Entscheidungsstichwort (Thema)
Religionsunterricht. Religionsgemeinschaften. „Bremer Klausel”
Leitsatz (amtlich)
1. Die „Bremer Klausel” des Art. 141 GG gilt in ganz Berlin.
2. Erklärt das Gesetz eines von Art. 141 GG erfaßten Landes die Erteilung von Religionsunterricht zur Sache der Religionsgemeinschaften, so ist die Auslegung dieses Begriffs nicht durch Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG oder Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 ff. WRV vorgegeben; einer weiten Auslegung des landesrechtlichen Begriffs der „Religionsgemeinschaft” steht Bundesverfassungsrecht nicht entgegen.
Normenkette
GG Art. 7, 140-141
Verfahrensgang
OVG Berlin (Entscheidung vom 04.11.1998; Aktenzeichen 7 B 4/98) |
VG Berlin (Entscheidung vom 19.12.1997; Aktenzeichen 3 A 2196.93) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 4. November 1998 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der klagende Dachverband als Religionsgemeinschaft anzusehen ist und als solche einen Anspruch auf Erteilung von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen hat.
Der Kläger ist seit 1980 im Vereinsregister eingetragen (95 VR 6247 Nz Amtsgericht Charlottenburg). Laut § 3 Satz 1 seiner Satzung in der seit April 1990 geltenden Fassung verfolgt der Kläger das Ziel, „allen in Berlin lebenden Muslimen, die den Koran und die Sunna des Propheten Mohammed als gemeinsame Grundlage des Islam anerkennen, das religiöse Leben in unserer Gesellschaft zu ermöglichen und die Beziehungen zu den Andersdenkenden herzustellen und zu verbessern, um ein friedliches Zusammenleben aller Menschen in unserer Zeit für die Zukunft zu fördern”. Zu den Aufgaben des Klägers zählt § 3 Satz 2 Nr. 1 der Satzung insbesondere auch die Erteilung von Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen. Laut § 4 Abs. 1 der Satzung kann Mitglied des Klägers jede juristische Person im Sinne des deutschen Rechts werden, „wenn alle Mitglieder sich zum Islam bekennen, eine islamische Vereinigung bilden und auf dieser Grundlage Aktivitäten aufweisen”. § 4 Abs. 2 der Satzung unterscheidet zwischen Vereinen, die unmittelbar die Religionsausübung des Islam verwirklichen (Vollmitglieder), und Vereinen, die diesem Zweck nur mittelbar dienen (fördernde Mitglieder). Im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts gehörten dem Kläger neun Vereine als Vollmitglieder und 16 Vereine als fördernde Mitglieder an.
Mit Schreiben vom 7. April 1987 beantragte der Kläger, ihm die Erteilung von islamischem Religionsunterricht in der Berliner Schule zu gestatten. Dies lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 25. März 1994 im wesentlichen mit der Begründung ab, bei dem Kläger handele es sich nicht um eine Religionsgemeinschaft im Sinne von § 23 des Berliner Schulgesetzes. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 25. März 1994 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Gestattung des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: § 23 Abs. 1 des Berliner Schulgesetzes begründe einen Anspruch auf Gestattung zum Erteilen von Religionsunterricht für alle Zusammenschlüsse, die den Begriff der Religionsgemeinschaft erfüllten. Dieser Begriff sei identisch mit demjenigen der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 GG und dem Begriff der Religionsgesellschaft nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 ff. WRV. Der Kläger erfülle die dort genannten Anforderungen. Der Beklagte habe daher bei der Neubescheidung davon auszugehen, daß der Kläger eine Religionsgemeinschaft sei und Anspruch darauf habe, bei Einhaltung der übrigen verfassungsrechtlichen und schulrechtlichen Rahmenbedingungen Religionsunterricht an der Berliner Schule zu erteilen.
Der Beklagte trägt zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Revision vor: Die Auslegung und Anwendung des Begriffs der Religionsgemeinschaft in § 23 des Berliner Schulgesetzes durch das Berufungsgericht betreffe Bundesrecht. Die Revisibilität des Begriffs der Religionsgemeinschaft folge aus der verfassungsrechtlichen Vorgabe in Art. 7 Abs. 3, Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 ff. WRV. Die bundesrechtliche Qualität jenes Begriffs erkenne auch das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil an, indem es insoweit von der Identität mit dem Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 GG und dem Begriff der Religionsgesellschaft nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 ff. WRV ausgehe. Der Begriff der Religionsgemeinschaft sei nach den durch das Grundgesetz inkorporierten Artikeln der Weimarer Reichsverfassung ein Schlüsselbegriff des Staatskirchenverfassungsrechts. Würden landesrechtlich Vereinigungen in den Rang von Religionsgemeinschaften erhoben, die den Anforderungen des Art. 137 WRV nicht genügten, so griffe dies in die verfassungsrechtliche Ordnung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 ff. WRV ein. Speziell in bezug auf die Erteilung von bekenntnismäßigem Religionsunterricht in öffentlichen Schulen führe die Mißachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen des Begriffs der Religionsgemeinschaft zu einer Verletzung der Selbstbestimmungsgewährleistung in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Die staatlich veranstaltete oder geförderte Verkündigung eines Glaubens könne grundsätzlich nur durch die diesen Glauben tragende Religionsgemeinschaft erfolgen. Die Zulassung einer Vereinigung, die nicht die Voraussetzung einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 7 Abs. 3, Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 ff. WRV erfülle, zu einem staatlich geförderten bekenntnismäßigen Religionsunterricht verstoße auch in Berlin gegen Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG. Die in Berlin geltende Ausnahmeregelung des Art. 141 GG beziehe sich ausdrücklich nur auf die Pflicht zur Einführung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG. Auch in einem solchen Land müsse bekenntnismäßiger Religionsunterricht, wenn er in öffentlichen Schulen angeboten werde, gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft erfolgen. Den verfassungsrechtlichen Begriff der Religionsgemeinschaft habe das Berufungsgericht fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Es habe unter den Gesichtspunkten der Homogenität, Konsistenz und Zentralität zu geringe Anforderungen gestellt.
