Entscheidungsstichwort (Thema)
Schädigung während der NS-Zeit. Judenverfolgung. Zwangsverkauf. verfolgungsbedingter Vermögensverlust. gesetzliche Vermutung. angemessener Kaufpreis. Einheitswert. freie Verfügung über den Kaufpreis bei Zahlung an Bevollmächtigten. Großparzellierung. Teltow-Seehof
Leitsatz (amtlich)
Ein „Zwangsverkauf” i.S.v. § 1 Abs. 6 VermG liegt in Anknüpfung an das alliierte Rückerstattungsrecht vor, wenn in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 ein (individuell oder kollektiv) Verfolgter durch ein entgeltliches Veräußerungsgeschäft einen unmittelbaren Vermögensverlust erlitten hat und dieser auf der Verfolgung beruht (wie Urteil vom 16. Dezember 1998 – BVerwG 8 C 14.98 –, zur Veröffentlichung in BVerwGE bestimmt).
Die Verfolgungsbedingtheit einer solchen Veräußerung wird von Gesetzes wegen vermutet (Art. 3 Abs. 1 REAO); für Rechtsgeschäfte in der Zeit vom 15. September 1935 bis zum 8. Mai 1945 kann diese gesetzliche Vermutung (nur) durch den in Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO vorgesehenen Beweis widerlegt werden.
Die Widerlegungstatbestände des Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO sind an dem konkreten zum Vermögensverlust führenden Rechtsgeschäft (bei Grundstücken: notarieller Kaufvertrag) zu messen. Bei Großparzellierungen ist allerdings der Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen.
Der Verkehrswert und damit der angemessene Kaufpreis ist im Wege der freien Beweiswürdigung in erster Linie durch konkrete Vergleichsverkäufe und/oder anhand eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln.
Einheitswerte, die relativ zeitnah nach dem Verkauf des Grundstücks festgestellt wurden, sind für die Ermittlung des Verkehrswertes von Bedeutung.
Für die Frage der freien Verfügbarkeit über den Kaufpreis kommt es auf den Zeitpunkt der Leistung an.
Zur Frage, wann an einen nicht verfolgungsbedingt bestellten Bevollmächtigten geleistete Zahlungen in die freie Verfügung des Verfolgten gelangt sind.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 6; BK/O (49) 180 vom 26. Juli 1949 - REAO - Art. 3
Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 15.12.1997; Aktenzeichen 1 K 585/97) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 15. Dezember 1997 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Kläger sind Mitglieder einer ungeteilten Erbengemeinschaft und begehren die Rückübertragung des in Teltow-Seehof, Friedrich-Ebert-Straße 11, gelegenen Grundstücks (Gemarkung Teltow, Flur 4, Flurstück 97) nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen. Das 3 089 qm große Grundstück ist eine derzeit im Eigentum der Beigeladenen stehende unbebaute Fläche, die von den Rechtsvorgängern der Kläger im Zuge der Parzellierung des ehemaligen, insgesamt ca. 84 ha umfassenden Gutes Seehof an den inzwischen verstorbenen Vater der Beigeladenen verkauft worden war.
Das streitbefangene Grundstück gehörte ursprünglich zu diesem ungeteilten Gelände, das südlich des Teltowkanals in der Nähe der Stadtgrenze zu Berlin liegt. Das Gut war im Jahre 1872 von den Brüdern Albert und Max Sabersky erworben worden. Max Sabersky, ein im Großhandel tätiger Kaufmann, ließ in der Folgezeit im Bereich zwischen der jetzigen Lichterfelder Allee und dem damals noch existierenden Teltower See – im sogenannten Nordteil des Grundstücks – eine Villensiedlung anlegen. Amtliche Karten aus den Jahren 1890 und 1907 weisen im Nordteil des Grundstücks bereits vorhandenen Baubestand aus, während der weitgehend unbebaute Südteil – südlich der Lichterfelder Allee – ein sich rechtwinklig kreuzendes Wegenetz besaß. Eine im Jahre 1915 vom Königlichen Katasteramt ausgefertigte Handzeichnung und der Übersichtsplan der Stadtgemeinde Teltow von 1927 zeigen im Nordteil ca. 100 parzellierte Baugrundstücke unter teilweiser Angabe der jeweiligen Grundstücksinhaber.
Seit den 20er Jahren hat sich das Parzellierungswesen am Stadtrand Berlins entsprechend der Ausdehnung der Vorort-Bahnverbindungen stark ausgeweitet. Nach Angaben in der einschlägigen Literatur gab es Anfang der 30er Jahre im Berliner Bereich 60 große Parzellierungsunternehmen und 120 bis 150 kleine Parzellierer. Diese erhielten für ihre Arbeitsleistung von der Planaufstellung über die Herbeiführung erforderlicher behördlicher Genehmigungen bis hin zum Verkauf der einzelnen Parzellen in der Regel ein „Pauschquantum” in Höhe von 10 bis 35 % des Bruttoverkaufserlöses, in vielen Fällen zusätzlich auch noch einen Gewinnanteil.
Die nach dem Tod der Brüder Albert und Max Sabersky als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragenene und im Jahre 1933 aus sechs Mitgliedern jüdischer Abstammung bestehende ungeteilte Erbengemeinschaft schloß am 13. Oktober 1933 mit dem Kaufmann G. einen derartigen notariell beurkundeten Parzellierungsvertrag. Gegenstand dieses Vertrages war die Verpflichtung des Kaufmanns G., bis zum 31. Dezember 1938 den Grundbesitz und das Gut Seehof – mit Ausnahme des Gutshofs selbst und der Villen „Sonnenthal” und „Mamroth” – aufzuteilen und die entstandenen Parzellen mit einer Durchschnittsgröße von rund 600 qm an Neusiedler zu verkaufen. Als Entgelt für die gesamte Geschäftsbesorgung und zur Abgeltung aller im übrigen mit der Erfüllung des Vertrages verbundenen Unkosten erhielt er von den Eigentümern eine Provision in Höhe von 0,80 RM/qm, die er dem jeweiligen Quadratmeterpreis zuschlagen durfte. Als Grundpreis wurde für den nördlich der Max-Sabersky-Allee gelegenen Bereich 2,50 RM/qm und für die übrige Fläche des Gutsgeländes 1,50 RM/qm festgesetzt, wobei sich die Preise auf die jeweils veräußerten bebaubaren Flächen – also unter Ausschluß der an die Stadtgemeinde Teltow für die Anlegung von Straßen, Plätzen, Freiflächen etc. zu übertragenden Grundstücksteile – bezogen. Diese Grundpreise waren für die Eigentümer garantierte Mindestpreise. Unterschreitungen gingen zu Lasten des G. Erzielte Mehrlöse sollten hingegen hälftig zwischen der Erbengemeinschaft und dem Kaufmann G. aufgeteilt werden.
