endgültigen Fassung der Ausgabe 2019 veröffentlicht worden ist (H PSE 2019), besitzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts den Status einer Fachkonvention, die den aktuell besten wissenschaftlichen Erkenntnisstand widerspiegelt und von den Gerichten ihren Entscheidungen zugrunde gelegt werden darf, weil die Grenzen der gerichtlich möglichen und gebotenen Aufklärung und Kontrolle insoweit erreicht sind (BVerwG, Urteil vom 15. Mai 2019 - 7 C 27.17 - BVerwGE 165, 340 Rn. 32 m.w.N. unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14 - BVerfGE 149, 407 Rn. 28 f.). Der "Stickstoffleitfaden Straße" basiert auf einem Forschungs- und Entwicklungsvorhaben und wurde von einem Gremium fachkundiger Wissenschaftler in einem mehrjährigen Abstimmungsprozess unter Einbeziehung maßgeblicher Expertenkreise und Beteiligung der Öffentlichkeit erstellt, wobei auch die Naturschutzverbände ihre Stellungnahmen abgegeben und Bedenken vorgebracht haben. Einbezogen in den Prozess waren auch die staatlichen Fachgremien der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaften Immissionsschutz (LAI) und Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA), mit denen die Anwendbarkeit des Leitfadens für immissionsschutzrechtliche Vorhaben koordiniert wurde. Die im Leitfaden zusammengefassten "Hinweise" beruhen damit auf einem breiten wissenschaftlichen Konsens. Dafür, dass es derzeit bessere wissenschaftliche Erkenntnisse geben könnte, die geeignet wären, Methodik, Grundannahmen oder Schlussfolgerungen des Stickstoffleitfadens substantiell in Frage zu stellen oder gar zu widerlegen, gibt es keine Anhaltspunkte.
Rz. 24
Eine vergleichbar hohe Qualität weist der LAI-Leitfaden 2012 nicht auf. Weder ist ihm ein Forschungsvorhaben vorausgegangen noch ist eine vergleichbar breite fachwissenschaftliche Diskussion unter Beteiligung der anerkannten Umweltvereinigungen und der Öffentlichkeit geführt worden.
Rz. 25
3. Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise die Zugrundelegung der mittleren Spannenwerte der Critical Loads (a), die Verwendung pauschaler Zuschlagsfaktoren bei der Berechnung des zulässigen Beurteilungswertes bei geschützten Biotopen (b) und die Höhe des Abschneidewertes (c) kritisiert.
Rz. 26
a) Das Oberverwaltungsgericht leitet seine Kritik an der Verwendung der mittleren Spannenwerte der maximal tolerierbaren Stickstoffeinträge (Critical Loads) daraus ab, dass in Kapitel 7.2 Ziffer 2 LAI-Leitfaden 2012 für die Annahme eines mittleren Spannenwertes eine Prüfung verlangt werde, ob der Ansetzung des Mittelwertes fachliche Gründe entgegenstehen. Dabei sei die Art des Bodens, die Art der vorhandenen Vegetation und der Grad der Versorgung mit Stickstoff unter bestimmten im Leitfaden angegebenen Kriterien zu untersuchen. Eine solche Einzelfallprüfung sei nicht durchgeführt, sondern pauschal darauf verwiesen worden, dass im Land Brandenburg mittlere klimatische Verhältnisse herrschten. Auch die auf Begehungen im Sommer 2008 und 2009 beruhenden ökologischen Fachbeiträge enthielten keinerlei Aussagen hinsichtlich der maßgeblichen Kriterien. Bei diesen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts handelt es sich nicht um Rechtsanwendung, sondern Tatsachenermittlung bzw. -würdigung, die von der Beigeladenen nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden ist und daher den Senat bindet (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Rz. 27
