Entscheidungsstichwort (Thema)
Versammlungseigenschaft. Informationsstand. Einbeziehung Außenstehender
Leitsatz (amtlich)
Soll nach der Konzeption einer geplanten Veranstaltung diese einen Rahmen bieten, in den Außenstehende zum Zwecke der kollektiven Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung einbezogen werden sollen, handelt es sich um eine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes und des Versammlungsgesetzes auch dann, wenn die Veranstaltung informative Elemente enthält.
Normenkette
GG Art. 8 Abs. 1; VersG § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 08.03.2006; Aktenzeichen 1 A 129.03) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. März 2006 wird geändert.
Es wird festgestellt, dass die von dem Kläger für die Zeit vom 8. bis zum 26. Mai 2003 angemeldete Veranstaltung zu dem Thema “Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo” eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes war.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I
Der Kläger meldete am 6. Mai 2003 für die Zeit vom 8. bis 26. Mai 2003 eine Veranstaltung mit dem Thema “Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo” an. Die Veranstaltung sollte in Berlin stattfinden. Ihr Ziel sollte darin bestehen, Menschen zu einer Äußerung über ihre Haltung zur Militärintervention im Irak zu bewegen. Bei der Durchführung der Veranstaltung sollten unterschiedliche Hilfsmittel Verwendung finden. Es war vorgesehen, dass auf bereitliegenden Karten schriftliche Meinungsäußerungen zu dem Veranstaltungsthema abgegeben und diese Karten an einer bereitgestellten Lattenkonstruktion öffentlich angebracht wurden.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2003 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die geplante Veranstaltung nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes angesehen werden könne. Die Veranstaltung sei dadurch geprägt, dass Außenstehenden ein einseitiges Informationsangebot unterbreitet werde. Sie gleiche deshalb einem Informationsstand, der nicht die Voraussetzungen einer Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes erfülle. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, der nicht beschieden wurde.
Der Kläger hat am 13. Mai 2003 Klage erhoben, mit der er – im Wege des Klageantrags zu 1 – die Feststellung begehrt hat, die angemeldete Veranstaltung sei als Versammlung anzusehen gewesen.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 8. März 2006 die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte sei zu Recht davon ausgegangen, dass die angemeldete Veranstaltung keine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes gewesen sei. Eine solche Versammlung setze voraus, dass die Veranstaltung auf Meinungsbildung und -äußerung in Gruppenform gerichtet sei. Diese Voraussetzung sei bei einem Informationsstand, der auf die einseitige Vermittlung von Informationen gerichtet sei, nicht gegeben. Den sich an Informationsständen bildenden Personenansammlungen fehle die innere Bindung, die das Wesen einer Versammlung ausmache und dazu führe, dass die Versammelten sich als überpersonales Ganzes fühlten. Bei der streitigen Veranstaltung stehe nach ihrem Gesamtgepräge die einseitige Information von Passanten im Vordergrund. Dies ergebe sich aus einer Reihe von Indizien. So habe die Veranstaltung einen Bezug zu dem im Veranstaltungszeitraum stattfindenden Kirchentag aufgewiesen. Stände auf einem Kirchentag dienten typischerweise der Information und der gemeinsamen Aktion von interessierten Besuchern, nicht dagegen der öffentlichen Meinungskundgabe und Meinungsbildung in Gruppenform. Die anlässlich der Veranstaltung aufgestellten Fototafeln hätten eher informativen Charakter gehabt. Soweit Außenstehende dazu hätten angehalten werden sollen, ihre Meinung zu dem Veranstaltungsthema auf bereitgehaltene Karten schriftlich festzuhalten und an einer Lattenkonstruktion anzubringen, begründe dies ebenfalls nicht den Versammlungscharakter. Letztlich sei es wie bei einer Unterschriftenliste um die Sammlung individueller Meinungsäußerungen gegangen, die gemeinsam hätten präsentiert werden sollen.
