Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorausabtretung. Abtretung zukünftig entstehender Forderungen bzw. gesetzlicher Ansprüche. Erben. Zession. Zedent. Zessionar
Leitsatz (amtlich)
Eine Vorausabtretung von Ausgleichsansprüchen nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG ist zulässig, wenn sie eine natürliche Person begünstigt, die im Zeitpunkt der Abtretung nach zivilrechtlichen Regelungen zum Kreis der gesetzlichen Erben gehört.
Normenkette
AusglLeistG § 1 Abs. 1; BGB § 398 ff.
Verfahrensgang
VG Dresden (Urteil vom 15.11.2006; Aktenzeichen 5 K 76/06) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 15. November 2006 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt als Nacherbin ihres Vaters Leistungen nach dem Ausgleichsleistungsgesetz für die Enteignung eines Rittergutes, das ihrem Vater gehörte.
Das auf dem Gebiet der früheren DDR gelegene Rittergut K… war 1947 im Zuge der Bodenreform auf besatzungsrechtlicher Grundlage enteignet worden. Der Vater der Klägerin (H…-A… E…), der bis zu seinem Tode im Jahre 1967 in der DDR lebte, reiste 1965 in die Bundesrepublik Deutschland. Dort trat er mit notarieller Erklärung sämtliche Ansprüche, die sich aus der Enteignung des Rittergutes in Zukunft für ihn oder seine Erben ergeben sollten, an seinen in der Bundesrepublik lebenden Sohn (J… E…) ab. Diese Abtretung sollte insbesondere auch Ansprüche erfassen, die durch entsprechende gesetzliche Bestimmungen in Zukunft noch entstehen würden. Die erste Ausfertigung der Urkunde wurde für J… E… erstellt und ihm übersandt.
Unter Hinweis auf die notarielle Abtretungsurkunde meldete J… E… im Jahre 1990 vermögensrechtliche Ansprüche an und präzisierte dies Ende 1994 dahin, dass er Leistungen nach dem Ausgleichsleistungsgesetz begehre. Die Beigeladene ist die Witwe und Erbin des J… E…, der 1996 verstarb.
Die Mutter der Klägerin, welche als Vorerbin ihres verstorbenen Ehemannes (H…-A… E…) in dessen Rechtsstellung eingetreten war, machte seit 1990 ebenfalls Entschädigungsansprüche wegen der Enteignung des Rittergutes geltend. Diese Ansprüche verfolgt die Klägerin als Nacherbin seit dem Tod ihrer Mutter im Jahre 1998 weiter.
Mit Bescheid vom 9. Dezember 2005 lehnte der Beklagte eine Ausgleichsleistung für die Klägerin ab und stellte fest, dass die Beigeladene alleinige Berechtigte nach dem Ausgleichsleistungsgesetz sei. Die hiergegen von der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil vom 15. November 2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Entschädigungsanspruch habe bereits vor dem Inkrafttreten des Ausgleichsleistungsgesetzes als zukünftige Forderung abgetreten werden können. Die Vorausabtretung an den Sohn des Geschädigten (J… E…) sei auch in wirksamer Weise erfolgt. Die Klägerin sei, obwohl Erbin ihres Vaters, nicht dessen Rechtsnachfolgerin hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs geworden. Dieser Anspruch habe nicht zur Erbmasse gehört.
Mit der auf Feststellung der eigenen Berechtigung sowie auf Gewährung einer Ausgleichsleistung zielenden Revision macht die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres tatsachengerichtlichen Vorbringens geltend, das Verwaltungsgericht habe die Bestimmung des § 1 Abs. 1 AusglLeistG fehlerhaft ausgelegt und zu Unrecht angenommen, dass auch eine Abtretung künftiger Ausgleichsleistungsansprüche möglich sei. Nach den üblichen Auslegungsmethoden ergebe sich, dass Anspruchsberechtigte nur die Geschädigten selbst bzw. deren Erben und Erbeserben sein könnten. Sonstige Rechtsnachfolger, insbesondere die durch eine Abtretung Begünstigten, seien hiervon ausgeschlossen.
