Entscheidungsstichwort (Thema)
Umdiplomierung. Nachdiplomierung. Diplom. Grad. akademischer Grad. DDR. Beitritt. Beitrittsgebiet. Prüfung. Befähigungsnachweis. Gleichwertigkeit. Niveaugleichheit. Berechtigung. Gleiche Berechtigung
Leitsatz (amtlich)
Aus Art. 37 Abs. 1 Satz 2 des Einigungsvertrages ergibt sich kein Anspruch auf Umwandlung eines in der DDR verliehenen Diplomgrades in einen vergleichbaren Diplomgrad, der in den alten Bundesländern verliehen wird „Umdiplomierung”).
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 37 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 05.10.2004; Aktenzeichen 4 B 148/04) |
VG Dresden (Urteil vom 16.01.2002; Aktenzeichen VG 5 K 2749/99) |
Tenor
Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. Oktober 2004 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 16. Januar 2002 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik geschlossene Einigungsvertrag einen Anspruch auf „Umdiplomierung” eines in der DDR erworbenen Diplomgrades gewährt.
Die Klägerin absolvierte an der Handelshochschule Leipzig ein Studium in der Grundstudienrichtung Wirtschaftswissenschaften, Fachrichtung Ökonomie des Binnenhandels. Ihr wurde am 26. August 1987 ein Zeugnis über den Hochschulabschluss ausgestellt, verbunden mit der Berechtigung, die Berufsbezeichnung „Hochschulökonom” zu führen. In dem Zeugnis ist eine Abschlussarbeit zum Thema „Untersuchungen zur wirksamen Anwendung der Bestandsrichtwerte in der Planung des betrieblichen Warenumschlags im Einzelhandel” ausgewiesen. Mit Urkunde vom 29. August 1988 verlieh die Handelshochschule Leipzig der Klägerin den akademischen Grad Diplom-Ökonom.
Am 18. Oktober 1992 stellte die Klägerin einen ersten Antrag auf „Nachdiplomierung/Bewertung” ihres Bildungsabschlusses und bat um eine „Äquivalenzbeurkundung”. Der Beklagte beschied sie am 18. August 1994 dahin, ihr Abschluss sei niveaugleich mit einem Abschluss an einer Universität oder gleichgestellten Hochschule der alten Bundesrepublik; die Ausbildung sei jedoch unmittelbar auf das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der DDR ausgerichtet gewesen, so dass hinsichtlich der Studieninhalte erhebliche systembedingte Unterschiede beständen.
Mit Schreiben vom 4. Juni 1999 bat die Klägerin unter Hinweis auf das mittlerweile ergangene Urteil des Senats vom 10. Dezember 1997 – BVerwG 6 C 10.97 – (BVerwGE 106, 24 ff.) erneut um die „Anerkennung” ihres Diploms. Daraufhin stellte der Beklagte mit bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 21. Juni 1999 – ohne Einschränkungen – fest, dass der von der Klägerin erreichte Abschluss einem Abschluss gleichwertig ist, der an einer Universität oder gleichgestellten Hochschule in dem Teil Deutschlands erworben wurde, in dem das Grundgesetz bereits vor dem 3. Oktober 1990 galt.
