Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Aktenzeichen Bf VI (VII) 44/95) |
Tenor
Das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. November 1997 wird aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 31. August 1994 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der am 6. Mai 1950 in Danzig geborene Kläger, der polnischer Staatsangehöriger und polnischer Volkszugehöriger ist, begehrt die Ausstellung des Vertriebenenausweises nach § 1 Abs. 3 BVFG mit der Begründung, seine Ehefrau Teresa R., die Klägerin des Verfahrens BVerwG 5 C 9.99, mit der er am 3. Dezember 1989 nach Deutschland übersiedelte, sei Vertriebene nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG.
Seine Ehefrau wurde am 2. Mai 1949 in Slavoszyno (Slawoschin, nach der Besetzung Polens: Wittenbrook) im ehemaligen Landkreis Neustadt geboren, wo sie bis zu ihrer Verheiratung am 24. Dezember 1972 wohnte. Danach lebte sie in Danzig, wo sie Lehrerin an einer Grundschule war. Der Vater der Ehefrau, Stefan Jozef B., wurde am 2. September 1919 ebenfalls in Slawoschin geboren, wo er heute noch lebt. Er war landwirtschaftlicher Arbeiter. Im Jahre 1942 wurde er zum Wehrdienst einberufen. Dessen Vater, der 1891 geborene Albert B., stammte ebenfalls aus Slawoschin. Er war Fischer und ist bereits am 2. Januar 1921 an einer im Ersten Weltkrieg als Soldat erlittenen Verwundung gestorben. Dessen Eltern waren der Fischer Michal B., wohnhaft in Karwen, und dessen Ehefrau Julianna geborene V. Die 1886 geborene Großmutter väterlicherseits der Ehefrau, Terese geborene H., war Hausfrau in Slawoschin und ist 1978 verstorben.
Nach dem Kriege kehrte der Vater der Ehefrau des Klägers in seinen Heimatort zurück. Am 9. April 1946 gab er die in Artikel 2 des polnischen Gesetzes vom 6. Mai 1945 über den Ausschluß feindlicher Elemente aus der polnischen Volksgemeinschaft vorgesehene Treueerklärung gegenüber dem polnischen Staat ab. Später erwarb er eine Hofstelle, die einer geflohenen Deutschen gehört hatte. 1947 heiratete er die Mutter der Ehefrau des Klägers, Magdalena geborene C., die am 11. Juli 1926 in Tluczewo (Lebabrück), Kreis Neustadt, geboren wurde. Sie ist 1986 verstorben. Deren Eltern waren Josef C. und dessen Ehefrau Terese geborene P. (Pe.).
Das Verwaltungsgericht hat der nach erfolglosem Verwaltungsverfahren erhobenen Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger den Vertriebenenausweis B zu erteilen: Er sei Vertriebener nach § 1 Abs. 3 BVFG, weil seine Ehefrau Vertriebene nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG sei: Ob diese Polen als deutsche Volkszugehörige verlassen habe, könne dahinstehen. Sie habe Polen jedenfalls als deutsche Staatsangehörige verlassen. Die deutsche Staatsangehörigkeit habe sie über ihren Vater erworben, weil dieser im Zeitpunkt ihrer Geburt deutscher Staatsangehöriger gewesen sei. Er habe die deutsche Staatsangehörigkeit durch Eintragung in Abteilung 3 der Deutschen Volksliste erworben. Er sei auch – wie § 1 Abs. 1 Buchst. d 1. StARegG verlange – deutscher Volkszugehöriger im Sinne des § 6 BVFG a.F. Das folge zwar nicht aus seiner Zugehörigkeit zur deutschen Wehrmacht noch aus einem Antrag auf Aufnahme in die Deutsche Volksliste. Es ergebe sich aber daraus, daß er nach seinen glaubhaften Bekundungen als Sohn von Eltern deutscher Abstammung mit deutscher Muttersprache erzogen worden sei und ihm zentrale deutsche Sitten und Gebräuche geläufig seien.
