Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzneimittelzulassung. Nachzulassung. fiktive Arzneimittelzulassung. zulassungsfreie Änderung. arzneilich wirksame Bestandteile. Totalaustausch der arzneilich wirksamen Bestandteile. Teilidentität. Überleitungsbestimmungen. Bestandsschutz. Änderung des Anwendungsgebiets. Anpassung an eine Aufbereitungsmonografie. traditionelle Arzneimittel. Traditionsliste
Leitsatz (amtlich)
Der Rahmen einer nach Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMNG zulassungsfreien Änderung eines Arzneimittels wird durch den Austausch sämtlicher arzneilich wirksamen Bestandteile nicht überschritten (wie Urteil vom 21. Mai 2008 – BVerwG 3 C 14.07).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; AMG § 25 Abs. 2, 7 S. 1, § 29 Abs. 3, § 105 Abs. 1, 3 S. 1, Abs. 4f S. 1, § 109a Abs. 3, 1, 4a; AMNG Art. 3 § 7 Abs. 2 S. 1, Abs. 3a
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 22.08.2006; Aktenzeichen 13 A 4404/04) |
VG Köln (Entscheidung vom 25.08.2004; Aktenzeichen 24 K 9487/01) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. August 2006 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt die Verlängerung der Zulassung für das Arzneimittel “Dentimyrrhe” sowie die Aufnahme des arzneilich wirksamen Bestandteils dieses Arzneimittels in die Traditionsliste nach § 109a Abs. 3 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes – AMG –.
Das Arzneimittel wurde im Jahre 1978, seinerzeit noch unter dem Namen “Denti-cyl-Balsam”, gemäß Art. 3 § 7 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24. August 1976 (BGBl I S. 2445) – AMNG – beim Bundesgesundheitsamt angezeigt. Im Jahre 1989 beantragte die damalige Inhaberin der Zulassung deren Verlängerung nach Art. 3 § 7 Abs. 3 Satz 1 AMNG. Die wirksamen Bestandteile des Arzneimittels gab sie mit “Acetylsalicylsäure, Benzocain, Fluidextrakt aus Kamillenblüten und Menthol” an. Als Anwendungsgebiet benannte sie: “Schmerzhafte, entzündliche Affektionen der Mundschleimhaut, Dentitio difficilis, Verhütung von örtlichen Beschwerden bei der ersten Dentition”. Im Oktober 1993 zeigte sie eine Änderung des Arzneimittels an, die sie im Februar 1994 korrigierte. Die Bezeichnung des Arzneimittels lautete nunmehr “Dentimyrrhe”. Es enthielt jetzt ausschließlich den arzneilich wirksamen Bestandteil Myrrhentinktur. Das Anwendungsgebiet lautete nunmehr: “Lokale Behandlung leichter Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut”; dabei wurde angegeben, dass das Arzneimittel an die Aufbereitungsmonografie zu Myrrhe angepasst worden sei.
Nachdem die Klägerin Zulassungsinhaberin geworden war, teilte sie dem Bundesinstitut im August 1999 mit, dass eine reguläre Nachzulassung des Arzneimittels unter Bezugnahme auf die Monografie zu Myrrhe aufgrund der zu erwartenden 10. AMG-Novelle nicht mehr möglich und angesichts des geringen Umfangs des veröffentlichten klinischen Erkenntnismaterials zu diesem Wirkstoff eine Nachzulassung nach § 109a AMG die angebrachte Lösung sei. Sie schlug das Anwendungsgebiet vor: “Traditionell angewendet zur unterstützenden Behandlung von Reizungen im Mund- und Rachenbereich. Diese Angabe beruht ausschließlich auf Überlieferung und langjähriger Erfahrung.”
Das Bundesinstitut lehnte die Aufnahme des Arzneimittels in die Traditionsliste nach § 109a AMG ab, weil das Präparat wegen seiner Anpassung an eine Monografie nach § 105 AMG zu beurteilen sei.
Unter dem 16. Mai 2000 zeigte die Klägerin eine Änderung des Anwendungsgebiets in: “Traditionell angewendet als mild wirkendes Arzneimittel zur lokalen Behandlung leichter Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut”, an. Das Bundesinstitut verweigerte gemäß § 29 Abs. 2a AMG seine Zustimmung zu dieser Änderung, weil die angezeigte Formulierung Arzneimitteln vorbehalten sei, die eine Verlängerung nach § 109a AMG erhielten. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, der nicht beschieden wurde.