Die Klägerin stellte nunmehr klar, ihr eigentliches Ziel sei es, den „Abschluss als Diplom-Betriebswirt” zu erhalten. Der Beklagte fasste dieses Schreiben als weiteren Antrag auf und lehnte ihn durch Bescheid vom 29. Juli 1999 ab: Akademische Grade würden nach dem Sächsischen Hochschulgesetz ausschließlich von den Hochschulen verliehen. Es bestehe kein Anspruch auf Umwandlung in der DDR erworbener Diplomgrade in akademische Grade, die in den alten Ländern üblich seien. Eine solche Umwandlung widerspräche dem im Einigungsvertrag festgelegten Grundsatz, dass in der DDR verliehene Hochschulgrade bundesweit anerkannt seien.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin zuletzt beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihr die Berechtigung zuzuerkennen, den Grad Diplom-Kauffrau zu führen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe einen Anspruch darauf, dass ihr die Führung des akademischen Grades Diplom-Kauffrau gestattet werde. Durch den bestandskräftigen Bescheid des Beklagten vom 21. Juni 1999 sei die Gleichwertigkeit ihres Hochschulabschlusses bindend festgestellt worden. Nach dem Einigungsvertrag verliehen die in den neuen Ländern und die in den alten Ländern abgelegten Prüfungen gleiche Berechtigungen, wenn sie gleichwertig seien. Zu diesen Berechtigungen zähle auch das Recht zur Führung des akademischen Grades als Beleg dafür, dass sein Träger einen berufsqualifizierenden Studiengang mit einer Abschlussprüfung erfolgreich durchlaufen habe. Dem Zweck des Einigungsvertrages, durch die gegenseitige Anerkennung und Gleichstellung von Abschlüssen und Befähigungsnachweisen eine Zusammenführung der Menschen in der gemeinsamen Bundesrepublik Deutschland zu erreichen, entspreche es, einen inhaltlich gleichwertigen Abschluss durch den im wiedervereinigten Deutschland gebräuchlichen akademischen Grad zu dokumentieren. Denn Chancengleichheit lasse sich nicht erreichen, solange den Absolventen aus der ehemaligen DDR auf dem durch westdeutsche Standards geprägten Arbeitsmarkt verwehrt werde, die dort bekannten akademischen Grade zu führen. Insofern gelte das Gleiche wie in den von der Rechtsprechung bereits entschiedenen Fällen einer Nachdiplomierung. Schon vor der Wiedervereinigung hätten Aussiedler und Vertriebene, die aufgrund einer abgeschlossenen Hochschulausbildung im Herkunftsland einen mit einem deutschen akademischen Grad gleichwertigen Grad erworben hätten, diesen in der Form des entsprechenden deutschen Grades führen dürfen. Es sei kein Grund dafür ersichtlich, warum der Einigungsvertrag hinter diesen Stand hätte zurückfallen sollen. Die Klägerin sei daher berechtigt, den akademischen Grad zu führen, den sie führen dürfte, wenn sie ihren gleichwertigen Abschluss an einer Hochschule im alten Bundesgebiet erworben hätte. Ausweislich einer Stellungnahme der Gutachterstelle für Deutsches Schul- und Studienwesen in Berlin sei dies der Grad Diplom-Kauffrau.
Zur Begründung der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision, mit der beantragt wird,
die Urteile des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. Oktober 2004 und des Verwaltungsgerichts Dresden vom 16. Januar 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
macht der Beklagte geltend: Die Partner des Einigungsvertrages hätten erworbene Hochschuldiplome nicht in Frage stellen wollen. Das Recht, einen solchen Grad zu führen, beziehe sich stets auf den Grad in der Form, wie er von der jeweiligen Hochschule, auch in der ehemaligen DDR, verliehen worden sei. Anders als das Vertriebenenrecht, das die Eingliederung der betroffenen Personen und die Einpassung ihrer akademischen Grade bezweckt habe, sei der Einigungsvertrag auf eine gleichberechtigte Zusammenführung unterschiedlicher Bildungssysteme angelegt. Zudem wäre ein etwaiger Anspruch auf Umdiplomierung in seinen Voraussetzungen und Rechtsfolgen derart unbestimmt, dass es letztlich in das Belieben des Trägers eines Diplomgrades gestellt wäre, diesen unverändert weiterzuführen oder an seiner Stelle oder gar zusätzlich einen anderen Grad zu führen. In der praktischen Konsequenz würden die Diplomgrade aus der ehemaligen DDR so entwertet. Die vom Berufungsgericht befürwortete staatliche Zuerkennung von Diplomgraden missachte schließlich die Hochschulautonomie.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen und verteidigt das Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zulässig und begründet. Das die Berufung zurückweisende Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Sachverhalt geklärt ist, kann der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO in der Sache selbst entscheiden.
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin kann vom Beklagten nicht verlangen, dass dieser ihr die Führung des Grades Diplom-Kauffrau gestattet. Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht aus Art. 37 Abs. 1 des Einigungsvertrages – EV – vom 31. August 1990 (BGBl II S. 889). Danach stehen im Beitrittsgebiet oder in den anderen Ländern der Bundesrepublik Deutschland abgelegte Prüfungen oder erworbene Befähigungsnachweise einander gleich und verleihen die gleichen Berechtigungen, wenn sie gleichwertig sind (Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV). Gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 3 EV wird die Gleichwertigkeit auf Antrag von der jeweils zuständigen Stelle festgestellt. In Art. 37 Abs. 1 Satz 5 EV schließlich ist vorgesehen, dass das Recht auf Führung erworbener, staatlich anerkannter oder verliehener akademischer Berufsbezeichnungen, Grade und Titel in jedem Fall unberührt bleibt.