Das Berufungsgericht hat die Klage – nach nochmaliger Vernehmung des Vaters der Ehefrau – hingegen unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen: Die Ehefrau des Klägers habe Polen im Jahre 1989 weder als deutsche Staatsangehörige noch als deutsche Volkszugehörige im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG verlassen. Über ihren Vater habe die 1949 geborene Ehefrau die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erworben. Deren 1919 geborener Vater habe zwar zunächst die Reichsangehörigkeit besessen, diese aber aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags, des Minderheitenschutzvertrags in Verbindung mit dem sogenannten Wiener Abkommen wieder verloren. Er habe sie auch später nicht wieder erworben. Aufgrund seiner Wehrmachtszugehörigkeit sei zwar davon auszugehen, daß er in die Deutsche Volksliste eingetragen worden sei, nämlich in deren Abteilung 3. Eine Eintragung in Abteilung 2 der Deutschen Volksliste sei nicht nachgewiesen. Der dadurch eingetretene Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit auf Widerruf habe nach § 1 Abs. 1 Buchst. d 1. StARegG nur dann nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches fortbestanden, wenn der Betreffende deutscher Volkszugehöriger gewesen sei, was sich nach § 6 BVFG a.F. richte. Ein durch bestätigende Merkmale abgelegtes Bekenntnis des Vaters der Ehefrau des Klägers zum deutschen Volkstum lasse sich jedoch weder unmittelbar noch mittelbar feststellen. Ein ausdrückliches Bekenntnis liege nicht vor. Es lasse sich nicht aus dem Antrag auf Eintragung in die Deutsche Volksliste herleiten. Auch ein Bekenntnis durch schlüssiges Gesamtverhalten könne nicht festgestellt werden. Ein Bekenntnis lasse sich auch nicht mittelbar aus Indizien herleiten. Beim Vater der Ehefrau lägen nicht mehrere Bestätigungsmerkmale im Sinne des § 6 BVFG a.F. vor. Es sei nicht nachgewiesen, daß er ethnisch von deutschen Eltern abstamme. Es könne auch nicht von einer deutschen Erziehung des Vaters der Ehefrau ausgegangen werden. Er habe ausschließlich polnische Schulen besucht, an die sich auch keine deutsch geprägte berufliche Ausbildung angeschlossen habe. Er habe bei seiner Vernehmung auch nicht angegeben, im Elternhaus deutsche Kinderlieder gesungen oder deutsche Kinderbücher kennengelernt zu haben. Allerdings gehe der Senat mit dem Verwaltungsgericht aufgrund der Beweisaufnahme davon aus, daß der Vater der Ehefrau Deutsch als Muttersprache gesprochen habe und Deutsch die im maßgeblichen Zeitpunkt überwiegend verwendete Umgangssprache, nämlich die im häuslichen Bereich gegenüber dem Polnischen und dem Kaschubischen bevorzugte und ganz überwiegend gebrauchte Sprache gewesen sei. Insoweit könne angenommen werden, daß der Vater der Ehefrau, wie er bei seiner Vernehmung angegeben habe, als Kleinkind vorrangig mit der deutschen Sprache aufgewachsen und in seinem Elternhaus zunächst hauptsächlich Deutsch gesprochen worden sei. Daneben habe er nach eigenen Angaben jedoch schon vor der Einschulung auch Kaschubisch gelernt. Diese Sprache habe er wie die deutsche Sprache beherrscht. Polnisch habe er seinen glaubhaften Angaben zufolge erst nach seiner Einschulung gelernt. Die alleinige Feststellung des Bestätigungsmerkmals Sprache könne jedoch nicht ohne weiteres zur Feststellung eines mittelbaren Bekenntnissachverhalts führen. Ebenso wie sich die Indizwirkung hinsichtlich der ethnischen Abstammung von einem deutschen und einem nichtdeutschen Elternteil gegenseitig aufhebe, lege auch die