Der Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg.
1. Auf die vom Beklagten gerügte unrichtige Anwendung und Auslegung des Begriffs der Religionsgemeinschaft in § 23 Abs. 1 des Schulgesetzes für Berlin vom 20. August 1980, GVBl S. 2103, in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 12. März 1997, GVBl S. 65, (SchulG), kann die Revision nicht mit Erfolg gestützt werden, weil sich dies nicht zugleich als Verletzung von Bundesrecht darstellen würde (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
a) Die landesrechtliche Norm wird nicht dadurch revisibel, daß sie bei einem ihrer Zentralbegriffe – hier dem Begriff der Religionsgemeinschaft – Bezug nimmt auf den gleichlautenden Begriff in der Bundesverfassung (Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG). Nimmt der Landesgesetzgeber in seine eigene Regelung einen für konkretisierende Gestaltungen durch den Landesgesetzgeber (noch) offenen Begriff des Bundesrechts auf, so wird dieser insoweit Landesrecht (Beschlüsse vom 24. März 1986 – BVerwG 7 B 35.86 – Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 132 = NVwZ 1986, 739; 19. Juli 1995 – BVerwG 6 NB 1.95 – NVwZ 1997, 61, 63 = Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 104). Revisibles Bundesrecht liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls nur dann vor, wenn die Regelung kraft eines Gesetzesbefehls des Bundesgesetzgebers – oder des aufgrund seiner Ermächtigung tätigen Bundesverordnungsgebers – gilt (Beschluß vom 24. März 1986 – BVerwG 7 B 35.86 – a.a.O.; Urteil vom 24. September 1992 – BVerwG 3 C 64.89 – BVerwGE 91, 77, 81; Beschluß vom 28. Juni 1995 – BVerwG 6 B 36.95 – Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 4). Zieht das Berufungsgericht daher zur Auslegung eines in einer landesrechtlichen Norm verwandten Begriffs das in Rechtsprechung und Literatur entwickelte Verständnis eines gleichlautenden Begriffs des Bundesrechts heran, so dient das Bundesrecht lediglich als Interpretationshilfe für die Auslegung einer landesrechtlichen Norm, sofern es nicht kraft eines Gesetzesbefehls des Bundes anzuwenden ist (vgl. Urteil vom 30. Januar 1996 – BVerwG 1 C 9.93 – NJW 1997, 814 = Buchholz 430.2 Kammerzugehörigkeit Nr. 7 S. 4).
Im vorliegenden Fall ist somit die Überprüfung des angefochtenen Urteils durch das Revisionsgericht nicht allein deswegen eröffnet, weil das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, der Begriff der Religionsgemeinschaft in § 23 Abs. 1 SchulG sei mit dem gleichlautenden Begriff in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG und dem Begriff der Religionsgesellschaft nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 ff WRV identisch. Soweit die Identität der Begriffsinhalte nicht durch einen Gesetzesbefehl des Bundes vorgegeben ist, kann es für die Überprüfbarkeit der Entscheidung durch das Revisionsgericht nicht entscheidend darauf ankommen, ob das Berufungsgericht bei der Auslegung der landesrechtlichen Norm auf vollständig, teilweise oder überhaupt nicht gleichlautendes Bundesrecht zurückgegriffen hat.
Die vom Beklagten zitierten älteren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts stehen durchaus im Einklang mit den vorgenannten Maßstäben. Daß der Begriff des öffentlichen Wohls in einem landesrechtlichen Enteignungsgesetz revisibel ist, folgt aus dem Gesetzesbefehl des Bundesverfassungsrechts in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist (vgl. Beschluß vom 15. Dezember 1955 – BVerwG 1 B 130.55 – Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 5). Daß der Begriff der politischen Partei bundesrechtlich vorgegeben ist, ergab sich auch schon vor Inkrafttreten des Parteiengesetzes aus Art. 21 GG sowie aus der insoweit gegebenen ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Urteil vom 20. Dezember 1957 – BVerwG 7 C 73.57 – BVerwGE 6, 96, 97 unter Hinweis auf BVerfGE 3, 383, 404). Dem Landesgesetzgeber ist durch diese grundgesetzliche Bestimmung jeder Gestaltungsraum zur eigenständigen Ausformung des Begriffs der politischen Partei versperrt (Beschluß vom 19. Juli 1995 – BVerwG 6 NB 1.95 – a.a.O.).
b) Der Begriff der Religionsgemeinschaft in § 23 Abs. 1 SchulG ist nicht aufgrund eines Gesetzesbefehls des Bundes ebenso auszulegen wie der gleichlautende Begriff im Grundgesetz.
Ein derartiger Gesetzesbefehl des Bundes ergibt sich nicht aus Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG. Der dort verwandte Begriff der Religionsgemeinschaft wäre im Zusammenhang mit der Erteilung von Religionsunterricht für das Landesrecht freilich dann maßgeblich, wenn in dem betreffenden Land Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG gelten würde. Danach ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Diese Bestimmung gilt jedoch in Berlin nicht.
aa) Allerdings ist die in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG normierte Rechtsfolge nicht schon deswegen in Berlin unanwendbar, weil die öffentlichen Schulen des Landes Berlin bekenntnisfreie Schulen im Sinne jener Vorschrift wären; sie sind dies nicht.
Nach § 1 Satz 4 SchulG soll das Christentum in der Berliner Schule seinen Platz finden. Insofern steht es zwar neben der Antike und den „für die Entwicklung zum Humanismus, zur Freiheit und zur Demokratie wesentlichen gesellschaftlichen Bewegungen”. Dies spricht eher dafür, daß die öffentliche Gemeinschaftsschule in Berlin nicht durch religiöse Bezüge geprägt ist. Eine solche Gemeinschaftsschule als Regelschule einzuführen, ist dem Landesgesetzgeber durch Art. 7 GG nicht verwehrt (BVerfG, Beschluß vom 17. Dezember 1975 – 1 BvR 63/68 – BVerfGE 41, 29, 44 ff.; Beschluß vom 17. Dezember 1975 – 1 BvR 428/69 – BVerfGE 41, 65, 78; Beschluß vom 17. Dezember 1975 – 1 BvR 548/68 – BVerfGE 41, 89, 107). Auch eine derartige Gemeinschaftsschule ist jedoch keine bekenntnisfreie Schule im Sinne von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG.