Die weiteren Abwicklungsmodalitäten sahen unter anderem vor, daß eine Anzahlung zumindest in Höhe von 20 % des jeweiligen Kaufpreises zu leisten und der Rest innerhalb von längstens sechs Jahren in bestimmten Raten abzuzahlen war. Die Auflassung des verkauften Grundstückes sollte nach Zahlung von mindestens einem Drittel des Kaufpreises erfolgen. Die Kaufpreisrestforderungen waren hypothekarisch zu sichern. Die Erbengemeinschaft verpflichtete sich, für den Abschluß der Kaufverträge, die Auflassung der Parzellen und für die sonstigen erforderlichen Erklärungen dem – schon früher für die Familie tätig gewordenen – Kaufmann Georg B. (sen.) eine unwiderrufliche Vollmacht zu den genannten Zwecken zu erteilen; tatsächlich wurde B. (sen.) nur widerruflich bevollmächtigt. Er vertrat im übrigen unter Berufung auf die erst im Jahre 1976 bzw. – in förmlicher Weise nochmals – 1998 widerrufene Vollmacht in der Nachkriegszeit einzelne Mitglieder der Erbengemeinschaft bei der Geltendmachung von Wiedergutmachungsansprüchen und in Rückerstattungsangelegenheiten.
Im Mai 1934 genehmigte der Regierungspräsident den im Dezember 1933 erstellten Teilsiedlungsplan für das Gut Seehof. In dem im Anschluß daran mit der Stadt Teltow vereinbarten Aufschließungsvertrag vom 16. Mai 1934 verpflichtete sich die Erbengemeinschaft unter anderem, 25 % der Gesamtfläche für öffentliche Zwecke an die Stadt Teltow abzutreten und auf deren jederzeitiges Verlangen aufzulassen.
Die Bauparzellen wurden zwischen 1934 und 1940 zu unterschiedlichen Preisen verkauft; die Veräußerung der letzten 80 bis 90 Parzellen erfolgte auf der Grundlage einer im November 1938 durch den Parzellierer G. wegen der „politischen Ereignisse der letzten Zeit” durchgesetzten – die Kaufpreisregelung und -verteilung zu Lasten der Erbengemeinschaft erheblich verschlechternden – Änderung des kurz zuvor um ein Jahr verlängerten Parzellierungsvertrages, mit der nach den Angaben des Kaufmanns G. gewährleistet werden sollte, „daß der Verkauf und die Durchführung der Besiedlung sowie der gesamte Abrechnungsverkehr völlig arisiert” war.
Im August 1939 emigrierten die letzten Mitglieder der Erbengemeinschaft; lediglich Ernst Sabersky blieb in Deutschland, wo er 1950 verstarb. Mit notarieller Urkunde vom 25. Mai 1939 bevollmächtigte er zusammen mit seiner Schwester Sophie Sonnenthal im Namen aller Mitglieder der Erbengemeinschaft den Kaufmann Georg B. (sen.) nunmehr unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB, auch „alle mit dem Parzellenverkauf des Gutes Seehof zusammenhängenden Zahlungen in Empfang zu nehmen und rechtsverbindlich zu quittieren” sowie alle das Geschäft angehenden Rechtshandlungen vorzunehmen, die für die Vollmachtgeber selbst überhaupt in Betracht kommen könnten.
Ab 1949 waren die mit dem Verkauf des Gutes Seehof verbundenen Forderungs-, Hypotheken- und Transferierungsverluste sowie die Veräußerung der in Berlin (West) gelegenen Flächen der Erbengemeinschaft Gegenstand mehrerer Wiedergutmachungsverfahren. Bezüglich der mit der Parzellierung des Gutes Seehof eingetretenen Vermögensverluste begehrten fünf Mitglieder der Erbengemeinschaft unmittelbar von G. u.a. Zahlung des ihnen aufgrund der erzwungenen Vertragsänderung vom November 1938 vorenthaltenen Kaufpreisanteils. Das Kammergericht gab diesem Antrag mit Beschluß vom 20. Mai 1958 statt. Hinsichtlich der übrigen vom Parzellierungsvertrag betroffenen Rechtsgeschäfte war seinerzeit kein Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung geltend gemacht worden. Auch die durch den Kaufmann B. (sen.) als Bevollmächtigten der Erbengemeinschaft mit Schreiben vom 29. Januar 1950 gegenüber der damaligen Landesregierung Brandenburg erhobene „Wiedergutmachungsforderung … aus dem Grundbesitz in Seehof bei Teltow und aus Forderung gegen die Stadtgemeinde Teltow” hatte weder das streitgegenständliche noch die anderen vom Parzellierungsvertrag erfaßten Grundstücke zum Gegenstand.
Hinsichtlich des hier streitigen Grundstücks unterbreitete der inzwischen verstorbene Vater der Beigeladenen, Herr Georg G., den Mitgliedern der Erbengemeinschaft ein am 16. September 1935 notariell beurkundetes Angebot zum Abschluß eines Kaufvertrages über den Erwerb des Flurstücks zu einem Kaufpreis in Höhe von 7 722,50 RM (= 2,50 RM/qm). Auf den vereinbarten Kaufpreis zahlte der Käufer zunächst 230 RM in bar und überwies in den folgenden Monaten bis zum 5. Januar 1936 weitere 1 344,50 RM. Mit der offenbar am 8. oder 9. Januar 1936 erfolgten Annahme des Angebotes durch den Bevollmächtigten der Erbengemeinschaft, Kaufmann B. (sen.), kam der Vertrag zustande. Der bis zum 30. Januar 1939 zinslos gestundete Restbetrag von 6 178 RM war in monatlichen Raten von wenigstens 50 RM zu tilgen. Die Restkaufgeldforderung wurde an den Kaufmann Arthur Sonnenthal, den Ehemann der Miterbin Sophie Sonnenthal, abgetreten. Nachdem der Erwerber 2 575 RM und damit ca. 1/3 des Gesamtpreises gezahlt hatte, erfolgte unter dem 9. Oktober 1936 die Eigentumsumschreibung aufgrund der Auflassung vom 17. September 1936. Am 24. Oktober 1936 wurde zur Sicherung der noch ausstehenden Forderung von 5 147,50 RM zugunsten des Arthur Sonnenthal eine Restkaufgeldhypothek in entsprechender Höhe brieflos bestellt, die am 5. Oktober 1938 vollständig gelöscht worden ist. Zuvor hatte der Kaufmann B. in einer löschungsfähigen Quittung vom 8. September 1938 mit notariell beglaubigter Unterschrift im Namen von Arthur Sonnenthal erklärt, „wegen des vollen Kapitals von dem Grundstückseigentümer” befriedigt worden zu sein (die im Urteil des Verwaltungsgerichts angeführte Quittung vom 2. Dezember 1937 und die Löschung im Grundbuch vom 16. Dezember 1937 betrafen nach dem Akteninhalt lediglich einen Teilbetrag von 2 147,50 RM).
Bereits vor dem Tod des Erwerbers Georg G. im Jahr 1950 hatte die Beigeladene, die inzwischen dessen alleinige Rechtsnachfolgerin ist, die DDR verlassen. Auch ihre Mutter, die damalige Miterbin, verzog später ins Bundesgebiet. Daraufhin wurde das streitgegenständliche Grundstück im Dezember 1963 gemäß § 6 der Verordnung vom 17. Juli 1952 unter vorläufige staatliche Verwaltung gestellt. Nach den Angaben der Beigeladenen im Lastenausgleichsverfahren war der Einheitswert für das Grundstück zum 14. Januar 1938 auf 17 000 Mark festgestellt worden.