Der Kläger hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision eingelegt und zur Begründung sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wie folgt ergänzt: Das Verwaltungsgericht habe sich bei seinen Erwägungen an der Phänomenologie tradierter Versammlungen orientiert. Damit werde nicht ausreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass der Versammlungsbegriff offen sei für neue Formen von Veranstaltungen. Die Veranstaltung sei auf Meinungsbildung und -äußerung in Gruppenform gerichtet gewesen. Vorbeikommende Menschen, die aufgrund der vorhandenen Hilfsmittel Interesse gezeigt hätten, hätten angesprochen und in Diskussionsrunden integriert werden sollen. Es habe sich um eine neue Form der Versammlung gehandelt, die einen festen Bestand von Personen mit hinzukommenden Menschen verbinde und sich von herkömmlichen “Demonstrationen” unterscheide. Bei der hier in Rede stehenden Art der Versammlung würden die Elemente der Information, der Meinungsbildung und der Meinungsäußerung wechselseitig miteinander verklammert.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu 1 zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung verteidigt er das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Die allein gegen die Abweisung des Antrags auf Feststellung der Versammlungseigenschaft der angemeldeten Veranstaltung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts gerichtete Revision ist begründet. Das Urteil beruht insoweit auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Sachverhalt geklärt ist, kann der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO in der Sache entscheiden. Der Antrag auf Feststellung, dass die von dem Kläger angemeldete Veranstaltung “Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo” eine Versammlung im Sinne des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) – VersG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl I S. 1789), zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. August 1999 (BGBl I S. 1818), war, ist zulässig (1.) und begründet (2.).
1. Das Begehren ist als allgemeiner Feststellungsantrag im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Danach kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Dadurch, dass der Beklagte in dem Schreiben vom 7. Mai 2003 die Versammlungseigenschaft der angemeldeten Veranstaltung verneint hat, ist zwischen den Beteiligten eine Rechtsbeziehung entstanden, die ein konkretes und streitiges, mithin feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bildet. Gegenstand der allgemeinen Feststellungsklage kann auch ein vergangenes Rechtsverhältnis sein (vgl. Urteil vom 29. April 1997 – BVerwG 1 C 2.95 – Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 7).
Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, weil angesichts des Vorbringens der Beteiligten ein Eingriff in den Schutzbereich der von Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit durch den Bescheid vom 7. Mai 2003 nicht von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 – BVerwG 6 C 23.06 – juris Rn. 12).
Das Subsidiaritätsgebot des § 43 Abs. 2 VwGO steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen. Insbesondere kann der Kläger nicht auf den Antrag nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des wegen Zeitablaufs erledigten Verwaltungsakts vom 7. Mai 2003 verwiesen werden (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 juris Rn. 13).
2. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die angemeldete Veranstaltung eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes war.
Nach § 1 Abs. 1 VersG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des Grundgesetzes (vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 juris Rn. 15). Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Das Grundrecht schützt die Freiheit der Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG und damit auch des Versammlungsgesetzes sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und Meinungsäußerung mit dem Ziel erfolgen, auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens. Die rechtliche Beurteilung ist danach zu richten, ob sich die Veranstaltung aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters ihrem Gesamtgepräge nach als Versammlung darstellt oder ob andere Zwecke im Vordergrund stehen. Dabei sind nur solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente zu berücksichtigen, mit denen ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die also nicht nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können (zum Vorstehenden vgl. Urteil vom 16. Mai 2007 juris Rn. 15 ff.).
Die Aufstellung eines Informationsstandes als solche genießt nicht den Schutz der Versammlungsfreiheit (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 – BVerwG 7 C 5.78 – BVerwGE 56, 63 ≪69≫; BVerfG – Vorprüfungsausschuss –, Beschluss vom 22. Dezember 1976 – 1 BvR 306/76 – NJW 1977, 671). Dies gilt auch für den durch Verteilung politischer Schriften ausgeübten Betrieb eines Informationsstandes, mit dem den Vorübergehenden ein einseitiges Informationsangebot gemacht werden soll. Solche Informationsstände zielen auf individuelle Kommunikation mit zufällig des Weges kommenden Einzelpersonen ab, nicht auf Kommunikation vermittels einer eigens zu diesem Zweck veranlassten Gruppenbildung. Den sich an Informationsständen bildenden Personenansammlungen fehlt die innere Bindung, die das Wesen einer Versammlung ausmacht und dazu führt, dass die Versammelten sich als überpersonales Ganzes verstehen. Die jeweils vor und hinter dem Informationsstand ungebunden anwesende Personenmehrheit stellt lediglich eine Ansammlung, nicht eine Versammlung dar (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 a.a.O. S. 69). Dass auf einer Veranstaltung auch Informationen angeboten werden, schließt hingegen die Annahme einer Versammlung nicht zwingend aus. Eine Versammlung liegt auch dann vor, wenn das Informationsangebot der Vermittlung des politischen Mottos der Veranstaltung dient und darauf zielt, Außenstehende einzubeziehen, damit diese in einen Prozess der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung im Interesse der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung eintreten (vgl. Urteil vom 21. April 1989 – BVerwG 7 C 50.88 – BVerwGE 82, 34 ≪39≫). Das Informationsangebot erweist sich dann als Bestandteil einer aus anderen Gründen zu bejahenden Versammlung (vgl. Urteil vom 7. Juni 1978 a.a.O. S. 69 f.).
Soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, die streitige Veranstaltung entspreche mit Blick auf ihr Gesamtgepräge dem Betrieb eines Informationsstandes und stelle deshalb keine Versammlung dar, hat es den Inhalt des bundesrechtlichen Begriffs der Versammlung verkannt. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine Veranstaltung, wie die von dem Kläger angemeldete, wegen ihrer informativen Elemente keine Versammlung, sondern eine Ansammlung ist. Dies steht nicht mit dem Versammlungsgesetz und der verfassungsrechtlichen Verbürgung der Versammlungsfreiheit im Einklang. Die streitige Veranstaltung erfüllte nämlich die Voraussetzungen einer Versammlung.
Der Kläger hat die Konzeption der angemeldeten Veranstaltung im Einzelnen beschrieben. Diese Darlegungen sind schlüssig und auch im Übrigen nachvollziehbar. Sie sind nicht als vorgeschoben anzusehen, um den Schutz der Versammlungsfreiheit zu erlangen. Deshalb sind sie der Beurteilung, ob die streitige Veranstaltung eine Versammlung darstellt, zugrunde zu legen.
Das Thema der Veranstaltung (“Gegen die Militärintervention im Irak und anderswo”) betraf eine die Öffentlichkeit berührende politische Fragestellung und zielte insoweit auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung. Dem Veranstaltungsthema wurde auch durch Hilfsmittel, die in der Veranstaltung Verwendung finden sollten, Ausdruck verliehen. So war beabsichtigt, Schriftbänder und -tafeln, Fotos, Transparente und Flugblätter zu verwenden. In Holzrahmen sollten Fotografien von zivilen Kriegsopfern zur Schau gestellt werden. An dem Ort der Veranstaltung sollten ständig etwa drei Personen aus dem Bereich der Initiatoren anwesend sein.
Es kann hier dahinstehen, ob bereits die anwesenden Personen aus dem Kreis der Initiatoren eine Versammlung gebildet hätten. Dafür könnte sprechen, dass angesichts des Themas der Veranstaltung und der darauf bezogenen Hilfsmittel wohl deutlich erkennbar gewesen wäre, dass die anwesenden Initiatoren nicht nur ein einseitiges Informationsangebot im Zusammenhang mit dem Veranstaltungsthema unterbreiten, sondern ihrer kritischen Haltung zu Militärinterventionen Ausdruck verleihen wollten, was als kollektive Meinungsäußerung im Interesse der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung angesehen werden könnte. Der (Haupt-)Zweck der Veranstaltung bestand indes nicht darin, den Initiatoren eine Möglichkeit zu eröffnen, ihre Meinung zu äußern. Die Veranstaltung zielte vielmehr darauf, zufällig des Weges kommende Personen und solche, die gezielt den Veranstaltungsort aufsuchten, zu einer Meinungsbildung und Meinungsäußerung in Gruppenform im Zusammenhang mit dem Thema der Veranstaltung zu veranlassen. In diesen Prozess der Meinungsbildung und -äußerung wollten sich auch die am Veranstaltungsort anwesenden Initiatoren einbringen.