Dies läßt sich schon anhand des Wortlauts der Vorschrift belegen, wonach die bekenntnisfreien Schulen mit ihrer Entbindung vom Religionsunterricht ausdrücklich die Ausnahme darstellen („mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen”).
Daß der Vorbehalt zugunsten der bekenntnisfreien Schule in diesem Sinne eng zu verstehen ist, nimmt offenbar auch das Bundesverfassungsgericht an. In seiner Schulgebetsentscheidung (Beschluß vom 16. Oktober 1979 – 1 BvR 647/70 u.a. – BVerfGE 52, 223, 242 f.) klingt an, daß die Verpflichtung der Länder zur Veranstaltung von Religionsunterricht unabhängig davon ist, ob die Regelschule religiöse Bezüge aufweist oder nicht. Gleicher Auffassung ist auch die Literatur (vgl. z.B. Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 7 Rn. 53 f.; Hemmrich, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 4. Aufl. 1992, Art. 7 Rn. 27; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Bd. I, 4. Aufl. 1999, Art. 7 Rn. 129; Heckel, ZevKR Bd. 44 (1999) S. 147, 217 ff. Schlink, NJW 1992, 1008, 1009 f.; Will, in: Macke, Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit auf Landesebene, 1998, S. 131, 141).
bb) Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG gilt in Berlin jedoch nicht. Nach Art. 141 GG findet Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand. Ein Bundesland trifft nicht die Verpflichtung, in seinen nicht bekenntnisfreien öffentlichen Schulen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach einzuführen, wenn dort am 1. Januar 1949 eine von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG abweichende landesrechtliche Regelung galt.
(1) Diese Voraussetzungen sind zunächst für den Westteil Berlins zu bejahen.
Der Westteil Berlins war von Anfang an ein Land der Bundesrepublik Deutschland, in welchem unter Beachtung der von den drei westlichen Alliierten auferlegten Beschränkungen das Grundgesetz galt (BVerfG, Beschluß vom 21. Mai 1957 – 2 BvL 6/56 – BVerfGE 7, 1, 10; Beschluß vom 20. Januar 1966 – 1 BvR 140/62 – BVerfGE 19, 377, 388; Urteil vom 31. Juli 1973 – 2 BvF 1/73 – BVerfGE 36, 1, 17; Beschluß vom 27. März 1974 – 2 BvR 38/74 – BVerfGE 37, 57, 62). Am 1. Januar 1949 galt im Westteil Berlins – ebenso wie im Ostteil der Stadt – das Schulgesetz für Groß-Berlin vom 26. Juni 1948 (Verordnungsblatt für Groß-Berlin S. 358). Dieses Gesetz enthielt in bezug auf den Religionsunterricht folgende Bestimmungen:
§ 13
Der Religionsunterricht ist Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Er wird von Geistlichen oder Religionslehrern erteilt, die von diesen beauftragt und besoldet werden. Die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften übernehmen die Verantwortung, daß der Religionsunterricht gemäß den für den allgemeinen Unterricht geltenden Bestimmungen durchgeführt wird. Lehrer an öffentlichen Schulen haben das Recht, nebenamtlich im Rahmen der für Nebenbeschäftigung geltenden Bestimmungen Religionsunterricht zu erteilen. Aus der Erteilung oder Nichterteilung des Religionsunterrichts dürfen den Lehrern keine Vorteile oder Nachteile erwachsen.
§ 14
Religionsunterricht erhalten diejenigen Schüler, deren Erziehungsberechtigte bei ihrer Religionsgemeinschaft eine dahingehende schriftliche Erklärung abgeben. Die Willenserklärung gilt bis zu einem schriftlichen Widerruf. Bei religionsmündigen Schülern tritt die eigene Willenserklärung bzw. der eigene Widerruf an die Stelle der von den Erziehungsberechtigten ausgehenden Erklärung. Wer als Erziehungsberechtigter zu gelten hat, entscheidet das Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 (RGBl I S. 939 ff.).
§ 15
Die Schule hat für die Erteilung des Religionsunterrichts an die nach Paragraph 14 ordnungsgemäß angemeldeten Schüler allwöchentlich zwei Stunden als erste oder letzte im Stundenplan der Klassen freizuhalten und unentgeltlich Unterrichtsräume mit Licht und Heizung zur Verfügung zu stellen. Die nicht zum Religionsunterricht gemeldeten Schüler sind während der Religionsstunden unterrichtsfrei zu lassen.
Die vorbezeichneten Bestimmungen weichen im Sinne von Art. 141 GG von der in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG getroffenen Regelung ab.
Der durch Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG garantierte Religionsunterricht ist als ein Fach zu verstehen, das in „konfessioneller Positivität und Gebundenheit” zu erteilen ist. Der hier gemeinte Religionsunterricht ist daher keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln ist seine Aufgabe (BVerfG, Beschluß vom 25. Februar 1987 – 1 BvR 47/84 – BVerfGE 74, 244, 252). Die Erklärung des Religionsunterrichts zum ordentlichen Lehrfach in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG stellt klar, daß seine Erteilung staatliche Aufgabe und Angelegenheit ist; er ist staatlichem Schulrecht und staatlicher Schulaufsicht unterworfen. Seine Einrichtung als Pflichtfach ist für den Schulträger obligatorisch; der Staat muß gewährleisten, daß er ein Unterrichtsfach mit derselben Stellung und Behandlung wie andere ordentliche Lehrfächer ist. Sein Pflichtcharakter entfällt nicht dadurch, daß Art. 7 Abs. 2 GG ein Recht zur Abmeldung einräumt. Diese Befreiungsmöglichkeit hebt ihn zwar aus den übrigen Pflichtfächern heraus, macht ihn aber nicht zu einem Wahlfach im Sinne der allgemeinen schulrechtlichen Terminologie (BVerfG a.a.O. S. 251 f.). Weil der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist, hat das Land selbst bzw. der zuständige öffentliche Schulträger die Sach- und Personalkosten des Unterrichts zu tragen (vgl. Maunz a.a.O. Rn. 48 c; Robbers a.a.O. Rn. 133; Hemmrich a.a.O. Rn. 28; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 9. Aufl. 1999, Art. 7 Rn. 13; Richter, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl. 1989, Art. 7 Rn. 55).
