Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhegehalt, Berechnung der Minderung des Ruhegehaltssatzes nach „vollendeten Jahren”. Ruhen des Ruhegehaltes, Berechnung des Ruhensbetrages bei mehrmaliger Verwendung im öffentlichen Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung;. Versorgung, Berechnung des Ruhensbetrages nach mehrmaliger Verwendung im öffentlichen Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung
Leitsatz (amtlich)
Bei der Berechnung des Betrages, in dessen Höhe das deutsche Ruhegehalt eines Soldaten ruht, der im öffentlichen Dienst einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung verwendet worden ist, sind mehrere Verwendungsperioden zusammenzurechnen, um die Zahl der „vollendeten Jahre” zu ermitteln.
Normenkette
SVG § 55b Fassung 1987/89
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Entscheidung vom 25.11.1998; Aktenzeichen 3 B 96.780) |
VG München (Entscheidung vom 31.01.1996; Aktenzeichen M 12 K 95.878) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. November 1998 wird aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 31. Januar 1996 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der im Jahre 1940 geborene Kläger war Berufssoldat, zuletzt im Range eines Oberstleutnants. Vom 1. April 1980 bis zum 30. März 1985 (4 Jahre und 364 Tage) war er bei der NAMMA, einer Behörde der NATO, tätig. Anstelle der laufenden Versorgung erhielt er eine Kapitalabfindung in Höhe von 103 061,34 DM. Vom 9. März 1987 bis zum 6. März 1991 (3 Jahre und 363 Tage) wurde er erneut beurlaubt und an die NEFMA, ebenfalls eine Behörde der NATO, entsandt. Für diese Tätigkeit wurde ihm eine Kapitalabfindung in Höhe von 111 766,10 DM gezahlt. Mit Ablauf des 30. September 1993 wurde der Kläger in den Ruhestand versetzt.
Durch Bescheid vom 2. Dezember 1993 setzte die Beklagte den Ruhegehaltssatz des Klägers auf 75 v.H. der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge fest. Mit weiterem Bescheid vom 3. Dezember 1993 verfügte die Beklagte, dass die Versorgungsbezüge des Klägers mit Wirkung vom 1. Oktober 1993 der Ruhensregelung gemäß § 55 b SVG unterliegen und sich der Ruhensbetrag auf 15 v.H. (8 × 1,875) seiner ruhegehaltfähigen Dienstbezüge beläuft.
Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof die Beklagte verpflichtet, den für das Ruhegehalt des Klägers maßgeblichen Vomhundertsatz nur um 13,125 v.H. zu mindern. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:
Bei der jeweiligen Verwendung bei einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung handele es sich um einen abgeschlossenen Sachverhalt, in den nicht nochmals eingegriffen werden könne, wenn es später zu einer weiteren derartigen Verwendung des Soldaten komme. Denn der Soldat müsse sich innerhalb eines Jahres nach der jeweiligen Verwendung im Dienst der zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung entscheiden, ob er die Kapitalabfindung (oder einen Teilbetrag) an den Bund abführen wolle oder nicht. Auch der Wortlaut des § 55 b Abs. 1 Satz 1 SVG, der von „vollendeten” Jahren ausgehe, deute darauf hin, dass der jeweilige Zeitraum maßgeblich sei, wenn der Soldat mehrmals im über- oder zwischenstaatlichen Dienst verwendet werde. Eine andere Betrachtungsweise führe zu einem unbilligen Ergebnis, etwa wenn der Soldat im überstaatlichen Dienst für einen Zeitraum von 2 Jahren und 364 Tagen verwendet worden und später erneut im überstaatlichen Dienst für 2 Jahre und 10 Tage tätig gewesen sei. Da in § 55 b SVG a.F. das Prinzip der Vermeidung der Doppelversorgung nicht streng verwirklicht worden sei, lasse sich daraus auch kein durchschlagendes Argument gegen die zwei- (oder mehr)malige Durchbrechung des Grundsatzes herleiten, soweit es sich um Zeiträume von weniger als einem Jahr (also bis zu jeweils 364 Tagen) handele. Im Übrigen solle § 55 b SVG a.F. dem Soldaten einen Anreiz für die Übernahme einer zwischen- oder überstaatlichen Verwendung bieten.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragt die Beklagte,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. November 1998 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts München vom 31. Januar 1996 zurückzuweisen.
Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht teilt die Auffassung der Revision.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung der Entscheidung erster Instanz. Die Beklagte hat gemäß § 55 b SVG a.F. zu Recht den Vomhundertsatz, zu dem die Versorgungsbezüge des Klägers ruhen, auf 15 v.H. festgesetzt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind bei der Berechnung des Ruhensbetrages 8 Jahre (mit dem Faktor 1,875) zugrunde zu legen.