Der Beklagte, die Beigeladene und der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht verteidigen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts zumindest im Ergebnis und überwiegend in der Begründung.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet (§ 144 Abs. 2 VwGO). Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, der Anspruch auf die Ausgleichsleistungen wegen der im Jahre 1947 besatzungshoheitlich erfolgten Enteignung des Rittergutes nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG stehe der Beigeladenen zu, weil er bereits im Jahre 1965 wirksam abgetreten worden sei und deshalb nicht zum Nachlass gehört habe, verletzt Bundesrecht nicht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Die Abtretbarkeit eines erst zukünftig entstehenden Anspruchs nach dem Ausgleichsleistungsgesetz unterliegt zwar gesetzlichen Beschränkungen; diese greifen hier jedoch nicht ein (1). Der Geschädigte (H…-A… E…) hat den Anspruch entsprechend zivilrechtlicher Regelungen wirksam abgetreten, so dass der Anspruch – nachdem er mit der Schaffung der gesetzlichen Grundlage zum 1. Dezember 1994 entstanden ist – zunächst auf den Zessionar (J… E…) und später im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf dessen Erbin, die Beigeladene, übergegangen ist (2).
1. Ausgleichsansprüche nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG, die in der Person des Geschädigten oder seiner Erben oder Erbeserben bereits entstanden sind, sind entsprechend den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen (§§ 398 ff. BGB) abtretbar: Aus dem Ausgleichsleistungsgesetz ergeben sich hierfür keine Abtretungsbeschränkungen oder -verbote. In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht früher – im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 31. Januar 1969 – V ZR 52/66 – WM 1969, 527 m.w.N.) – auch die Abtretbarkeit gesetzlicher Ansprüche auf Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsrecht bejaht (Urteil vom 3. Februar 1972 – BVerwG 3 C 92.70 – BVerwGE 39, 273). Entsprechendes hat es im Grundsatz für das vereinigungsbedingte Vermögens-, Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsrecht angenommen (vgl. allgemein zur Abtretung von Rückübertragungsansprüchen die Urteile vom 23. Januar 1997 – BVerwG 7 C 19.96 – Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 15, vom 2. März 2000 – BVerwG 7 C 1.99 – Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 16 und vom 25. Juni 2003 – BVerwG 8 C 12.02 – Buchholz 428.1 § 15 InVorG Nr. 2). Ebenso ist entschieden, dass (künftige) Ansprüche auf Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz auch bereits vor Inkrafttreten dieses Gesetzes abgetreten werden durften (Urteil vom 25. März 1965 – BVerwG 3 C 81.62 – BVerwGE 21, 23 ≪25 f.≫ m.w.N.).
Letzteres gilt jedoch grundsätzlich nicht für die Abtretung von Ansprüchen nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG, soweit diese im Zeitpunkt der Abtretung noch nicht entstanden waren (vgl. bereits Urteil vom 15. März 2007 – BVerwG 3 C 37.06 – BVerwGE 128, 194 ≪197 Rn. 17≫). Die Vorausabtretung von Ansprüchen nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG, die erst mit dem Inkrafttreten des Ausgleichsleistungsgesetzes (Gesetz vom 27. September 1994, BGBl I S. 2624; hierzu insbesondere BTDrucks 12/4887 und 12/7588) am 1. Dezember 1994 entstehen konnten, ist von Gesetzes wegen beschränkt. Der Rechtsgrundsatz, dass Ansprüche nur abgetreten werden können, soweit nicht im Einzelfall ihre Unabtretbarkeit oder eine Beschränkung ihrer Abtretbarkeit gesetzlich festgelegt ist (vgl. §§ 399, 400 BGB), gilt auch für den Fall, dass (künftige) Ansprüche auf Ausgleichsleistungen vor Inkrafttreten des Ausgleichsleistungsgesetzes abgetreten worden sind (vgl. Urteil vom 25. März 1965 a.a.O., zu Ansprüchen nach dem Lastenausgleichsgesetz). Eine solche gesetzliche Beschränkung der Abtretbarkeit erst künftig entstehender Ansprüche ergibt sich im Wege der Auslegung aus der Regelung des § 1 Abs. 1 AusglLeistG. Danach ist die Vorausabtretung dieser Ansprüche grundsätzlich nicht zulässig, sondern nur zugunsten von Erben und Erbeserben statthaft (a); es genügt jedoch auch – und so liegt es hier –, wenn durch die Vorausabtretung eine natürliche Person begünstigt wird, die zwar nicht Erbe geworden ist, aber im Zeitpunkt der Abtretung nach zivilrechtlichen Regelungen zum Kreis der gesetzlichen Erben gehörte (b).