b) Die Verwendung pauschaler Zuschlagsfaktoren bei der Berechnung des zulässigen Beurteilungswertes hinsichtlich der nach § 30 Abs. 2 BNatSchG geschützten Biotope hat das Oberverwaltungsgericht deswegen kritisiert, weil nach dem LAI-Leitfaden 2012 bei der Ermittlung der die Zuschlagsfaktoren bestimmenden Gefährdungslage eines Biotops für die Schutzkategorie "Lebensraumfunktion" nicht auf das konkret betroffene Biotop abzustellen sei, sondern eine Berücksichtigung der Verbreitung des Lebensraumtyps sowie der Dynamik und Stärke der Bedrohung seiner Bestände für zulässig erachtet werde. Das Oberverwaltungsgericht verwirft diesen Ansatz mit der Überlegung, dass für den Biotopschutz nach § 30 Abs. 2 BNatSchG maßgeblich sei, ob die Zerstörung oder erhebliche Beeinträchtigung eines einzelnen (konkreten) Biotops drohe, nicht aber, ob noch genügend Biotope der gleichen Art vorhanden sind (ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. September 2020 - 12 ME 29/20 - juris Rn. 134). Diese Überlegungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
Rz. 28
Das in § 30 Abs. 2 BNatSchG normierte Verbot, Handlungen vorzunehmen, die zu einer Zerstörung oder einer sonstigen erheblichen Beeinträchtigung gesetzlich geschützter Teile von Natur und Landschaft führen, knüpft an das konkret vorhandene Biotop an und hat dessen Erhalt zum Ziel. Dem Verbot liegt ein auf die einzelne geschützte Biotopfläche bezogener und kein an den Erhaltungszustand des Biotoptyps in einer bestimmten biogeographischen Region anknüpfender Ansatz zugrunde (vgl. Hendrischke/Kieß, in: Schlacke GK-BNatSchG 2. Aufl. 2016, § 30 Rn. 15; Meßerschmidt, BNatSchG, § 30 Rn. 60, Stand Juni 2020; OVG Schleswig, Urteil vom 19. Juni 1997 - 1 L 283/95 - NuR 1998, 558 ≪559≫. Es ist daher für die Beurteilung, ob erhebliche Beeinträchtigungen von einer Anlage zu befürchten sind, grundsätzlich unerheblich, ob der betroffene Biotoptyp ein großes Verbreitungsgebiet aufweist und in welchem Umfang eine Bedrohung für ihn besteht. Eine derartige bilanzierende Betrachtung findet in der gesetzlichen Systematik des § 30 Abs. 2 BNatSchG keine Grundlage. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der gesetzliche Biotopschutz nach § 30 Abs. 2 BNatSchG hinsichtlich seines Schutzniveaus hinter dem für die Schutzgebiete des zusammenhängenden europäischen ökologischen Netzes "Natura 2000" zurückbleibt (vgl. OVG Magdeburg, Urteil vom 8. Juni 2018 - 2 L 11/16 - juris Rn. 267). Das geringere Schutzniveau ändert nichts daran, dass sich der Schutz auch im Rahmen des § 30 Abs. 2 BNatSchG auf eine konkrete Fläche bezieht und insoweit erhebliche Beeinträchtigungen unabhängig davon verboten sind, ob sich der Biotoptyp an anderer Stelle gut entwickelt und in seinem Bestand ungefährdet ist. Das bedeutet nicht, dass Zuschlagsfaktoren auf Critical Loads schlechthin ausscheiden. Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg weist zutreffend darauf hin, dass das unterschiedliche Maß an Gewissheit, das sich die Behörde über den Schadenseintritt beim FFH-Gebietsschutz nach § 34 BNatSchG/Art. 6 Abs. 3 FFH-RL einerseits und beim Biotopschutz nach § 30 Abs. 2 BNatSchG andererseits verschaffen muss, Raum für Differenzierungen bei der Höhe der Critical Loads lassen kann. Eine - gegebenenfalls auch durch pauschale Zusatzfaktoren zum Ausdruck gebrachte - Differenzierung zwischen Schutzgebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung und Biotopflächen bei der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung zu erwarten ist, muss sich aber an den jeweils unterschiedlichen Maßstäben der Überzeugungsbildung hinsichtlich einer drohenden Beeinträchtigung und nicht an der hiervon unabhängigen Größe des Verbreitungsgebietes und der Dynamik und Stärke der Bedrohung orientieren. Dem wird der LAI-Leitfaden 2012 nicht gerecht.