1991 beantragten die Kläger als Rechtsnachfolger der seinerzeitigen Erbengemeinschaft die Rückübertragung des Eigentums an den vom Parzellierungsvertrag betroffenen Flächen des ehemaligen Guts Seehof. Während der Beklagte in den Jahren 1995 und 1997 den Klägern bzw. einzelnen von ihnen die Zehnruthenwiese, den Gutshof selbst sowie die Villen „Mamroth” und „Sonnenthal” bestandskräftig rückübertrug bzw. ihre Berechtigung gemäß § 2 Abs. 1 VermG feststellte, lehnte er die Restitution von ca. 30 Parzellen, die vor dem 15. September 1935 an Dritte verkauft worden waren, durch Einzelbescheide aus dem Jahre 1994 ab; die dagegen erhobenen Klagen wies das Verwaltungsgericht Potsdam durch rechtskräftige Urteile vom 12. Dezember 1996 mit der Begründung ab, die Verfolgungsvermutung sei widerlegt worden. Mit Bescheid vom 29. März 1996, der alle übrigen bisher noch nicht beschiedenen Parzellierungsfälle des Seehofgeländes betraf, lehnte der Beklagte weitere Rückübertragungen ab, weil die für einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust streitende gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG widerlegt sei.
Die nach erfolglosem Vorverfahren von den Klägern in verschiedenen Gruppierungen zunächst getrennt erhobenen Klagen gegen diesen „Globalbescheid” hat das Verwaltungsgericht durch Beschluß vom 5. Februar 1997 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden, sodann aber in einzelne Verfahren für jedes von dem „Globalbescheid” erfaßte Grundstück getrennt. Die Kläger haben u.a. geltend gemacht: Es hätte zumindest nach Verkaufszeiträumen unterschieden werden müssen. Inhaltlich sei die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes nicht widerlegt. Der Nationalsozialist G. habe eine viel zu hohe Provision verlangt. Die vereinbarten Grundstückspreise hätten unter dem Verkehrswert gelegen; über die Kaufpreiszahlungen habe die Erbengemeinschaft nicht frei verfügen können. Schließlich sei die gesamte Parzellierung ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus nicht denkbar gewesen. Vor 1933 habe keine entsprechende Parzellierungsabsicht bestanden. Entwicklungsüberlegungen zur Fortsetzung des damals bereits vorhandenen Villenverbandes hätten sich nur auf den Bereich nördlich der Lichterfelder Allee bezogen. Die Familie sei aufgrund des durch das Reichserbhofgesetz vom 30. September 1933 ausgesprochenen Verbots der landwirtschaftlichen Betätigung zu einer anderweitigen wirtschaftlichen Verwertung des Gutsgeländes gezwungen gewesen.
Mit Urteil vom 15. Dezember 1997 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Weder bestehe ein Rückübertragungsanspruch zugunsten der Kläger, noch könne ihre Berechtigung nach § 2 Abs. 1 VermG festgestellt werden. Denn die zugunsten der Kläger eingreifende gesetzliche Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlustes sei jedenfalls für Rechtsgeschäfte bis November 1938 widerlegt worden. Die Erbengemeinschaft habe – wie u.a. verschiedene Vergleichsverkaufsfälle zeigten – angemessene Kaufpreise erzielt und über diese auch frei verfügen können; dabei sei es ausreichend, wenn der Veräußerer wenigstens zeitweilig die Wahl zwischen mehreren Verwendungsmöglichkeiten gehabt habe. Die Zahlungen der Käufer seien letztlich in den Rechtskreis der Erbengemeinschaft gelangt. Die Kläger hätten den ihnen obliegenden Beweis für eine gleichwohl bestehende konkrete ungerechtfertigte Entziehung von Vermögensgegenständen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 REAO nicht erbracht. Weder aus dem Parzellierungs- noch dem Aufschließungsvertrag noch den sonstigen Umständen sei zu entnehmen, daß die Erbengemeinschaft zum Abschluß dieser Rechtsgeschäfte oder der Hinnahme bestimmter Vertragsbedingungen gezwungen gewesen sei. Die Absicht, das Seehofgelände wirtschaftlich zu verwerten, habe unter Berücksichtigung aller Umstände bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten bestanden. Die Regelungen des Parzellierungsvertrages und des Aufschließungsvertrages belegten ebenfalls nicht die Ausnutzung einer Zwangslage; die Zusicherung in § 13 des Parzellierungsvertrages, das Gelände um den Bahnhof Lichterfelde-Süd frühestens nach drei Jahren bzw. nach Verwertung von etwa Dreiviertel des Seehofgeländes aufzuteilen, spreche vielmehr ebenso wie das in § 14 des Parzellierungsvertrages für bestimmte Fälle eingeräumte Kündigungsrecht der Erbengemeinschaft gegen eine verfolgungsbedingte Veräußerung. In die gleiche Richtung wiesen verschiedene Äußerungen von Mitgliedern der seinerzeitigen Erbengemeinschaft sowie das Verhalten in den Wiedergutmachungsverfahren der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Revision vertiefen die Kläger im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Sie rügen, das Verwaltungsgericht habe die Verfolgungsvermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG insbesondere mit Blick auf die Bedeutung des Parzellierungsvertrages für die einzelnen Kaufverträge und das seinerzeitige Klima von Angst und Schrecken bereits vom Tage der Machtergreifung an nicht zutreffend gewürdigt. Sowohl das einzelne Rechtsgeschäft als auch der Aufschließungsvertrag müßten als „virtuell verfolgungsbedingt” eingestuft werden. Die Vermutung sei von der Behörde nicht ausreichend widerlegt worden. Sowohl die Wahl des „Ariseurs G.” als auch dessen unübliche, ausbeuterische hälftige Beteiligung am Mehrerlös sprächen für die Verfolgungsbedingtheit des gesamten Geschäfts; die Höhe der Provision habe sich am obersten Rand dessen bewegt, was ein Entwickler gewöhnlich als Gegenleistung hätte beanspruchen können. Zudem habe ein unüblich hoher und hinsichtlich der konkret abzutretenden Flächen unbestimmter Anteil von einem Viertel des Gesamtgeländes unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden müssen. Verfahrensrechtlich werde die fehlerhafte Zurückweisung der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge sowie die Verletzung der Aufklärungspflicht hinsichtlich der die Widerlegung begründenden tatsächlichen Umstände gerügt.
Die Kläger beantragen,
in Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 15. Dezember 1997 den Beklagten unter teilweiser Aufhebung seines Bescheides vom 29. März 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 1996 zu verpflichten, an die Kläger das Grundstück Gemarkung Teltow, Flur 4, Flurstück 97 zurückzuübertragen,
hilfsweise den Beklagten unter teilweiser Aufhebung der genannten Bescheide zu verpflichten, die Berechtigung der Kläger nach dem Vermögensgesetz bezüglich des im Hauptantrag genannten Flurstücks festzustellen.