Von diesen Grundsätzen wich das maßgebliche Regelwerk im Schulgesetz für Groß-Berlin vom 26. Juni 1948 schon insoweit grundlegend ab, als es den Religionsunterricht zur Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften erklärte (§ 13 Satz 1). War der Staat nicht Veranstalter des Religionsunterrichts, so war es auch folgerichtig, daß die Kirchen und Religionsgemeinschaften – unbeschadet staatlicher Unterstützung – für die Besoldung der von ihnen beauftragten Geistlichen und Religionslehrer aufzukommen hatten (§ 13 Satz 2).
(2) Art. 141 GG gilt auch im Ostteil Berlins, also jenem Teil der Stadt, in welchem das Grundgesetz seit 3. Oktober 1990 gilt.
Freilich wird die Anwendung des Art. 141 GG in den neuen Bundesländern von zahlreichen Stimmen in der Literatur abgelehnt. Vorrangig wird argumentiert, Art. 141 GG setze voraus, daß das Land, in dem am 1. Januar 1949 eine andere Regelung gegolten habe, als Rechtssubjekt bis zu dem Zeitpunkt fortbestanden habe, an dem das Grundgesetz auf seinem Territorium in Kraft getreten sei. Daran fehle es bei den neuen Bundesländern, weil die früheren ostdeutschen Länder im Zuge der Entwicklung der DDR zum sozialistischen Einheitsstaat untergegangen seien, mithin mit den im Zuge der Wiedervereinigung neu gegründeten Ländern nicht identisch seien (vgl. von Mangoldt/Klein/von Campenhausen, Grundgesetz, Bd. 14, 3. Aufl. 1991, Art. 141 Rn. 7; von Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl. 1996, S. 239; Seifert/Hömig, Grundgesetz, 6. Aufl. 1999, Art. 141 Rn. 2; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz, 9. Aufl. 1999, Art. 141 Rn. 2; Hemmrich, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. 3, 3. Aufl. 1996, Art. 141 Rn. 4; Link, in: Handbuch des Staatskirchenrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1995, S. 443; Winter, NVwZ 1991, 753, 754; Frisch, DtZ 1992, 144, 145; Kremser, JZ 1995, 928, 929 f.; Muckel/Tillmanns, RdJB 1996, 360, 362; Uhle, DÖV 1997, 409, 410 f.).
Hält man diese Argumentation für zutreffend, so ist damit noch keineswegs gesagt, daß Art. 141 GG im Ostteil Berlins nicht gilt. Freilich kann nicht angenommen werden, daß das noch am 1. Januar 1949 bestehende Land Groß-Berlin bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 unverändert fortbestanden hat. Im Gegenteil steht fest, daß das Grundgesetz im Ostteil Berlins nicht galt und daß dieser Teil der Stadt seit ihrer Spaltung zunehmend in die DDR integriert worden ist; insbesondere nahmen die Gesetze und Verordnungen der DDR dort zuletzt ohne entsprechende Umsetzungsakte Ost-Berliner Stellen unmittelbare Geltung in Anspruch und wurden die Vertreter Berlins in der Volkskammer direkt gewählt (vgl. Rauschning, Rechtsstellung Deutschlands, Völkerrechtliche Verträge und andere rechtsgestaltende Akte, 1985, Einführung S. XX). In Art. 1 Abs. 2 des Einigungsvertrages heißt es zwar neutral: „Die 23 Bezirke von Berlin bilden das Land Berlin.” Daß damit aber nicht ein seit längerem unveränderter Zustand festgestellt wird, wird in Art. 16 des Einigungsvertrages deutlich, der eine Übergangsvorschrift „bis zur Bildung einer gesamtberliner Landesregierung” enthält. In der Sache zutreffend wird daher in der Denkschrift zum Einigungsvertrag ausdrücklich von der „Vereinigung Berlins” gesprochen (BTDrucks 11/7760 S. 357).
Andererseits war der Westteil Berlins, wie bereits oben unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts festgestellt, von Anfang an ein Land der Bundesrepublik Deutschland. Das am 3. Oktober 1990 neu gegründete Land Berlin vereinigte eine Stadt, deren größerer westlicher Teil von jeher – ungeachtet besatzungsrechtlicher Vorbehalte – als Land der Bundesrepublik Deutschland angehört hatte. Der westliche Teil des Landes Groß-Berlin, in welchem am 1. Januar 1949 die von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG abweichende Regelung bestand, wurde mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 ein Land der Bundesrepublik Deutschland, welches am 3. Oktober 1990 in dem wiedervereinigten Land Berlin fortlebte, in dem der Ostteil Berlins durch den Beitritt der DDR gemäß Art. 23 GG a.F. aufging. Betrachtet man somit den nach Art. 141 GG maßgeblichen Stichtag (1. Januar 1949) und den Tag, an welchem das Grundgesetz in ganz Berlin in Kraft getreten ist (3. Oktober 1990), so ist bezogen auf die Rechtssubjektivität von einer unveränderten (Teil-)Identität auszugehen.
