Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausnahme. ortsansässiger Leiter. vereidigter Buchprüfer. Zweigniederlassung
Leitsatz (amtlich)
Ausnahmen von dem Gebot, dass Zweigniederlassungen von einem ortsansässigen vereidigten Buchprüfer geleitet werden müssen, können in eigener Praxis tätigen vereidigten Buchprüfern nicht bereits dann erteilt werden, wenn ihr Geschäftsumfang erlaubt, mehr als eine berufliche Niederlassung zu betreuen; darüber hinaus müssen atypische Umstände des Einzelfalls die Ausnahme rechtfertigen.
Normenkette
Gesetz über eine Berufsordnung d. Wirtschaftsprüfer (WPO) v. 24.07.1961 (BGBl I S. 1049) i.d.F. der Bekanntmachung v. 5.11.1975 (BGBl I S. 2803), zuletzt geänd.d. Gesetz v. 24. .02.2000 (BGBl I S. 154, 161) § 3; WPO v. 24.07.1961 (BGBl I S. 1049) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 5. 11.1975 (BGBl I S. 2803), zuletzt geänd. d. Gesetz v. 24. 02.2000 (BGBl I S. 154, 161) § 47; WPO v. 24.07.1961 (BGBl I S. 1049) i.d.F.d. Bekanntmachung v. 5.11.1975 (BGBl I S. 2803), zuletzt geänd. d. Gesetz v. 24. 02.2000 (BGBl I S. 154, 161) §§ 129 ff.
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 28.01.2000; Aktenzeichen 4 A 3311/97) |
VG Düsseldorf (Entscheidung vom 13.05.1997; Aktenzeichen 3 K 1092/97) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Januar 2000 wird geändert.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 13. Mai 1997 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger ist als vereidigter Buchprüfer bestellt und als Steuerberater und Rechtsbeistand zugelassen. Sein Geschäftssitz ist in Nürnberg. Seit Mitte 1990 unterhält er ein weiteres Büro in Dresden. Die Beklagte ließ für diese Zweigniederlassung gemäß § 47 Satz 2 WPO befristete Ausnahmen vom Erfordernis der Leitung durch einen vereidigten Buchprüfer zu. Mit Schreiben vom 11. Juni 1996 beantragte der Kläger die Erteilung einer unbefristeten Ausnahmegenehmigung. Die Beklagte verlängerte daraufhin mit Bescheid vom 29. August 1996 die Ausnahmegenehmigung bis zum 31. Dezember 1996.
Der Kläger legte Widerspruch ein und trug sinngemäß vor: Er habe das Büro in Dresden 1990 im Vertrauen auf die damalige Rechtslage eröffnet. Gegenwärtig beschäftige er in Nürnberg vier und in Dresden acht Mitarbeiter. Im wöchentlichen Turnus führe er beide Kanzleien, die darüber hinaus mit langjährigen und fähigen Mitarbeitern ausgestattet seien. Er habe keinen Bewerber für die Leitung des Dresdener Büros finden können. Alle Tätigkeiten als vereidigter Buchprüfer führe er selbst aus, was möglich sei, da Prüfungsaufträge an beiden Standorten rar geworden seien. Eine Schließung würde zu erheblichem Verlust und Rückforderungen von Investitionszulagen und Sonderabschreibungen führen.
Nach Zurückweisung des Widerspruchs mit Bescheid vom 31. Januar 1997 hat der Kläger Klage mit dem Ziel erhoben, die Beklagte zu verpflichten, für seine Zweigniederlassung in Dresden eine Ausnahme vom Leitererfordernis auch über den 31. Dezember 1996 hinaus zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen zur erneuten Bescheidung des klägerischen Antrags verpflichtet. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Voraussetzungen des § 47 Satz 2 WPO lägen vor. Die Beklagte habe ihr Ermessen nicht zweckentsprechend ausgeübt. Die Vorschrift bezwecke, Ausnahmen vor allem dann zuzulassen, wenn der Geschäftsumfang es erlaube, dass ein Wirtschaftsprüfer neben seiner Niederlassung eine oder mehrere Zweigniederlassungen selbst leite. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm sowie der Systematik und Zielrichtung des gesetzlichen Gebotes des § 47 Satz 1 WPO. Es diene dazu, eine gewissenhafte und eigenverantwortliche Tätigkeit auch bei Begründung einer Zweigniederlassung zu gewährleisten. Sei dies auch ohne einen dort beruflich niedergelassenen qualifizierten Leiter sichergestellt, bestehe kein Grund, eine Ausnahmegenehmigung zu verweigern. Die Beklagte sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass Ausnahmefälle nur vorübergehender Natur sein könnten und deshalb eine Verlängerung der Ausnahmegenehmigung über den 31. Dezember 1996 hinaus nicht in Betracht komme. Sie habe nicht geprüft, ob der Geschäftsumfang es erlaube, dass der Kläger die Zweigniederlassung in Dresden selbst leite. Erforderlich wäre gewesen, die Zahl der Geschäftsvorfälle und den mit ihnen verbundenen Aufwand zu ermitteln. Geschäftsvorfälle seien in diesem Zusammenhang alle Tätigkeiten, durch die der Kläger in der Haupt- und Zweigniederlassung als Rechtsbeistand, Steuerberater oder vereidigter Buchprüfer in Anspruch genommen werde. Denn seine gesamte berufliche Inanspruchnahme sei für die Beurteilung der Frage maßgeblich, ob er die Zweigniederlassung gewissenhaft und eigenverantwortlich leiten könne. Die fehlende Aufklärung stelle einen Ermessensfehler dar. Die Beklagte sei jedoch nicht zur Erteilung einer unbefristeten Ausnahme verpflichtet.
Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Revision im Wesentlichen vor: § 47 Satz 2 WPO setze das Vorliegen eines Ausnahmefalls voraus, jedenfalls sei das Ermessen restriktiv zu handhaben. Das Gesetz gebe keinen Anhalt für die Auffassung, eine Ausnahme sei bereits dann zuzulassen, wenn der Geschäftsumfang es einem vereidigten Buchprüfer erlaube, neben seiner Niederlassung eine oder mehrere Zweigniederlassungen selbst zu leiten. Das Berufungsgericht habe den Stellenwert von Gesetzesmaterialien verkannt. Auf den Geschäftsumfang könne nicht abgestellt werden, weil dieser nicht konkretisiert und überwacht werden könne. Die Auffassung des Berufungsgerichts führe zu einer vom Gesetz nicht gewollten Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Januar 2000 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 13. Mai 1997 zurückzuweisen, soweit diese Entscheidung durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts geändert wurde.
Der Kläger tritt der Revision entgegen.
Der Oberbundesanwalt teilt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht nicht im Einklang. Die Beklagte hat dem Kläger die begehrte unbefristete Ausnahmegenehmigung zu Recht versagt. Dies führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Zweigniederlassungen eines vereidigten Buchprüfers, wie die des Klägers in Dresden, müssen nach § 130 Abs. 1, § 47 Satz 1 des Gesetzes über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüferordnung – im Folgenden: WPO) vom 24. Juli 1961 (BGBl I S. 1049) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. November 1975 (BGBl I S. 2803), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Februar 2000 (BGBl I S. 154, 161), von wenigstens einem vereidigten Buchprüfer geleitet werden, der seine berufliche Niederlassung am Ort der Zweigniederlassung hat. Die Beklagte kann davon für Zweigniederlassungen von in eigener Praxis tätigen vereidigten Buchprüfern, wie dem Kläger, Ausnahmen zulassen (§ 130 Abs. 1, § 47 Satz 2 WPO). Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen nicht, unter denen eine Ausnahme zugelassen werden kann. Die Beklagte darf eine Ausnahme nur zulassen, wenn die Erfüllung der allgemeinen Berufspflichten eines vereidigten Buchprüfers (§ 130 Abs. 1, § 43 WPO) durch das Fehlen eines ortsansässigen Leiters nicht gefährdet ist und besondere Umstände es rechtfertigen, von der Beachtung der grundsätzlichen Pflicht abzusehen, mit der Leitung der Zweigniederlassung einen ortsansässigen vereidigten Buchprüfer zu betrauen. Im Gegensatz zur Ansicht des Klägers kommt eine Ausnahme nicht schon dann in Betracht, wenn es der Geschäftsumfang einem vereidigten Buchprüfer erlaubt, Zweigniederlassungen ohne Verletzung seiner Berufspflichten zu begründen und zu unterhalten.
Der Vorschrift des § 47 WPO liegt die Erwägung des Gesetzgebers zugrunde, dass die Berufspflichten in einer Zweigniederlassung in der Regel nur dann im gewünschten Maße erfüllt werden, wenn sie von einem ortsansässigen Berufsangehörigen geleitet wird. Selbst wenn der vereidigte Buchprüfer in der Lage ist, die Zweigniederlassung von seiner beruflichen Niederlassung aus ohne Verletzung der Berufspflichten zu betreuen, wird damit der Gesetzeszweck nicht in vollem Umfang erreicht. Ausnahmen müssen daher durch atypische Umstände im Einzelfall gerechtfertigt sein und stehen im Ermessen der Beklagten. Deren Praxis, Ausnahmen nur bei besonderen Anlässen und nur vorübergehend zuzulassen, ist daher nicht grundsätzlich zu beanstanden.