Der Beklagte beantragt
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Der Oberbundesanwalt hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht. Da die Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts für eine abschließende Entscheidung des Senats über die Klage nicht ausreichen, muß der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
1. Rechtsgrundlage für die in erster Linie begehrte Rückübertragung des streitigen Grundstücks ist – wovon das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit allen Beteiligten zu Recht ausgegangen ist – § 3 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 6 VermG. Danach setzt die Anwendbarkeit des Vermögensgesetzes auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen, die vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden (– hierzu unten 2. –) voraus, daß diese den zu restituierenden Vermögenswert „infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise” verloren haben (§ 1 Abs. 6 Satz 1 VermG, Art. 3 Abs. 1 REAO), wobei bei Rechtsgeschäften nach Maßgabe der Art. 3 und 4 REAO die Kausalität zwischen Verfolgung und Vermögensverlust – und damit der Zwangscharakter des Rechtsgeschäfts – vermutet wird (§ 1 Abs. 6 Satz 2 VermG, Art. 3 REAO; – hierzu unten 3. –). Die gesetzliche Vermutung kann für Veräußerungen nach dem 14. September 1935 – im vorliegenden Fall ist der Kaufvertrag erst durch die Annahme des notariellen Kaufangebotes im Januar 1936 zustande gekommen – nur durch den dem Beklagten obliegenden Beweis widerlegt werden, daß der Veräußerer einen angemessen Kaufpreis erhalten hat und daß er über ihn frei verfügen konnte sowie daß das Rechtsgeschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus abgeschlossen worden wäre oder der Erwerber in besonderer Weise und mit wesentlichem Erfolg den Schutz der Vermögensinteressen des Berechtigten oder seines Rechtsvorgängers wahrgenommen hat, z.B. durch Mitwirkung bei einer Vermögensübertragung ins Ausland (§ 1 Abs. 6 Satz 2 VermG in Verbindung mit Art. 3 Absätze 2 und 3 REAO; – hierzu unten 4. –). Ist – was aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellung nicht angenommen werden kann – die gesetzliche Vermutung widerlegt worden, so kann der Berechtigte dennoch die Rückübertragung beanspruchen, wenn „andere Tatsachen eine ungerechtfertigte Entziehung beweisen oder für eine solche Entziehung sprechen” (§ 1 Abs. 6 Satz 2 VermG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Satz 1 1. Hs. REAO).
2. Die Mitglieder der ursprünglichen Erbengemeinschaft waren als Juden in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 – also auch im Zeitpunkt der geltend gemachten Entziehung des streitigen Grundstücks – einer Verfolgung aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG ausgesetzt. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO – auf den § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG Bezug nimmt – gilt die gesetzliche Vermutung der Verfolgungsbedingheit bestimmter Rechtsgeschäfte für jeden, „der zu einem Personenkreis gehörte, den in seiner Gesamtheit die deutsche Regierung oder die NSDAP” durch ihre Maßnahmen aus den genannten Gründen „vom kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen beabsichtigte”. Dazu zählten in der maßgeblichen Zeit zweifelsfrei die jüdischen Bürger (vgl. auch Beschluß vom 18. Juni 1998 – BVerwG 8 B 56.98 – ZOV 1998, 380 ≪zur Veröffentlichung in Buchholz unter 428 § 1 VermG vorgesehen≫). Auf den Nachweis individueller Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a REAO kommt es deshalb nicht an.
3. § 1 Abs. 6 VermG setzt mit seiner Bezugnahme auf Art. 3 REAO ferner voraus, daß die Rechtsvorgänger der Kläger einer „ungerechtfertigten Entziehung” ausgesetzt waren, und versteht darunter die verfolgungsbedingte „Veräußerung oder Aufgabe” von Vermögensgegenständen.
a) Die Tatbestandsvoraussetzung des Zwangsverkaufs bzw. der ungerechtfertigten Entziehung erfordert zunächst einen Vermögensverlust durch „Veräußerung” (vgl. Art. 3 Abs. 1 REAO). Darunter ist entsprechend der rückerstattungsrechtlichen Rechtsprechung jedes entgeltliche Rechtsgeschäft zu verstehen, das den Vermögensverlust unmittelbar bewirkte. Mit „Veräußerung” ist dabei nicht erst die dingliche Eigentumsübertragung, sondern schon das Kausalgeschäft gemeint, mit dem sich der Veräußerer in bindender Weise wirtschaftlich des Vermögensgegenstandes entäußert hatte (vgl. ORG Berlin, Urteil vom 7. Januar 1958 – ORG/A/536 – RzW 1958, 96 Nr. 11; OLG Hamm, Urteil vom 12. Juli 1951 – 13 RW 349/51 – RzW 1951, 326 f.; BGH, Urteil vom 13. Juli 1960 – IV ZR 25/60 – RzW 1961, 21). Schon der Abschluß eines wirksamen Kausalgeschäfts verschafft dem Erwerber nämlich einen durchsetzbaren Anspruch auf Übereignung des Vermögenswertes. Die Anknüpfung an das Kausalgeschäft ist rückerstattungsrechtlich aber vor allem deshalb gerechtfertigt, weil der Druck auf die Willensfreiheit der Verfolgten bereits auf der Ebene des Kausalgeschäfts erfolgte und die Beweiserleichterung des Rückerstattungsrechts gerade die Rückgängigmachung solcher Rechtsgeschäfte ermöglichen soll. Daß der Begriff der Veräußerung gemäß Art. 3 Abs. 1 REAO nur das entgeltliche Rechtsgeschäft erfaßt, das unmittelbar den auszugleichenden Vermögensverlust bewirkt hat, ergibt sich aus den Widerlegungstatbeständen des Art. 3 Abs. 2 REAO. Diese setzen mit der Angemessenheit des Kaufpreises und der freien Verfügbarkeit über ihn die Entgeltlichkeit eines konkreten Rechtsgeschäfts voraus.
b) Die Verfolgungsbedingtheit „ungerechtfertigte Entziehung”) des Rechtsgeschäfts wird zugunsten der Verfolgten von Gesetzes wegen – widerlegbar – vermutet (Art. 3 Abs. 1 REAO); in diesem Sinne ist auch die Verwendung des Begriffs „Zwangsverkauf” in § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG zu verstehen: Zwangsverkäufe, Enteignungen oder auf andere Weise eingetretene Vermögensverluste sind restitutionsbegründende Schädigungen und damit „ungerechtfertigte Entziehungen” im Sinne des alliierten Wiedergutmachungsrechts; ein Zwangsverkauf liegt danach vor, wenn in der maßgeblichen Zeit ein (individuell oder kollektiv) Verfolgter durch entgeltliches Veräußerungsgeschäft einen unmittelbaren Vermögensverlust erlitten hat und zwischen der Verfolgung und dem Vermögensverlust – sei es durch Nachweis, sei es aufgrund der gesetzlichen Vermutung – eine Kausalität besteht, die Veräußerung also verfolgungsbedingt „zwangsweise”) erfolgte. Letztlich erweist sich deshalb die gesetzliche Anknüpfung des Restitutionsanspruchs in § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG an Vermögensverluste durch die Verfolgung „deshalb”) infolge von „Zwangsverkäufen” als eine insoweit tautologische Formulierung. Der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 6 VermG ist nämlich anhand der früheren Rückerstattungsregelungen und der dazu ergangenen Rechtsprechung, mithin im Lichte des Art. 3 Abs. 1 REAO – auf die § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG Bezug nimmt – auszulegen (BTDrucks 12/2480 S. 39; Beschluß vom 20. Mai 1998 – BVerwG 7 B 440.97 – VIZ 1998, 452; Urteile vom 26. Juni 1997 – BVerwG 7 C 53.96 – Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 18 S. 14 ≪16≫ und vom 27. Mai 1997 – BVerwG 7 C 67.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 112 S. 337 f.).