Teleologische Überlegungen gebieten die Einbeziehung von ganz Berlin in den Anwendungsbereich des Art. 141 GG. Bei der Frage, wie diese Vorschrift mit Blick auf die deutsche Einheit auszulegen ist, sind nicht nur diejenigen Vorschriften des Grundgesetzes heranzuziehen, die bereits bei seinem erstmaligen Inkrafttreten galten, sondern auch diejenigen, die aus Anlaß der Wiedervereinigung eingefügt worden sind. Im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung ist die Neufassung der Präambel durch Art. 4 Nr. 1 des Einigungsvertrages, wonach die Deutschen in den nunmehr 16 Bundesländern die Einheit Deutschlands vollendet haben. Der Einheitsgedanke bezieht sich ausdrücklich auch auf das Land Berlin, welches gleichzeitig mit der Wiedervereinigung des Gesamtstaates als Stadtstaat wiedervereinigt worden ist. Einheit bedeutet ganz wesentlich Rechtseinheit, die ungeachtet unvermeidlicher Übergangsbestimmungen möglichst schnell zu verwirklichen war. Dem entspricht in bezug auf den in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und Art. 141 GG thematisierten Religionsunterricht eine einheitliche Lösung für die wiedervereinigten Stadthälften Berlins. Dies gilt um so mehr, als die landesrechtliche Norm, welche – wie dargelegt – den Westteil Berlins von der in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG vorgegebenen Verpflichtung entbunden hat, am 26. Juni 1948 von der damals noch nicht gespaltenen Stadtverordnetenversammlung für Groß-Berlin erlassen worden ist und am 1. Januar 1949, dem nach Art. 141 GG maßgeblichen Stichtag, für ganz Berlin einheitlich galt. Mit der Erstreckung der „Bremer Klausel” auf ganz Berlin wird daher in bezug auf den Religionsunterricht der am 1. Januar 1949 bestehende einheitliche Rechtszustand wiederhergestellt. Die Nichteinbeziehung des Ostteils Berlins in den Anwendungsbereich des Art. 141 GG widerspräche demgegenüber dem Gedanken der Rechtseinheit grundlegend.
Den vorstehenden Überlegungen kann nicht entgegengehalten werden, in Art. 141 GG sei mit Blick auf Art. 29 GG durchaus mitbedacht worden, daß nach der Vereinigung von Bundesländern in dem einen Teil des neuen Bundeslandes die „Bremer Klausel” gelte, in dem anderen aber nicht. Denn diese Konstellation ist mit der hier gegebenen nicht vergleichbar. Am 3. Oktober 1990 wurden die beiden Stadthälften Berlins vereinigt, in denen am 1. Januar 1949 in bezug auf den Religionsunterricht ein einheitlicher Rechtszustand herrschte. Diese Lage ist allenfalls mit der Vereinigung zweier Bundesländer nach Art. 29 GG vergleichbar, die vor der Neugliederung beide unter den Geltungsbereich des Art. 141 GG fielen. Daß in einem solchen Fall die „Bremer Klausel” in dem gesamten neu gebildeten Bundesland gelten müßte, liegt auf der Hand.
Nach allem kann offenbleiben, ob die in der zitierten Literatur zu Art. 141 GG entwickelte Identitätsthese zutrifft oder ob nicht vielmehr andere Stimmen in der Literatur vorzuziehen sind, die sich für eine gebietsbezogene Auslegung des Art. 141 GG aussprechen (vgl. Franke, in: Simon/Franke/Sachs, Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, 1994, § 6 Rn. 43; Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, 2. Aufl. 1999, Art. 141 Rn. 13; Schlink a.a.O., S. 1011; Will a.a.O., S. 138; Wißmann, RdJB 1996, 368, 370 ff.; Pieroth/Kingreen, Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 796, 1999, S. 265, 273 f.). Nach dieser Auffassung ist Art. 141 GG wie folgt zu lesen: „Art. 7 Abs. 3 Satz 1 findet keine Anwendung in einem Bundesland, in dessen Gebiet am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand”. Auch nach diesem Verständnis wirft die einheitliche Anwendung des Art. 141 GG auf ganz Berlin keine Probleme auf: Im Gebiet des am 3. Oktober 1990 wiedervereinigten Landes Berlin bestand am 1. Januar 1949 in Gestalt der §§ 13 ff. des Schulgesetzes für Groß-Berlin vom 26. Juni 1948 eine von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG abweichende landesrechtliche Regelung.
Gegen die Anwendung des Art. 141 GG in den neuen Bundesländern wird weiter angeführt, die in den ostdeutschen Ländern vor dem 1. Januar 1949 in Kraft getretenen verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Religionsunterricht seien dort Ausdruck einer systematischen Religions- und Kirchenverfolgung gewesen, die der Bundesverfassungsgeber keineswegs habe sanktionieren wollen (vgl. Heckel a.a.O., S. 212 f.; Muckel/Tillmanns a.a.O., S. 361; Kremser a.a.O., S. 930 f.). Ob dieser Argumentation in bezug auf die neuen Bundesländer zu folgen ist, kann offenbleiben. Im Hinblick auf die Anwendung des Art. 141 GG im Ostteil Berlins kommt jener Gesichtspunkt jedenfalls nicht zum Tragen. Die in §§ 13 ff. des Schulgesetzes für Groß-Berlin vom 26. Juni 1948 getroffenen Regelungen zum Religionsunterricht gelten im wesentlichen bis heute. Sie haben sich somit unter den Bedingungen eines freiheitlichen Rechtsstaates im Westen Berlins seit nunmehr 50 Jahren bewährt. Sie standen einer schulrechtlichen Praxis nicht im Wege, die sich hinsichtlich der freiheitlichen Gewährleistung von Religionsunterricht nicht grundsätzlich von dem Zustand in denjenigen Bundesländern unterscheidet, in denen Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist (vgl. Heckel a.a.O., S. 212; Link a.a.O., S. 486 f.; Kremser a.a.O., S. 932 f.; von Campenhausen a.a.O., S. 239).
cc) Aus der somit für ganz Berlin geltenden Regelung in Art. 141 GG folgt nicht nur, daß die institutionelle Garantie des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG für einen staatlich veranstalteten Religionsunterricht hier entfällt, sondern auch, daß der Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG nicht im Wege eines Gesetzesbefehls des Bundes dem gleichlautenden Begriff des § 23 Abs. 1 SchulG zugrunde zu legen ist.