Gemäß § 55 b Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SVG in der hier noch anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 1987 (BGBl I S. 843), geändert durch Art. 2 Nr. 15 des Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienstrechtlicher Vorschriften vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S. 2218) – BeamtVGÄndG –, ruht das deutsche Ruhegehalt eines Soldaten im Ruhestand in Höhe des Betrages, der einer Minderung des Vomhundertsatzes von 1,875 für jedes im zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Dienst vollendete Jahr entspricht, wenn der Soldat oder Soldat im Ruhestand bei seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung anstelle einer Versorgung einen Kapitalbetrag als Abfindung oder als Zahlung aus einem Versorgungsfonds erhält. Danach sind Zeiten mehrfacher Verwendung im öffentlichen Dienst einer internationalen Einrichtung zusammenzurechnen, wenn die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen und der Soldat von der Abwendungsbefugnis gemäß § 55 b Abs. 3 Sätze 2 und 3 SVG a.F. keinen Gebrauch gemacht hat.
Diese Regelung geht – ebenso wie § 56 BeamtVG – von dem im deutschen öffentlichen Dienstrecht seit langem verankerten Grundsatz aus, dass Beamte und Soldaten aus öffentlichen Mitteln keine doppelte Alimentation erhalten (vgl. Urteile vom 24. Februar 1972 – BVerwG 2 C 32.70 – Buchholz 232 § 160 b BBG Nr. 1 S. 3, vom 12. März 1980 – BVerwG 6 C 14.78 – Buchholz 232.5 § 56 BeamtVG Nr. 2 S. 4 und vom 29. Oktober 1992 – BVerwG 2 C 19.90 – Buchholz 239.1 § 56 BeamtVG Nr. 5 S. 3, jeweils zu den beamtenrechtlichen Bestimmungen). Da die Tätigkeit im öffentlichen Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung nach innerstaatlichem Versorgungsrecht als ruhegehaltfähige Zeit berücksichtigt wird (vgl. § 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SVG; ebenso § 6 Abs. 3 Nr. 4 BeamtVG), soll durch das „Ruhen” eines Teiles der Versorgungsbezüge verhindert werden, dass dem Versorgungsempfänger für dieselbe Zeit zweimal Versorgung – nämlich nach deutschem und nach internationalem Dienstrecht – gezahlt wird (vgl. BTDrucks V/2251 S. 7). Versorgungsleistungen und Leistungen „anstelle einer Versorgung”, die eine internationale Einrichtung aufgrund der bei ihr geleisteten Dienste erbringt, werden wie Versorgungsbezüge aus deutschen öffentlichen Mitteln behandelt, weil der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die Beklagte zu den Haushalten solcher Einrichtungen laufend erhebliche Beiträge aus ihrem Staatshaushalt zu leisten hat, mit der Folge, dass die Leistungen, die diese Einrichtungen ihren Bediensteten erbringen, zu einem wesentlichen Teil mittelbar aus deutschen öffentlichen Mitteln stammen (Urteile vom 12. März 1980 – BVerwG 6 C 14.78 – und vom 29. Oktober 1992 – BVerwG 2 C 19.90 – jeweils a.a.O.).
Den Grundsatz, eine „Doppelversorgung” zu vermeiden, schränkt § 55 b Abs. 1 Satz 1 SVG a.F. nicht ein. Diese Vorschrift enthält eine Berechnungsregel, die der Vereinfachung dient. Bruchteile des Vomhundertsatzes oder eines Jahres, die sich aus der Berücksichtigung eines Zeitraumes von weniger als 365 Tagen ergeben könnten, sollen außer Betracht bleiben. Dies und nichts anderes bringt der Wortlaut des § 55 b Abs. 1 SVG a.F. dadurch zum Ausdruck, dass die „vollendeten” Jahre für die Berechnung des Ruhensbetrages maßgeblich sind. Dass sich nur die „vollendeten Jahre” der jeweiligen Verwendungsperioden ruhegehaltsmindernd auswirken, ordnet § 55 b SVG a.F. weder ausdrücklich noch sinngemäß an. Die normative Zielsetzung einer Vereinfachung mag es allenfalls rechtfertigen, eine partielle Doppelversorgung für einen Restanteil von weniger als einem Jahr hinzunehmen. Eine Begünstigung, die über den Vereinfachungszweck hinausgeht und dem allgemeinen Anliegen des § 55 b SVG zuwiderläuft, wird dagegen vom Vereinfachungszweck nicht gedeckt.