Nachdem die Klägerin nochmals erfolglos die Aufnahme des arzneilich wirksamen Bestandteils des Arzneimittels in die Traditionsliste beantragt hatte, zeigte sie im Januar 2001 unter Inanspruchnahme des Verfahrens zur Verlängerung der Zulassung für Arzneimittel nach § 109 Abs. 3 AMG eine weitere Änderung der Anwendungsgebiete an, die nunmehr lauten sollten: “Traditionell angewendet zur Unterstützung der Funktion der Schleimhäute im Mund- und Rachenbereich. Diese Angabe beruht ausschließlich auf Überlieferung und längjähriger Erfahrung.”
Nach entsprechender Vorankündigung wies das Bundesinstitut den Antrag mit Bescheid vom 13. November 2001 mit der Begründung zurück, dass die im Oktober 1993 angezeigte Änderung der arzneilich wirksamen Bestandteile nur wegen der gleichzeitigen Anpassung an die Monografie zu Myrrhe zulässig gewesen sei. Nach einer solchen Anpassung seien Änderungen nur noch zulässig, wenn sie der Monografie voll entsprächen, weil das Arzneimittel monografiekonform bleiben müsse. Weiterhin ergebe sich aus § 109 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 109a Abs. 1 AMG, dass das Traditionsverfahren nach § 105 i.V.m. § 109a AMG wegen der Monografieanpassung nicht infrage komme.
Die dagegen erhobene Klage auf Neubescheidung der Anträge auf Aufnahme des arzneilich wirksamen Bestandteils Myrrhentinktur in die Traditionsliste sowie auf Verlängerung der Zulassung für das Arzneimittel “Dentimyrrhe” hat das Verwaltungsgericht abgewiesen und dazu im Wesentlichen ausgeführt: Für die begehrte Listenaufnahme fehle der Klägerin das Rechtsschutzinteresse. Ein solcher Anspruch sei ausgeschlossen, wenn ein fiktiv zugelassenes Arzneimittel nicht mehr existiere. So verhalte es sich hier. Die Klägerin habe mangels Fortbestehens der fiktiven Zulassung des Arzneimittels keinen Anspruch auf die begehrte Verlängerung der Zulassung. Die zur Änderungsanzeige vom Oktober 1993 eingereichten Unterlagen bezögen sich nicht auf das ursprünglich angezeigte, sondern auf ein anderes, auf einer unzulässigen Änderung beruhendes Arzneimittel, welches von der fiktiven Zulassung nicht mehr umfasst sei und deshalb der Neuzulassung bedürfe. Aufgrund der Änderungsanzeige seien sämtliche bislang vorhandenen Wirkstoffe durch den arzneilich wirksamen Bestandteil Myrrhentinktur ersetzt worden. Ein solcher Totalaustausch im Nachzulassungsverfahren sei von den Überleitungsbestimmungen des AMG nicht gedeckt. Ob eine Nachzulassung des Arzneimittels deshalb nicht in Betracht komme, weil die Klägerin mit der im Januar 2001 vorgenommenen Änderungsanzeige das Anwendungsgebiet unzulässig geändert und den bisherigen Anwendungsbereich verlassen habe, bedürfe vor diesem Hintergrund keiner abschließenden Entscheidung.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 22. August 2006 zurückgewiesen und dies ebenso damit begründet, dass mangels Fortbestehens der fiktiven Zulassung des Arzneimittels kein Rechtsschutzinteresse für den Antrag auf Listenaufnahme bestehe und der Klägerin der Zugang zum Nachzulassungsverfahren nach den §§ 105 und 109a AMG versperrt sei; denn Gegenstand des Verlängerungsantrags sei ein unzulässig geändertes Arzneimittel, das von der fiktiven Zulassung des ursprünglich angezeigten nicht erfasst werde, so dass es einer Neuzulassung bedürfe. Es könne dahingestellt bleiben, ob das geänderte Arzneimittel den gleichen Anwendungsbereich beanspruche wie das ursprüngliche und ob es insgesamt an ein nach § 25 Abs. 7 Satz 1 AMG bekannt gemachtes Ergebnis angepasst worden sei. Jedenfalls sei die Änderung deswegen unzulässig, weil Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMNG eine Teilidentität zwischen den arzneilich wirksamen Bestandteilen des ursprünglichen und des geänderten Arzneimittels voraussetze. Darauf deute schon der Begriff der Änderung hin; dafür sprächen aber auch systematische Erwägungen sowie der Umstand, dass die bisherige Bezeichnung des Arzneimittels lediglich mit einem Zusatz versehen werden müsse. Nur durch dieses Gesetzesverständnis werde auch dem Gedanken des Bestandsschutzes Rechnung getragen, der der Übergangsvorschrift zugrunde liege. Schließlich sei die enge Auslegung der Norm deswegen vorzugswürdig, weil nur sie mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei; anderenfalls würden die Inhaber fiktiver Zulassungen ungerechtfertigt gegenüber anderen pharmazeutischen Unternehmern bevorzugt, zumal die Zulassung des Totalaustausches den Handel mit Zulassungen nicht oder kaum mehr vertriebener Arzneimittel erheblich beleben würde.