Rz. 29
c) Das Oberverwaltungsgericht hat jedenfalls im Ergebnis zu Recht den bei der Beeinträchtigungsprüfung verwendeten Abschneidewert als zu hoch bewertet. Seine Begründung, angesichts des in der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten Abschneidewerts von 0,3 kg N/(ha*a) bzw. 3 % des jeweiligen Critical Loads sei nicht nachvollziehbar, dass für gesetzlich geschützte Biotope eine Irrelevanzschwelle in Höhe des 17-fachen des Abschneidewerts von 0,3 kg N/(ha*a) zugrunde zu legen sein soll, begegnet allerdings Bedenken. Es beachtet nicht hinreichend die unterschiedlichen Funktionen von Abschneidekriterium einerseits und Irrelevanz- oder Bagatellschwelle andererseits und die unterschiedliche Ermittlung der jeweils geltenden Werte. Das Abschneidekriterium dient der Bestimmung des Einwirkungsbereichs einer geplanten Anlage und damit des Untersuchungsraums und -umfangs der anzustellenden Prüfung. Zugleich werden hierdurch die in die Summationsbetrachtung einzubeziehenden Vorhaben bestimmt. Der Abschneidewert von 0,3 kg N/(ha*a) ist an der Messunsicherheit orientiert. Unterhalb dieser Grenze ist die zusätzliche von einem Vorhaben ausgehende Belastung nicht mehr mit vertretbarer Genauigkeit bestimmbar bzw. nicht mehr eindeutig von der Hintergrundbelastung abgrenzbar. Das Abschneidekriterium ist systematisch der Prüfung von Bagatellschwellen vorgelagert und unabhängig von diesen zu ermitteln. Liegt der Abschneidewert bei sehr niedrigen Critical Loads oberhalb der 3 % - Bagatellschwelle, ist diesem der Vorrang einzuräumen, weil Zusatzbelastungen und Nachweisgrenze lediglich theoretischer Natur sind (BVerwG, Urteil vom 15. Mai 2019 - 7 C 27.17 - BVerwGE 165, 340 Rn. 33 m.w.N.). Da danach die Bagatell- oder Irrelevanzschwelle für Stickstoffeinträge als relativer Wert unabhängig von dem absoluten Abschneidewert zu ermitteln ist, ist die Gleichsetzung von Abschneidekriterium und Irrelevanz- oder Bagatellschwelle sowie die auf die hohe Überschreitung des Abschneidewerts von 0,3 kg N/(ha*a) abstellende Kritik des Oberverwaltungsgerichts an der Bagatellschwelle des LAI-Leitfadens 2012 methodischen Bedenken ausgesetzt.
Rz. 30
Das Oberverwaltungsgericht hat seine Kritik an dem im LAI-Leitfaden 2012 als "Bagatellprüfung" bezeichneten Abschneidewert von 5 kg N/(ha*a) auch darauf gestützt, dass eine derartige Zusatzbelastung für besonders stickstoffempfindliche Biotope 50 % bis 100 % der Spannweite maximal tolerierbarer Stickstoffbelastungen erreichen würde. Eine derart hohe Stickstoffbelastung für ein Biotop als irrelevant zu vernachlässigen, sei weder nachvollziehbar noch gerechtfertigt. Diese Überlegung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 31
Das Oberverwaltungsgericht knüpft damit an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an, wonach eine Bagatellgrenze - im Gegensatz zum Abschneidewert - nicht durch einen absoluten Wert, sondern in Abhängigkeit vom jeweils maßgeblichen Critical Load und damit der Stickstoffempfindlichkeit eines Biotops relativ bestimmt werden muss. Der in diesem Zusammenhang in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannte Wert von 3 % des jeweiligen Critical Loads entspricht bei einem CL-Wert von 10 kg einer Zusatzbelastung von lediglich 0,3 kg N/(ha*a). Selbst bei einem relativ hohen CL-Wert von 20 kg liegt er nur bei 0,6 kg N/(ha*a) und damit ganz erheblich unter dem pauschalen Ansatz des Leitfadens von 5 kg N/(ha*a). Eine derart hohe Zusatzbelastung überschreitet das Bagatellhafte deutlich. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine im Hinblick auf ihre Wirkungen zu vernachlässigende Bagatelle bereits bei Zusatzbelastungen in einer Größenordnung von bis zu 10 % der Critical Loads verneint (BVerwG, Urteil vom 14. April 2010 - 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 92).