Allerdings benennt Art. 141 GG als Vorschrift, die in seinem Geltungsbereich keine Anwendung findet, ausdrücklich nur Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG. Daraus kann jedoch nicht der Umkehrschluß gezogen werden, daß es in den von Art. 141 GG erfaßten Bundesländern bei der Geltung der übrigen in Art. 7 Abs. 3 GG enthaltenen Bestimmungen, insbesondere seines Satzes 2, der die Stellung der Religionsgemeinschaften regelt, verbleibt. Denn Art. 7 Abs. 3 enthält in seinen Sätzen 2 und 3 unselbständige Teilaussagen, die Sinn entfalten nur für den Fall der Geltung seines Satzes 1, wonach Religionsunterricht eine staatliche Veranstaltung ist.
(1) Aus der in Art. 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GG getroffenen Gesamtregelung, die dem Postulat einer strikten Trennung von Staat und Kirche eine Absage erteilt und ganz im Sinne einer nicht nur distanzierenden, sondern auch respektierenden, vorsorgenden Neutralität des Staates gegenüber Religionen und Weltanschauungen zu verstehen ist (vgl. dazu Urteil vom 21. April 1999 – BVerwG 6 C 18.98 – BVerwGE 109, 40, 46 f.), ergibt sich, daß der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach eine gemeinsame Angelegenheit von Staat und Religionsgemeinschaften ist (BVerfGE 74, 244, 251). Davon kann indes keine Rede sein, wenn – wie in Berlin landesrechtlich geregelt und durch Art. 141 GG bundesrechtlich gestattet – der Religionsunterricht Sache der veranstaltenden Religionsgemeinschaften ist. In einem solchen Fall, in welchem die alleinige Verantwortung für den Religionsunterricht bei den Religionsgemeinschaften liegt, macht das Übereinstimmungsgebot des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG keinen Sinn. Denn dieses setzt voraus, daß der Staat in bezug auf den Religionsunterricht Veranstalter ist („wird erteilt”), der sich mit den Religionsgemeinschaften wegen der Lehrinhalte ins Benehmen zu setzen hat, weil er in ihren verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsbereich hineinwirken will. Dieses in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG gelöste Spannungsverhältnis entsteht nicht bereits dann, wenn der Staat – wie in Berlin – die Religionsgemeinschaften bei Durchführung des Religionsunterrichts unterstützt, ohne jedoch selbst die Veranstaltereigenschaft zu übernehmen. Hier besteht kein mit dem Normprogramm des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG ganz oder teilweise zu erfassender Regelungsbedarf.
Abgesehen davon gestattet Art. 141 GG in seinem Geltungsbereich landesrechtliche Gestaltungen, deren Verwirklichung verfassungsrechtlich nicht von einer Beteiligung der Religionsgemeinschaften abhängt. Wird aufgrund dieser Sonderregelung statt des Religionsunterrichts ein anderes Fach wie z.B. Philosophie oder Ethik angeboten, so ist eine Hinzuziehung der Religionsgemeinschaften ebensowenig wie bei den anderen Schulfächern zwingend geboten, weil es dann gerade nicht um die Vermittlung von Glaubensinhalten geht. Art. 141 GG würde es jedenfalls nach seinem Wortlaut ferner zulassen, daß in seinem örtlich begrenzten Geltungsbereich der Staat den Religionsunterricht den Religionsgemeinschaften unter Verzicht auf jede Förderung überantwortet; in diesem Fall scheidet der Religionsunterricht als Anknüpfungspunkt für Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften von vornherein gänzlich aus. Diese könnten sich uneingeschränkt auf ihr in Art. 4, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 und 3 WRV verankertes Recht berufen, ihre Mitglieder religiös zu unterweisen. All dies zeigt, daß Art. 141 GG den von seinem Geltungsbereich betroffenen Ländern weite Gestaltungsräume eröffnet und im Sinne des föderalistischen Prinzips die Schulautonomie jener Länder durch Entbindung von Vorgaben für den Religionsunterricht punktuell stärkt. Der Landesgesetzgeber wird hier in seiner Gestaltungsfreiheit gerade nicht durch eine schulspezifische bundesverfassungsrechtliche Normierung eingeschränkt, sondern allein durch die allgemeinen Regelungen, also durch Art. 3, Art. 4 und Art. 6 GG sowie durch das Gebot der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates.
Der Regelung in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG kann ferner nicht eine selbständige Bedeutung in der Erwägung zugesprochen werden, die Bestimmung schütze die Religionsgemeinschaften in ihrem durch den Religionsunterricht begründeten Verhältnis zum Staat vor Konkurrenz durch Institutionen, denen nach Bundesverfassungsrecht der Charakter einer Religionsgemeinschaft nicht zukomme. Die Beschränkung der Regelung des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG auf Religionsgemeinschaften wirkt sich für diese im Verhältnis zu anderen Vereinigungen zwar faktisch als ein Privileg aus. Dies setzt jedoch nach dem klaren Wortlaut voraus, daß der Staat für die Durchführung des Religionsunterrichts als Veranstalter zuständig ist. Die Erstreckung jenes Privilegs und die damit etwa verbundene, dem Grundgesetz als eine zwingende Vorgabe aber schwerlich zu unterstellende Ausschließung anderer Vereinigungen auf bzw. für Fälle, in denen der Staat den von den Religionsgemeinschaften durchgeführten Religionsunterricht nach Art des Berliner Modells fördert, würde voraussetzen, daß Art. 141 GG für diesen Fall Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG für sinngemäß anwendbar erklärt. Daran fehlt es jedoch. Für eine Analogie ohne eine dahin gehende ausdrückliche gesetzliche Anordnung ist jedoch kein Raum. Den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum der Länder unter Hinweis auf eine planwidrige Lücke einzuengen, verbietet sich mit Rücksicht auf das föderalistische Prinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 30, Art. 70 Abs. 1, Art. 79 Abs. 3 GG) grundsätzlich.