Die Gleichsetzung von „Zwangsverkauf” im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG und „ungerechtfertigter Entziehung” im Sinne von Art. 2 und 3 REAO entspricht auch Sinn und Zweck des § 1 Abs. 6 VermG sowie der bewußten Anknüpfung des dort geregelten Rückerstattungsanspruchs an die alliierten Wiedergutmachungsregelungen. Denn § 1 Abs. 6 VermG soll eine „Wiedergutmachungslücke” schließen und für erlittenes NS-Unrecht auf dem Gebiet der ehemaligen DDR und des sowjetischen Sektors von Berlin in gleicher Weise Wiedergutmachung gewähren wie (zuvor) im übrigen Bundesgebiet (vgl. Urteile vom 6. April 1995 – BVerwG 7 C 5.94 – BVerwGE 98, 137 ≪143≫ = Buchholz 112 § 1 VermG Nr. 42 S. 101 ≪107≫ und vom 18. Mai 1995 – BVerwG 7 C 19.94 – BVerwGE 98, 261 ≪265≫ = Buchholz 112 § 1 VermG Nr. 44 S. 112 ≪115≫).
In den Blick zu nehmen ist nach Art. 3 REAO also zunächst das konkrete zum Vermögensverlust führende Rechtsgeschäft – hier der Kaufvertrag vom September 1935/Januar 1936; an ihm sind die Widerlegungstatbestände des Art. 3 Abs. 2 REAO zu messen (vgl. Urteil vom 16. Dezember 1998 – BVerwG 8 C 14.98 – UA S. 17 ≪zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen≫). Dabei ist allerdings der Zusammenhang, in dem der Einzelkaufvertrag geschlossen wurde, nämlich die Parzellierung der Gesamtfläche, zu berücksichtigen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß Parzellierungen in der vorliegenden Größenordnung mehr als die Summe isolierter Einzelverkäufe und Landabtretungen sind. So haben die Modalitäten des Parzellierungsvertrages und des Aufschließungsvertrages entscheidende Teile der später mit den Erwerbern abgeschlossenen Kaufverträge geprägt. Sie bildeten eine rechtsgeschäftliche Vorstufe und gewisse Klammer für die einzelnen Veräußerungen.
c) Diesen Regelungsgehalt des Art. 3 REAO hat das Verwaltungsgericht mit Blick auf den konkreten Fall nicht zutreffend erkannt und dadurch gegen revisibles Recht verstoßen. Anstatt – wie es von Rechts wegen geboten gewesen wäre – zunächst auf das konkrete, den Verlust des streitigen Grundstücks unmittelbar herbeiführende Rechtsgeschäft abzustellen und darauf bezogen die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung gemäß den Kriterien des Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO zu erörtern, hat es in einer „Einheitssicht” ausschließlich auf das gesamte Parzellierungsvorhaben abgestellt und die Umstände des konkreten Rechtsgeschäfts wie etwa die preisbildenden Faktoren für das streitige Grundstück nur beiläufig erwähnt (S. 26 oben des angefochtenen Urteils), bei der weiteren Würdigung dann aber völlig außer Acht gelassen. Das gilt erst recht für die übrigen Widerlegungsmerkmale wie die Frage des Erhalts der Gegenleistung und die Möglichkeit der freien Verfügung über sie.
4. Die bisherigen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ermöglichen es dem Senat auch nicht, über den mit der Klage verfolgten Anpruch abschließend zu entscheiden. Dabei kann es nicht Aufgabe eines Revisionsgerichts sein, aus den zahlreichen Beiakten etwaige weitere entscheidungserhebliche Einzelheiten herauszusuchen. Vielmehr muß das Tatsachengericht aus den Unterlagen diejenigen Tatsachen herausfiltern, die es seiner Entscheidung zugrunde legt, und diese unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten werten. Das Revisionsgericht prüft im wesentlichen, ob die so festgestellten Tatsachen geeignet sind, die entscheidungserheblichen Rechtssätze auszufüllen. Dabei können allerdings nach der ständigen Praxis des Bundesverwaltungsgerichts solche zusätzlichen Einzelumstände berücksichtigt werden, die sich ohne weiteres aus den Akten ergeben und von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen werden.
Im vorliegenden Fall wäre eine Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht nur dann entbehrlich, wenn aufgrund der nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen festgestellten Tatsachen davon auszugehen wäre, daß entweder – wie das Verwaltungsgericht, wenn auch von einem unzutreffenden rechtlichen Ansatz aus, angenommen hat – der Gegenbeweis im Sinne des Art 3 Abs. 2 und 3 REAO geführt und sonstige Umstände im Sinne des Art 3 Abs. 2 Satz 1 REAO nicht zumindest glaubhaft gemacht sind oder daß die Führung des Gegenbeweises als endgültig gescheitert anzusehen ist. Beide Alternativen liegen aber nicht vor.
a) Zugunsten der Kläger greift – wie dargelegt – gemäß Art. 3 Abs. 1 REAO die gesetzliche Vermutung ein, die Veräußerung der streitigen Parzelle auf der Grundlage des notariellen Vertrages vom 16. September 1935/Januar 1936 sei eine verfolgungsbedingte „ungerechtfertigte Entziehung”. Diese Vermutung ist nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO widerlegt worden. Der Beklagte hat – jedenfalls bisher – nicht bewiesen, daß die verfolgte ursprüngliche Erbengemeinschaft als Veräußerer einen angemessenen Kaufpreis im Sinne von Art. 3 Abs. 2 REAO erhalten hat und über ihn frei verfügen konnte.