Diese am Gesetzeszweck orientierte Auslegung wird durch den Wortlaut des § 47 Satz 2 WPO bestätigt. Die Kombination einer „Kann”-Bestimmung mit dem Begriff „Ausnahme” deutet in der Regel auf ein Befreiungsermessen der zuständigen Behörde in atypischen Fällen hin, mag dieses auch eingeschränkt sein (vgl. Urteil vom 29. März 1966 – BVerwG 1 C 8.65 – BVerwGE 24, 15 ≪29≫). Hat der Gesetzgeber hingegen bestimmte Voraussetzungen im Blick, unter denen ein Verhalten zulässig sein soll, wird er diese tatbestandlich festlegen; in einem solchen Fall wird mit einer „Kann”-Bestimmung lediglich die Befugnis der Behörde festgelegt, den erforderlichen Verwaltungsakt zu erlassen (vgl. etwa BVerwGE 23, 25 ≪29≫; 44, 339 ≪342≫; 74, 315 ≪323≫). Hätte der Gesetzgeber, um – wie das Berufungsgericht und der Kläger meinen – die Wettbewerbsfähigkeit der in eigener Praxis tätigen vereidigten Buchprüfer zu stärken, diesen generell das Recht einräumen wollen, eine Zweigniederlassung ohne Niederlassungsleiter zu unterhalten, wenn ihr Geschäftsumfang ihnen dies erlaubt, hätte es nahe gelegen, dies im Tatbestand des § 47 WPO auszudrücken. Dies ist jedoch nicht geschehen.
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, führte die vom Kläger vertretene Auslegung zudem zu einer schwerlich zu rechtfertigenden Bevorzugung der in eigener Praxis tätigen vereidigten Buchprüfer gegenüber Buchprüfungsgesellschaften. Deren Zweigniederlassungen sind immer von einem ortsansässigen vereidigten Buchprüfer zu leiten. Dürften in eigener Praxis tätige vereidigte Buchprüfer wegen ihres Geschäftsumfangs auf Dauer Zweigniederlassungen ohne einen Leiter unterhalten, verfälschte dies den Wettbewerb zulasten der Buchprüfungsgesellschaften. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber dies gewollt haben könnte. Kommt hingegen eine Ausnahme gemäß § 47 Satz 2 WPO nur bei atypischen Umständen in Betracht, entfallen Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dies gilt namentlich dann, wenn Ausnahmen entsprechend der – nicht als abschließend zu verstehenden – Praxis der Beklagten erteilt werden, um bestehende Nachteile von in eigener Praxis tätigen vereidigten Buchprüfern gegenüber Buchprüfungsgesellschaften bei der Gründung oder Übernahme von Zweigniederlassungen zu kompensieren. Wegen ihrer Anwendbarkeit auf derartige Fallgestaltungen überzeugt auch der Einwand nicht, die Vorschrift verliere so gut wie jede Bedeutung, wenn sie wie hier verstanden werde.
Einzuräumen ist, dass die Gesetzesbegründung im Sinne des Berufungsgerichts und des Klägers verstanden werden kann. Es heißt in der Begründung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung (BTDrucks 12/5685 S. 28), Ausnahmen würden vor allem dann in Betracht kommen, wenn ein in Einzelpraxis tätiger Wirtschaftsprüfer oder eine aus wenigen Wirtschaftsprüfern bestehende Sozietät Zweigniederlassungen im Inland und ggf. auch im Ausland begründen wolle und der Geschäftsumfang es erlaube, dass ein Wirtschaftsprüfer mehrere Zweigniederlassungen leite; diese Möglichkeit solle im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der Inhaber von Einzelpraxen und Sozietäten erhalten bleiben. Diesen Ausführungen ist indes bereits nicht eindeutig zu entnehmen, dass die Voraussetzungen dafür, wann eine Ausnahme zugelassen werden kann, umfassend angesprochen sein sollen; es können auch lediglich deren Mindestvoraussetzungen erwähnt sein, zu denen besondere Umstände des Einzelfalls hinzutreten müssen. Vor allem aber kommt es für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung in erster Linie auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers an. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den anderen Grundsätzen erhaltenen Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die anderweit nicht ausgeräumt werden können (vgl. etwa BVerfGE 1, 299 ≪312≫; 79, 106 ≪121≫). Da die Auslegung des § 47 WPO nach Wortlaut und Normzweck zu einem überzeugenden Ergebnis führt, ist danach kein Raum für die Berücksichtigung der – ihrerseits auslegungsbedürftigen – Gesetzesbegründung.
Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte dem Kläger zu Recht die begehrte, unbefristete Verlängerung der ihm gewährten befristeten Ausnahmen versagt. Der Kläger hatte mehr als sechs Jahre Gelegenheit, unter Befreiung vom Gebot des § 47 Satz 1 WPO die Zweigniederlassung in Dresden aufzubauen. Atypische Umstände, die eine weitere Ausnahme rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Der Kläger kann sich insbesondere nicht darauf berufen, auf die Rechtslage bei Gründung der Zweigniederlassung vertraut zu haben und der Gefahr finanzieller Einbußen ausgesetzt zu sein. Die Beklagte hat dem Kläger gegenüber immer den Standpunkt vertreten, Ausnahmen könnten nur befristet zugelassen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Meyer, Mallmann, Hahn, Groepper, Gerhardt
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 22.08.2000 durch Reuter Justizangestellter als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
DStRE 2001, 109 |
NJW-RR 2001, 351 |
NVwZ 2001, 435 |
DVBl. 2001, 136 |
VA 2001, 82 |
WPK-Mitt. 2001, 69 |