Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausgleichsleistung. Ausschlusstatbestand. Besatzungsrecht. Enteignung. entschädigungslose Enteignung. besatzungshoheitliche Enteignung. besatzungsrechtliche Enteignung. Einheitswert. Ersatzeinheitswert. Unternehmen. Unternehmensenteignung. Unternehmensentschädigung. verbriefte Rechte. Wertpapierbereinigung.
Leitsatz (amtlich)
Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG soll die Geltendmachung von Kriegs- und Kriegsfolgeschäden im Sinne des Wertpapierbereinigungsrechts ausschließen, nicht aber den Ausgleich von Wertminderungen verbriefter Rechte, die durch eine auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage beruhende entschädigungslose Enteignung von Vermögen einer Gesellschaft (§ 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG) eingetreten sind. Deshalb ist sein Wortlaut im Wege teleologischer Reduktion entsprechend einzuschränken.
Normenkette
AusglLeistG § 1 Abs. 1, 3 Nr. 6, Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
VG Dresden (Urteil vom 26.06.2013; Aktenzeichen 6 K 1468/11) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers zu 2 wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 26. Juni 2013 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Dresden zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Ausgleichsleistung für die Wertminderung von Anteilen an einer Aktiengesellschaft infolge der Enteignung einer in der Sowjetischen Besatzungszone belegenen Betriebsstätte.
Die nicht mehr selbst am Verfahren beteiligte Klägerin zu 1 ist die Rechtsnachfolgerin der … AG mit Sitz in K. Der Kläger zu 2 ist der Sohn und Erbe von Wilhelm G. C., der als Inhaber von Aktien an der … AG beteiligt war. Auf Veranlassung der Reichsregierung gründete diese Gesellschaft 1943 einen Zweigbetrieb in Sachsen und ließ dort produzieren. Dieser Betrieb wurde während der sowjetischen Besatzungszeit entschädigungslos enteignet. Der Zugriff erfolgte auf der Grundlage des in Sachsen durch Volksentscheid angenommenen Gesetzes über die Übergabe von Betrieben von Kriegs- und Naziverbrechern in das Eigentum des Volkes vom 30. Juni 1946.
Mit Bescheid vom 1. September 2011 lehnte die Landesdirektion des Beklagten die Gewährung einer Ausgleichsleistung ab. Zwar liege eine Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage vor. Dem Kläger zu 2 stehe jedoch eine Entschädigung für die Minderung des Wertes der Kapitalanteile am Unternehmen nicht zu, weil der Anspruch gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 6 Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG) ausgeschlossen sei. Danach seien keine Ausgleichsleistungen zu gewähren für verbriefte Rechte, die der Wertpapierbereinigung unterlagen oder unterliegen. Dies sei hier der Fall.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen sei jedenfalls ausgeschlossen, weil die Aktien der … AG K. der Wertpapierbereinigung unterlegen hätten. Gegen die einschlägige Ausschlussregelung des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken; insbesondere verstoße sie nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz.
Mit seiner Revision verfolgt der Kläger zu 2 sein Begehren auf Gewährung einer Ausgleichsleistung weiter. Er rügt eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG sei hiermit nicht vereinbar. Dieser Begünstigungsausschluss sei willkürlich. Die Wertpapierbereinigung sei nur ein vereinfachtes Generalaufgebotsverfahren gewesen. Eine sachliche Rechtfertigung ergebe sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung für den Ausschlusstatbestand. Das Wertpapierbereinigungsgesetz tauge nicht als Begründung, da es anders als das Allgemeine Kriegsfolgengesetz und das Reparationsschädengesetz gerade keine eigenständige Entschädigungsregelung für Kriegs-, Kriegsfolge- oder Währungsschäden enthalte.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil steht mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht in Einklang. Es beruht auf einem unrichtigen Verständnis des Ausschlusstatbestandes des § 1 Abs. 3 Nr. 6 Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Juli 2004 (BGBl I S. 1665), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. März 2011 (BGBl I S. 450). Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu Unrecht angenommen, dass ein etwaiger Anspruch des Klägers zu 2 auf Gewährung von Ausgleichsleistungen nach dieser Vorschrift ausgeschlossen ist (1.). Da dem Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen zu Grund und Höhe eines Ausgleichsleistungsanspruchs eine abschließende Entscheidung verwehrt ist, ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (2.).
1. Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG greift hier nicht ein. Nach dieser Vorschrift werden Ausgleichsleistungen nicht gewährt für verbriefte Rechte, die der Wertpapierbereinigung unterlagen oder unterliegen. Zwar unterlagen die in Rede stehenden Aktien der ehemaligen Firma … AG K. der Wertpapierbereinigung (a). § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG ist jedoch auf die vorliegende Fallkonstellation nicht anwendbar, weil diese Vorschrift die Geltendmachung von Kriegs- und Kriegsfolgeschäden im Sinne des Wertpapierbereinigungsrechts ausschließen soll, nicht aber – und darum geht es hier – den Ausgleich von Verlusten, die in Gestalt der Wertminderung von Aktien durch eine auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage beruhende entschädigungslose Enteignung von Vermögen einer Gesellschaft (§ 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG) eingetreten sind (b).
a) Das Verwaltungsgericht ist – worüber zwischen den Beteiligten im Revisionsverfahren kein Streit mehr besteht – zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den Aktien der ehemaligen Firma … AG K., für deren Wertminderung der Kläger zu 2 die Gewährung von Ausgleichsleistungen begehrt, um verbriefte Rechte im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG handelt, die der Wertpapierbereinigung unterlagen. Dies ist der Fall, weil die in Rede stehenden Aktien dieser Gesellschaft von den in der Nachkriegszeit geschaffenen Regelungen über die Wertpapierbereinigung, insbesondere dem Gesetz zur Bereinigung des Wertpapierwesens (Wertpapierbereinigungsgesetz) vom 19. August 1949 (WiGBl S. 295) – WPapBerG –, erfasst wurden. Das hat das Verwaltungsgericht unter anderem daraus gefolgert, dass die Aktien der … AG K. in der Liste der zu bereinigenden Wertpapierarten, Gesamtliste 8, S. 65 (veröffentlicht in Wertpapier-Mitteilungen, Dezember 1950) aufgeführt sind. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts bestehen auch keine Zweifel am Vorliegen der weiteren Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Wertpapierbereinigungsrechts, wie etwa der Erfordernisse, dass die Papiere bis zum 8. Mai 1945 ausgestellt worden sein müssen und deren Ausstellerin, hier die … AG K., ihren Sitz bei Inkrafttreten des Wertpapierbereinigungsgesetzes am 1. Oktober 1949 im Vereinigten Wirtschaftsgebiet gehabt (oder ihn bis zum 31. Dezember 1964 dorthin verlegt) haben muss (vgl. § 1 WPapBerG und §§ 1, 14 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des WPapBerG vom 29. März 1951 – BGBl I S. 211 – sowie §§ 1, 2 des Wertpapierbereinigungsschlussgesetzes vom 28. Januar 1964 – BGBl I S. 45).
b) Zu Unrecht geht das Verwaltungsgericht jedoch davon aus, dass § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG die Gewährung von Ausgleichsleistungen auch dann ausschließt, wenn – wie hier – die Wertminderung der verbrieften Rechte (hier der Aktien) allein oder maßgeblich auf einer diskriminierenden entschädigungslosen Enteignung von Vermögen einer Gesellschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG beruht. Denn der Anwendung des Ausschlusstatbestandes des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG auf die vorliegende Fallkonstellation steht der ihm vom Gesetzgeber beigemessene Sinn und Zweck, wie er aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte zu entnehmen ist, entgegen (aa). Dieser Zweck gebietet es, die Reichweite der Vorschrift im Wege der teleologischen Reduktion zu begrenzen (bb). Wegen ihres insoweit beschränkten Anwendungsbereichs greift der Ausschluss hier nicht ein (cc).