Eine abweichende Beurteilung gebietet nicht der vom Beklagten herausgestellte Gedanke vom Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften. Dieses bereits in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV garantierte Recht wird zwar in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG bereichsspezifisch konkretisiert. Es wendet sich in seiner freiheitssichernden Funktion jedoch gegen den Staat als Träger einer religiösen Veranstaltung und beinhaltet nicht zugleich einen gegen andere Institutionen gerichteten Konkurrentenschutz für alle Lebensbereiche, in denen sich der Staat zur Förderung von Religionsgemeinschaften entschließt. Derartigen Schutzzwecken kann und darf vielmehr allein über das Gebot religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates entsprochen werden, welches diesen ganz allgemein zur positiven Wahrung von Chancengleichheit und Parität verpflichtet. Es kann daher nicht angenommen werden, daß Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG mit der Verwendung des Begriffs der Religionsgemeinschaft andere religiöse Vereinigungen, die einem engeren Verständnis des bundesverfassungsrechtlichen Begriffs der „Religionsgemeinschaft” womöglich nicht voll entsprechen, auch in solchen Bundesländern zwingend ausschließen wollte, die unter Ausübung der durch Art. 141 GG eingeräumten Gestaltungsbefugnis in nichtstaatlicher Verantwortung durchgeführten Religionsunterricht fördern. Erst recht kann es nicht Aufgabe der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgesellschaften sein, diese Gesellschaften vor der Konkurrenz religiöser Vereinigungen zu schützen, die einer Glaubensrichtung anhängen, welche angeblich überhaupt nicht durch irgendeine Religionsgesellschaft repräsentiert wird, wie dies der Beklagte geltend macht.
(2) Eine selbständige, von der Geltung des Grundsatzes nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG losgelöste Bedeutung hat Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG auch nicht mit Blick auf das dort genannte staatliche Aufsichtsrecht. Die dort verwandte Formulierung „unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts” weist darauf hin, daß hier nicht eine konstitutive Regelung getroffen, sondern etwas bereits an vorhergehender Stelle Geregeltes klargestellt wird. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG greift insoweit klarstellend den bereits in Art. 7 Abs. 1 GG normierten Grundsatz auf, daß das gesamte Schulwesen unter Aufsicht des Staates steht. Der Hinweis in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG darauf, daß das staatliche Aufsichtsrecht unberührt bleibt („unbeschadet”), erhält seine Bedeutung als gesetzestechnisch sinnvolle Bekräftigung vor dem Hintergrund des in Art. 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GG normierten Zusammenspiels von Staat und Religionsgemeinschaften. Die Übertragung der Verantwortung für die Lehrinhalte auf die Religionsgemeinschaften ist eine Besonderheit des Religionsunterrichts, die ihn gegenüber den anderen Fächern heraushebt, in welchen der Staat für die Lehrinhalte verantwortlich ist. Insofern erweist es sich als sinnvoll, den Grundsatz der Staatsaufsicht auch für den Religionsunterricht ungeachtet der dort geltenden Besonderheiten zu bestätigen. Auch diese Klarstellung ist Bestandteil der in Art. 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GG getroffenen Gesamtregelung, setzt also voraus, daß Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist. Anlaß und Gegenstand dieser Klarstellung beschränken sich also auf den Regelungsbereich des Übereinstimmungsgebots.
(3) Die Bewertung der Regelung in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG wegen ihrer Auswirkungen auf die Fälle des Art. 141 GG erscheint schließlich nicht mit Blick auf die Regelung in Art. 7 Abs. 3 Satz 3 GG in einem anderen Licht. Nach dieser Vorschrift darf kein Lehrer gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen. Auch diese Bestimmung ist Teil der in Art. 7 Abs. 3 GG getroffenen Gesamtregelung und entfaltet seine besondere Bedeutung erst im Zusammenhang mit der Grundregel des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist, also vom Staat veranstaltet wird. Art. 7 Abs. 3 Satz 3 GG schützt die Lehrer an öffentlichen Schulen; dies folgt aus der Stellung der Vorschrift im Absatz 3 des Art. 7 GG, der sich in seiner Gesamtheit mit dem Religionsunterricht an öffentlichen Schulen befaßt (Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 7 Rn. 56; Gröschner, in: Dreier, Grundgesetz, Bd. 1 1996, Art. 7 Rn. 84; Hemmrich, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Bd. I, 4. Aufl. 1992, Art. 7 Rn. 31). Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen bedeutet auch, daß dieser Unterricht grundsätzlich durch Lehrkräfte im öffentlichen Dienst zu erteilen ist. Für sich betrachtet, ließe Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG daher Raum für die Annahme, das Direktionsrecht des Dienstherrn gegenüber dem Lehrer erstrecke sich auch auf die Erteilung von Religionsunterricht und die Rechte aus Art. 3 Abs. 3, Art. 4 und Art. 33 Abs. 3 GG würden insoweit eingeschränkt. Einem derartigen Mißverständnis vorzubeugen, ist Sinn und Zweck der grundrechtlichen Gewährleistung in Art. 7 Abs. 3 Satz 3 GG (vgl. Maunz, a.a.O., Rn. 54; Schmitt-Kammler, in: Sachs, Grundgesetz, 2. Aufl. 1999, Art. 7 Rn. 48). Auch dabei handelt es sich nur um eine Klarstellung. Denn daß Lehrer an öffentlichen Schulen nicht gehalten sind, Religionsunterricht für eine insoweit allein verantwortliche Religionsgemeinschaft zu erteilen, folgt als Selbstverständlichkeit bereits aus den genannten anderen Bestimmungen des Grundgesetzes und bedarf nicht erst der Klarstellung in Art. 7 Abs. 3 Satz 3 GG. Auch diese Vorschrift entfaltet daher für die Fälle des Art. 141 GG, in denen ein Bundesland den Religionsunterricht zur Sache der Religionsgemeinschaften erklärt, mangels Klarstellungsbedarfs keine klarstellende und erst recht keine selbständige Bedeutung.
