Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersgrenze bei Leistungen zur Eingliederung in das Arbeitsleben. Betreuung in einer Förderwerkstatt über das 65. Lebensjahr hinaus. Eingliederungshilfe, kein Anspruch auf Leistungen zur Eingliederung in das Arbeitsleben über das 65. Lebensjahr hinaus. Förderwerkstatt, Betreuung in einer – über das 65. Lebensjahr hinaus
Leitsatz (amtlich)
Mit Erreichen des Ruhestandsalters entfällt zwar grundsätzlich nicht der Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe, doch kann deren Zweck nicht mehr darin bestehen, den behinderten Menschen in das Arbeitsleben zu integrieren bzw. ihm die Tagesstruktur einer im Arbeitsprozess integrierten Person zu vermitteln. Soweit aus therapeutischen Gesichtspunkten eine Beschäftigung im organisatorischen Zusammenhang einer Werkstatt auch über das 65. Lebensjahr hinaus als geboten erscheint, kann dies im Wege der Eingliederungshilfe nur unter einem Konzept erfolgen, das dem Charakter einer (unentgeltlichen) Ruhestandsbeschäftigung Rechnung trägt.
Normenkette
BSHG § 40 Abs. 1 Nr. 7, § 41; Eingliederungshilfe-Verordnung § 17
Verfahrensgang
VG Hamburg (Urteil vom 27.05.2004; Aktenzeichen 4 K 1886/03) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 27. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Die am 5. Dezember 1936 geborene Klägerin begehrt Eingliederungshilfe für ihre Betreuung in einer Behindertenwerkstatt.
Die Klägerin hat bis 1993 in Hamburg gelebt. Am 10. Dezember 1993 teilte ein Krankenhausarzt der Beklagten mit, dass die Klägerin aufgrund langjährigen Alkoholmissbrauchs an Störungen im Bereich der Merkfähigkeit, des Gedächtnisses und der Orientierung leide; sie könne ihr Leben nicht selbstverantwortlich regeln. Am 15. Dezember 1993 wurde die Klägerin deshalb in einem Pflegeheim der E. GmbH & Co. (Forsthaus III) in G., Kreis S., aufgenommen, wo sie heute noch lebt. Der Aufenthaltswechsel wurde der Beklagten vom Pflegeheimbetreiber sogleich mitgeteilt. Die Förderwerkstatt „Forsthaus” gemeinnützige GmbH teilte der Beklagten im gleichen Monat mit, dass die Klägerin ab 16. Dezember 1993 die Förderwerkstatt in Bad O./Kreis S. besuche, und bat die Beklagte um eine Kostenzusage.
Die Kosten der Betreuung in der Förderwerkstatt übernahm die Beklagte als Eingliederungshilfe nach § 40 Abs. 1 BSHG. Zuvor hatte die Klägerin keine Sozialhilfe erhalten. Die Kosten für das Pflegeheim zahlte sie aus eigenen Mitteln (Rente, Pflegeversicherung). Am 20. Juli 2000 unterzeichnete der Betreuer der Klägerin für diese einen Aufnahmevertrag vom 15. Dezember 1993 mit der Förderwerkstatt. Nach dem Vertrag erfolgte die Betreuung und Beschäftigung der Klägerin werktags von 8:00 Uhr bis 15:00 Uhr. Als Entgelt wurde ein Stundenlohn von 1,10 DM vereinbart; für die Betreuung hatte die Klägerin einen Tagessatz von 48,06 DM zu zahlen.
Am 3. August 2001 beantragte die damals 64-jährige Klägerin bei der Beklagten eine Verlängerung der Eingliederungshilfe für die Beschäftigung in der Förderwerkstatt über den 31. Dezember 2001 hinaus. Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, nach Vollendung des 65. Lebensjahres habe die Klägerin keinen Anspruch mehr auf diese Art Eingliederungshilfe. Im Alter der Klägerin seien weder Erhalt noch Förderung der Arbeitsfähigkeit im Rahmen der Eingliederungshilfe angezeigt (Bescheid vom 29. November 2001). Gleichwohl wurde die Klägerin weiterhin in der Förderwerkstatt betreut. Mit dem Widerspruch machte der Betreuer der Klägerin geltend, die Erreichung des 65. Lebensjahres sei für den geltend gemachten Anspruch auf Eingliederungshilfe irrelevant. Mit einem Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2001 wurde die Kostenübernahme für die Tätigkeit der Klägerin in der Förderwerkstatt für den Monat Januar 2002 positiv beschieden; die Beklagte erklärte später hierzu, es handele sich dabei um einen Computerfehler. Mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2003 wurde dem Widerspruch der Klägerin für den Monat Januar 2002 abgeholfen, im Übrigen wurde er jedoch zurückgewiesen. Für die Zeit nach dem 31. Januar 2002 könne die Klägerin keinen Anspruch auf Kostenübernahme geltend machen, da sie das Rentenalter erreicht habe.