aa) Ausweislich der Gesetzesbegründung (BTDrucks 12/4887 S. 38) ist es der gemeinsame Grundgedanke der in § 1 Abs. 3 AusglLeistG enumerativ aufgeführten Ausschlusstatbestände, die nicht entschädigungsfähigen Kriegs-, Kriegsfolge- oder Währungsschäden von den ausgleichspflichtigen Schäden, die durch entschädigungslose Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone hervorgerufen worden sind, im Sinne einer „Negativabgrenzung” zu trennen. Die Gesetzesbegründung differenziert zwischen Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die Gegenstand staatlicher Ausgleichsleistungen sein sollen, und allgemeinen Kriegs- oder Kriegsfolgeschäden, für die dies nicht gilt. Danach ist die Trennungslinie für die Nichtgewährung einer Ausgleichsleistung dort zu ziehen, wo der Vermögensverlust nicht durch die entschädigungslose Enteignung eingetreten ist, sondern einen Schaden darstellt, der nach der Gesetzesbegründung zu den allgemeinen Kriegsfolgen rechnet (Urteil vom 16. September 2004 – BVerwG 3 C 42.03 -Buchholz 428.41 § 4 EntschG Nr. 2).
Denn nach der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 AusglLeistG „regelt Absatz 3 Fälle, in denen Ausgleichsansprüche nicht gewährt werden können, weil es bei Ziffer 1 der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990 nicht um Kriegs-, Kriegsfolgen- oder Währungsschäden geht.” Weiter heißt es in der Begründung: „Wichtige Beispiele für die in Absatz 3 genannten, nicht anwendbaren bundesgesetzlichen Bestimmungen sind das Reparationsschädengesetz (einschließlich Restitutionsschäden, Zerstörungsschäden) sowie das Wertpapierbereinigungsgesetz. Auch Umbewertungsregelungen der Währungsreform in der sowjetischen Besatzungszone waren allgemein gültige, d. h. nicht diskriminierende Enteignungsmaßnahmen auf besatzungsrechtlicher Grundlage” (BTDrucks 12/4887 S. 38).
Maßgeblicher gesetzgeberischer Grund für die Negativabgrenzung, die durch den Ausschluss von Ausgleichsleistungsansprüchen in Absatz 3 normiert werden sollte, ist danach, dass mit dem Ausgleichsleistungsgesetz nur das umgesetzt werden sollte, was in Ziffer 1 der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990 in Aussicht gestellt worden ist. Die Gemeinsame Erklärung ist Bestandteil des Vertrages vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (BGBl 1990 II S. 885; im Folgenden: Einigungsvertrag – EV) geworden (Art. 41 Abs. 1 EV i.V.m. Anlage III zum EV ≪BGBl 1990 II S. 903 f., 1237 f.≫), auf dessen Grundlage die Deutsche Demokratische Republik mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 ihren Beitritt erklärt hat (Beitrittsbeschluss BTDrucks 11/7777). Nach Ziffer 1 der Gemeinsamen Erklärung sind sich die beiden deutschen Regierungen einig, dass die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) nicht mehr rückgängig zu machen sind und eine abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen einem künftigen gesamtdeutschen Parlament vorbehalten bleiben muss.
Zu diesem Schritt, nämlich der Gewährung von Ausgleichsleistungen, hat sich das gesamtdeutsche Parlament später entschlossen und dies vollzogen mit dem Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage (Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz – EALG) vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624). Dementsprechend heißt es in der Begründung zu § 1 Abs. 1 AusglLeistG, dass die Vorschrift einen Rechtsanspruch auf Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage gewähre und der Gesetzgeber somit von dem Vorbehalt in Ziffer 1 der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen beider deutscher Staaten vom 15. Juni 1990 Gebrauch mache (BTDrucks 12/4887 S. 37). Demgegenüber ging es – wie in der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 AusglLeistG (BTDrucks 12/4887 S. 38) klargestellt worden ist – bei Ziffer 1 der Gemeinsamen Erklärung nicht um Kriegs-, Kriegsfolge- oder Währungsschäden, d.h. diese sollten durch das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz nicht ersetzt werden.