Die streitige Veranstaltung war nicht als Betrieb eines Informationsstandes anzusehen. Die informativen Elemente, die die angemeldete Veranstaltung nach deren Konzeption aufgewiesen hätte, unterscheiden sich grundlegend von Informationsangeboten, wie sie bei einem auf einseitige Informationsvermittlung angelegten Informationsstand unterbreitet werden. Soweit die Hilfsmittel einen Informationsgehalt enthalten hätten, wie etwa die Fotografien von Kriegsopfern, die Flugblätter und die Zeitungen, sollte dieser nicht einseitig gegenüber Außenstehenden vermittelt werden. Die Informationen sollten vielmehr Mittel zum Zweck sein, bei den Außenstehenden den angestrebten Vorgang der Meinungsbildung und -äußerung in Gruppenform einzuleiten oder zu fördern. Die Informationsvermittlung sollte also Bestandteil einer Veranstaltung sein, die der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung, wie sie einer Versammlung eigen ist, dient. Anders als dies bei einem Informationsstand der Fall ist, war die streitige Veranstaltung auf die Einbeziehung Außenstehender angelegt. Die Einbeziehung sollte auch dadurch geschehen, dass die in dem angestrebten Meinungsbildungsprozess herausgebildeten Meinungen auf bereitgehaltenen Karten schriftlich niedergelegt und die so beschrifteten Karten an eine vorhandene Lattenkonstruktion angebracht werden sollten. Dadurch sollte nicht nur das Ergebnis der Meinungsbildung in Gestalt einer schriftlichen Meinungsäußerung dokumentiert werden. Es sollte auch auf den Meinungsbildungsprozess der am Ort der Veranstaltung sich befindenden Personen Einfluss genommen werden. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sind die beschrifteten und an der Lattenkonstruktion zur Schau gestellten Karten nicht Unterschriften auf einer entsprechenden Liste gleichzusetzen. Auf einer Unterschriftenliste werden Unterschriften unter einen vorgegebenen Text geleistet. Die Meinungsäußerungen auf den an der Lattenkonstruktion angebrachten Karten sollten hingegen Ergebnis eines vor Ort stattfindenden Meinungsbildungsprozesses sein und sie sollten – anders als bei einer Unterschriftenliste – den Vorgang der Meinungsbildung am Veranstaltungsort beeinflussen. Dass die beschrifteten Karten für sich betrachtet individuelle Meinungsäußerungen darstellen, ändert nichts daran, dass sie ihre Grundlage in einem am Veranstaltungsort stattfindenden kollektiven Meinungsbildungsprozess finden und dass sie auf den dort stattfindenden kollektiven Meinungsbildungsprozess zurückwirken sollten. Sie sind deshalb als integraler Bestandteil eines komplexen Vorgangs anzusehen, bei dem Außenstehende untereinander und mit den anwesenden Initiatoren in einen Vorgang der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung eintreten sollten. Dieser Vorgang ist als Einheit zu betrachten, sodass auch die beschrifteten Karten als Teil jenes Vorgangs anzusehen sind.
Da die angemeldete Veranstaltung in der soeben dargelegten Weise auf die Einbeziehung einer möglichst großen Zahl dritter Personen in einen Prozess der kollektiven Meinungsbildung und -äußerung angelegt war, wären diese, soweit sie dem Diskussionsangebot gefolgt wären, untereinander und mit den Initiatoren durch einen gemeinsamen kommunikativen Zweck, nämlich die gemeinschaftliche Beteiligung an dem genannten Prozess, innerlich verbunden gewesen. Im Gegensatz zu dem gemeinsamen kommunikativen Zweck ist die Übereinstimmung der Meinungen für eine Versammlung nicht konstituierend (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 1995 – 1 BvR 1564/92 – BVerfGE 92, 191 ≪203≫; BVerwG, Urteil vom 21. April 1989 a.a.O. S. 39). Zwar ist davon auszugehen, dass sich der am Veranstaltungsort anwesende Personenkreis dadurch verändert hätte, dass Personen den Ort verlassen hätten und andere hinzugekommen wären. Der konzeptionelle Rahmen wäre jedoch trotz dieser Fluktuation bestehen geblieben. In personeller Hinsicht wäre Kontinuität jedenfalls durch die ständig am Veranstaltungsort anwesenden Initiatoren gewahrt gewesen. Die sächliche Ausgestaltung der Veranstaltung wäre von der Veränderung des Personenkreises nicht betroffen gewesen.
Aus den dargestellten Gründen hätte sich die Veranstaltung nach ihrem Gesamtgepräge aus Sicht eines sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindenden durchschnittlichen Betrachters als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes und des Art. 8 Abs. 1 GG dargestellt. Dem steht nicht entgegen, dass die Veranstaltung mit Blick auf ihre Konzeption nicht den traditionellen Arten von Zusammenkünften mit Versammlungscharakter entsprochen hätte. Deshalb streitet gegen die Annahme einer Versammlung auch nicht der Umstand, dass die Veranstaltung über einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen stattfinden sollte und sich auch insoweit von typischen Versammlungen unterschieden hätte. Die zeitliche und örtliche Nähe der streitigen Veranstaltung zum Kirchentag erweist sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht als ein Gesichtspunkt, der gegen das Vorliegen einer Versammlung ins Feld geführt werden kann.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Dr. Hahn, Büge, Vormeier
RiBVerwG Dr. Graulich kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben.
Dr. Bardenhewer
Fundstellen