a) Für die beschränkte Abtretbarkeit noch nicht entstandener Ansprüche und damit gegen die Berechtigung beliebiger Einzelrechtsnachfolger spricht – wie die Revision zutreffend geltend macht – bereits der Wortlaut des § 1 Abs. 1 AusglLeistG. Das Gesetz beschränkt den Kreis der Anspruchsberechtigten auf natürliche Personen und erstreckt ihn gerade nicht auf alle Rechtsnachfolger des Geschädigten. Neben dem Geschädigten (d.h. der natürlichen Person, die den Vermögenswert verloren hat) sind als Anspruchsberechtigte, in deren Person der Anspruch nur entstehen kann, allein dessen “Erben oder weitere Erben” genannt, also jene Personen, die aufgrund eines rechtlichen Näheverhältnisses zum Geschädigten aufgrund gewillkürter oder gesetzlicher Erbfolge dessen Gesamtrechtsnachfolger sind. Dies schließt die Berechtigung von Einzelrechtsnachfolgern grundsätzlich aus (vgl. Heller, in: Gallenkamp u.a., Die Entschädigung nach dem EALG, Stand: 1998, § 1 AusglLeistG Rn. 13; a.A. Leicht, Abtretbarkeit von Ausgleichsleistungsansprüchen, OV Spezial 1995, 170; Meixner, Vermögen in der ehemaligen DDR, § 1 AusglLeistG Rn. 8 f.; Neuhaus, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen, § 1 AusglLeistG Rn. 19). Denn hätte der Gesetzgeber in beliebiger Weise auch Einzelrechtsnachfolger in den Kreis der Anspruchsberechtigten einbeziehen wollen, so hätte es nahe gelegen – wie etwa in § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG –, neben dem Geschädigten dessen Rechtsnachfolger (insgesamt) als Anspruchsberechtigte zu bestimmen.
Deutliche Anhaltspunkte dafür, dass die ausdrückliche Beschränkung auf Erben und Erbeserben in diesem Sinne gewollt war und andere Rechtsnachfolger (insbesondere juristische Personen) ausgeschlossen werden sollten, ergeben sich auch aus der Entstehungsgeschichte des § 1 Abs. 1 AusglLeistG. So heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BTDrucks 12/4887 S. 37) nach den Eingangssätzen, dass der Gesetzgeber von dem Vorbehalt in Ziffer 1 der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen beider deutscher Staaten vom 15. Juni 1990 Gebrauch mache und mit der Vorschrift einen Rechtsanspruch auf Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage begründen wolle, weiter: “Dies geschieht zugunsten natürlicher Personen und deren Erben, nicht sonstiger Rechtsnachfolger.”
Dass der Ausgleichsanspruch nur dem Geschädigten und seinen Erben bzw. Erbeserben, nicht aber beliebigen sonstigen Rechtsnachfolgern zugute kommen soll, ergibt sich vornehmlich auch aus Sinn und Zweck der Regelung. Die Gewährung von Ausgleichsleistungen hat ihren Ursprung nicht im Grundrecht des Eigentums oder sonstigen Grundrechten, sondern im Sozialstaatsprinzip. Es geht um sozialstaatlich motivierte Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen, nicht um Schadenersatz. Der Gesetzgeber durfte sich bei der Verwendung der für die Entschädigung verfügbaren begrenzten Mittel auf eine wirksame Hilfe für die betroffenen Menschen beschränken und Dritte (insbesondere Kapitalgesellschaften oder andere juristische Personen) von Entschädigungsleistungen ausschließen (Urteil vom 14. Februar 2008 – BVerwG 5 C 16.07 – BVerwGE 130, 214 ≪218 Rn. 16≫). Diese Zielrichtung des Gesetzes, den Anspruch nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG nur dem genannten Personenkreis als Ausgleich für erlittenes Unrecht zu gewähren, gebietet es, ihn nicht beliebigen Dritten, sondern grundsätzlich nur den betroffenen natürlichen Personen und deren Erben bzw. Erbeserben zukommen und nur in deren Person als Vollrecht entstehen zu lassen. Ließe man dagegen eine Vorausabtretung an Dritte in unbeschränktem Maße zu, würde diese Zwecksetzung unterlaufen.
b) Zu dem von § 1 Abs. 1 AusglLeistG begünstigten Personenkreis gehört allerdings – entgegen der Auffassung der Revision – auch der Abtretungsempfänger (J… E…). Er ist zwar von dem Geschädigten (H…-A… E…) testamentarisch nicht als Erbe eingesetzt geworden, zählte aber – als Sohn des Geschädigten – zum Kreis der (potentiellen) gesetzlichen Erben. Dies genügt, um eine Vorausabtretung von Ansprüchen nach § 1 Abs. 1 AusglLeistG zuzulassen. Soweit das Verwaltungsgericht in Verkennung dieser Vorschrift von einer uneingeschränkten Abtretbarkeit künftiger Ausgleichsansprüche ausgegangen ist, wirkt sich dies auf die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung im Ergebnis nicht aus (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO).