Mit ihrer Revision, mit der sie ihre bisherigen Begehren weiter verfolgt, rügt die Klägerin, der Annahme der Unzulässigkeit des sogenannten Totalaustausches liege eine unzutreffende Auslegung von Bundesrecht zugrunde. Der Wortlaut des Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMNG gebe für eine solche Auslegung nichts her. Auch mit der Systematik lasse sie sich nicht begründen; gerade die in Nr. 5 zusätzlich aufgenommenen Kriterien, wie Beibehaltung des Anwendungsbereichs und der Therapierichtung, belegten die Zulässigkeit eines vollständigen Austausches der Wirkstoffe. Gestützt werde dies durch die teleologische Auslegung; denn andernfalls könnten Monopräparate nicht an eine Aufbereitungsmonografie angepasst werden, wofür es keine sachliche Rechtfertigung gebe. Mit der Möglichkeit einer solchen Anpassung habe der Gesetzgeber eine Arbeitsentlastung der Behörde, eine verbesserte Nutzung der Monografien sowie eine Verbesserung der Arzneimittelsicherheit erreichen wollen. Diese Ziele könnten nur unzureichend verwirklicht werden, verlange man eine Teilidentität der arzneilich wirksamen Bestandteile. Auch die Vorschrift über die Bezeichnung des geänderten Arzneimittels gebe für die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nichts her, weil das Gesetz ausdrücklich einen unterscheidenden Zusatz fordere. Das Verlangen, zumindest einen arzneilich wirksamen Bestandteil beizubehalten, sei darüber hinaus willkürlich. Die Wirkung eines Kombinationspräparats ergebe sich aus dem Zusammenspiel verschiedener Bestandteile. Deshalb sei nicht verständlich, warum ein isolierter Bestandteil ausschlaggebend sein solle. Auch Art. 3 Abs. 1 GG werde im Falle der Zulassung des sogenannten Totalaustausches nicht verletzt; denn gegenüber dem Inhaber einer fiktiven Zulassung sei derjenige, der ein Arzneimittel erstmals in Verkehr bringen wolle, in einer anderen Situation, weil er erstmals einen Marktzugang erstrebe. Unrichtig sei auch die Auffassung des Berufungsgerichts, fiktive Zulassungen würden aufgrund einer unzulässigen Änderungsanzeige erlöschen. Einen solchen Erlöschenstatbestand sehe das Gesetz nicht vor. Im Übrigen enthielten die Urteile der Vorinstanzen keine Feststellungen zum Anwendungsbereich oder zum Verhältnis von Monografiekonformität zur traditionellen Nachzulassung. § 109a Abs. 4a AMG eröffne die Möglichkeit, monografiekonforme Arzneimittel nach Maßgabe der Vorschriften für traditionelle Arzneimittel zuzulassen. Dies setze eine Änderung der Indikation voraus.