Nach der Legaldefinition des Art. 3 Abs. 2 2. Hs. REAO ist als angemessener Kaufpreis ein Geldbetrag anzusehen, den ein Kauflustiger zu zahlen und ein Verkaufslustiger anzunehmen bereit gewesen wäre. Damit ist der Sache nach der (objektive) Verkehrswert angesprochen, dessen Feststellung bei Grundbesitz aber bereits rückerstattungsrechtlich erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Schon 1952 galt der Nachweis der Angemessenheit als nicht einfach zu führen (Schwarz, Rückerstattung nach den Gesetzen der alliierten Mächte, 1974, S. 160; Lücke, Haus und Wohnung 1952, 203 ≪205≫). In der rückerstattungsrechtlichen Rechtsprechung setzte sich die Auffassung durch, daß der Verkehrswert zuverlässig nur auf der Grundlage von Preisvergleichen für Verkäufe ähnlicher Objekte im selben Zeitraum und der gleichen Gegend oder auf der Grundlage von entsprechenden Gutachten ermittelt werden konnte. Dies galt insbesondere auch für unbebaute Parzellen (vgl. Schwarz, a.a.O., S. 161 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung; Lücke, a.a.O.). Entscheidend ist demnach der Preis, der im gewöhnlichen Verkehr nach der Beschaffenheit des zu veräußernden Gegenstandes im Zeitpunkt des Abschlusses des notariellen Kaufvertrages zu erzielen gewesen wäre, wenn das Verkaufsobjekt keinem Verfolgten gehört hätte. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die den Preis beeinflussen (neben dem Zeitpunkt des Verkaufs insbesondere Lage, Art und Beschaffenheit des Objekts), wobei naturgemäß keine Genauigkeit im Sinne mathematischer Sicherheit gewonnen werden kann. Außer Betracht bleiben ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse, nicht hingegen wirtschaftspolitische Gegebenheiten der NS-Zeit, sofern sie nicht gerade Verfolgungsmomente – wie etwa Marktverzerrungen durch „verfolgungsbedingte Überangebote” – aufweisen (vgl. Urteil vom 27. Mai 1997 – BVerwG 7 C 67.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 112 S. 337 ≪342≫; Dietsche in Kimme, Offene Vermögensfragen, § 1 VermG Rn. 330 f.; Säcker-Busche in Säcker, Vermögensrecht, § 1 VermG Rn. 167 f.; Wasmuth in RVI, § 1 VermG Rn. 195 f.; Herzfeld, RzW 1954, 253).
Der Verkehrswert ist daher im Wege der freien Beweiswürdigung in erster Linie durch konkrete Vergleichsverkäufe und/oder anhand eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln. Dies war auch in den lastenausgleichsrechtlichen Verfahren üblich (Urteil vom 13. Juni 1975 – BVerwG III C 56.74 – BVerwGE 48, 362 ≪366 f.≫ = Buchholz 427.207 § 2 der 7. FeststellungsDV Nr. 33 S. 2 ≪4 f.≫). Nach diesem Maßstab sind die bisherigen Feststellungen des Verwaltungsgerichts als Entscheidungsgrundlage ungeeignet.
aa) Auch wenn mit dem Verwaltungsgericht (vgl. dazu das rechtskräftige Urteil vom 12. Dezember 1996 – 1 K 4253/95) davon auszugehen ist, daß bei der Frage der Angemessenheit des hier erzielten Kaufpreises neben den im direkten Zusammenhang mit dem Kaufvertrag stehenden wertbildenden Faktoren auch die Vorgaben durch die vor diesem Zeitpunkt abgeschlossenen Verträge im Rahmen des gesamten Verkaufsprojektes zu würdigen sind, wonach eine Gesamtfläche von rd. 84 ha innerhalb von etwa fünf Jahren verkauft werden sollte und dies wegen der Vielzahl der gleichzeitig angebotenen Grundstücke nicht ohne Einfluß auf den zu erzielenden Kaufpreis bleiben konnte, hätten auch diese Faktoren ggf. mit Hilfe eines Sachverständigen ermittelt und dann bei der Gesamtbewertung berücksichtigt werden müssen.
bb) Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die Angemessenheit des Kaufpreises zunächst auf der Grundlage „einer Vielzahl von insoweit zumindest in der Größenordnung des jeweiligen Betrages übereinstimmenden Quellen” angenommen (S. 27 des angefochtenen Urteils), ohne jedoch auf den konkreten Verkaufszeitpunkt und damit die jeweilige allgemeine Geld- und Kapitalmarktlage zwischen Mai 1934 und November 1938 (hier: Januar 1936) einzugehen und ohne die Beschaffenheit der streitgegenständlichen Parzelle im einzelnen sowie insbesondere deren Lage und Qualität innerhalb des aufgeteilten Areals ausdrücklich zu berücksichtigen. Soweit das Verwaltungsgericht die Angemessenheit des Kaufpreises bereits deswegen als nachvollziehbar belegt annimmt, weil aus der vorgelegten Schrift „Die private Stadtrandsiedlung” aufgrund von Erhebungen aus dem Jahre 1932 für das Gebiet außerhalb Berlins Nettolandpreise zwischen 1 RM/qm und 3 RM/qm folgen, hat es außer acht gelassen, daß diese Erhebungen aus dem Jahre 1932 schon hinsichtlich des Zeitpunktes nicht ohne weiteres mit dem vorliegenden Kaufvertrag vergleichbar sind. Entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts kann auch nicht ohne nähere, nachvollziehbare Feststellungen davon ausgegangen werden, daß sich „die maßgeblichen Bodenpreise innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums” nicht erheblich erhöht hätten. Zum einen hat das Verwaltungsgericht nicht dargelegt, woher es diese Erkenntnisse hat. Zum anderen gibt es in der rückerstattungsrechtlichen Literatur jedenfalls beachtliche gegenteilige Äußerungen, die vom Verwaltungsgericht nicht erkennbar in seine Betrachtungen einbezogen wurden. Danach sollen als Folge der damaligen Weltwirtschaftskrise 1929 und des Bankenzusammenbruchs 1931 die Jahre 1932 bis Ende 1933 die Zeit der billigsten Grundstückspreise seit 1926 und der Bauindex der niedrigste seit 1924 gewesen sein (Lücke, a.a.O., S. 204 unten, vgl. auch Schwarz, a.a.O., S. 161). Erst danach ließ die (langsam) einsetzende Flucht in die Sachwerte, die innere Entwertung der Reichsmark sowie die Kriegsfurcht die Preise erneut steigen (Schwarz, a.a.O.; Säcker-Busche, a.a.O., Rn. 168; Wasmuth, a.a.O., Rn. 196).
cc) Auch der pauschalen Bezugnahme des Verwaltungsgerichts auf Grundstücksangebote aus der „Berliner Morgenpost” im Zeitraum zwischen Mai und Juni 1934 kommt schon wegen des Zeitraums keine ausreichende Beweiskraft zu. Außerdem hat das Verwaltungsgericht keine Feststellungen darüber getroffen, ob es sich bei den nicht identifizierten Anbietern um Nichtverfolgte handelte.