Auch die Gesetzessystematik gebietet, dass die Zeiten mehrerer Verwendungsperioden zusammengerechnet und erst danach die „vollendeten Jahre” ermittelt werden. Bei der Ermittlung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit werden sämtliche Zeiträume berücksichtigt, die gemäß §§ 20 ff. SVG als ruhegehaltfähig anerkannt werden. Insbesondere macht es für Zeiten im öffentlichen Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SVG keinen Unterschied, ob die Zeiten während einer einheitlichen Verwendungsperiode oder aufgrund zeitlich gestaffelter Verwendungen zurückgelegt werden. Die Minderungsrate nach einem festen Vomhundertsatz gemäß § 55 b Abs. 1 Satz 1 SVG a.F. entspricht der Steigerungsrate gemäß § 26 Abs. 1 SVG in der Fassung des Art. 2 Nr. 6 BeamtVGÄndG, die an „jedes Jahr ruhegehaltfähiger Dienstzeit” anknüpft. Gemäß § 55 b Abs. 1 Satz 1 SVG a.F. war die „Abrundung” des Ruhensbetrages noch der Regelung des § 26 Abs. 1 SVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 1987 insoweit angepasst, als sich die ruhegehaltfähige Dienstzeit nach vollendeten Dienstjahren berechnete. Allerdings war der Ruhegehaltempfänger nach § 55 b SVG a.F. insoweit begünstigt, als Restzeiten ausschließlich abgerundet wurden, während bei der Berechnung des Ruhegehaltssatzes hinsichtlich eines verbleibenden Restes von weniger als einem Jahr sowohl auf- als auch abgerundet werden musste. Es besteht kein Anlass, den darin liegenden gesetzessystematischen Widerspruch auszudehnen und mehrere Zeitabschnitte von jeweils weniger als einem Jahr nicht zu berücksichtigen.
Für eine versorgungsrechtliche Privilegierung des Soldaten, der bei mehrfacher Verwendung für insgesamt denselben Zeitraum bei zwischen- oder überstaatlichen Einrichtungen tätig war wie ein Soldat, dessen einmalige Verwendung ebenfalls diese Dauer erreicht, findet sich im Übrigen keine sachliche Rechtfertigung, die den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG genügen könnte. Insbesondere hat die in § 55 b Abs. 3 Satz 4 SVG a.F. bestimmte Ausschlussfrist für die Zahlung des Kapitalbetrages an den Bund (vgl. dazu Urteil vom 29. Oktober 1992 – BVerwG 2 C 19.90 – a.a.O. S. 4 m.w.N.) auch insoweit keine Bedeutung.
§ 55 b Abs. 3 Satz 4 SVG a.F. steht im Zusammenhang mit den vorangestellten Sätzen 2 und 3. Nach diesen Vorschriften kann der Soldat das Ruhen seiner Versorgungsbezüge abwenden, indem er entweder den – gesamten – Teil des Kapitalbetrages, der die Rückzahlung der von ihm geleisteten eigenen Beiträge zuzüglich der hierauf gewährten Zinsen übersteigt, oder den auf ein oder mehrere Jahre entfallenden Bruchteil dieses Betrages an den Bund abführen; macht der Soldat von der letztgenannten Möglichkeit Gebrauch, entfällt die Minderung des Ruhegehaltssatzes gemäß § 55 b Abs. 1 Satz 1 SVG a.F. nur hinsichtlich dieser Jahre. Diese Dispositionen kann der Soldat gemäß Abs. 3 Satz 4 nur innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Entsendung oder der Berufung in das Soldatenverhältnis treffen. Unterbleibt die Zahlung während der Ausschlussfrist, so steht fest, dass sich das Ruhegehalt um die in § 55 b Abs. 1 SVG bestimmten Sätze durch „Ruhen” vermindert.
Wird der Soldat mehrfach im öffentlichen Dienst einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung verwendet, so entfällt zwar nach Ablauf der Ausschlussfrist die Abwendungsbefugnis gemäß § 55 b Abs. 3 Sätze 2 und 3 SVG a.F. für den jeweils vorangegangenen Verwendungsabschnitt. Die Möglichkeit, den Kapitalbetrag insgesamt oder teilweise an den Bund abzuführen, bleibt jedoch in Bezug auf jede weitere Verwendungsperiode erhalten. Schon dies schließt eine nachträgliche Entwertung der nach dem vorausgegangenen Verwendungsabschnitt erreichten versorgungsrechtlichen Position oder gar einen „Eingriff in einen abgeschlossenen Sachverhalt” aus.
Angesichts der zwingenden Regelung des § 55 b SVG a.F. ist es unerheblich, dass die Beklagte den Kläger zweimal für eine Dauer beurlaubt hat, die nicht nach vollen Jahren bemessen war. Aus diesem Grunde käme auch der etwaigen Änderung einer früheren Verwaltungspraxis, die mit der gesetzlichen Bestimmung nicht im Einklang gestanden hätte, keine rechtserhebliche Bedeutung zu; der Gleichbehandlungsgrundsatz fordert nicht, eine als gesetzwidrig erkannte Übung fortzusetzen.
Da der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, an die das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, ab 1980 für 4 Jahre und 364 Tage und ab 1987 für 3 Jahre und 363 Tage bei Behörden der NATO verwendet worden ist, hat er insgesamt 8 Jahre im öffentlichen Dienst einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung vollendet. Deshalb ruht sein deutsches Ruhegehalt im Umfang von 15 v.H. (8 × 1,875).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.09.2000 durch Grubert Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 544074 |
ZBR 2001, 149 |
ZTR 2001, 96 |
RiA 2001, 38 |
DVBl. 2001, 754 |
VA 2001, 117 |