Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhaltsbeitrag der nachgeheirateten Witwe, Anrechnung von Erwerbsersatzeinkommen. – Anrechnung von betrieblicher Zusatzversorgung auf privatrechtlicher Grundlage. – Angemessenheit der Anrechnung von Renten aufgrund eigener Beitragsleistungen. Anrechnung von Erwerbsersatzeinkommen auf den Unterhaltsbeitrag der nachgeheirateten Witwe. Witwe. Anrechnung von Erwerbsersatzeinkommen auf den Unterhaltsbeitrag der nachgeheirateten –
Leitsatz (amtlich)
Das auf den Unterhaltsbeitrag der nachgeheirateten Witwe anzurechnende Erwerbsersatzeinkommen umfaßt sämtliche Einkünfte, die anstelle des Einkommens, das die Witwe durch eigene Erwerbstätigkeit erzielt hat, dazu dienen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dazu zählen auch betriebliche Zusatzversorgungen auf privatrechtlicher Grundlage.
Normenkette
BeamtVG § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 22 Abs. 1
Verfahrensgang
OVG des Saarlandes (Entscheidung vom 05.11.1998; Aktenzeichen 1 R 52/98) |
VG des Saarlandes (Entscheidung vom 08.10.1997; Aktenzeichen 3 K 449/95) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 5. November 1998 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. Oktober 1997 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist die Witwe eines am 3. Januar 1910 geborenen, mit Ablauf des 31. Januar 1975 in den Ruhestand getretenen Beamten auf Lebenszeit. Die Ehe wurde am 21. Dezember 1983 geschlossen. Der Beamte verstarb am 23. Januar 1994.
Die Klägerin bezieht als ehemalige Angestellte der Deutschen Bank Saar AG (früher: Saarländische Kreditbank) eine Altersrente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, eine Rente vom Beamtenversicherungsverein des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes a.G. sowie ein Ruhegeld von der Deutschen Bank AG. Seit dem 1. Februar 1994 erhält sie eine Witwenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann.
Der Beklagte rechnet auf den der Klägerin gewährten Unterhaltsbeitrag als Erwerbsersatzeinkommen die um 30 v.H. der Mindestwitwenversorgung verringerten Beträge der Renten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und des Beamtenversicherungsvereins sowie des Ruhegeldes der Deutschen Bank AG an.
Die Klägerin begehrt mit ihrer nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage die Verpflichtung des Beklagten, ihr den Unterhaltsbeitrag ohne Anrechnung der Rente des Beamtenversicherungsvereins des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes a.G. und des Ruhegeldes der Deutschen Bank AG zu gewähren. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht ihr stattgegeben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
Auf den der Klägerin als nachgeheirateter Witwe zustehenden Unterhaltsbeitrag seien die Rente des Beamtenversicherungsvereins des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes a.G. und das Ruhegeld der Deutschen Bank AG nicht anzurechnen, weil diese Leistungen auf privatrechtlicher Grundlage kein anrechenbares Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG seien. Das ergebe sich aus der in § 18 a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 SGB IV enthaltenen Legaldefinition des Begriffs „Erwerbsersatzeinkommen”, die auch für die Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG maßgebend sei.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Bundesrechts. Er beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 5. November 1998 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. Oktober 1997 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beigeladene macht sich die Revisionsbegründung zu eigen, ohne einen Antrag zu stellen.
Der Oberbundesanwalt tritt in Übereinstimmung mit dem Bundesminister des Innern der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Berufung der Klägerin ist zurückzuweisen, weil das Verwaltungsgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat.
Maßgebend für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und § 22 Abs. 1 BeamtVG in der am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Fassung der Bekanntmachung vom 24. Oktober 1990 (BGBl I S. 2298). Diese Fassung gilt gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 6 und § 69 a Nr. 3 Satz 1 BeamtVG auch für die Versorgung der Klägerin als Hinterbliebene eines vor dem 31. Dezember 1991 in den Ruhestand getretenen und nach diesem Stichtag verstorbenen Beamten. Davon ist das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen.
Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BeamtVG erhält die Witwe eines Beamten auf Lebenszeit kein Witwengeld, wenn die Ehe erst nach dem Eintritt des Beamten in den Ruhestand geschlossen worden ist und der Ruhestandsbeamte zur Zeit der Eheschließung das 65. Lebensjahr vollendet hatte. Der sog. nachgeheirateten Witwe ist vielmehr ein Unterhaltsbeitrag in Höhe des Witwengeldes zu gewähren, sofern die besonderen Umstände des Falles keine volle oder teilweise Versagung rechtfertigen (§ 22 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG). Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG sind Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen in angemessenem Umfang anzurechnen. Zum Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG gehören auch – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – die Rente der Klägerin von dem Beamtenversicherungsverein des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes a.G. und das Ruhegeld von der Deutschen Bank AG.
Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG. Unter dem dort verwendeten Begriff „Erwerbseinkommen” sind nach allgemeinem Sprachgebrauch die durch eine Erwerbstätigkeit – sei es als Selbständiger oder sei es als unselbständig Beschäftigter – erzielten Einkünfte zur Bestreitung des Lebensunterhalts zu verstehen. Das Erwerbsersatzeinkommen umfaßt dementsprechend sämtliche Einkünfte, die anstelle des Einkommens, das eine Person durch eigene Erwerbstätigkeit erzielt hat, dazu dienen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der vom Gesetzgeber gewählte Begriff stellt in eindeutiger Weise auf die wirtschaftliche Ersatzfunktion der finanziellen Leistungen ab, die an die Stelle des aus einer Erwerbstätigkeit erzielten Einkommens treten. Diese Funktion erfüllt nicht nur die Altersrente, welche die Klägerin von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erhält. Vielmehr dienen auch die Rente vom Beamtenversicherungsverein des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes a.G. und das Ruhegeld der Deutschen Bank AG anstelle des Gehalts, das die Klägerin während ihrer Erwerbstätigkeit als Angestellte der Deutschen Bank Saar AG bezogen hat, der Bestreitung ihres Lebensunterhalts. Diese betrieblichen Zusatzversorgungen auf privatrechtlicher Grundlage sollen die Grundversorgung durch die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Höhe einer dem früheren Arbeitseinkommen stärker angenäherten Gesamtversorgung aufstocken, um der Klägerin einen entsprechenden Lebensunterhalt zu sichern.
Die sich auf den Wortlaut stützende Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG wird durch Sinn und Zweck der Regelung bestätigt. Der nachgeheirateten Witwen von Ruhestandsbeamten eingeräumte Rechtsanspruch auf einen Unterhaltsbeitrag soll lediglich gewährleisten, daß die nach dem Tode des Versorgungsberechtigten für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Mittel wirtschaftlich nicht hinter der Höhe der Versorgungsbezüge zurückbleiben, die sie als Witwen mit (alleinigem) Anspruch auf Witwengeld erhielten (stRspr; vgl. Urteile vom 15. März 1988 – BVerwG 2 C 16.87 – ≪Buchholz 239.1 § 22 Nr. 4≫ und vom 9. März 1989 – BVerwG 2 C 8.87 – ≪Buchholz 239.1 § 22 Nr. 5≫). Die über die allgemeinen Anrechnungsregelungen hinausgehende Anordnung der Anrechnung von Einkünften der nachgeheirateten Witwe bringt den Nachrang des Unterhaltsbeitrages zum Ausdruck. Dieser ist keine alimentationsrechtliche Versorgung. Der Dienstherr darf vielmehr seine Pflicht zur Gewährung eines Unterhaltsbeitrages durch eine bestimmte anderweitige wirtschaftliche Sicherung als erfüllt ansehen (stRspr; vgl. BVerwGE 70, 211 ≪215≫; Urteil vom 9. März 1989 ≪a.a.O.≫). Der Unterhaltsbeitrag hat lediglich Auffüllungsfunktion. Er dient dem Ausgleich von Härten, die sich daraus ergeben, daß das Gesetz der nachgeheirateten Witwe eine volle Witwenversorgung versagt (vgl. BVerwGE 41, 207 ≪214≫; 66, 360 ≪365≫; 70, 211 ≪215≫; Urteil vom 15. März 1988 ≪a.a.O.≫). Dieser Zweckbestimmung des Unterhaltsbeitrages widerspräche es, Erwerbsersatzeinkommen auf privatrechtlicher Grundlage anrechnungsfrei zu lassen.