dd) Schließlich kann der Beweis der Angemessenheit des Kaufpreises auch nicht im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht angeführten (S. 27 des Urteilsabdrucks) „weiteren in Kopie zur Akte gelangten Kaufverträge bezüglich angrenzender und vergleichbarer Flurstücke dritter Personen aus dem Zeitraum zwischen dem 30. Mai 1930 und 5. Oktober 1936” als geführt angesehen werden. Das angefochtene Urteil enthält keinerlei nähere Angaben zu diesen Verträgen. Selbst wenn man unterstellt, daß es sich dabei im wesentlichen um die bei den Akten befindlichen Kaufverträge hinsichtlich der Parzellen der ehemaligen Gärtnerei P. in Teltow-Seehof handelte, kann nach den bisherigen Feststellungen nicht von der Vergleichbarkeit der Verträge ausgegangen werden. Es fehlt schon an der Feststellung, daß der Voreigentümer P. nicht zum Kreis der Verfolgten gehörte. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß ausweislich der notariellen Verträge der Voreigentümer P. sich im „Entschuldungsverfahren”, also offensichtlich in akuter Geldnot befand, so daß dies für die Preisgestaltung durchaus von Bedeutung gewesen sein kann. Davon abgesehen waren die Preise für Baugrundstücke in Seehof auch nicht etwa gleich. Vielmehr sind auch bei den von der Erbengemeinschaft veräußerten Parzellen erhebliche Abweichungen in den vereinbarten Kaufpreisen festzustellen, wie etwa ein Vergleich zwischen dem im vorliegenden Fall vereinbarten Kaufpreis (2,50 RM/qm) und dem Kaufpreis im Verfahren BVerwG 8 C 18.98 (3,00 RM/qm) zeigt. Diese beiden Grundstücke liegen relativ dicht beieinander, nördlich der Lichterfelder Allee, also in einem eher bevorzugten Teil des Gesamtgebietes. Demgegenüber liegen die Grundstücke der Gärtnerei P. im südlichen Randgebiet an der Osdorfer Straße. Bei der Bemessung des angemessenen Kaufpreises können aber die jeweilige örtliche Lage und die Besonderheiten des Schnittes der Grundstücke sowie ähnliche wertbestimmende Faktoren nicht außer Betracht gelassen werden. Ein pauschaler Vergleich über größere Flächen hinweg ist daher ohne nähere Angaben nicht möglich.
Es kommt hinzu, daß auch innerhalb der von P. verkauften Grundstücke offenbar unterschiedliche Werte angenommen wurden. So hat die „Witwe G.” mit notariellem Kaufvertrag vom 29. Juli 1938 zwei offenbar angrenzende Parzellen (272/178 und 273/178) erworben, wobei für die eine Parzelle ein Kaufpreis in Höhe von 2,50 RM/qm und für die andere ein Kaufpreis in Höhe von 2,00 RM/qm vereinbart wurde. Schließlich kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Verkaufsbedingungen bei der Gärtnerei P. von denen der Sabersky-Erben teilweise erheblich abwichen. So haben die Erwerber entweder den Kaufpreis sofort bar bezahlt, wobei dennoch trotz sofortiger Auflassung die Eintragung ins Grundbuch erst mehrere Jahre später erfolgte, was offenbar mit dem „Entschuldungsverfahren” zusammenhing, oder sie haben eine Anzahlung in Höhe von etwa einem Viertel des Kaufpreises geleistet und mußten für den in Raten abzuzahlenden Restbetrag von Anfang an Zinsen zahlen.
b) Wegen der mit der Verkehrswertermittlung verbundenen Schwierigkeiten ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit langem anerkannt, daß die Tatsachengerichte aus Gründen der Vereinfachung nicht gehindert sind, bei der Bestimmung der Angemessenheit indiziell auf den damaligen Einheitswert des Grundstücks abzustellen (Beschluß vom 18. Juni 1998 – BVerwG 8 B 56.98 – ZOV 1998, 380; Urteil vom 27. Mai 1997 – BVerwG 7 C 67.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 112 S. 337 ≪342≫). Denn nach der höchstrichterlichen Auslegung des Begriffs der „angemessenen Gegenleistung” im Sinne des § 2 Abs. 2 der 7. FeststellungsDV ist dem Einheitswert für bebaute Grundstücke Mindestverkehrswertcharakter zugebilligt worden. Da die Norm einen ähnlichen Inhalt hat wie die in Rede stehende Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 REAO, entspricht es auch in diesem Zusammenhang einem allgemeinen Erfahrungssatz, daß der Verkehrswert für ein Grundstück in der Regel höher, zumindest aber nicht niedriger als der Einheitswert gewesen ist. Der Einheitswert bildet regelmäßig die unterste Grenze des Verkehrswertes. Ein darunter liegender Kaufpreis stellt daher keine angemessene Gegenleistung dar, sofern nicht nach der letzten Feststellung eine erhebliche Minderung des Wirtschaftsgutes eingetreten ist, wonach der Steuerpflichtige eine den Einheitwert senkende Wertfortschreibung hätte verlangen können (Urteile vom 16. Dezember 1965 – BVerwG III C 220.64 – RzW 1966, 382 ≪383≫, vom 26. Januar 1967 – BVerwG III C 108.65 – Buchholz 427.207 § 2 der 7. FeststellungsDV Nr. 4 S. 2 f. und vom 26. Februar 1970 – BVerwG III C 84.68 – RzW 1970, 522 f., Beschluß vom 2. Juli 1970 – BVerwG III B 44.70 – Buchholz 427.207 § 2 der 7. FeststellungsDV Nr. 11 S. 9 f.). Dieser Rechtsprechung hat sich der 7. Senat für den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 6 VermG angeschlossen (Urteil vom 27. Mai 1997 – BVerwG 7 C 67.96 – a.a.O.).
Auch diesen Gesichtspunkt hat das Verwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen. Zwar gilt der dargestellte Erfahrungssatz unmittelbar nur für Einheitswerte, die auf einen Zeitpunkt festgestellt wurden, der vor dem Abschluß des Kaufvertrages liegt. Derartige Einheitswerte sind hier nicht ersichtlich. Dennoch sind auch Einheitswerte, die – wie im vorliegenden Fall – relativ zeitnah nach dem Erwerb des Grundstücks festgestellt wurden, für die Ermittlung des Verkehrswertes und damit des angemessenen Kaufpreises nicht ohne Bedeutung. Sind nämlich – wofür hier viel spricht – zwischen Erwerb und Feststellung des Einheitswertes keine wesentlichen Veränderungen des Grundstücks insbesondere keine Baumaßnahmen vorgenommen worden, erscheint es nicht ausgeschlossen, mit Hilfe eines Sachverständigen unter Berücksichtigung des wirtschaftlich vom Erwerber getragenen Aufwandes für Erschließungsmaßnahmen, der ggf. schon bei der Festsetzung des Einheitswertes berücksichtigt wurde, den in den festgesetzten Einheitswerten enthaltenen Wert für Grund und Boden zu ermitteln. Allerdings kommt einem so festgestellten Wert nicht die gleiche Bedeutung zu, wie den für Zeitpunkte vor dem Verkauf festgestellten Einheitswerten. Dennoch ist er vom Verwaltungsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit heranzuziehen und kann unter Umständen geeignet sein, die Einholung von Sachverständigengutachten zu Vergleichsgrundstücken überflüssig zu machen. Bei der Beweiswürdigung ist aber – wie bereits dargelegt – auch das Gesamtvorhaben der Parzellierung zu berücksichtigen. So wäre ggf. vom Verwaltungsgericht zu ermitteln, ob es bei vergleichbarem Parzellierungsvorhaben der Praxis entsprach, einzelne Grundstücke auch deutlich unter Wert zu verkaufen, um das Gesamtvorhaben voranzubringen. Sollte dies der Fall sein und sollte der hier vereinbarte Kaufpreis in diesem Sinne auffallend niedrig sein, so müßte ggf. anhand der zeitlichen Reihenfolge der einzelnen Verkäufe in der entsprechenden Zone und den dabei jeweils erzielten Verkaufspreisen ermittelt werden, ob es sich hier um einen trotz seiner geringen Höhe wegen der Gesamtkalkulation noch vertretbaren Kaufpreis handelte (vgl. zur Frage der Bedeutung des Einheitswertes bei Großparzellierungen auch Fraude, OV spezial 1999, 34 ≪38≫).