1. Der Wortlaut dieser Regelung, die gemäß Art. 45 Abs. 2 EV als Bundesrecht fortgilt, lässt zwar unterschiedliche Deutungen zu. So benennt einerseits Art. 37 Abs. 1 Satz 3 EV als Gegenstand möglicher Anträge nur die Gleichwertigkeitsfeststellung als solche, nicht aber darüber hinausgehende Gestattungen, insbesondere nicht diejenige, einen aufgrund einer Hochschulprüfung erworbenen akademischen Grad in abgewandelter Form zu führen. Akademische Grade werden vielmehr in Art. 37 Abs. 1 Satz 5 EV besonders angesprochen, und zwar dort mit der bereits erwähnten Maßgabe, dass das Recht, verliehene Grade (weiter) zu führen, „in jedem Fall unberührt” bleibt. Schon dieser Vertragswortlaut könnte Zweifel an der Annahme des Berufungsgerichts wecken, aus Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV „und verleihen die gleichen Berechtigungen”) lasse sich ein Anspruch auf staatliche Zuerkennung eines bisher nicht verliehenen Diplomgrades herleiten. Andererseits hat der Senat in seinem Urteil vom 10. Dezember 1997 (BVerwG 6 C 10.97 – BVerwGE 106, 24) für die Fälle einer Nachdiplomierung aufgrund eines in der DDR absolvierten Fachschulabschlusses, der mit einem westdeutschen Hochschulabschluss gleichwertig ist, diese Norm als Anspruchsgrundlage für die nachträgliche Zuerkennung des entsprechenden Diplomgrades herangezogen (a.a.O., S. 39, 43). Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV als Anspruchsgrundlage (auch) für Umdiplomierungen zu begreifen.
2. Der Regelungszweck, wie er sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte des Einigungsvertrages erschließt, führt jedoch zu einem eindeutigen Ergebnis. Anders als es die Rechtsprechung für die Fälle einer Nachdiplomierung annimmt, kann Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV nach seinem Sinn und Zweck nicht als Rechtsgrundlage für die Umwandlung bereits verliehener Diplomgrade verstanden werden. Über die Motive der Vertragschließenden gibt die Denkschrift der Bundesregierung zum Einigungsvertrag (BTDrucks 11/7760 vom 31. August 1990, S. 374) Auskunft. Dort heißt es:
”Die Vereinigung der beiden Staaten in Deutschland macht auch Regelungen erforderlich, die Freizügigkeit und Durchlässigkeit zwischen Bildungssystemen und Bildungsgängen ermöglichen, die Mobilität in jeder Richtung fördern und die Gleichheit der Lebensverhältnisse auf längere Zeit garantieren. Dies setzt in ganz besonderem Maße die gegenseitige Anerkennung und Gleichstellung von Abschlüssen und Befähigungsnachweisen voraus. …”
Mit den Zielen, die die Vertragsparteien insoweit verfolgten, hat sich der Senat in seinem Urteil vom 10. Dezember 1997 näher beschäftigt: Vor dem Hintergrund der besonderen historischen Situation, die mit dem Einigungsvertrag bewältigt werden sollte, muss bei dessen Auslegung die beiderseitige Interessenlage berücksichtigt werden. Gerade im Bildungsbereich standen die Partner vor der Aufgabe, die Bevölkerung in den alten und in den neuen Bundesländern zusammenzuführen und dabei negative wirtschaftliche und berufliche Folgen des Zusammenbruchs des Staats- und Wirtschaftssystems der DDR für die Berufstätigen – soweit notwendig und möglich – zu begrenzen. Da absehbar war, dass der Beitritt zu einem marktwirtschaftlich orientierten Staatswesen für viele Menschen in der ehemaligen DDR berufliche Neuorientierungen erfordern würde, galt es, systembedingte Nachteile beim Start in den Wettbewerb soweit irgend vertretbar auszugleichen. Die Anerkennung berufsbezogener Prüfungen sollte mehr bewirken als nur die Einpassung der in der ehemaligen DDR erworbenen Abschlüsse in das „gestufte System der bundesdeutschen Bildungs- und Ausbildungslandschaft”. Den Vertragschließenden ging es nicht um bloße Eingliederung, sondern vielmehr um eine Zusammenführung der Menschen in der nunmehr gemeinsamen Bundesrepublik Deutschland (a.a.O., S. 29 ff.).