Diese Motivation des Gesetzgebers tritt auch im Übrigen in der Entstehungsgeschichte des Ausgleichsleistungsgesetzes deutlich zu Tage. Hintergrund für das Ausklammern der Kriegs-, Kriegsfolge- oder Währungsschäden war, dass das wiedervereinigte Deutschland nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland weiterhin von dem Grundsatz ausging, dass jeder der beiden deutschen Staaten für die Kriegsfolgenbewältigung in seinem Gebiet selbst zuständig gewesen ist. Die Bundesrepublik Deutschland wäre – so hat es das Bundesverfassungsgericht formuliert – nicht nur finanziell, sondern auch administrativ überfordert gewesen, wenn sie verpflichtet gewesen wäre, neben der Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht auch alle in der Deutschen Demokratischen Republik durch nicht bereinigte Kriegsfolgen Geschädigten nachträglich so zu stellen, als hätte es nie zwei deutsche Staaten gegeben (BVerfG, Beschluss vom 4. August 1999 – 1 BvR 1624/98 – WM 1999, 2029 ≪2030≫).
Dementsprechend bestimmt der Einigungsvertrag, dass das sogenannte Kriegsfolgenrecht nicht auf den beigetretenen Teil Deutschlands übergeleitet wird (Art. 8 EV i.V.m. Anlage I Kapitel IV, Sachgebiet A, Abschnitt I). Dies sollte insbesondere für die Rechtsvorschriften zur Regelung von Schäden und sonstigen Folgen gelten, die durch Maßnahmen des Deutschen Reiches und anderer öffentlicher Rechtsträger oder durch den Krieg und seine Folgen verursacht worden sind (siehe BTDrucks 11/7817 S. 101). Demgemäß sind das Allgemeine Kriegsfolgengesetz (AKG) vom 5. November 1957 (BGBl I S. 1747) wie auch das Gesetz zur Abgeltung von Reparations-, Restitutions-, Zerstörungs- und Rückerstattungsschäden (Reparationsschädengesetz – RepG –) vom 12. Februar 1969 (BGBl I S. 105) von der Geltung im Beitrittsgebiet ausgenommen. Ebenfalls zum Kriegsfolgenrecht, das nicht im Beitrittsgebiet gelten soll, zählt der Einigungsvertrag das Wertpapierbereinigungsrecht (Anlage I zum EV, Kapitel IV, Sachgebiet A, Abschnitt I, Nr. 2 bis 8).
Hieran anknüpfend werden auch in der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 AusglLeistG als „wichtige Beispiele” für die bundesgesetzlichen Bestimmungen, die im Beitrittsgebiet nicht anwendbar sind, das Reparationsschädengesetz und das Wertpapierbereinigungsgesetz genannt (BTDrucks 12/4887 S. 38). Diese Zuordnung zum Kriegsfolgenrecht ist bereits den Gesetzesmaterialien zum Wertpapierbereinigungsrecht selbst zu entnehmen (BTDrucks IV/1459 S. 9).
Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 AusglLeistG enthält mithin Ausschlusstatbestände, die Schäden betreffen sollen, welche von den genannten Kriegsfolgegesetzen erfasst waren und die (hätten die besonderen gesetzlichen Vorschriften der Kriegsfolgengesetzgebung auch im Beitrittsgebiet gegolten) grundsätzlich über diese hätten reguliert werden können (vgl. Heller, in: Gallenkamp/Kreuer/ Löbach, EALG, Stand Juni 1996, § 1 AusglLeistG Rn. 31). Für das in § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG in Bezug genommene Wertpapierbereinigungsrecht bedeutet dies: Der Gesetzgeber hat keine neuerliche „indirekte” Wertpapierbereinigung für das Beitrittsgebiet über den Wiedergutmachungsweg gewollt (Meixner, in: Rädler u.a., Vermögen in der ehemaligen DDR, 30. Lfg., § 1 AusglLeistG Rn. 219; Löffler, in: Motsch u.a., EALG, Stand Januar 1999, § 1 AusglLeistG Rn. 61). Die von der Wertpapierbereinigung erfassten Schäden sind deshalb den im Beitrittsgebiet nicht mehr ausgleichsfähigen allgemeinen Kriegsfolgeschäden zugerechnet worden, deren Verursachung nicht auf spezifische Unrechtsmaßnahmen, sondern auf kriegsbedingte Ereignisse und Maßnahmen zurückgehen, die als solche keinen diskriminierenden Charakter aufwiesen (vgl. Urteil vom 9. Dezember 2010 – BVerwG 5 C 18.09 – Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 22 Rn. 14 zu Ausgleichsleistungen für ein von Demontagen betroffenes Unternehmen). Typischerweise sollten also diejenigen Schäden an verbrieften Rechten (Wertpapieren) nicht durch das Ausgleichsleistungsgesetz ausgeglichen werden, die sich als von der Wertpapierbereinigung an sich erfasste (allgemeine) Kriegsfolgeschäden – wie etwa der (durch die Kriegswirren bedingte) Verlust, die Entwendung oder die (kriegsbedingte) Zerstörung von Wertpapieren – darstellen.