Das Verwaltungsgericht hat die auf Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Kosten für die Betreuung der Klägerin in der Förderwerkstatt, welche diese für den Zeitraum vom 29. November 2001 bis 8. April 2003 mit 11 715,39 EUR beziffert hat, gerichtete Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte habe zu Recht eine Übernahme der Betreuungskosten der Förderwerkstatt abgelehnt, da sie nach § 97 BSHG örtlich unzuständig sei. Die Zuständigkeit der Beklagten folge weder aus § 97 Abs. 1 BSHG noch aus Abs. 2 dieser Bestimmung. Die Beklagte habe die Hilfe in der Förderwerkstatt nicht im Sinne von § 97 Abs. 1 Satz 2 BSHG „sichergestellt”, denn dies setze zumindest voraus, dass der Sozialhilfeträger vor Hilfebeginn Kenntnis von der zukünftigen Hilfe außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs gehabt habe. Bereits daran habe es gefehlt, denn die Beklagte sei über den Ortswechsel der Klägerin und ihre Betreuung in der Förderwerkstatt erst im Nachhinein informiert worden und habe ihn folglich auch nicht veranlasst. Da auch die Regelung des § 97 Abs. 2 BSHG nicht greife, sei der Sozialhilfeträger des Aufenthaltsortes örtlich zuständig; dies sei hier der Kreis Stormarn gewesen.
Die Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG lägen nicht vor, denn die Klägerin habe zwar zuvor in Hamburg gelebt, doch handele es sich bei der Betreuung in der Förderwerkstatt nicht um eine Hilfe „in” einer Anstalt oder einer gleichartigen Einrichtung. Gemäß § 97 Abs. 4 BSHG seien Anstalten, Heime oder gleichartige Einrichtungen alle Einrichtungen, die der Pflege, Behandlung oder sonstigen im Bundessozialhilfegesetz vorgesehenen Maßnahmen oder der Erziehung dienten. Darunter fielen nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur nur vollstationäre Einrichtungen. Eine solche sei anzunehmen, wenn – neben der Vollunterbringung – der Einrichtungsträger von der Aufnahme des Hilfeempfängers bis zu dessen Entlassung die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung nach Maßgabe des angewendeten Therapiekonzepts übernehme. Danach sei zwar das Pflegeheim als vollstationäres „Wohnheim” im Sinne des § 97 Abs. 2 BSHG anzusehen, nicht aber die Förderwerkstatt, um deren Kosten es ausschließlich gehe. Von „einer” Einrichtung im Sinne des § 92 Abs. 2 BSHG könne nur gesprochen werden, wenn Pflegeheim und Förderwerkstatt einer einheitlichen Rechts- und Organisationssphäre unterlägen, so dass die Förderwerkstatt unselbstständige Außenstelle des Pflegeheims sei. So liege es hier jedoch nicht, denn die beiden Einrichtungen seien zwar konzeptionell, personell und auch finanziell miteinander verknüpft, doch könne die Förderwerkstatt nicht als (unselbstständiger) Teil des Heims angesehen werden. Entscheidend sei hierbei, dass das Pflegeheim und die Förderwerkstatt unterschiedliche Rechtspersonen seien und daher gerade keine gemeinsame Rechtssphäre hätten. Dass die Leistungen zwischen Heim und Werkstatt konzeptionell miteinander verzahnt seien und die Pflegesatzhöhe für die Werkstatt nach Angaben des Geschäftsführers von im Heim entstehenden Einsparungen beeinflusst werde, sei unerheblich, denn rechtlich bleibe es bei der Selbstständigkeit der Einrichtung. Dieses Auslegungsergebnis könne zwar dazu führen, dass für die Klägerin – wenn sie nicht mehr Selbstzahlerin sei – zwei Sozialhilfeträger zuständig seien, was im Einzelfall misslich sein könne; der Gesetzgeber habe das mögliche Auseinanderfallen von Zuständigkeiten jedoch in Kauf genommen, weil er die bis zum 31. Dezember 1993 geltende Regelung der „Zusammenhangskosten” in § 103 Abs. 1 BSHG nicht in die ihn ersetzende Neuregelung des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG übernommen habe.