Das Gesetz läßt keinen Raum für eine Interpretation des Begriffs Erwerbsersatzeinkommen unter Rückgriff auf die in § 18 a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 SGB IV enthaltene Legaldefinition. Zwar schränkt die hier anzuwendende Neufassung des § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG die bisher vorgesehene Anrechnung von „Einkünften der Witwe” auf die Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen ein. Die nachträgliche Beschränkung der anzurechnenden Einkünfte der nachgeheirateten Witwe auf Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen hat jedoch die dargelegte Zweckbestimmung und Auffüllungsfunktion des Unterhaltsbeitrages nicht geändert. Sie läßt nur andere Einkommensarten, wie z.B. Vermögens- und Nutzungseinkünfte oder Einkünfte aus privaten Versicherungen, nicht zuletzt aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität, außer Ansatz. Für eine weitergehende Eingrenzung des anzurechnenden Erwerbsersatzeinkommens auf Versorgungsleistungen aus öffentlichen Kassen gibt die Gesetzesänderung nichts her. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, die Begriffe Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG näher zu bestimmen, insbesondere gegenüber dem allgemeinen umfassenden Wortsinn auf Bezüge aus öffentlichen Kassen zu begrenzen. Daraus läßt sich nicht schließen, diese Begriffe seien gleichwohl ebenso zu definieren wie die in § 18 a SGB IV verwendeten gleichlautenden Begriffe. Die Definitionsnormen des § 18 a SGB stehen in einem völlig anderen Regelungszusammenhang. Der Gesetzgeber hat ihnen auch keine regelungsübergreifende Bedeutung beigelegt, sondern sie ausdrücklich auf im einzelnen bezeichnete Regelungsmaterien des Sozialgesetzbuches beschränkt (vgl. § 1 SGB IV). Wenn der Gesetzgeber in § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG auf die Begriffsbestimmungen des § 18 a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 SGB IV hätte abstellen wollen, wäre es geboten gewesen, auf dessen Definitionen Bezug zu nehmen. Dies bestätigt § 53 Abs. 7 BeamtVG in der seit dem 1. Januar 1999 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 1999 (BGBl I S. 322, ber. S. 847), der die Begriffe des Erwerbs- und des Erwerbsersatzeinkommens für deren Zusammentreffen mit Versorgungsbezügen näher bestimmt. Die Definition des Erwerbsersatzeinkommens in § 53 Abs. 7 Satz 3 BeamtVG umschreibt unter ausdrücklicher Verweisung auf § 18 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB IV die dort aufgeführten Leistungen, die aufgrund oder in entsprechender Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften kurzfristig erbracht werden, um Erwerbseinkommen zu ersetzen. Das Fehlen einer entsprechenden Verweisung in § 22 Abs. 1 BeamtVG zeigt, daß der dort enthaltene unbestimmte Rechtsbegriff Erwerbsersatzeinkommen nicht in der engeren, auf das Rentenversicherungsrecht zugeschnittenen Bedeutung des § 18 a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 SGB IV zu verstehen ist. Er muß vielmehr dem Wortlaut entsprechend und mit Blick auf den Zweck des Unterhaltsbeitrages für nicht witwengeldberechtigte Witwen weit ausgelegt werden. Eine entsprechende Anwendung des § 53 Abs. 7 BeamtVG scheidet aus. Seine Regelung bezieht sich auf eine Alimentation. Das trifft auf den Unterhaltsbeitrag gerade nicht zu.
Der Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag steht kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Anrechnung (vgl. BVerwGE 66, 360 ≪362≫).
Dem Umstand, daß es sich bei der Rente vom Beamtenversicherungsverein des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes a.G. und dem Ruhegeld von der Deutschen Bank AG um Versorgungsleistungen aus eigenem Recht der Klägerin handelt, hat der Beklagte im Rahmen der in § 22 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG vorgesehenen angemessenen Anrechnung dadurch hinreichend Rechnung getragen, daß 30 v.H. der jeweiligen Mindestwitwenversorgung monatlich anrechnungsfrei bleiben (vgl. Urteile vom 15. März 1988 ≪a.a.O.≫ und vom 9. März 1989 ≪a.a.O.≫).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht der unterlegenen Klägerin aufzuerlegen und damit nicht erstattungsfähig, weil dies nicht der Billigkeit entspricht. Die Beigeladene hat von einem Antrag abgesehen und dadurch das Risiko eigener Kostenpflicht vermieden (§ 154 Abs. 3 VwGO). Es ist deshalb billig, daß sie ihre eigenen außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
Unterschriften
Dr. Franke, Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, Dr. Bayer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.10.1999 durch Pompe Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
NVwZ-RR 2000, 308 |
ZBR 2000, 165 |
ZTR 2000, 95 |
DÖD 2000, 131 |
VR 2000, 430 |
DVBl. 2000, 502 |