Denn Ziel der Wertpapierbereinigung war es ausweislich der Gesetzesbegründung zum Wertpapierbereinigungsschlussgesetz, den durch Kriegs- und Nachkriegsereignisse zerrütteten Besitzstand zugunsten der rechtmäßigen Wertpapiereigentümer wiederherzustellen; die Wertpapierbereinigung war eine „Maßnahme zur Beseitigung von Folgen des Krieges und des Zusammenbruchs” (BTDrucks IV/1459 S. 9). Sie diente dazu, klare Rechtsverhältnisse zu schaffen und den Wertpapierhandel wieder zu ermöglichen, weil die Funktionsfähigkeit des Wertpapierwesens insbesondere wegen der Vielzahl vernichteter oder abhanden gekommener Inhaberpapiere nicht mehr gewährleistet war. Das Wertpapierbereinigungsverfahren ermöglichte Betroffenen, deren Wertpapiere vernichtet, abhanden gekommen oder blockiert waren, ihre rechtmäßige Inhaberstellung wiederzuerlangen. Die Bereinigung, an der grundsätzlich auch Bürger der DDR teilnehmen konnten, erfolgte in der Weise, dass nach Anmeldung und Prüfung an Stelle eines für kraftlos erklärten (Reichsmark-)Papiers ein neues (DM-)Wertpapier gewährt wurde, das die in dem bisherigen Titel verbrieften Rechte neu verkörperte (vgl. Heller, in: Gallenkamp/Kreuer/Löbach, EALG, Stand Juni 1996, § 1 AusglLeistG Rn. 38).
Sinn und Zweck des Ausschlusstatbestands des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG ist es dagegen nicht, Ausgleichsleistungen auszuschließen für die in § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG ausdrücklich als ausgleichsfähig herausgestellte Wertminderung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft. Soweit diese Schäden bzw. Verluste für Anteilseigner in Folge einer entschädigungslosen (Teil-)Enteignung von Vermögen der Gesellschaft eingetreten sind, sollten sie nach dem Gesetzeszweck gerade entschädigt werden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Anteilseigner von der Wertpapierbereinigung unterliegenden Aktiengesellschaften mit Sitz im Westen, die durch entschädigungslose Enteignungen Betriebsstätten in der Sowjetischen Besatzungszone verloren haben, schlechterstellen und im Gegensatz zu betroffenen Anteilseignern von Aktiengesellschaften mit Sitz im Beitrittsgebiet nicht entschädigen wollte. Eine vom Gesetzgeber angestrebte oder in Kauf genommene Schlechterstellung der Inhaber von in Wertpapieren verbriefter Anteilsrechte an einer teilenteigneten Gesellschaft mit Sitz in den alten Bundesländern bzw. West-Berlin kommt in den Gesetzesmaterialien an keiner Stelle zum Ausdruck. Vielmehr nimmt das Gesetz in § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG darauf Bezug, eine Ausgleichsleistung für den enteignungsbedingten Verlust von Vermögenswerten im Sinne von § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz – VermG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Februar 2005 (BGBl I S. 205) zu gewähren. Zu diesen Vermögenswerten gehören nach § 2 Abs. 2 Satz 2 VermG explizit auch Beteiligungen an Unternehmen oder an Betriebsstätten/Zweigniederlassungen von Unternehmen mit Sitz außerhalb der Deutschen Demokratischen Republik. Der Gesetzgeber wollte also Inhaber oder Anteilseigner von Gesellschaften mit Sitz außerhalb der DDR bzw. Ost-Berlins, die Betriebsstätten und Zweigniederlassungen auf dem Gebiet der DDR bzw. Ost-Berlin verloren haben, ausdrücklich erfassen (vgl. BTDrucks 11/7831 S. 4).