perfekte Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift die Annahme eines subjektiven Bekenntnisses zum deutschen Volkstum dann nicht nahe, wenn der Betreffende über entsprechende Kenntnisse einer weiteren Sprache verfüge und somit zweisprachig aufgewachsen sei. Hier sei davon auszugehen, daß der Vater der Ehefrau in diesem Sinne zumindest zweisprachig aufgewachsen sei. Für den Fall der Zweisprachigkeit bedürfe es jedoch regelmäßig der Feststellung von Tatsachen, aus denen sich ergebe, daß sich der Betreffende durch schlüssiges Gesamtverhalten oder eine ausdrückliche Erklärung dem deutschen Volkstum als dem für ihn ausschließlich Maßgebenden zugewandt habe. Die Auffassung, daß die Feststellung des Bestätigungsmerkmals Sprache allein nicht für die Annahme eines mittelbaren Bekenntnisses ausreiche, stehe nicht im Widerspruch zu der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung der deutschen Sprache als Muttersprache bzw. bevorzugter Umgangssprache. Es müsse nämlich auch eine deutsche Abstammung derjenigen maßgebenden Bezugsperson gegeben sein, die Deutsch wie eine Muttersprache gesprochen habe, was hier nicht der Fall sei. – Die Ehefrau des Klägers habe Polen auch nicht als deutsche Volkszugehörige verlassen. Ihr sei über ihre Eltern nicht das Bewußtsein vermittelt worden, ausschließlich dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören. Dies scheitere schon daran, daß ihre Eltern keine deutschen Volkszugehörigen seien und folge weiterhin daraus, daß ihr die deutsche Sprache nicht einmal in einfacher Form vermittelt worden sei.
Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen und formellen Rechts. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung des Vertriebenenausweises aufgrund des festgestellten Sachverhalts zu. Er ist Vertriebener nach § 1 Abs. 3 BVFG, weil seine Ehefrau Polen im Jahre 1989 als deutsche Staatsangehörige verlassen hat und damit Vertriebene nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG ist. Sie hat die deutsche Staatsangehörigkeit durch ihre eheliche Geburt im Jahre 1949 nach § 4 Abs. 1 RuStAG in seiner damaligen Fassung erworben, weil ihr Vater zu diesem Zeitpunkt deutscher Staatsangehöriger war.
Ihr Vater hat die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund der „Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten” vom 4. März 1941 (RGBl I S. 118) in der Fassung vom 31. Januar 1942 (RGBl I S. 51) erworben. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist er nämlich in die nach dieser Verordnung eingerichtete Deutsche Volksliste eingetragen worden, und zwar in deren Abteilung 3. Danach hat er nach § 5 dieser Verordnung die deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf erworben, die nach § 28 1. StARegG der – unwiderruflichen – deutschen Staatsangehörigkeit gleichsteht. Allerdings erkennt § 1 Abs. 1 Buchst. d 1. StARegG – wie das Berufungsgericht in seinem rechtlichen Ansatz richtig gesehen hat – Einbürgerungen aufgrund der Verordnung über die Deutsche Volksliste in verfassungsrechtlich zulässiger Weise (vgl. dazu Urteil vom 15. März 1994 – BVerwG 9 C 340.93 – ≪BVerwGE 95, 228≫ sowie Urteil vom 12. Dezember 1995 – BVerwG 9 C 113.95 – ≪BVerwGE 100, 139≫) nur dann als wirksam und damit über den 8. Mai 1945 fortbestehend an, wenn der Betroffene den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht durch ausdrückliche Erklärung ausgeschlagen hat oder ausschlägt und er deutscher Volkszugehöriger ist. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Eine ausdrückliche Ausschlagungserklärung liegt nach dem festgestellten Sachverhalt nicht vor. Sie ergibt sich nicht daraus, daß der Vater der Ehefrau des Klägers die in Artikel 2 des polnischen Gesetzes vom 6. Mai 1945 über den Ausschluß feindlicher Elemente aus der polnischen Volksgemeinschaft (abgedruckt in: Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, Bd. I/3, S. 57) vorgesehene Treueerklärung gegenüber dem polnischen Staat abgegeben hat. Sie läßt schon von ihrem Inhalt her nicht – wie erforderlich – zweifelsfrei erkennen, daß der Vater damit die deutsche Staatsangehörigkeit aufgeben wollte (vgl. Urteil vom 12. Juli 1960 – BVerwG 1 C 217.58 – ≪Buchholz 132.0 § 1 1. StARegG Nr. 2≫ betreffend Beitritt zur polnischen Exilarmee), zumal eine Verweigerung der Treueerklärung gemäß Artikel 7 des genannten Gesetzes zu den in Artikel 16 des Gesetzes vorgesehenen Folgen führte, nämlich u.a. zur Zwangseinweisung in ein Internierungslager sowie zur Verpflichtung zur Zwangsarbeit.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Vater der Ehefrau des Klägers auch deutscher Volkszugehöriger. Dies richtet sich auch im Rahmen des § 1 Abs. 1 Buchst. d 1. StARegG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach § 6 BVFG a.F. (Urteil vom 15. März 1994 – BVerwG 9 C 340.93 – ≪a.a.O. S. 235≫ m.w.N.), setzt also ein objektiv bestätigtes Bekenntnis zum deutschen Volkstum voraus. Maßgebender Zeitpunkt zu dem es vorgelegen haben muß, ist auch hier der Zeitpunkt kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen (Beschluß vom 27. August 1997 – BVerwG 9 B 312.97 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 89≫ m.w.N.), der für Westpreußen mit dem Beginn der sowjetischen Winteroffensive am 12./14. Januar 1945 anzusetzen ist (Urteil vom 12. November 1996 – BVerwG 9 C 158.95 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 86, S. 100≫). Dem Berufungsgericht ist allerdings darin zu folgen, daß ein ausdrückliches Bekenntnis zum deutschen Volkstum des im maßgebenden Zeitpunkt bekenntnisfähigen Vaters der Ehefrau des Klägers nicht aus dem Antrag auf Eintragung in die Deutsche Volksliste geschlossen werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, von der das Berufungsgericht ausgegangen ist, kann bei Personen, die in Abteilung 3 der Deutschen Volksliste eingetragen waren, nicht generell davon ausgegangen werden, daß der Antrag auf Aufnahme in die Deutsche Volksliste auch von dem – einen Bestandteil des Bekenntnisses bildenden – Willen und dem Bewußtsein getragen war, ausschließlich dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören, weil der Antrag in einer Vielzahl von Fällen nicht freiwillig erfolgt ist. Deshalb muß im Einzelfall nachgewiesen werden, daß er aus freien Stücken gestellt wurde (Urteile vom 16. Februar 1993 – BVerwG 9 C 25.92 – ≪BVerwGE 92, 70≫; vom 8. November 1994 – BVerwG 9 C 472.93 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 75≫; vom 12. Dezember 1995 – BVerwG 9 C 113.95 – ≪BVerwGE 100, 139≫; vom 3. November 1998 – BVerwG 9 C 18.97 – ≪Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 55≫). Diesen Nachweis hat das Berufungsgericht zutreffend nicht als erbracht angesehen. Aus dem Umstand, daß die Mutter des Vaters der Ehefrau die Eintragung beantragt hat, läßt sich entgegen der Ansicht der Revision ersichtlich nicht herleiten, daß der Antrag freiwillig gestellt wurde. Weiterhin kann jedenfalls im Ergebnis auch die Auffassung des Berufungsgerichts nicht beanstandet werden, daß der festgestellte Sachverhalt zur Annahme eines Bekenntnisses durch schlüssiges Gesamtverhalten nicht ausreicht.