Daraus hat der Senat in jenem Urteil eine doppelte Konsequenz gezogen: Zum einen genügt für die Anerkennung der Gleichwertigkeit einer in der DDR abgelegten Prüfung oder eines dort erworbenen Befähigungsnachweises nach Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV die „Niveaugleichheit” im Sinne einer im Wesentlichen formellen und funktionalen Gleichheit, die inhaltlich nur eine fachliche Annäherung der jeweiligen Ausbildungen voraussetzt. Ausreichend ist daher, dass ein Ausbildungsniveau festgestellt wird, welches eine erfolgreiche Einarbeitung in die neuen beruflichen Anforderungen erwarten lässt; eine Sperre für systemnahe Studiengänge ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Zum anderen kann sich aus den in Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV genannten „gleichen Berechtigungen” unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 1 GG ein Anspruch auf nachträgliche Zuerkennung eines Diplomgrades ergeben, sofern bestimmte DDR-Fachschulabschlüsse Abschlüssen gleichstehen, die an (Fach-)Hochschulen der alten Bundesländer oder deren Vorläufereinrichtungen erworben wurden.
Diese Maßstäbe lassen sich auf Fälle, in denen schon in der DDR aufgrund eines dort erfolgreich abgeschlossenen Hochschulstudiums ein Diplomgrad verliehen wurde, in dem Sinne übertragen, dass auch für die Anerkennung der Gleichwertigkeit des so erworbenen Abschlusses nach Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV eine Niveaugleichheit erforderlich, aber auch ausreichend ist. Vor diesem Hintergrund hat der Beklagte mit seinem bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 21. Juni 1999 antragsgemäß festgestellt, dass der von der Klägerin erreichte Abschluss einem Abschluss gleichwertig ist, der an einer Universität oder gleichgestellten Hochschule in dem Teil Deutschlands erworben wurde, in dem das Grundgesetz bereits vor dem 3. Oktober 1990 galt. Freilich spricht angesichts des mit Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV verfolgten Zwecks, systembedingte Wettbewerbsnachteile auszugleichen, manches dafür, dass der Beklagte mit einem derart abstrakten Ausspruch seine Verpflichtung noch nicht vollständig erfüllt hat. Ein möglicher Arbeitgeber kann aus einer in dieser Weise neutral abgefassten Gleichwertigkeitsfeststellung noch keinerlei Rückschlüsse auf das Fachgebiet ziehen, dem der als gleichwertig anerkannte Hochschulabschluss zugeordnet ist. Hinzu kommt, dass die Feststellung von Gleichwertigkeit im Sinne einer Niveaugleichheit – auch wenn es sich dabei um eine in erster Linie formelle und funktionale Gleichheit handelt – in materieller Hinsicht immerhin voraussetzt, dass die jeweiligen Ausbildungen einander fachlich angenähert sind. Daher dürfte der Anspruch auf Feststellung der Gleichwertigkeit (Art. 37 Abs. 1 Satz 3 EV) auch darauf gerichtet sein, dass die zuständige Stelle bescheinigt, welchem Bildungsabschluss (oder welchen Bildungsabschlüssen) der als gleichwertig anerkannte Abschluss fachlich angenähert und somit niveaugleich ist.