Weder durch den Wortlaut noch durch die beschriebene Zwecksetzung der Vorschrift ist es nämlich gefordert, die Vorausabtretung künftiger Ausgleichsansprüche auch dann auszuschließen, wenn der Abtretungsempfänger eine natürliche Person ist, die im Zeitpunkt der Abtretung nach zivilrechtlichen Regelungen (vgl. §§ 1924 – 1929 BGB) zum Kreis der (potentiellen) gesetzlichen Erben gehörte. Dabei genügt es, im Wege einer abstrakten Betrachtung auf die Gruppe der gesetzlichen Erben im weiteren Sinne abzustellen, ohne dass es darauf ankommt, ob der Abtretende hiervon abweichende testamentarische Verfügungen getroffen hat oder – wenn dies nicht der Fall ist – der Abtretungsempfänger innerhalb der gesetzlichen Erbfolge bei konkreter Betrachtung durch einen oder mehrere Erben einer vorhergehenden Ordnung ausgeschlossen würde.
Die Erstreckung auf die gesetzlichen Erben im zuvor dargelegten Sinne steht nicht nur mit dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 AusglLeistG (Erben und Erbeserben) im Einklang, sondern wahrt auch den Zweck der Vorschrift, den sozialstaatlich motivierten Ausgleichsanspruch für erlittenes Unrecht nicht beliebigen Dritten zukommen zu lassen. Zum einen weist die Gruppe, die zum Kreis der gesetzlichen Erben des Geschädigten gehört, nach der rechtlichen Wertung, welche hinter den zivilrechtlichen Regelungen über die gesetzliche Erbfolge steht, noch einen hinreichenden personalen Bezug zu dem Geschädigten auf. Zum anderen bedeutete die Erstreckung der Abtretungsbeschränkung auch auf diese Gruppe eine von der Zwecksetzung des § 1 Abs. 1 AusglLeistG nicht mehr geforderte Einschränkung der privatautonomen Verfügungsmacht des Geschädigten – als desjenigen, welchem der Ausgleichsanspruch in erster Linie zustehen soll. Da der Geschädigte den künftigen Ausgleichsanspruch auch dadurch bestimmten Personen zukommen lassen kann, dass er diese (testamentarisch) zu Erben bestimmt, muss es ihm auch frei stehen, anstelle einer solchen Verfügung einen künftigen Anspruch unmittelbar an einen seiner (potentiellen) gesetzlichen Erben abzutreten, also einen jener Angehörigen zu berücksichtigen, der ohne eine letztwillige Verfügung zum Zeitpunkt der Abtretung von Gesetzes wegen als sein Gesamtrechtsnachfolger in Betracht gekommen wäre.
Das zeigt sich gerade auch in Fällen, in denen – wie hier – die Vorausabtretung der Sache nach einer vorweggenommenen Erbfolge dienen und ein (naher) Verwandter anstelle einer Verfügung von Todes wegen auf diese Weise bedacht werden sollte. Nach den gesamten, vom Verwaltungsgericht festgestellten Umständen wollte der Geschädigte (H…-A… E…), der dazu in die Bundesrepublik gereist war, seinem dort lebenden Sohn etwas zuwenden, da er ihn angesichts der innerdeutschen Teilung im Wege der Erbfolge an seinem Nachlass sonst praktisch nicht hätte beteiligen können. Der Sohn sollte durch die Abtretung künftiger Ausgleichsansprüche im Jahre 1965 offenbar neben den in der DDR lebenden Familienmitgliedern (Ehefrau und Tochter) etwas erhalten, was ihm in der Bundesrepublik gegebenenfalls von Nutzen sein könnte. Nur dort hat sich zumindest die “Chance” einer Entschädigung für die Enteignung des Rittergutes K… durch die DDR geboten.