Nicht zu folgen vermag der Senat jedoch der Auffassung des Berufungsgerichts, eine deutsche Volkszugehörigkeit des Vaters der Ehefrau des Klägers lasse sich auch nicht mittelbar aus Indizien herleiten. Es ist seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 1981 (BVerfGE 59, 128 ≪158≫) gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, daß die deutsche Volkszugehörigkeit von Personen aus den Vielvölkerstaaten widerlegbar zu vermuten ist, wenn objektive Bestätigungsmerkmale im Sinne des § 6 BVFG a.F. vorliegen, die hinreichend für ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum sprechen (Urteile vom 27. September 1982 – BVerwG 8 C 62.81 – ≪BVerwGE 66, 168, 171≫; vom 15. Juli 1986 – BVerwG 9 C 9.86 – ≪BVerwGE 74, 336≫; vom 15. Juli 1986 – BVerwG 9 C 8.86 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 45≫; vom 20. Januar 1987 – BVerwG 9 C 90.86 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 49≫; vom 12. April 1988 – BVerwG 3 C 48.87 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 57≫; vom 17. Oktober 1989 – BVerwG 9 C 18.89 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 62≫).
So ist es hier. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Vater der Ehefrau des Klägers, der – wie sich aus der Bezugnahme des Berufungsgerichts auf die erstinstanzliche Entscheidung ergibt – auch heute noch Deutsch ohne Verständigungsschwierigkeiten spricht, als Kleinkind vorrangig mit der deutschen Sprache aufgewachsen ist und diese Sprache im häuslichen Bereich die bevorzugte und ganz überwiegend gebrauchte Sprache im maßgebenden Zeitpunkt gewesen ist. Daraus ergibt sich in rechtlicher Hinsicht, wie auch das Berufungsgericht insoweit richtig gesehen hat, daß Deutsch als Muttersprache des Vaters anzusehen ist (vgl. Urteil vom 3. November 1998 – BVerwG 9 C 4.97 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 90≫). Von einer deutschen Volkszugehörigkeit ist aber in der Regel auszugehen, wenn Deutsch die Muttersprache geworden ist, weil dies zugleich regelmäßig eine deutsche Erziehung und die Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis indiziert (Urteil vom 15. Mai 1990 – BVerwG 9 C 51.89 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 64≫ sowie Urteil vom 3. November 1998 – BVerwG 9 C 4.97 – ≪a.a.O.≫). Weiterer zusätzlicher Indizien bedarf es dann nicht mehr (Urteil vom 20. Januar 1987 – BVerwG 9 C 90.86 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 49≫). Dem steht hier nicht entgegen, daß der Vater der Ehefrau des Klägers neben seiner deutschen Muttersprache bereits bei seiner Einschulung auch Kaschubisch gesprochen hat. Zwar ist im Urteil vom 15. Juli 1986 – BVerwG 9 C 9.86 – (a.a.O.) ausgeführt, bei Mehrsprachigkeit bestehe eine Indizwirkung sowohl im Hinblick auf das deutsche wie auch auf das nichtdeutsche Volkstum, was sich gegenseitig aufhebe. Im unmittelbaren Anschluß hieran heißt es jedoch weiter, daß es sich anders verhalte, wenn sich in der Familie das deutsche Volkstum in der Weise durchgesetzt habe, daß Deutsch die Muttersprache des Betreffenden geworden und er im Sinne deutscher Kultur erzogen worden sei. Einer Mehrsprachigkeit kommt deshalb – wie im Urteil vom 3. November 1998 – BVerwG 9 C 4.97 – (a.a.O.) klarstellend bemerkt – von vornherein keine Bedeutung zu, wenn Deutsch die Muttersprache geworden ist, weil allein dies schon ein Übergewicht über die ebenfalls beherrschte Landessprache begründet. Rechtlich unerheblich ist weiter, daß das Berufungsgericht eine – im ethnischen Sinn zu verstehende (vgl. Urteil vom 28. Februar 1979 – BVerwG 8 C 61.78 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 37≫) – deutsche Abstammung des Vaters der Ehefrau des Klägers nicht festzustellen vermocht hat. Auch bei Personen nichtdeutscher Abstammung können hinreichend vorhandene objektive Bestätigungsmerkmale im Sinne des § 6 BVFG a.F. Beweisanzeichen für ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum sein (Urteil vom 29. Juni 1993 – BVerwG 9 C 40.92 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 71, S. 81≫ betreffend Personen jüdischer Abstammung; Beschluß vom 30. Oktober 1997 – BVerwG 9 B 582.97 – betreffend Personen kaschubischer Abstammung).