Aus dem Zweck des Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV folgt dagegen nicht, dass der Inhaber eines in der DDR erworbenen Diplomgrades verlangen kann, anstatt dieses Grades oder zusätzlich denjenigen Grad zu führen, den er führen dürfte, wenn er seinen gleichwertigen Abschluss an einer Universität oder Hochschule im alten Bundesgebiet erworben hätte. Zur Förderung des Ziels der Gleichstellungsregelung, systembedingte Startschwierigkeiten bei notwendigen beruflichen Neuorientierungen zu mildern, wären solche Umdiplomierungen kaum geeignet. Denn einem potentiellen Arbeitgeber, dem es bei der Besetzung einer ausgeschriebenen Stelle darauf ankommt, dass in einem bestimmten Fachgebiet ein akademisches Bildungsniveau erreicht wurde, welches unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Bewerbers eine baldige Einarbeitung in die konkreten beruflichen Anforderungen erwarten lässt, dient das in der DDR erworbene Hochschuldiplom in Verbindung mit der Gleichwertigkeitsfeststellung als hinreichender Beleg dafür, dass der betreffende ostdeutsche Stellenbewerber diese Voraussetzungen erfüllt. Insofern unterscheidet sich die hier vorliegende Fallgestaltung wesentlich von den Fällen einer Nachdiplomierung, in denen erst die nachträgliche Zuerkennung des bislang noch nicht verliehenen Diplomgrades die Feststellung der Gleichwertigkeit mit einer in Westdeutschland absolvierten Hochschulausbildung abrundet und vervollständigt. Ein Arbeitgeber aber, der bereits bestimmte fachliche Vorkenntnisse in Bezug auf das konkret zu vergebende Arbeitsgebiet erwartet, wird sich ohnehin nicht mit den gleichlautenden oder aber unterschiedlichen Diplomgraden der Bewerber begnügen, sondern nach Einzelheiten des jeweiligen Studienablaufs und gegebenenfalls des bisherigen beruflichen Werdegangs forschen. Einem solchen Arbeitgeber würde auch bei identischen Diplomgraden nicht verborgen bleiben, dass die Studieninhalte wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge während der Zeit der deutschen Teilung erhebliche, durch die verschiedenen Gesellschaftssysteme bedingte Unterschiede aufwiesen. Insofern teilt der Senat die Einschätzung des Beklagten, dass die berufliche Chancengleichheit durch die umstrittene Umdiplomierung allenfalls am Rande berührt wird.
Umdiplomierungen wären aber nicht nur wenig hilfreich zur Förderung gleicher Entfaltungsmöglichkeiten auf dem gesamtdeutschen Arbeitsmarkt. Sie gerieten auch in Konflikt mit den Zielen, die die Vertragschließenden mit Art. 37 Abs. 1 EV verfolgten. Denn es ist absehbar, dass der „Umtausch” von DDR-Diplomen in anderslautende Hochschulgrade, die in den alten Bundesländern gebräuchlich waren und sind, auch wenn er in die freie Entscheidung der jeweiligen Inhaber gestellt wäre, zu einer Abwertung jener Diplome führen würde. In dem Maße, in dem die früher verliehenen Diplome als nicht mehr „zumutbar” erschienen, könnten sich nämlich Akademiker aus den neuen Bundesländern in immer größerer Zahl faktisch gezwungen sehen, ihrerseits eine Umschreibung vornehmen zu lassen. Die von Hochschulen der früheren DDR verliehenen Grade würden durch eine solche Entwicklung diskreditiert und entwertet. Mit dem vom Senat bereits im Urteil vom 10. Dezember 1997 (a.a.O., S. 31 f.) herausgestellten Ziel der gleichberechtigten Zusammenführung unterschiedlicher Bildungsabschlüsse – statt einer bloßen Einpassung ostdeutscher Abschlüsse in die westdeutsch geprägte „Bildungslandschaft” – wären diese Konsequenzen nicht zu vereinbaren. Es ergäbe sich darüber hinaus auch ein Widerspruch zu dem Recht auf Führung der Grade in der erworbenen Form gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 5 EV. Denn im Einklang mit dem Wortlaut „in jedem Fall”) ist die in Art. 37 Abs. 1 Satz 5 EV getroffene Regelung nicht lediglich als eine subsidiär geltende Bestandsschutzklausel zugunsten derjenigen zu verstehen, denen eine Gleichwertigkeitsanerkennung gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV nicht zusteht oder die diese – aus welchen Gründen auch immer – nicht anstreben. Sie beantwortet vielmehr die mit der deutschen Wiedervereinigung aufgeworfene Frage nach der künftigen Titelführung umfassend und abschließend dahin, dass bereits erworbene, staatlich anerkannte oder verliehene akademische Berufsbezeichnungen, Grade und Titel weitergeführt werden, und zwar unabhängig davon, ob die ihnen etwa zugrunde liegenden Hochschulprüfungen als gleichwertig festgestellt werden oder nicht.