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision, deren Einlegung die Beklagte zugestimmt hat, verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie rügt eine Verletzung des § 97, insbesondere des Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 BSHG und weist insbesondere darauf hin, dass die Pflege- und Betreuungseinrichtungen der Forsthaus GmbH, in deren Einrichtung Forsthaus III in G. die Klägerin vollstationär betreut werde, zwar eine von der Förderwerkstatt Forsthaus GmbH getrennte Rechtsperson sei, Gesellschafterbestand und Geschäftsführung in beiden Gesellschaften aber identisch seien und eine enge personelle und konzeptionelle Verflechtung bestehe. Die von der Förderwerkstatt Forsthaus GmbH betriebene Förderwerkstatt sei eine Eingliederungshilfeeinrichtung, in der Leistungen gemäß § 39 ff. BSHG durchgeführt würden. Es handle sich nicht um eine anerkannte Werkstatt für Behinderte, die allen Hilfebedürftigen offen stehe, vielmehr sei sie nur berechtigt, Hilfebedürftige im Sinne von § 39 BSHG aufzunehmen, die stationär in den Einrichtungen der Pflege- und Betreuungseinrichtungen Forsthaus GmbH betreut würden. Dies lege eine Vereinbarung zwischen dem Land Schleswig-Holstein und dem Einrichtungsträger fest. Von beiden Gesellschaften werde ein Gesamtbetreuungskonzept verfolgt. Alle in der Förderwerkstatt betreuten Hilfebedürftigen erführen eine vollstationäre Betreuung, welche teils über die Betreuung in den Einrichtungen der Pflege- und Betreuungseinrichtungen Forsthaus GmbH, teils durch die Betreuung der Förderwerkstatt Forsthaus GmbH abgedeckt würden. Zwischen den Mitarbeitern und den leitenden Pflegekräften in den Einrichtungen finde ein fortlaufender Austausch statt, um die Entwicklung, Problemstellungen und Maßnahmen zur Entwicklung des Hilfebedürftigen zu erörtern und zu befördern. Das gesamte Betreuungskonzept finde seine Ausprägung auch darin, dass die Teilnehmer an der Förderwerkstatt ihr Frühstück in der Behinderteneinrichtung einnähmen. Das Pflegepersonal, das tagsüber in den Einrichtungen gebraucht würde, wenn die Hilfebedürftigen die Förderwerkstatt nicht besuchten, verrichte seine Tätigkeit tagsüber unter der Woche teilweise im Betrieb der Förderwerkstatt. Es werde somit ein geschlossenes System praktiziert.
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil. Sie macht geltend, sie sei nicht nur örtlich für die Gewährung der von der Klägerin begehrten Sozialhilfe nicht zuständig, da die Förderwerkstatt nicht Bestandteil der vollstationären Einrichtung Forsthaus III, sondern rechtlich und organisatorisch eine selbstständige Einrichtung sei. Darüber hinaus habe die Klägerin aufgrund ihres Alters auch keinen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe in der speziellen Form der Beschäftigung in der Förderwerkstatt Forsthaus mehr. Soweit die Klägerin vortrage, dass sie weiterhin Betreuungsbedarf habe, weil ihr Tag sonst nicht ausgefüllt sei und sie Kontakt zu anderen Menschen brauche, sei es Aufgabe des Personals des Pflegeheimes, für eine Tagesstrukturierung und eine Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben zu sorgen.
Der Beigeladene unterstützt mit Blick auf die Frage der örtlichen Zuständigkeit die Rechtsauffassung der Revision.
Entscheidungsgründe
II.
Die als Sprungrevision zulässige Revision der Klägerin (§ 134 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, hat keinen Erfolg, denn die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Übernahme der Kosten für ihre Betreuung in der Förderwerkstatt. Dabei kann offen bleiben, ob das Verwaltungsgericht die Zuständigkeit der Beklagten für die Betreuung der Klägerin in der Förderwerkstatt unter dem Gesichtspunkt der sog. Zusammenhangskosten gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG zu Recht verneint hat, denn unabhängig von der Frage der örtlichen Zuständigkeit hat die Klägerin, die im Dezember 2001 ihr 65. Lebensjahr vollendet hat, für den streitgegenständlichen Zeitraum ab Februar 2002 jedenfalls keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe in der Förderwerkstatt als sonstiger Beschäftigungsstätte im Sinne von § 41 BSHG in der ihr bislang gewährten Form, so dass das angefochtene Urteil sich jedenfalls aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO; zur Anwendbarkeit dieser Bestimmung im Verhältnis von Zuständigkeits- und Anspruchsnormen vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. Februar 1996 – BVerwG 11 C 6.95 – ≪BVerwGE 100, 275, 277≫).