Es liegen auch keine Umstände vor, die die Indizwirkung der deutschen Muttersprache des Vaters der Ehefrau des Klägers und die damit zugleich indizierte deutsche Erziehung und Zugehörigkeit zum deutschen Kulturkreis in Frage stellen und damit die – tatsächliche – Vermutung, daß er deutscher Volkszugehöriger ist, widerlegen könnten. Die polnische Dorfschule, auf deren Besuch das Berufungsgericht abgehoben hat, mußte der Vater zwangsläufig besuchen, weil es in der näheren Umgebung keine deutschen Schulen gab. Der Besuch der polnischen Schule wäre im übrigen auch nur dann von Bedeutung, wenn er sich auf den in der Familie ablaufenden Entwicklungsprozeß ausgewirkt, etwa zu einem Verlust der deutschen Sprache geführt hätte, was hier gerade nicht der Fall ist. Soweit das Berufungsgericht darauf abgehoben hat, der Vater der Ehefrau des Klägers habe auch keine deutsch geprägte berufliche Ausbildung, etwa in einem deutschen Lehrbetrieb, erhalten, fehlt es an Feststellungen, daß solche dem Vater offenstehende Lehrbetriebe in der näheren Umgebung vorhanden waren. Vielmehr ergibt sich aus den vom Berufungsgericht nicht in Zweifel gezogenen Bekundungen des Vaters, daß dieser nur gelegentlich Arbeit als Landarbeiter finden konnte, bevor er zum Wehrdienst einberufen wurde. Der Umstand, daß sich der Vater nicht mehr an deutsche Kinderlieder und Kinderbücher erinnern konnte, reicht zur Widerlegung der Vermutung jedenfalls auch deswegen nicht aus, weil nach der vom Berufungsgericht nicht in Zweifel gezogenen Aussage des Vaters die Vorweihnachtszeit, Weihnachten und Ostern nach deutscher Sitte begangen wurden. Der Umstand, daß sich die Weihnachts- und Osterbräuche der zur Assimilation tendierenden Kaschuben davon nicht wesentlich unterschieden, ändert daran nichts. Soweit das Berufungsgericht darauf abgehoben hat, die Eintragung des Vaters lediglich in Abteilung 3 der Deutschen Volksliste spreche eher gegen dessen deutsche Volkszugehörigkeit, ist dies aus Rechtsgründen zu einer Widerlegung der Vermutung nicht geeignet, weil sich die deutsche Volkszugehörigkeit nicht nach den Kriterien des Runderlasses des Reichsministers des Inneren vom 13. März 1941, sondern nach § 6 BVFG a.F. richtet und die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Buchst. d 1. StARegG in die Deutsche Volksliste aufgenommene Personen nicht schon allein deswegen von ihrem Anwendungsbereich ausnimmt, weil sie lediglich in Abteilung 3 eingetragen worden waren. Schließlich wird die Vermutung auch nicht dadurch widerlegt, daß der Vater der Ehefrau des Klägers 1946 die erwähnte Treueerklärung gegenüber dem polnischen Staat abgegeben hat, deshalb vom polnischen Staat als polnischer Volkszugehöriger angesehen wurde und infolgedessen die von einer deutschen Volkszugehörigen verlassene Hofstelle erwerben konnte. Diese Umstände liegen nach Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen und sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtlich unerheblich (vgl. z.B. Urteil vom 8. August 1995 – BVerwG 9 C 292.94 – ≪Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 80, S. 55≫ m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Dr. Bender, Schmidt, Dr. Franke
Fundstellen