Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Aktenzeichen 7 B 98.33254) |
Tenor
Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. August 2000 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die 1972 geborene Beigeladene, eine kubanische Staatsangehörige, reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich einer Abschiebung nach Kuba vorliegen.
Das Verwaltungsgericht wies die vom Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) gegen die Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG erhobene Klage ab. Es ließ offen, ob die Beigeladene vorverfolgt ausgereist war; sie habe in Kuba jedenfalls wegen ihrer Asylantragstellung und ihrer exilpolitischen Betätigung in Deutschland politische Verfolgung zu befürchten.
Der Bundesbeauftragte beantragte die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Zur Begründung wies er darauf hin, dass die Verwaltungsgerichte in Bayern die Asylrelevanz von Asylantragstellung und regimekritischer Betätigung kubanischer Staatsangehöriger unterschiedlich beurteilten. Eine Grundsatzentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs stehe aus. In einem Falle habe der Verwaltungsgerichtshof die Berufung bereits zugelassen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung zugelassen, da das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts von einer zwischenzeitlich in einem Parallelverfahren ergangenen Grundsatzentscheidung des Berufungssenats abweiche und hierauf beruhe. In seiner Berufungsschrift hat der Bundesbeauftragte beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils der Klage stattzugeben; zur Begründung hat er sich „in vollem Umfang auf die Ausführungen in der Antragsschrift und im Zulassungsbeschluss” bezogen.
Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, der Bundesbeauftragte hätte in seiner Berufungsbegründung „in Ansehung” der Grundsatzentscheidung des Berufungsgerichts auf den konkreten Fall der Beigeladenen eingehen müssen. Die Klärung der generell-abstrakten Frage, ob allein wegen einer Asylantragstellung im Bundesgebiet politische Verfolgung drohe, beantworte noch nicht die Frage, ob im konkreten Einzelfall gleichwohl eine politische Verfolgung wegen anderer Umstände zu befürchten sei. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass das Verwaltungsgericht offen gelassen habe, ob die Beigeladene insbesondere wegen der behaupteten oppositionellen Betätigung in Kuba vorverfolgt ausgereist sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Bundesbeauftragten. Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) ist begründet.
Das Berufungsgericht hat die Berufung des Bundesbeauftragten unter Verstoß gegen § 124 a Abs. 3 VwGO verworfen. Die Berufung war entgegen der Annahme des Berufungsgerichts zulässig. Der Bundesbeauftragte hat die Berufung ordnungsgemäß begründet.
Nach § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO muss die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Der Berufungsführer muss daher nach Zulassung der Berufung in jedem Falle einen gesonderten Schriftsatz zur Berufungsbegründung einreichen und dabei eindeutig zu erkennen geben, dass er nach wie vor die Durchführung eines Berufungsverfahrens erstrebt (vgl. etwa BVerwGE 107, 117 ≪120 f.≫). Das ist hier durch den Schriftsatz des Bundesbeauftragten vom 31. Januar 2000 geschehen. Dieser Schriftsatz genügt mit seiner Bezugnahme auf das Vorbringen zur Berufungszulassung und den Zulassungsbeschluss auch dem weiteren Formerfordernis, die „Berufungsgründe” im Einzelnen anzuführen.
Nach der vom Berufungsgericht zutreffend wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts müssen die Berufungsgründe substantiiert und konkret auf den zu entscheidenden Fall bezogen sein. Sie haben in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Einzelnen auszuführen, weshalb das angefochtene Urteil nach der Auffassung des Berufungsführers unrichtig ist und geändert werden muss. Erfolgt die Berufungsbegründung durch die Bezugnahme auf den Zulassungsantrag, was grundsätzlich zulässig ist, muss dieser den genannten Anforderungen genügen (vgl. BVerwGE 107, 117 ≪121 f.≫). Welche Mindestanforderungen in Anwendung dieser Grundsätze jeweils an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab. In asylrechtlichen Streitigkeiten genügt eine Berufungsbegründung regelmäßig etwa dann den Anforderungen des § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO, wenn sie eine entscheidungserhebliche Frage zu den tatsächlichen Verhältnissen im Heimatstaat des Asylbewerbers konkret bezeichnet und ihre hierzu von der Vorinstanz abweichende Beurteilung deutlich macht (Beschluss vom 23. September 1999 – BVerwG 9 B 372.99 – Buchholz 310 § 124 a VwGO Nr. 12; Beschluss vom 11. November 1999 – BVerwG 9 B 546.99 – Buchholz a.a.O. Nr. 14, jeweils m.w.N.).