Rz. 32
C. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Unrecht die Möglichkeit einer Fehlerheilung in einem ergänzenden Verfahren verneint und die Durchführung eines neuen Genehmigungsverfahrens für erforderlich gehalten.
Rz. 33
1. Der Senat hat in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019 - 7 C 28.19 - (BVerwGE 167, 250 Rn. 29) entschieden, dass § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG, wonach die Verletzung materieller Rechtsvorschriften nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Abs. Satz 1 Nr. 1 bis 2b UmwRG führt, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann, auch auf Verlängerungsentscheidungen nach § 18 Abs. 3 BImSchG Anwendung findet. Für den Ausspruch der Rechtswidrigkeit ist erforderlich, dass die konkrete Möglichkeit der Fehlerbehebung durch Planergänzung oder in einem ergänzenden Verfahren besteht. Dies setzt voraus, dass der Verstoß nicht von solcher Art und Schwere ist, dass er das Vorhaben in seinen Grundzügen bzw. als Ganzes von vornherein in Frage stellt (vgl. BVerwG, Urteile vom 21. März 1996 - 4 C 19.94 - BVerwGE 100, 370 ≪373≫ und vom 27. Oktober 2000 - 4 A 18.99 - BVerwGE 112, 140 ≪166≫ und Beschluss vom 20. Januar 2004 - 4 B 112.03 - DVBl 2004, 648 ≪649≫; sieheauch Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, UmwRG, Stand August 2020, § 7 Rn. 113; Seibert, NVwZ 2018, 97 ≪100≫). Die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens kommt ferner nur in Betracht, wenn die Fehlerbehebung in diesem Verfahren nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheint. Es muss sich die konkrete Möglichkeit abzeichnen, dass sich der Mangel in absehbarer Zeit beseitigen lässt. Wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung feststeht, dass eine Beseitigung des Mangels aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen auf unabsehbare Zeit nicht in Betracht kommt, steht der Genehmigungserteilung ein unüberwindliches Hindernis entgegen, das der Fehlerbehebung in einem ergänzenden Verfahren keinen Raum mehr lässt (BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 2004 - 4 B 112.03 - DVBl 2004, 648 ≪649≫). Je nach den Gegebenheiten des konkreten Streitfalls ist daher zu prüfen, ob eine Behebung des Fehlers als ausgeschlossen erscheint (BVerwG, Urteile vom 17. Mai 2002 - 4 A 28.01 - BVerwGE 116, 254 ≪268≫ und vom 14. November 2002 - 4 A 15.02 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 172 S. 145 f., 151 f. - [insoweit in BVerwGE 117, 149 nicht abgedruckt]).
Rz. 34
a) Daran gemessen kann die Fehlerheilung auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht als ausgeschlossen angesehen werden. Wenn das Oberverwaltungsgericht meint, ein ergänzendes Verfahren scheide aus, weil im Rahmen der gebotenen kursorischen Prüfung nicht feststellbar sei, dass die Genehmigungsvoraussetzungen weiter vorliegen, verengt es den Anwendungsbereich der Heilungsvorschrift des § 7 Abs. 5 UmwRG unzulässig. Wie dargelegt, scheidet ein solches Verfahren erst dann aus, wenn von vornherein feststeht, dass eine Beseitigung des Mangels aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen im Rahmen eines kursorischen Verfahrens nicht möglich ist. Insoweit unterscheidet sich der im Rahmen der behördlichen Prüfung nach § 18 Abs. 3 BImSchG anzulegende Maßstab von dem im gerichtlichen Verfahren geltenden Maßstab des § 7 Abs. 5 UmwRG. Eine Fehlerheilung nach § 7 Abs. 5 UmwRG setzt voraus, dass die zuvor durchgeführte kursorische Prüfung fehlerhaft war und die zuständige Behörde deshalb zu Unrecht angenommen hat, es lägen keine objektiven Anhaltspunkte für die Gefährdung des Gesetzeszwecks vor. Hieraus lässt sich nicht der Schluss ziehen, der festgestellte Fehler könne nicht in einem Verfahren nach § 18 Abs. 3 BImSchG geheilt werden.