Die Beklagte verteidigt die Ausführungen der angegriffenen Urteile und beruft sich zusätzlich darauf, dass die fiktive Zulassung nicht nur aufgrund des sogenannten Totalaustausches erloschen sei, sondern auch wegen einer unzulässigen Änderung des Anwendungsgebiets des Arzneimittels. Das Arzneimittel sei an die Monografie für Myrrhe angepasst worden. Die Änderung des Anwendungsgebiets durch die Änderungsanzeige aus dem Jahre 2001 sei nach den § 105 Abs. 3a, § 29 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 AMG nicht zulässig. Im Rahmen des fiktiv zugelassenen Anwendungsgebiets sei das Arzneimittel noch als Heilmittel eingesetzt gewesen, während das Anwendungsgebiet in der geänderten Fassung nunmehr eine ausschließlich prophylaktische Wirkung für sich in Anspruch nehme. Das sei eine neue Indikation, was nach § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AMG zur Notwendigkeit eines Neuzulassungsantrages führe. Ferner sei das Nachzulassungsverfahren nach § 109a AMG für monografiekonforme Arzneimittel ohnehin nicht zugänglich.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht; denn es beruht auf einer fehlerhaften Auslegung von Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMNG. Da die bisherigen Feststellungen für eine abschließende Sachentscheidung über die Verpflichtungsanträge der Klägerin nicht ausreichen, muss das angegriffene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit nach § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden.
1. Das Oberverwaltungsgericht durfte die Berufung hinsichtlich des auf die Verlängerung der Zulassung für das Arzneimittel “Dentimyrrhe” gerichteten Verpflichtungsbegehrens nicht mit der Begründung zurückweisen, infolge des im Oktober 1993/Februar 1994 angezeigten Totalaustausches der arzneilich wirksamen Bestandteile sei ein nicht mehr von der bisherigen Zulassung erfasstes Arzneimittel entstanden, das der neuen Zulassung bedürfe.
Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 105 Abs. 4f Satz 1 Halbs. 1 AMG, wonach eine Arzneimittelzulassung nach § 105 Abs. 1 AMG auf Antrag um fünf Jahre zu verlängern ist, wenn kein Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 AMG vorliegt. Voraussetzung ist demnach, dass die Klägerin eine Zulassung nach § 105 Abs. 1 AMG für das in Rede stehende Arzneimittel hatte und diese im Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung noch besteht. Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht haben zutreffend angenommen, dass die Klägerin infolge ihrer Anzeige nach Art. 3 § 7 Abs. 2 Satz 1 AMNG im Jahre 1978 eine fiktive Zulassung im Sinne des § 105 Abs. 1 AMG hatte, die wegen der im Jahre 1989 gemäß Art. 3 § 7 Abs. 3 Satz 1 AMNG rechtzeitig beantragten Verlängerung (vgl. § 105 Abs. 3 Satz 1 AMG, der insoweit Art. 3 § 7 Abs. 3 Satz 1 i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 22. Dezember 1989 ≪BGBl I S. 2462≫ entspricht) über den 30. April 1990 fortgalt.
Fraglich ist, ob diese fiktive Zulassung noch das Arzneimittel in der Gestalt der im Oktober 1993/Februar 1994 angezeigten Änderung erfasst. Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht haben diese Frage verneint, weil mit dieser Änderung die arzneilich wirksamen Bestandteile des Arzneimittels vollständig ausgetauscht worden sind. Dieser Begründung liegt eine unzutreffende Auslegung der einschlägigen Überleitungsbestimmungen zugrunde.
Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist das seinerzeit gültige Arzneimittelrecht i.d.F. des Vierten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 11. April 1990 (BGBl I S. 717). Durch dessen Art. 2 wurden auch die Überleitungsvorschriften des Arzneimittelneuordnungsgesetzes und insbesondere die Übergangsbestimmungen über die Zulassung von bei Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes bereits in Verkehr befindlichen Arzneimitteln geändert. In Art. 3 § 7 AMNG wurde ein Absatz 3a eingefügt, nach dessen Satz 2 ein Fertigarzneimittel bis zur erstmaligen Verlängerung der Zulassung abweichend von § 29 Abs. 3 AMG ohne neue Zulassung mit bestimmten, im Einzelnen unter den Nummern 1 bis 5 der Vorschrift aufgeführten Änderungen in den Verkehr gebracht werden darf. Nach Satz 3 ist in diesen Fällen lediglich eine Anzeige erforderlich, und die bisherige Bezeichnung des Arzneimittels muss für die Dauer von fünf Jahren mit einem unterscheidenden Zusatz versehen werden. Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMNG – die Vorschrift, auf welche die Klägerin sich beruft – erlaubt es, ein Fertigarzneimittel bis zur erstmaligen Verlängerung der Zulassung mit geänderter Art oder Menge der arzneilich wirksamen Bestandteile ohne Erhöhung ihrer Anzahl innerhalb des gleichen Anwendungsbereichs und der gleichen Therapierichtung in den Verkehr zu bringen, wenn das Arzneimittel insgesamt einem nach § 25 Abs. 7 Satz 1 AMG bekannt gemachten Ergebnis oder einem vom Bundesgesundheitsamt vorgelegten Muster für ein Arzneimittel angepasst und das Arzneimittel durch die Anpassung nicht verschreibungspflichtig wird.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen lässt diese Vorschrift auch einen vollständigen Austausch der arzneilich wirksamen Bestandteile zu. Für dieses Verständnis der Norm sprechen nicht nur der Wortlaut und die Systematik des Gesetzes; auch der mit den Überleitungsbestimmungen verfolgte Zweck steht dieser Auslegung nicht entgegen.
Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMNG verlangt im Falle der Anpassung an eine Aufbereitungsmonografie lediglich die Identität von Anwendungsbereich und Therapierichtung und verbietet eine Erhöhung der Anzahl der Wirkstoffe, nicht aber ihren Austausch. Ein solcher ist auch ohne weiteres mit dem Begriff des Änderns eines Arzneimittels zu vereinbaren; denn Anwendungsbereich und Therapierichtung bleiben. Der Hinweis des Berufungsgerichts darauf, dass es sich dabei um übergeordnete, nicht zur Individualisierung des Arzneimittels taugliche Kategorien handele, geht am Wortlaut der Regelung vorbei, welche die Beibehaltung dieser “übergeordneten” Kategorien für ausreichend erklärt und die notwendige Individualisierung durch den vorgeschriebenen Arzneimittelbezeichnungszusatz sicherstellt. Diesem Verständnis stehen systematische Erwägungen nicht entgegen; sie fordern die wortgetreue Auslegung geradezu. Betrachtet man die übrigen zulassungsfreien Änderungsmöglichkeiten, drängt sich auf, dass in der Nummer 5 bewusst auf die stoffliche Identität oder Teilidentität verzichtet wird. Die Nummer 1 der Änderungsmöglichkeiten betrifft die Reduzierung der bislang enthaltenen Wirkstoffe nach Zahl oder Menge, Nummer 2 die Änderung (auch Erhöhung) der Menge des Wirkstoffs innerhalb des bisherigen Anwendungsbereichs mit geänderter Indikation bei Anpassung an eine Aufbereitungsmonografie, Nummer 3 die Änderung der Menge der Wirkstoffe bei pflanzlichen Kombinationspräparaten im Rahmen einer Aufbereitungsmonografie, wenn sie erforderlich ist, um die Wirksamkeit im bisherigen Anwendungsbereich zu erhalten, und Nummer 4 die Änderung der Menge der Wirkstoffe bei homöopathischen Kombinationspräparaten, bei denen die Zahl der Wirkstoffe verringert worden ist. Bei diesen vielfältigen, nach Menge und Zahl der Wirkstoffe, Anwendungsbereichen und Therapierichtungen sowie Monografieanpassungen differenzierenden Regelungen liegt es auf der Hand, dass der Gesetzgeber nicht unausgesprochen das Verbot eines sogenannten Totalaustausches vorausgesetzt haben kann, zumal dies dazu führen würde, dass Monopräparate von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Nummer 5 ausgeblendet wären, obwohl der Gesetzgeber jeweils deutlich zum Ausdruck gebracht hat, ob sich seine Regelung auf Mono- oder Kombinationspräparate beziehen soll. Vielmehr kompensiert er den Verzicht auf die Wirkstoffidentität – insoweit geht die in Nummer 5 vorgesehene Änderungsmöglichkeit in der Tat am weitesten – mit dem Erfordernis des gleichen Anwendungsbereichs, der gleichen Therapierichtung und dem Verlangen nach Anpassung an eine Aufbereitungsmonografie und der – relativen – Ungefährlichkeit der Anpassung, nämlich der Forderung, dass das Arzneimittel nicht verschreibungspflichtig werden darf. Da er unter diesen Voraussetzungen auch ein stofflich vollständig verändertes Arzneimittel in der Tradition des Vorgängerarzneimittels sieht, ist es folgerichtig, dass die bisherige Arzneimittelbezeichnung fortgeführt werden kann, wobei der vorgeschriebene Zusatz auf die Änderung hinweist.