Lässt das Oberverwaltungsgericht eine Berufung wegen nachträglicher Divergenz zu, ist der Berufungsführer in aller Regel davon entbunden, in der Berufungsbegründungsschrift über eine Bezugnahme auf den Zulassungsbeschluss hinaus weitere inhaltliche Ausführungen zur Begründung seiner Berufung zu machen. Denn in einem solchen Fall hat das Berufungsgericht – ebenso wie bei einer anfänglichen Divergenz – die Vereinbarkeit des erstinstanzlichen Urteils mit seiner eigenen Rechtsprechung oder der Rechtsprechung eines anderen Gerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) bereits konkret geprüft und ist im Zulassungsbeschluss zu der Einschätzung gelangt, dass das angefochtene Urteil aus den mit dem Zulassungsbegehren geltend gemachten Gründen voraussichtlich keinen Bestand haben wird, weil es auf einer entscheidungserheblichen Abweichung beruht. Bezieht sich der Berufungsführer auf diesen Beschluss, macht er sich die Einschätzung des Berufungsgerichts und die dafür maßgebenden Erwägungen zu Eigen, ohne sie im Einzelnen wiederholen zu müssen. Damit hat er eindeutig klargestellt, dass er die Berufung durchführen will und weshalb er sie für begründet hält. Dies genügt dem Zweck der Berufungsbegründungspflicht, durch klare prozessuale Kriterien zu einer Verkürzung und Beschleunigung der Berufungsverfahren beizutragen (vgl. dazu BVerwGE 107, 117 ≪121 f.≫; zu erleichterten Begründungsanforderungen nach gerichtlicher Vorabprüfung vgl. etwa Urteil vom 2. Dezember 1988 – BVerwG 4 C 14.88 – Buchholz 407.4 § 8 FStrG Nr. 21; Beschlüsse vom 15. Oktober 1999 – BVerwG 9 B 491.99 – Buchholz 310 § 124 a VwGO Nr. 13 und ebenso – BVerwG 9 B 499.99 – NVwZ 2000, 315). Etwas anderes mag ausnahmsweise dann gelten, wenn eine nach Zulassung der Berufung wegen Tatsachendivergenz eintretende grundlegende Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatland eines Asylbewerbers ergänzende Ausführungen gebietet. Eine derartige Ausnahme kommt im vorliegenden Fall jedoch nicht in Betracht.
Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht die Anforderungen an eine Berufungsbegründung gemäß § 124 a Abs. 3 Satz 4 VwGO überspannt. Es hat sich zu eng an die Rechtsprechung zur Berufungsbegründung im Zivilprozess und zur Revisionsbegründung im Verwaltungsprozess angelehnt und dabei die Unterschiede zwischen den Verfahren zu wenig berücksichtigt (vgl. dazu bereits BVerwGE 107, 117 ≪121≫ sowie Beschluss vom 11. November 1999 – BVerwG 9 B 546.99 – a.a.O.).
Insbesondere war es – auch wenn man von den geringen Begründungsanforderungen im Falle der Zulassung wegen nachträglicher Divergenz absieht – nicht gerechtfertigt, dem Bundesbeauftragten vorzuhalten, ein Berufungsführer müsse in seiner Berufungsbegründung im Hinblick auf eine zwischenzeitlich ergangene ober- oder höchstrichterliche Entscheidung auch zu Sachverhaltsfragen Stellung nehmen, die für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich waren und von ihm nicht geklärt worden sind. Der für das Asylrecht früher zuständige 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat mehrfach erkannt, es sei nicht Sache des Berufungsführers, in der Berufungsbegründung Sachverhaltsfragen aufzuarbeiten, die bisher weder vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge noch vom Verwaltungsgericht aufbereitet worden seien; vielmehr sei es auch im Berufungsverfahren nach dem den Verwaltungsprozess beherrschenden Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) in erster Linie Aufgabe des Gerichts, auf der Grundlage des Verfolgungsvorbringens des Asylbewerbers die maßgeblichen Verhältnisse im Heimatland des Asylbewerbers und die sonst maßgeblichen Umstände aufzuklären, soweit es für die gerichtliche Entscheidung hierauf ankomme (vgl. etwa Beschluss vom 23. September 1999 – BVerwG 9 B 372.99 – a.a.O.).
Das Berufungsgericht hat die Berufung des Bundesbeauftragten demnach zu Unrecht als unzulässig verworfen. Das Berufungsgericht hätte über das Berufungsbegehren in der Sache entscheiden müssen. Da der Senat mangels tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts die anstehende Entscheidung nicht selbst treffen kann, ist der Rechtsstreit gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Paetow, Dr. Mallmann, Hund, Richter, Dr. Eichberger
Fundstellen