Rz. 35
b) Der Senat ist daran gehindert, selbst zu entscheiden, ob eine Fehlerheilung durch ein ergänzendes Verfahren im Rahmen des § 18 Abs. 3 BImSchG ausgeschlossen ist. Das angefochtene Urteil enthält - von seinem Ansatz her folgerichtig - hierzu keine hinreichenden Feststellungen. Allein der Umstand, dass in einem solchen Verfahren neue sachverständige Untersuchungen zu den Stickstoffdepositionen durch die Behörde zu prüfen sein werden, steht zu dem "kursorischen" Charakter des Prüfungsverfahrens nicht in Widerspruch. Hinsichtlich des Umfangs und der Prüfungstiefe einer kursorischen Prüfung nach § 18 Abs. 3 BImSchG kann auf die zur überschlägigen Prüfung im Rahmen der Vorprüfung nach § 7 UVPG bzw. § 3 UVPG a.F. entwickelten Maßstäbe zurückgegriffen werden. Die kursorische Prüfung darf sich danach nicht in einer oberflächlichen Abschätzung erschöpfen, sondern muss auf der Grundlage geeigneter und ausreichender Informationen erfolgen. Hierzu zählen auch vom Genehmigungsinhaber eingeholte Fachgutachten, die gegebenenfalls durch zusätzliche Ermittlungen der Genehmigungsbehörde ergänzt werden können und müssen (BVerwG, Urteile vom 20. Dezember 2011 - 9 A 31.10 - BVerwGE 141, 282 Rn. 25 und vom 25. Juni 2014 - 9 A 1.13 - BVerwGE 150, 92 Rn. 18 zur überschlägigen Prüfung nach § 3c UVPG a.F.). Bei der Frage, welche Unterlagen und Informationen als geeignete Grundlage einer überschlägigen Prüfung benötigt werden, kommt der Behörde ein Einschätzungsspielraum zu (BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2006 - 4 C 16.04 - BVerwGE 127, 208 Rn. 49). Anders als bei der Vorprüfung steht im kursorischen Verfahren nach § 18 Abs. 3 BImSchG einer größeren Ermittlungstiefe und einem "Durchermitteln" hinsichtlich einzelner, für die Entscheidung über das Fortbestehen der Genehmigungsvoraussetzungen maßgeblicher Genehmigungsaspekte auch nicht entgegen, dass damit die Umweltverträglichkeitsprüfung unter Missachtung der für diese obligatorische Öffentlichkeitsbeteiligung vorweggenommen werden würde. Bei einer Verlängerungsentscheidung gemäß § 18 Abs. 3 BImSchG besteht keine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2019 - 7 C 28.18 - BVerwGE 167, 250 Rn. 19).