Die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob und inwieweit die Zuständigkeit für Hilfe in Einrichtungen nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG auch die sog. Zusammenhangsleistungen umfasst, die inner- oder außerhalb der (vollstationären) Einrichtung anfallen, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. Dezember 2003 – BVerwG 5 C 14.02 – (BVerwGE 119, 356 ff.) betreffend örtliche Zuständigkeit und Kostenerstattung während einer Unterbringung in einer Pflegefamilie für die Fälle einer direkten Anwendung des § 97 Abs. 2 BSHG ausdrücklich offen gelassen; in seinem Urteil vom 16. Dezember 2004 – BVerwG 5 C 25.04 – (Buchholz 436.0 § 97 BSHG Nr. 18 = NVwZ-RR 2005, 417 f. = FEVS 56, 346 ff.) hat es für den Fall der Blindenhilfe, die einem in einer Einrichtung lebenden Blinden zu gewähren ist, unabhängig davon, ob die Heimunterbringung wegen der Blindheit oder aus einem anderen Grund erforderlich ist, die Voraussetzungen einer Hilfe in einer Einrichtung im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG bejaht. Ob und inwieweit die Grundsätze dieser Entscheidung, die zunächst den Besonderheiten der Blindenhilfe Rechnung trägt, im Rechtsgrundsätzlichen auch auf andere Hilfearten zu erweitern sind, bedarf für den vorliegenden Fall der Beschäftigung in einer einem rechtlich selbstständigen Einrichtungsträger zuzuordnenden Behindertenwerkstatt unter dem Gesichtspunkt der Zuständigkeit für die Gewährung von Eingliederungshilfe keiner Entscheidung, denn jedenfalls konnte die Klägerin die ihr bislang vom der Beklagten als Eingliederungshilfe nach § 40 Abs. 1 Nr. 7, § 41 BSHG durch Kostenübernahme gewährte Hilfe für den Zeitraum jenseits ihres 65. Lebensjahres nicht mehr beanspruchen.
Die Klägerin gehört zwar, wie auch der Beklagte nicht bezweifelt, zu dem Personenkreis, welchem gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 BSHG „Eingliederungshilfe zu gewähren (ist), wenn und solange nach Besonderheit des Einzelfalles, vor allem nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann”. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass für die Dauer der Eingliederungshilfe an alte behinderte Menschen keine feste zeitliche Grenze besteht, sie vielmehr so lange zu gewähren ist, wie es als möglich erscheint, durch eine Milderung der Folgen der Behinderung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu stützen und eine Aussicht auf Erfüllung der Eingliederungsaufgaben besteht (vgl. Brühl in LPK-BSHG, Rn. 28 zu § 39 BSHG m.w.N.; s. auch VG Meiningen, Urteil vom 10. Februar 1999 – 8 K 1518/97.Me – ≪RdLH 1999, 63, 64≫).
Die der Klägerin als Hilfe zur Arbeit bis einschließlich Januar 2002 geleistete Eingliederungshilfe hatte indes die Funktion, ihr den geregelten Tagesablauf einer produktiv tätigen, in den Arbeitsprozess integrierten Person zu vermitteln. Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die Gewährung von Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten der Beschäftigung in der Förderwerkstatt „Forsthaus” GmbH war insoweit, wie die Beklagte zutreffend dargelegt hat, § 40 Abs. 1 Nr. 7 BSHG, wonach zur Eingliederungshilfe „Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen nach § 41 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder in vergleichbaren sonstigen Beschäftigungsstätten” gehören. Die Förderwerkstatt Forsthaus ist eine „vergleichbare sonstige Beschäftigungsstätte”, so dass nach § 41 BSHG Hilfe in einer solchen Einrichtung gewährt werden kann. Voraussetzung der Hilfegewährung ist nach § 17 Abs. 2 der Eingliederungshilfe-Verordnung, dass die „behinderten Menschen … mindestens die Voraussetzungen zur Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Menschen (§ 137 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch) erfüllen”. § 137 Abs. 1 Satz 1 SGB IX weist wiederum auf die Aufnahmevoraussetzungen gemäß § 136 Abs. 2 hin, nach dessen Satz 1 die Werkstatt „allen behinderten Menschen im Sinne des Absatzes 1 unabhängig von der Art oder Schwere der Behinderung offen (steht), sofern erwartet werden kann, dass sie spätestens nach Teilnahme an Maßnahmen im Ausbildungsbereich wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Leistungen erbringen werden”. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass § 41 BSHG eine Ermessensvorschrift ist, deren Sinn zum einen darin liegt, dass die Beschäftigten ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Eigenleistung erbringen und dadurch der Sozialversicherungspflicht unterfallen, zum anderen darin, ihnen zu ermöglichen, ihr Alltagsleben in wesentlichen Punkten so zu gestalten wie ein nicht behinderter Arbeitnehmer. Dieser rechtliche Bezug der Fördermaßnahmen in der Werkstatt auf das „Arbeitsleben” bzw. die Teilhabe am Arbeitsleben, der in den von der Revision geschilderten klar gegliederten Arbeitszeiten, der Struktur der Arbeitsabläufe und nicht zuletzt in dem in dem Aufnahmevertrag vereinbarten Entgelt (Stundenlohn von 1,10 DM) zum Ausdruck kommt, steht einem Anspruch der Klägerin auf Fortsetzung über das 65. Lebensjahr hinaus grundsätzlich entgegen, da dieser spezifische Zweck der Teilhabe der Klägerin am Arbeitsleben mit Erreichen der Ruhestandsgrenze entfallen ist. Zutreffend weist die Beklagte insoweit darauf hin, dass üblicherweise – und für viele Berufe zwingend – Erwerbstätige mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen, so dass insoweit für die Klägerin der Zweck der Eingliederungshilfe entfällt, behinderte Menschen nicht behinderten gleichzustellen. Der Begriff des „Arbeitslebens”, den etwa § 17 der Eingliederungshilfe-Verordnung verwendet, knüpft nicht allein an die subjektiven Bedürfnisse und Wünsche des Behinderten, sondern an den gesellschaftlichen Rahmen der Arbeitsphase des menschlichen Lebens an, welche mit dem Eintritt in das Rentenalter in der Regel ihren Abschluss findet. Hingegen ist die Aufgabe der Eingliederungshilfe, behinderte Menschen in die Gesellschaft einzugliedern, nicht darauf gerichtet, ihnen zu einer Lebensgestaltung zu verhelfen, auf die im gesellschaftlichen Leben generell kein Anspruch besteht. Dem Schritt von der Erwerbs- in die Ruhestandsphase muss sich daher auch die Klägerin stellen, wobei den Umstellungsschwierigkeiten insbesondere in Hinblick auf die Tagesstrukturierung durch die bisherige Eingliederung in einen Arbeitsprozess und die dadurch vermittelten Kontakte zu anderen Menschen durch entsprechende Betreuung im Rahmen des stationären Einrichtungsbetriebes Rechnung zu tragen ist (vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 15. Mai 1991 – 6 S 888/90 – ≪FEVS 43, 467 ff., juris≫; VG Augsburg, Urteil vom 4. März 2002 – AU 3 K 01.1051 – ≪juris≫). Soweit nach dem von der Revision dargelegten Gesamtkonzept der auf verschiedene Rechtsträger und Einrichtungen aufgeteilten Betreuungsfunktionen von Pflegeheim und Förderwerkstatt aus spezifisch behinderungsbedingten Gründen unter dem Gesichtspunkt der Eingliederungshilfe eine weitere Betreuung gerade in der Werkstatt geboten gewesen sein sollte, hätte diese jedoch jedenfalls nicht mehr in der rechtlichen Form der Eingliederung in das Arbeitsleben, sondern nur nach einem auf das erreichte Ruhestandsalter der Klägerin zugeschnittenen Konzept erfolgen können. Soweit in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in besonders gelagerten Fällen ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung in einer Werkstatt auch über das 65. Lebensjahr hinaus bejaht worden ist (vgl. VG München, Urteil vom 18. Juli 1988 – M 18 K 88.1487 – ≪RsDE Nr. 5 (1989), S. 71 – 75≫; VG Lüneburg, Beschluss vom 23. Oktober 1998 – 4 B 79/98 – ≪RdLH 1999, 21≫; VG Augsburg, Urteil vom 4. März 2002 – AU 3 K 01.1051 – ≪juris≫), setzt dies eine Alternativlosigkeit der Werkstattbetreuung und eine Beschäftigung im Rahmen eines Konzepts voraus, das nicht mehr der Eingliederung in das Arbeitsleben dient bzw. dieser nachgebildet ist, sondern bei welchem der primär tagesstrukturierende und gewissermaßen ehrenamtliche Charakter einer Ruhestandsbeschäftigung im Vordergrund steht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen
FamRZ 2006, 946 |
FEVS 2006, 501 |