bb) Dem zuvor beschriebenen Sinn und Zweck des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG, nämlich nicht den Ausgleich von Enteignungsschäden (im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG), sondern den von Kriegs- und Kriegsfolgeschäden im Sinne des Wertpapierbereinigungsrechts auszuschließen, hat der Rechtsanwender Rechnung zu tragen. Da diese Zwecksetzung des Gesetzgebers im Text der Vorschrift keinen Niederschlag gefunden hat und ihre Berücksichtigung die Grenzen seines möglichen Wortsinns überschreiten würde, kann dem gesetzgeberischen Willen nicht mehr durch eine Auslegung der Vorschrift, sondern nur im Wege der teleologischen Reduktion zur Geltung verholfen werden (vgl. dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, S. 375 f.).
Die Befugnis zur Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift steht den Gerichten unter anderem dann zu, wenn diese nach ihrem Normtext Sachverhalte erfasst, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll. In einem solchen Fall ist eine zu weit gefasste Regelung im Wege der sog. teleologischen Reduktion auf den ihr nach Sinn und Zweck zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen. Ob eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, ist nach dem Plan des Gesetzgebers zu beurteilen, der dem Gesetz zugrunde liegt. Liegt eine solche Lücke vor, ist sie durch Hinzufügung einer dem gesetzgeberischen Plan entsprechenden Einschränkung zu schließen (Urteile vom 9. Februar 2012 – BVerwG 5 C 10.11 – BVerwGE 142, 10 = Buchholz 454.710 § 14 WoGG ≪n.F.≫ Nr. 1, jeweils Rn. 15, vom 16. Mai 2013 – BVerwG 5 C 28.12 – Buchholz 436.45 § 1 UVG Nr. 5 Rn. 9 m.w.N. und vom 25. März 2014 – BVerwG 5 C 13.13 – Rn. 25, zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen).
(1) Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG erfasst nach seiner grammatikalischen Fassung – ohne dass dem systematische Gründe entgegenstehen – Sachverhalte, die er nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll.
Dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG ist nicht zu entnehmen, dass sich diese Regelung auf die der Wertpapierbereinigung unterfallenden Kriegsund Kriegsfolgeschäden beziehen soll. Die Vorschrift benennt zwar als Schädigungsgegenstand, für den kein Ausgleich zu leisten ist, die der Wertpapierbereinigung unterliegenden verbrieften Rechte. Ihr Normtext begrenzt den Anspruchsausschluss aber nicht auf Kriegs- oder Kriegsfolgeschäden im vorgenannten Sinne, sondern erstreckt ihn auch auf solche Fälle, in denen die Schädigung verbriefter Rechte allein auf eine (diskriminierende) entschädigungslose Enteignung auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage zurückgeht.
Auch aus dem gesetzessystematischen Zusammenhang, in den § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG gestellt ist – insbesondere aus seinem binnensystematischen Verhältnis zu den anderen Ausschlusstatbeständen –, lässt sich eine Begrenzung auf die Art des Schadens, d.h. auf den Ausschluss von Kriegs- und Kriegsfolgeschäden (im Sinne des Wertpapierbereinigungsrechts), nicht entnehmen. Anders als etwa in § 1 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 AusglLeistG, wo auf Schäden im Sinne des Reparationsschädengesetzes Bezug genommen wird, wird die Art des Schadens in § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG nicht bezeichnet.