2. Der Geschädigte hat den künftigen Ausgleichsanspruch im Jahre 1965 entsprechend zivilrechtlichen Grundsätzen wirksam an seinen Sohn (J… E…) abgetreten (a); dieser Anspruch ist mit der Schaffung der gesetzlichen Anspruchsgrundlage im Ausgleichsleistungsgesetz mit Wirkung zum 1. Dezember 1994 entstanden und zunächst auf den Sohn sowie später im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Beigeladene als dessen Erbin übergegangen (b). Dies hat das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der von ihm unbeanstandet getroffenen Tatsachenfeststellungen, des unstreitigen Beteiligtenvorbringens sowie des Akteninhalts – auch unter Berücksichtigung der Rechtslage in der DDR, in der damals noch das Bürgerliche Gesetzbuch galt – zutreffend erkannt, ohne dass dies von der Revision rechtlich durchgreifend in Zweifel gezogen worden wäre.
a) Die zivilrechtlichen Anforderungen an eine wirksame Vorausabtretung waren erfüllt. Das gilt sowohl im Hinblick auf das Zustandekommen eines wirksamen Abtretungsvertrages (aa) als auch für die an die Abtretung künftiger Ansprüche allgemein geknüpften besonderen Voraussetzungen (bb), dass zum einen die Entstehung der Forderung zum Zeitpunkt der Abtretung als möglich erscheinen und zum anderen die abgetretene Forderung bestimmt oder zumindest bestimmbar bezeichnet sein muss (vgl. hierzu etwa Grüneberg, in: Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, § 398 Rn. 11; Rohe, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2007, § 398 Rn. 32 f.; Weber, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1976, § 398 Rn. 66 ff.).
aa) Zwischen dem Zedenten (H…-A… E…) und seinem Sohn (J… E…) ist ein Abtretungsvertrag geschlossen worden, weil der Sohn das entsprechende notariell beurkundete Angebot auf Abschluss eines solchen Vertrages auch ohne ausdrückliche Erklärung gegenüber dem Zedenten angenommen hat (vgl. § 151 Satz 1 BGB) (UA S. 10 f.). Ebenso hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass für die Abtretung des (künftigen) Ausgleichsanspruchs weder ein gesetzliches noch ein vereinbartes Formerfordernis bestanden hat. Ein Abtretungsvertrag ist im Allgemeinen formlos gültig und bedarf insbesondere auch nicht der Form, die für die Begründung der abzutretenden Forderung erforderlich war – wie etwa bei einem Auflassungsanspruch nach § 313 BGB a.F. –.
bb) Im Zeitpunkt der Abtretungserklärung im Jahre 1965 bestand die objektive Möglichkeit, dass künftig noch Rechtsansprüche auf Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage begründet werden könnten. Die Schaffung solcher Ansprüche war nicht von vornherein ausgeschlossen, weil die Bundesrepublik entschädigungslose Enteignungen – auch wenn sie auf besatzungsrechtlicher Grundlage ergingen – vor der Wiedervereinigung nie anerkannt hat. So weist bereits die Präambel des Lastenausgleichsgesetzes (BGBl I 1952 S. 446) darauf hin, dass durch Leistungen nach diesem Gesetz spätere Ersatzleistungen nicht ausgeschlossen werden sollten. Auch dem Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Dezember 1972 wurde ein Protokollvermerk beigefügt, nach dem wegen der unterschiedlichen Rechtspositionen zu Vermögensfragen diese durch den Vertrag nicht geregelt werden sollten (vgl. BGBl II 1973 S. 426). Ähnliches gilt für die Gemeinsame Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990, Anlage III zum Einigungsvertrag.
Die Beteiligten haben die spätere Entstehung von Ausgleichsansprüchen durch die Schaffung einer entsprechenden Rechtsgrundlage auch subjektiv für möglich gehalten. Dass der den künftigen Anspruch abtretende Geschädigte die spätere Begründung eines Anspruchs nicht für völlig unwahrscheinlich hielt, sondern diese sogar als möglich ansah, wird bereits dadurch belegt, dass er zu diesem Zweck einen in der Bundesrepublik ansässigen Notar aufgesucht hat. Auch der Abtretungsempfänger (J… E…), der die für ihn bestimmte Ausfertigung der notariellen Urkunde aufbewahrte und später unter Hinweis darauf Ansprüche anmeldete, ging offenbar von deren Nutzen aus und nicht von der völligen Unwahrscheinlichkeit eines späteren Ausgleichs des seinem Vater zugefügten Unrechts.