dd) Ein Gesetzesbefehl des Bundes folgt ferner nicht aus Art. 140 GG in Verbindung mit den dort zitierten Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung. Der dort verwandte Begriff der Religionsgesellschaft, der mit demjenigen der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG identisch ist, entfaltet Bedeutung nur für diejenigen Rechtsbereiche, die in Art. 136 ff. WRV jeweils angesprochen sind. Es sind dies die Vereinigungsfreiheit (Art. 137 Abs. 2 WRV), das Selbstverwaltungsrecht (Art. 137 Abs. 3 WRV), die Rechtsfähigkeit (Art. 137 Abs. 4 WRV), die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 137 Abs. 5 WRV), das Recht der Steuererhebung (Art. 137 Abs. 6 WRV), die Staatsleistungen (Art. 138 Abs. 1 WRV), das Vermögen (Art. 138 Abs. 2 WRV) und die religiösen Handlungen in öffentlichen Anstalten (Art. 141 WRV). Eine Regelung zum Religionsunterricht enthalten jene Bestimmungen nicht. Insofern gilt vielmehr die Spezialvorschrift des Art. 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GG, die jedoch wegen Art. 141 GG in Berlin keine Anwendung findet.
2. Mit seiner Auslegung und Anwendung des Landesrechts hat das Berufungsgericht nicht gegen Bundesrecht verstoßen.
a) Zu Recht hat es § 23 Abs. 1 SchulG auf ganz Berlin angewandt. Indem diese Vorschrift den Religionsunterricht zur Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften erklärt, steht sie im Widerspruch zum Grundsatz des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach der Religionsunterricht in den nicht bekenntnisfreien öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach ist. Wegen Art. 141 GG darf das Land Berlin jedoch vom Grundsatz des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG abweichen, wie oben ausgeführt wurde.
b) Das Berufungsgericht hat sich auch nicht etwa rechtsirrig an den Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG gebunden gefühlt. Einziger Anhalt für eine derartige Erwägung ist eine Passage in dem angefochtenen Urteil, in welcher es – in Auseinandersetzung mit der Argumentation des Beklagten und des Verwaltungsgerichts – wörtlich heißt: „Dem ist bereits entgegenzuhalten, daß – wie ausgeführt – der in § 23 Abs. 1 SchulG verwendete Begriff der Religionsgemeinschaft ein vorgegebener verfassungsrechtlicher Terminus ist, der nichts mit organisatorischen Anforderungen des Berliner Schulrechts für die Durchführung des Religionsunterrichts zu tun hat”. Schon die Bezugnahme („wie ausgeführt”) belegt, daß dem Berufungsgericht entgegen der mißverständlichen Formulierung keine bundesverfassungsrechtliche Vorgabe vorschwebte, sondern ein im Grundgesetz und der dazu vorliegenden Rechtsprechung und Literaturvorgefundener Terminus, dessen herkömmliches Verständnis als Interpretationshilfe für die Auslegung des gleichlautenden landesrechtlichen Begriffs herangezogen wurde. Daß jene Passage nur in diesem Sinne gemeint sein kann, bestätigt die Begründung für die Nichtzulassung der Revision am Ende des Urteils (Abdruck S. 15). Dort verneint das Berufungsgericht die grundsätzliche Bedeutung der Sache, weil es sich um die Auslegung Berliner Landesrechts handele, und bringt damit zum Ausdruck, daß es sich bei der Auslegung und Anwendung des Begriffs der Religionsgemeinschaft an keine bundesrechtliche Vorgabe gebunden fühlte.
3. Mit der Verkündung des Senatsurteils ist das Urteil des Berufungsgerichts in Rechtskraft erwachsen. Dem Charakter des Berufungsurteils als Vollstreckungstitel (§ 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entspricht es, wenn der Beklagte seiner vom Oberverwaltungsgericht auferlegten Verpflichtung zur Neubescheidung umgehend nachkommt. Mit der behördlichen Verpflichtung zur unverzüglichen Umsetzung rechtskräftiger Verurteilungen vertragen sich langwierige Prüfungen vor Neubescheidung nicht. Dies gilt im vorliegenden Fall auch mit Rücksicht auf den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes, nachdem die Bemühungen des Klägers um Erteilung von Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen Berlins nunmehr 20 Jahre zurückreichen. Die jetzt dringliche zügige Bescheidung des klägerischen Begehrens trägt zudem der in § 23 Abs. 1 SchulG normierten Förderungspflicht des Staates Rechnung. Das bedeutet aber keineswegs, daß das Land Berlin verpflichtet wäre, der Klägerin als Repräsentantin einer Minderheit unter den Muslimen in Berlin eine Monopolstellung einzuräumen. Im Gegenteil: Es versteht sich mit Blick auf die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates und dem daraus herzuleitenden Paritätsgedanken, daß demnächst etwa eingehende Anträge anderer religiöser Vereinigungen, die ebenfalls Personen islamischer Konfession repräsentieren, mit gleicher Dringlichkeit bearbeitet und an demselben Maßstab gemessen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Niehues, Albers, Eckertz-Höfer, Büge, Graulich
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 23.02.2000 durch Klebba Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
NJW 2000, 3224 |
BVerwGE, 326 |
NVwZ 2000, 417 |
NVwZ 2000, 922 |
ZAP-Ost 2000, 297 |
DÖV 2001, 832 |
NJ 2000, 184 |
NJ 2000, 439 |
ZAR 2000, 88 |
DVBl. 2000, 1001 |
NordÖR 2000, 149 |
JAR 2000, 96 |
JAR 2001, 55 |