Rz. 36
2. Für das ergänzende Verfahren und die Prüfung der Gefährdung des Gesetzeszwecks sind entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts und des Klägers nicht die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Ablaufs der Erlöschensfrist für die Errichtung der Anlage im November 2013, sondern die aktuellen Verhältnisse maßgeblich. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängt der Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit in einem ergänzenden Verfahren maßgeblich von dessen Zielrichtung ab. Beschränkt es sich darauf, einen punktuellen Fehler der früheren Entscheidung zu heilen, so bleibt der Zeitpunkt der ersten Entscheidung maßgeblich (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2019 - 7 C 22.17 - Buchholz 406.403 § 64 BNatSchG 2010 Nr. 2 Rn. 14). Abweichendes gilt dann, wenn die Behörde ihre Entscheidung im ergänzenden Verfahren auf veränderte tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse stützt und auf der Grundlage einer Aktualisierung der Beurteilungsgrundlagen eine Neubewertung vornimmt; dann ist insoweit der Zeitpunkt der Aktualisierung maßgeblich. Letzteres gilt insbesondere auch dann, wenn das ergänzende Verfahren zu einem Zeitpunkt durchgeführt wird, zu dem das Vorhaben bereits errichtet ist. In dieser Situation kann eine realitätsnahe und am Zweck der Verlängerungsprüfung ausgerichtete Prüfung der Auswirkungen einer Anlage nicht auf eine gegebenenfalls von den tatsächlichen Gegebenheiten überholte Sachlage gestützt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2016 - 9 C 3.16 - Buchholz 406.403 § 34 BNatSchG 2010 Nr. 14 Rn. 42 f. m.w.N. und vom 27. Juni 2019 - 7 C 22.17 - Buchholz 406.403 § 64 BNatSchG 2010 Nr. 2 Rn. 14; EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017 - C-196/16 u.a. [ECLI:EU:C:2017:589], Comune di Corridonia - NVwZ 2017, 1611 Rn. 41).
Rz. 37
3. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit und damit die Möglichkeit der Heilung der Verletzung materieller Rechtsvorschriften in einem ergänzenden Verfahren kann nur dann erfolgen, wenn gerichtlich bereits festgestellt werden kann, dass alle übrigen Voraussetzungen für den Erlass des angefallenen Bescheids erfüllt sind (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2018 - 7 C 18.17 - Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 72 Rn. 30 f.). Das Oberverwaltungsgericht wird daher auch die von ihm offengelassene Frage zu klären haben, ob die Umstellung von Kurz- auf Langmast als wichtiger Grund im Sinne des § 18 Abs. 3 BImSchG für die Verlängerung der Erlöschensfristen nur vorgeschoben war und ein sogenannter Bevorratungsfall vorliegt. Eine solche Prüfung ist dem Senat nicht möglich, da es an tatsächlichen Feststellungen hierzu im Berufungsurteil fehlt.
Rz. 38
Der Senat kann dagegen die weitere zwischen den Beteiligten umstrittene und vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage entscheiden, ob im Rahmen der Verlängerungsprüfung zu untersuchen ist, ob andere öffentlich-rechtliche Vorschriften gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG der Verlängerung entgegenstehen. Die Frage ist zu verneinen.
Rz. 39
Bereits der Wortlaut des § 18 Abs. 3 BImSchG, der mit der Formulierung "Zweck des Gesetzes" an den die Zwecke des Bundes-Immissionsschutzgesetzes definierenden § 1 BImSchG anknüpft, spricht dafür, dass die Prüfung der Nichtgefährdung des Gesetzeszwecks auf die immissionsschutzrechtlichen Schutzgüter beschränkt ist (so auch Albrecht/Tappert/Zieschgner, UPR 2018, 17 ≪19≫; Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 18 Rn. 17; Hansmann/Ohms, in: Landmann/Rohmer, BImSchG, § 18 Rn. 37, Stand April 2006; Storost, in: Ule/Laubinger/Repkewitz, BImSchG, § 18 Rn. E 6, Stand November 2020). Es liegt auch unter gesetzessystematischen Gesichtspunkten nicht nahe, dass der Begriff der Gefährdung des Gesetzeszwecks in § 18 Abs. 3 BImSchG trotz seiner wörtlichen Übereinstimmung mit § 1 BImSchG einen inhaltlich umfassenderen Begriffsinhalt haben sollte (Albrecht/Tappert/Zieschgner, UPR 2018, 17 ≪19≫). Für eine Übereinstimmung der Begriffsinhalte spricht auch der Normzweck des § 18 Abs. 3 BImSchG, der in erster Linie darauf gerichtet ist, sicherzustellen, dass nach längerer Nichtausnutzung einer immissionsschutzrechtlichen Regelung nicht der gebotene Standard an Gefahrenabwehr und Vorsorge zu Gunsten der in § 1 BImSchG genannten Schutzgüter aufgrund (wesentlicher) rechtlicher oder tatsächlicher Änderungen unterschritten wird (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 7 C 2.10 - Buchholz 406.25 § 15 BImSchG Nr. 8 Rn. 17).