Auch der vom Berufungsgericht im Einklang mit den Entscheidungen anderer Obergerichte herangezogene Bestandsschutzgedanke (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 14. Februar 1992 – OVG 5 S 44.91 – Pharmarecht 1992, 171 ≪172 f.≫ und Urteil vom 31. Oktober 2002 – OVG 5 B 24.00 – juris; OLG Frankfurt, Urteile vom 11. Dezember 1995 – 6 U 136/95 – Pharmarecht 1996, 85 ≪88 f.≫ und vom 12. September 1996 – 6 U 110/96 – Pharmarecht 1997, 228 ≪229≫) ist nicht geeignet, eine engere, einen vollständigen Wirkstoffaustausch ausschließende Auslegung der Vorschrift zu rechtfertigen. Verfehlt ist dieses Argument schon deswegen, weil die hier maßgebliche Fassung der Überleitungsbestimmungen gar nicht dem Gedanken des Bestandsschutzes verpflichtet war.
Fraglos bezweckten diese Vorschriften bei ihrer Verabschiedung im Rahmen des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts im Jahre 1976, die bei Inkrafttreten des Gesetzes und der damit eingeführten Zulassungspflicht bereits in Verkehr befindlichen Arzneimittel vorerst – zunächst für zwölf Jahre – ohne Zulassungsverfahren in ihrem Bestand zu erhalten. Anders verhielt es sich jedoch mit den späteren Änderungen der einschlägigen Bestimmungen. So wurde in Art. 3 § 7 Abs. 3 AMNG durch das Erste Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 24. Februar 1983 (BGBl I S. 169) ein Satz 2 angefügt, mit dem erstmals erlaubt wurde, bisher zulassungsfreie Arzneimittel unter bestimmten Voraussetzungen auch in geänderter Zusammensetzung der arzneilich wirksamen Bestandteile nach Art und Menge in den Verkehr zu bringen. Ziel dieser Änderung war es, die Arzneimittelsicherheit zu stärken. Dem pharmazeutischen Unternehmer sollte die Möglichkeit eröffnet werden, gesundheitlich bedenkliche Stoffe aus Arzneimitteln, die den Übergangsvorschriften unterlagen, ohne die ansonsten erforderliche Neuzulassung aus dem Arzneimittel zu entfernen (BTDrucks 9/2221 S. 28). Anhaltspunkte dafür, dass mit der Änderung ein verbesserter Bestandsschutz angestrebt wurde, lassen sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen.
Ebenso wenig war die mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vorgenommene Einfügung des Absatzes 3a, mit dem Art. 3 § 7 AMNG den hier maßgeblichen Wortlaut erhielt, vom Gedanken des Bestandsschutzes geleitet. Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfes war beabsichtigt, Maßnahmen gegen den Zulassungsstau beim Bundesgesundheitsamt zu ergreifen und die Durchführung der Nachzulassung zu erleichtern. Dies wurde ausdrücklich als Schwerpunkt des Gesetzentwurfes bezeichnet. Durch die Anpassung fiktiv zugelassener Arzneimittel an bestehende Aufbereitungsmonografien sollte die Behörde entlastet werden. Zugleich wollte man im Interesse der Arzneimittelsicherheit eine verbesserte Nutzung bestehender Aufbereitungsmonografien erreichen (BTDrucks 11/5373 S. 1, 12, 19). Die spätere Nummer 5 des Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 AMNG wurde auf Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Gesundheit in den Gesetzentwurf eingefügt. Dem Gesundheitsausschuss ging es ebenfalls darum, den Antragsstau beim Bundesgesundheitsamt zu bekämpfen und der besonderen Situation von Naturheilmitteln Rechnung zu tragen (BTDrucks 11/6283 S. 1). Bestandsschutzgesichtspunkte werden an keiner Stelle der Gesetzgebungsmaterialien erwähnt.
Abgesehen von der dargestellten Gesetzeshistorie ist das Bestandsschutzargument aber auch deswegen nicht zu einer verengenden Korrektur des Anwendungsbereichs der Norm geeignet, weil der Umfang des Bestandsschutzes in erster Linie durch den Gesetzgeber selbst bestimmt wird, der die Überleitungsbestimmungen erlässt. Zwar kann der Bestandsschutzgedanke zur Auslegung von Übergangsrecht herangezogen werden und er mag auch eine verfassungskonforme erweiternde Auslegung solcher Normen fordern, wenn der am Wortlaut der Vorschriften orientierte Anwendungsbereich dem Eigentumsrecht oder dem Vertrauensschutz der betroffenen Pharmaunternehmen nicht hinreichend Rechnung trägt. Eine über die herkömmlichen Auslegungsmethoden hinausgehende verfassungskonforme Einschränkung des Anwendungsbereichs von Übergangsbestimmungen kann der Bestandsschutzgedanke demgegenüber schon deswegen nicht rechtfertigen, weil dem Gesetzgeber nicht untersagt ist, den Altrechtsinhabern mehr zu gewähren, als die Verfassung zum Schutz ihrer Grundrechte verlangt.