3. Das Oberverwaltungsgericht beruft sich für seinen gegenteiligen Standpunkt auf einen Vergleich mit der für Flüchtlinge und Vertriebene geltenden Rechtslage. Ein solcher Vergleich liegt in der Tat nahe, zumal diese Rechtslage vor der Herstellung der Einheit Deutschlands auch auf Übersiedler aus der DDR Anwendung fand; er rechtfertigt aber kein abweichendes Ergebnis.
Nach § 92 Abs. 3 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG) in der bei Abschluss des Einigungsvertrages geltenden Fassung vom 3. September 1971 (BGBl I S. 1565) waren Prüfungen und Befähigungsnachweise, die Vertriebene und „Sowjetzonenflüchtlinge” im jeweiligen Aussiedlungsgebiet abgelegt oder erworben hatten, in der Bundesrepublik anzuerkennen, wenn sie entsprechenden Prüfungen oder Befähigungsnachweisen im Geltungsbereich des Gesetzes gleichwertig waren. Die gleiche Rechtsfolge ergibt sich für Aussiedler jetzt aus § 10 Abs. 2 BVFG in der Fassung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829). Der Senat hat dazu in seinem schon mehrfach erwähnten Urteil vom 10. Dezember 1997 (a.a.O., S. 36) unter Hinweis auf die zum Bundesvertriebenengesetz ergangene Rechtsprechung ausgeführt, dass wesentlicher Maßstab auch jener Anerkennung die Fähigkeit zur selbständigen Einarbeitung innerhalb angemessener Zeit in neue berufliche Anforderungen war und ist. Er hat hierin eine zusätzliche Bestätigung dafür gefunden, dass auch für die Gleichwertigkeit im Sinne des Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV eine Niveaugleichheit – verstanden als formelle und funktionale Gleichheit bei fachlicher Annäherung der Ausbildungsinhalte – erforderlich, aber auch ausreichend ist.
Für die hier allein umstrittene Frage, ob Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV einen Anspruch auf Umdiplomierung gewährt, lässt sich daraus allerdings schon deshalb nichts herleiten, weil § 92 BVFG a.F. (bzw. § 10 BVFG n.F.) über das Recht zur Führung akademischer Grade keine Aussage trifft (s. Beschluss vom 27. August 1990 – BVerwG 9 B 38.90 – Buchholz 412.3 § 92 BVFG Nr. 8). Dieses Recht war vielmehr früher, soweit es ausländische akademische Grade betraf, in § 2 des Reichsgesetzes über die Führung akademischer Grade – GFaG – geregelt, das in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Landesrecht fortgalt (Beschluss vom 29. Dezember 1993 – BVerwG 6 B 49.93 – Buchholz 421.11 § 2 GFaG Nr. 15). Danach bedurften deutsche Staatsangehörige, die einen akademischen Grad einer ausländischen Hochschule erworben hatten, zu dessen Führung in Deutschland einer staatlichen Genehmigung. Daraus wurde mit Rücksicht auf den Normzweck gefolgert, dass der Inhaber eines ausländischen Grades, dessen zugrundeliegender Abschluss dem an einer deutschen Hochschule erworbenen Abschluss materiell gleichwertig war und für den es einen gleichartigen Grad gab, seinen ausländischen Grad in der Form des entsprechenden deutschen Grades führen durfte. Für die materielle Gleichwertigkeit kam es auf einen generellen Vergleich der Anforderungen an den Erwerb des ausländischen und des entsprechenden deutschen akademischen Grades an, insbesondere auf Inhalt und Dauer des Studiums und auf die in der Abschlussprüfung zu erbringenden Leistungen nach ihrer wissenschaftlichen Bedeutung sowie dem dafür erforderlichen Zeit- und Arbeitsaufwand (vgl. VGH BW, Urteil vom 20. September 1983 – 9 S 376/82 – DVBl 1984, 273; HessVGH, Urteil vom 8. November 1990 – 6 UE 803/87 – KMK-HSchR/NF 21 A Nr. 3; BayVGH, Urteil vom 12. Januar 1994 – 7 B 91.2793 – VGH n.F. 47, 34). Die neuere Hochschulgesetzgebung der Länder hat jene Praxis dahin geändert, dass ausländische Hochschulgrade grundsätzlich nur noch in der Originalform geführt werden dürfen, in der sie verliehen wurden (näher Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 3. Aufl., Rn. 448 ff.). Die nach dem Bundesvertriebenengesetz Berechtigten freilich können – dem Eingliederungsgedanken folgend – unter der Voraussetzung materieller Gleichwertigkeit auch weiter die Umwandlung ihres ausländischen akademischen Grades in den entsprechenden deutschen Grad verlangen. Dies ist nicht nur in dem im Berufungsurteil ausdrücklich erwähnten Art. 133 des Bayerischen Hochschulgesetzes geregelt; die gleiche Rechtslage erschließt sich auch aus § 31 Sächsisches Hochschulgesetz, den der Senat selbst auslegen kann, da sich das Berufungsurteil dazu nicht verhält (§ 560 ZPO i.V.m. § 173 VwGO).