(2) Dem zu weit gefassten Wortlaut der Vorschrift steht – wie oben dargelegt -der Sinn und Zweck der Regelung entgegen. Entsprechend dem Plan des Gesetzgebers, wie er insbesondere in der Gesetzesbegründung seinen Ausdruck gefunden hat, ist der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG deshalb teleologisch jedenfalls dahin einzuschränken, dass er nicht den Ausgleich für Wertminderungen an verbrieften Rechten (insbesondere Aktien) erfasst, die auf entschädigungslose Enteignungen von Vermögen einer Gesellschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG zurückgehen.
Diese teleologische Begrenzung führt nicht dazu, dass die Regelung des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG in ihrer praktischen Wirkung (vollständig) leerlaufen würde. Zwar ist der Ausschlusstatbestand regelmäßig nicht anwendbar, wenn der Wertpapierbereinigung unterliegende verbriefte Rechte in Gestalt von Aktien dadurch geschädigt worden sind, dass Teile des Unternehmens von einer entschädigungslosen Enteignung (im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG) betroffen waren und dadurch eine Wertminderung der Aktien (im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG) eingetreten ist. Denn dann wird der bezeichnete Enteignungsschaden und kein (allgemeiner) Kriegs- oder Kriegsfolgeschaden im Sinne des Wertpapierbereinigungsrechts geltend gemacht. Allerdings ist die Vorschrift jedenfalls noch in solchen Konstellationen anwendbar, in denen im Wege der entschädigungslosen Enteignung unmittelbar (allein oder als Teile einer Sachgesamtheit) auf verbriefte Rechte zugegriffen worden ist, die der Wertpapierbereinigung unterliegen oder unterlagen. Denn in diesen Fällen ist durch die Enteignung der Wertpapiere nur ein Verlust eingetreten, den viele Andere als allgemeinen Kriegs- oder Kriegsfolgeschaden hinzunehmen hatten und der – ohne dass es hierauf entscheidend ankommt – grundsätzlich im Wege der Ersatzbeschaffung durch das Wertpapierbereinigungsrecht hätte ausgeglichen werden können.
cc) Gemessen an den vorstehenden Grundlagen ist ein etwaiger Ausgleichsleistungsanspruch des Klägers zu 2 hier nicht nach § 1 Abs. 3 Nr. 6 AusglLeistG ausgeschlossen. Auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der vom Kläger zu 2 geltend gemachten Wertminderung von Aktien der … AG K. um Kriegs- oder Kriegsfolgeschäden im Sinne des Wertpapierbereinigungsrechts handelt, die etwa eingetreten sind, weil die Papiere in der Kriegs- oder Nachkriegszeit entzogen, vernichtet, abhanden gekommen oder der Zugriff auf sie blockiert worden ist. Vielmehr macht der Kläger zu 2 Schäden an den verbrieften Rechten – hier Wertminderungen an Aktien – geltend, die er allein auf eine diskriminierende Enteignungsmaßnahme auf besatzungshoheitlicher Grundlage, nämlich die entschädigungslose Enteignung der Betriebsstätte in Sachsen, zurückführt.
2. Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Zwar gehen die Beteiligten wie auch die Vorinstanz übereinstimmend davon aus, dass die Voraussetzungen eines Ausgleichsleistungsanspruchs nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG insoweit erfüllt sind, als die … AG K. ihre Betriebsstätte in Sachsen durch entschädigungslose Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage verloren hat. Allerdings hat das Verwaltungsgericht – ausgehend von seiner nicht zutreffenden Rechtsauffassung, dass der Ausschlusstatbestand erfüllt sei – nicht geprüft und keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob die weiteren Voraussetzungen eines Ausgleichsleistungsanspruchs vorliegen und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Anspruch besteht. Dies wird es nachzuholen haben.
Unterschriften
Vormeier, Stengelhofen, Dr. Störmer, Dr. Häußler, Dr. Fleuß
Fundstellen
JZ 2014, 554 |
LKV 2014, 457 |