Im Übrigen wird sich bei einer Anpassung an ein Muster oder eine Aufbereitungsmonografie ein – nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers – an der Arzneimittelsicherheit ausgerichteter Totalaustausch der arzneilich wirksamen Bestandteile nicht immer vermeiden lassen. Dies gilt verstärkt für Monopräparate. Bei ihnen führt die Auffassung des Berufungsgerichts dazu, dass sie von vornherein von den Möglichkeiten ausgeschlossen sind, welche die Nummer 5 der Überleitungsbestimmungen bietet, weil die Auswechslung des einzigen Wirkstoffs notwendigerweise ein Totalaustausch ist. Ein sachlicher Grund, der diese Ungleichbehandlung gegenüber Kombinationspräparaten rechtfertigt, ist nicht erkennbar. Die der Argumentation zugrunde liegende Unterscheidung zwischen sogenannter Teilidentität bei Austausch nur eines Teils der Wirkstoffe und fehlender Identität wegen vollständigen Austauschs dieser Stoffe geht an der Wirklichkeit vorbei; denn über den Umfang der Identität, richtiger gesagt: Vergleichbarkeit, gibt die Zahl der ausgetauschten Wirkstoffe, wenn überhaupt, dann nur begrenzt Auskunft. Ein Kombinationspräparat kann bereits beim Austausch nur einer Komponente so wesentlich verändert sein, dass schon die Annahme einer Verwandtschaft mit dem bisherigen Arzneimittel schwerfällt, geschweige denn von einer Teilidentität gesprochen werden kann. Demgegenüber kann selbst der Austausch des einzigen Wirkstoffs eines Monopräparats wegen der Ähnlichkeit der Wirkstoffe einer Vergleichbarkeit der Medikamente nicht im Wege stehen. Vor diesem Hintergrund erscheint es willkürlich, den sogenannten Totalaustausch von den Änderungsmöglichkeiten der Nummer 5 auszunehmen.
Der Einwand, ein wortgetreues Verständnis dieser Übergangsbestimmung führe zu einer ungerechtfertigten Bevorzugung von Inhabern fiktiver Zulassungen gegenüber sonstigen Unternehmern, die mit ihren Arzneimitteln selbst dann das Zulassungsverfahren durchlaufen müssten, wenn das zuzulassende Arzneimittel einer Aufbereitungsmonografie entspreche, geht daran vorbei, dass der Zulassungsinhaber bereits am Marktgeschehen teilhat. Dass er den Wert, den die Position vermittelt, durch einen Handel mit der fiktiven Zulassung realisieren kann, ist eine der Rechtsordnung immanente Folge solcher Übergangsbestimmungen, die dem hier vertretenen Gesetzesverständnis nicht ernstlich entgegengehalten werden kann.
Das Oberverwaltungsgericht hat daher die Berufung hinsichtlich des Begehrens auf Neubescheidung des Verlängerungsantrags unter Verletzung von Bundesrecht zurückgewiesen. Dieser Rechtsverstoß erfasst auch den Antrag auf Neubescheidung des Begehrens auf Aufnahme des arzneilich wirksamen Bestandteils Myrrhentinktur in die Traditionsliste; denn die Zurückweisung dieses Antrages ist ausschließlich damit begründet worden, dass mangels fortbestehender fiktiver Zulassung für das geänderte Arzneimittel kein Rechtsschutzinteresse an der Listenaufnahme bestehe, beruht also ebenfalls auf der fehlerhaften Auslegung des Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMNG.