Auf den Anwendungsbereich des Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV lassen sich diese Grundsätze aus mehreren Gründen nicht übertragen: Zunächst entspricht die vom Eingliederungsgedanken geprägte Interessenlage des Vertriebenenrechts schon vom Ansatz her nur bedingt derjenigen des Einigungsvertrages, dem es nicht um individuelle Eingliederungen in das Berufs- und Wirtschaftsleben der „alten” Bundesrepublik geht, sondern um die Zusammenführung der Bevölkerung der alten Bundesländer und der Bevölkerung der ehemaligen DDR in der gemeinsamen Bundesrepublik Deutschland (so bereits Urteil des Senats vom 10. Dezember 1997, a.a.O., S. 35). Zudem handeln § 2 GFaG und seine landesrechtlichen Nachfolgebestimmungen nur von ausländischen akademischen Graden. Demgegenüber sind in der ehemaligen DDR erworbene Grade nicht erst seit deren Beitritt zur Bundesrepublik, sondern seit jeher deutsche akademische Grade, die auch früher schon – in Übereinstimmung mit der gegenwärtigen Rechtslage (Art. 37 Abs. 1 Satz 5 EV) – im Bundesgebiet ohne Genehmigung weitergeführt werden konnten (Thieme, a.a.O., Rn. 448) und für deren Umwandlung es dementsprechend weder ein Bedürfnis noch eine Rechtsgrundlage gab. Schließlich unterscheidet sich der überwiegend formale, in materieller Hinsicht lediglich eine fachliche Annäherung erfordernde Gleichwertigkeitsbegriff, der dem Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV zugrunde liegt, wesentlich von der materiellen Gleichwertigkeit, die Voraussetzung für eine Umwandlung ausländischer akademischer Grade zugunsten der nach dem Bundesvertriebenengesetz berechtigten Personen war und ist. Ohne einen umfassenden Vergleich der Anforderungen nach Inhalt, Umfang und zeitlichem Aufwand der erbrachten Leistungen, den Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV gerade nicht vorsieht, lässt sich aber nicht ermitteln, ob und inwieweit ein an einer Hochschule der DDR erworbener akademischer Grad mit einem anderen, in den alten Bundesländern eingeführten Grad fach- und ranggleich ist.
4. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Denn eine andere Rechtsgrundlage als der vom Berufungsgericht herangezogene Art. 37 Abs. 1 Satz 2 EV ist für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch, ihr die Führung des Grades Diplom-Kauffrau zu gestatten, nicht ersichtlich. Dieser Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Nach dem oben Gesagten bestehen sowohl zu der Vergleichsgruppe der Personen, die nach Maßgabe des Urteils des Senats vom 10. Dezember 1997 (a.a.O.) eine Nachdiplomierung verlangen können, als auch zu den Vergleichsgruppen derjenigen, die den von der Klägerin begehrten Grad Diplom-Kauffrau entweder an einer westdeutschen Hochschule vor dem 3. Oktober 1990 oder aber an einer deutschen Hochschule nach dem 3. Oktober 1990 erworben haben, jeweils Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass ungleiche Rechtsfolgen hingenommen werden müssen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Bardenhewer, Büge, Graulich, Vormeier, Bier
Fundstellen
DVBl. 2006, 709 |
SächsVBl. 2006, 69 |