Die abgetretene Forderung ist auch zumindest in bestimmbarer Weise bezeichnet worden. Dafür genügt es, wenn die künftige Forderung bereits bei der Abtretung so genau umschrieben wird, dass sie spätestens bei ihrer Entstehung nach Gegenstand, Umfang und Person des Schuldners bestimmbar bzw. als Einzelforderung individualisierbar ist (vgl. Rohe, in: Bamberger/Roth, a.a.O., § 398 Rn. 33). Das war hier der Fall. Zum Zeitpunkt der Entstehung des Ausgleichsanspruchs am 1. Dezember 1994 konnten weder an der Person des Schuldners noch nach Gegenstand und Umfang des Anspruchs Zweifel bestehen. Nach der Formulierung in der notariellen Abtretungserklärung vom 13. April 1965 wollte der Geschädigte sämtliche zukünftigen Entschädigungsansprüche, die sich aus der Enteignung des Rittergutes K… in Zukunft für ihn oder seine Erben ergeben sollten, gleich aus welchem Rechtsgrund abtreten. Diese umfassende Formulierung des Abtretungsgegenstandes schließt auch eine Auslegung der Erklärung dahin aus, dass dem Abtretungsempfänger lediglich die Geltendmachung von Lastenausgleichsansprüchen ermöglicht werden sollte.
b) Mit der Entstehung des Ausgleichsanspruchs durch Schaffung der Rechtsgrundlage im Ausgleichsleistungsgesetz mit Wirkung vom 1. Dezember 1994 ist der Anspruch wirksam auf den Abtretungsempfänger (J… E…) und später im Wege der Erbfolge (Gesamtrechtsnachfolge) auf die Beigeladene übergegangen.
Dabei kann dahinstehen, ob der Anspruch bereits unmittelbar in der Person des Zessionars (J… E…) entstanden ist, weil dieser – wie oben dargelegt – als zum Kreis der gesetzlichen Erben gehörend einem Erben i.S.d. § 1 Abs. 1 AusglLeistG, in dessen Person der Anspruch entstehen kann, gleichzustellen ist, oder ob der Anspruch zunächst in der Person der damaligen (testamentarischen) Erbin und Gesamtrechtsnachfolgerin des Geschädigten zur Entstehung gelangte. Denn auch im letzteren Fall wäre der Anspruch auf den Zessionar übergegangen.
Die Vorausabtretung geht zwar grundsätzlich dann ins Leere, wenn der Zedent über eine Forderung verfügt hat, die im Zeitpunkt der Verfügung noch nicht entstanden war und die später in seiner Person nicht mehr entstehen konnte (BGH, Urteil vom 14. Juli 1997 – II ZR 122/96 – NJW 1997, 3370 f.). Das gilt jedoch nicht, wenn die Berechtigung auf den Erben des Zedenten übergegangen ist und die Forderung – wie hier der (im Voraus abgetretene) Ausgleichsanspruch – noch in dessen Person entstehen kann (vgl. BGH, a.a.O.). So läge es hier. Zu dem Zeitpunkt, als die für die Entstehung des Anspruchs notwendige gesetzliche Grundlage geschaffen wurde (1. Dezember 1994), war die Ehefrau des Geschädigten, die Mutter der Klägerin, seine (Vor-)Erbin. Als solche war sie im Hinblick auf die wirksame Abtretung in gleicher Weise gebunden, wie es der Erblasser war; denn als Gesamtrechtsnachfolgerin ist sie in alle vermögensrechtlichen Beziehungen einschließlich der noch schwebenden oder in der Entstehung begriffenen Rechtsbeziehungen des Erblassers eingetreten (vgl. BGH, a.a.O.). Wäre der Anspruch daher zunächst in ihrer Person als Erbin entstanden, so wäre er gemäß dem wirksamen und sie bindenden Abtretungsvertrag sogleich auf den Abtretungsempfänger (J… E…) übergegangen. Unabhängig davon, ob ein Direkt- oder ein Durchgangserwerb stattfand, ist J… E… mithin Inhaber des Anspruchs geworden, der mit seinem Tod auf die Beigeladene als seine Erbin übergegangen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Weil die Beigeladene Anträge gestellt hat und damit das Risiko des Unterliegens eingegangen ist (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es nach § 162 Abs. 3 VwGO der Billigkeit, dass die Klägerin als unterliegende Beteiligte auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt.
Unterschriften
Hund, Dr. Brunn, Prof. Dr. Berlit, Stengelhofen, Dr. Störmer
Fundstellen
BVerwGE 2009, 200 |
DÖV 2009, 339 |
DVBl. 2009, 320 |