2. Dem Senat ist es nicht möglich, abschließend über die Klageanträge zu entscheiden, weil die dafür erforderlichen Tatsachen bisher nicht festgestellt worden sind.
a) Wie bereits ausgeführt, verlangt Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMNG für eine zulassungsfreie Änderung, dass das Arzneimittel innerhalb des gleichen Anwendungsbereichs und der gleichen Therapierichtung bleibt und insgesamt an ein nach § 25 Abs. 7 Satz 1 AMG bekannt gemachtes Ergebnis oder an ein vom Bundesgesundheitsamt vorgelegtes Muster für ein Arzneimittel angepasst und dadurch nicht verschreibungspflichtig wird. Mit diesen Voraussetzungen haben sich die Vorinstanzen im Hinblick auf die im Oktober 1993/Februar 1994 angezeigte Änderung bisher nicht auseinandergesetzt, so dass es an der notwendigen Tatsachengrundlage für eine Entscheidung darüber fehlt.
b) Eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur weiteren Tatsachenaufklärung erübrigt sich auch nicht deswegen, weil jedenfalls die von der Klägerin im Januar 2001 vorgenommene weitere Änderung des Anwendungsgebiets von der fiktiven Zulassung des Arzneimittels nicht mehr erfasst wird.
Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit § 105 Abs. 3a Satz 1 Halbs. 1 AMG, der seinerzeit bereits die auch derzeit noch gültige Fassung hatte. Diese Vorschrift verbietet bei nach § 105 Abs. 1 AMG fiktiv zugelassenen Arzneimitteln eine Änderung nach § 29 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 AMG, soweit sie die Anwendungsgebiete betrifft, es sei denn, die Änderung ist zur Behebung der von der zuständigen Bundesoberbehörde dem Antragsteller mitgeteilten Mängel bei der Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit erforderlich. Dass die Änderungsanzeige der Klägerin diese Ausnahmevoraussetzungen erfüllte, lässt sich den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen nicht entnehmen. Allerdings beruft sich die Klägerin demgegenüber darauf, dass die Änderung deswegen zulässig gewesen sei, weil § 109a Abs. 4a AMG die Möglichkeit eröffne, auch monografiekonforme Arzneimittel nach Maßgabe der Vorschrift für traditionelle Arzneimittel zuzulassen. Daraus zieht die Klägerin den Schluss, dass in diesem Rahmen, den sie für sich beansprucht, auch eine Änderung der Anwendungsgebiete zulässig sein müsse; denn eine solche Nachzulassung setze zwingend eine Änderung der Indikation voraus, weil Arzneimittel im Sinne des § 109a AMG eine traditionelle Indikation aufweisen müssten.
Dieser Weg könnte jedoch nur eingeschlagen werden, wenn die Voraussetzungen des § 109a Abs. 4a AMG erfüllt wären, also wenn die Verlängerung der Zulassung zu versagen wäre, weil die Aufbereitungsmonografie Myrrhe nicht mehr anerkannt werden kann. Auch zu dieser Thematik fehlen jegliche tatsächliche Feststellungen, weil sich die Vorinstanzen mit diesen Fragen ebenfalls nicht befasst haben. Das gilt auch für den damit zusammenhängenden Einwand der Beklagten, ein Rückgriff auf das Traditionsverfahren nach § 105 i.V.m. § 109a AMG komme wegen der Monografieanpassung von vornherein nicht in Betracht. Dieser Einwand ist grundsätzlich berechtigt; denn nach § 109 Abs. 3 Satz 2 AMG findet Satz 1, der die Arzneimittel nennt, für die das traditionelle Nachzulassungsverfahren nach § 109a AMG zugänglich ist, auf monografiekonforme Arzneimittel keine Anwendung. Dasselbe lässt sich aus § 109a Abs. 4a AMG schließen, der das Traditionsverfahren für solche Arzneimittel nur im Falle der Unbrauchbarkeit der Monografie und damit nur ausnahmsweise erlaubt. Das führt jedoch wiederum auf die Frage nach der Tauglichkeit der Aufbereitungsmonografie Myrrhe, deren Klärung dem Revisionsgericht verschlossen ist.
c) Eine abschließende Entscheidung über den Antrag auf Neubescheidung des Antrags auf Listenaufnahme ist ebenso wenig möglich, weil der Nachzulassungsanspruch für die Zulässigkeit des Begehrens vorgreiflich ist. Die Klage lässt sich insoweit auch nicht unabhängig davon in der Sache abweisen, weil auch dazu die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen fehlen; denn an dieser Stelle müsste gleichfalls geprüft werden, ob die Voraussetzungen des § 109a Abs. 4a AMG vorliegen.
Unterschriften
Kley, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert, Dr. Bumke
Fundstellen
DVBl. 2008, 1136 |
GesR 2008, 612 |
PharmaR 2008, 378 |
A&R 2008, 184 |