Rz. 40
Ein weites Begriffsverständnis folgt auch nicht daraus, dass in die Verlängerungsprüfung nach § 18 Abs. 3 BImSchG alle in die immissionsschutzrechtliche Genehmigung eingeschlossenen öffentlich-rechtlichen Entscheidungen einzubeziehen sind (so VG Wiesbaden, Urteil vom 27. November 2007 - 4 E 136/07 - juris Rn. 33; ihm folgend Scheuing/Wirths, in: Führ, GK-BImSchG 2019, § 18 Rn. 75). Mit der Regelung in § 13 BImSchG, wonach die immissionsschutzrechtliche Genehmigung alle anderen die Anlage betreffenden behördlichen Entscheidungen (Genehmigungen, Zulassungen, Verleihungen, Erlaubnisse und Bewilligungen) - mit Ausnahme der dort besonders genannten - einschließt, wird lediglich eine verfahrensrechtliche Konzentration angeordnet. Statt mehrerer Genehmigungen in selbständigen Verfahren wird nur eine einzige (immissionsschutzrechtliche) Genehmigung in einem Verfahren erteilt (Seibert, in: Landmann/Rohmer, UmweltR, Stand August 2020, BImSchG § 13 Rn. 32). Für die in der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung enthaltenen behördlichen Entscheidungen bleibt jedoch das jeweilige Fachrecht und für den Gesetzesvollzug die Fachbehörde zuständig. Auch das Erlöschen der eingeschlossenen Genehmigungen und sonstigen Entscheidungen richtet sich nicht nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, sondern nach dem einschlägigen Fachrecht. Es ist anerkannt, dass bei einer nachträglichen Aufhebung des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungserfordernisses (§ 18 Abs. 2 BImSchG) die nach § 13 BImSchG eingeschlossenen Genehmigungen fortbestehen (Albrecht/Tappert/Zieschgner, UPR 2018, 17 ≪22≫; Hansmann/Ohms, in: Landmann/Rohmer, UmweltR, Stand August 2020, BImSchG § 18 Rn. 44; Storost, in: Ule/Laubinger/Repkewitz, BImSchG, § 18 Rn. C 33, Stand November 2020; Scheuing/Wirths, in: Führ, GK BImSchG. 2 Aufl. 2019 § 18 Rn. 39; OVG Münster, Urteil vom 15. März 1993 - 21 A 1691/89 - NVwZ 1994, 184; VGH München, Urteil vom 6. Dezember 2001 - 22 B 01.1029 - UPR 2002, 114). Der hierin zum Ausdruck kommenden rechtlichen Selbständigkeit der eingeschlossenen Genehmigungen ist auch im Rahmen der Verlängerungsprüfung Rechnung zu tragen. Die rechtlichen Voraussetzungen der in die immissionsschutzrechtliche Genehmigung eingeschlossenen Genehmigungen sind daher im Verlängerungsverfahren nicht erneut zu prüfen. Im Rahmen der kursorisch durchzuführenden Prüfung kann lediglich von Belang sein, ob die eingeschlossenen Genehmigungen noch fortbestehen. Soweit der Kläger darauf verweist, ein isolierter Fortbestand eingeschlossener Genehmigungen könne dazu führen, dass eine inzwischen baurechtlich nicht mehr genehmigungsfähige Nutzung trotz vorübergehender Nichtausnutzung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung fortgeführt werden dürfe, hat dies seinen Grund in dem der Baugenehmigung nach Baurecht zukommenden Bestandsschutz. Das ist im immissionsschutzrechtlichen Verlängerungsverfahren hinzunehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 14468818 |
BVerwGE 2022, 140 |
DÖV 2021, 802 |
JZ 2021, 406 |
UPR 2021, 296 |