c) Hinsichtlich der Frage, ob die Rechtsvorgänger der Kläger den Kaufpreis zu ihrer freien Verfügung erhalten haben, ist von den Definitionen zum Begriff „freie Verfügung” im Zusammenhang mit den Vorschriften der 7. Feststellungs-DV in der Rechtsprechung des 3. Senats (Urteile vom 12. November 1970 – III C 123.69 – BVerwGE 36, 277 ≪280≫ = Buchholz 427.207 § 8 der 7. FeststellungsDV Nr. 3 S. 1 ≪2≫ und vom 11. März 1971 – III C 78.69 – BVerwGE 37, 320 ≪323≫ = Buchholz a.a.O. Nr. 5 S. 10 ≪13≫) auszugehen, wonach die freie Verfügung über den Kaufpreis dann anzunehmen ist, wenn der Verfolgte „nach Erhalt des Kaufpreises tatsächlich darüber dadurch disponiert hat, daß er Gegenstände mit diesen Mitteln erworben, Verbindlichkeiten getilgt oder sich in sonstiger Weise am Wirtschaftverkehr beteiligt hat”. Ausreichend ist außerdem die objektive Möglichkeit, sich mittels des auf ein „nicht gesperrtes” Bankkonto überwiesenen Guthabens im Wirtschaftsverkehr für Geld Gegenwerte zu beschaffen oder Vermögensumschichtungen vorzunehmen.
Allerdings ist der Kaufpreis nicht nur an den Verkäufer gelangt, wenn er an diesen bar ausgezahlt worden ist. Vielmehr war das Entgelt auch dann frei verfügbar, sobald nachgewiesen ist, daß der Betrag vom Erwerber abredegemäß an einen Dritten gezahlt worden ist, zur Tilgung der auf dem Grundstück lastenden Verbindlichkeiten oder sonst in einer zum Vorteil des Verkäufers vorgesehenen Weise, es sei denn die Begründung der Verbindlichkeit/Verpflichtung beruhte ihrerseits bereits auf Diskriminierungen im Sinne des Art. 1 REAO (vgl. BoR Herford, Urteil vom 28. Juli 1952 – BoR 52/337 – RzW 1952, 304 f. sowie Gutachten Nr. 1 vom 25. März 1953 zu Art. 36 Abs. 3 BrREG – RzW 1953, 149; OLG Hamburg, Urteil vom 3. Dezember 1954 – 5 WiS 375 und 387/54 – RzW 1955, 173 ≪174≫). Es kommt somit in den „Verrechnungsfällen” nicht nur auf die freiwillige Festlegung hinsichtlich des Kaufpreiserhalts an, sondern auch auf die bestimmungsgemäße Erfüllung der getroffenen Vereinbarung.
Grundsätzlich muß sich ein verfolgter Veräußerer auch die Handlung seiner noch verfolgungsfrei bestellten Bevollmächtigten zurechnen lassen. Im Rückerstattungsrecht wurden etwa Veräußerungen eines Abwesenheitspflegers im allgemeinen so behandelt, als habe der gesetzlich Vertretene selbst verkauft. Den Empfang des Kaufpreises durch den Pfleger mußte er sich als frei verfügbar entgegenhalten lassen, sofern mit dem Geld seine, des Pfleglings Interessen im Sinne seines vermuteten freien Willens verfolgt werden konnten. War der Pfleger demgegenüber wegen der Verfolgung des Pfleglings in der Verfügung beschränkt, muße er z.B. auf ein Sperrkonto zahlen oder diskriminierende Abgaben begleichen, fehlte es an einer zurechenbaren freien Verfügbarkeit (OLG Hamburg, a.a.O. S. 173 f.). Beruhte die Bestellung eines Treuhänders/Bevollmächtigten bereits selbst auf diskriminierenden Umständen, wurde eine freie Verfügbarkeit über das Erlangte dagegen von vornherein nicht in Betracht gezogen (vgl. BoR Herford, Urteil vom 21. Januar 1952 – BoR 51/163 – RzW 1952, 151).
Schließlich ist Kaufgeld in die freie Verfügung der Verfolgten gelangt, wenn es zur Zeit der Zahlung ungehindert zu jedem beliebigen Zweck hätte verwandt werden können, der Empfänger sich jedoch freiwillig entschieden hat, die Summe zunächst „ruhen zu lassen”. War der einige Monate später geplante Einsatz des Geldes sodann aus diskriminierenden Gründen reglementiert, war diese Sperre zwar eine Verfolgungsmaßnahme, die jedoch zu diesem Zeitpunkt nichts mehr mit dem Verkauf der Grundstücke zu tun gehabt hat (BoR Herford, Urteil vom 4. Juni 1952 – BoR 52/294 – RzW 1952, 246). Ebensowenig konnte die festgestellte freie Verfügbarkeit rückwirkend dadurch beseitigt werden, daß später die mit Mitteln des Kaufpreises (noch) verfolgungsfrei erworbenen Wertpapiere zur Abgeltung der sog. Judenvermögensabgabe an das Finanzamt überwiesen werden mußten (OLG Frankfurt, Urteil vom 24. Januar 1956 – 2 W 170/55 (R) – RzW 1956, 133 f.). In beiden Fällen handelte es sich zwar möglicherweise um verfolgungsbedingte Schädigungen, die jedoch bereits einen anderen Vermögensgegenstand (Geldvermögen/Forderungen) betrafen, ohne auf das ursprüngliche Erwerbsgeschäft durchzuschlagen.
An diesen Grundsätzen gemessen enthält das angefochtene Urteil keine ausreichenden Feststellungen. Da es nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 1. Hs. REAO auf den gezahlten Kaufpreis und nicht auf eine entstandene Kaufpreisforderung ankommt, kann entscheidend allein der Zeitpunkt der Leistung des Kaufpreises sein. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Möglichkeit der Erbengemeinschaft, über die gestundeten Teile des Kaufpreises durch Verpfändung oder Abtretung der Forderung oder in sonstiger Weise über die Forderung frei zu verfügen, sind daher schon im Ansatz verfehlt. Diese Möglichkeit wäre vielmehr nur dann von Bedeutung, wenn es tatsächlich zu einer solchen Verfügung gekommen wäre – was im vorliegenden Fall nach Aktenlage nicht gegeben ist. Denn nur dann wäre diese Gegenleistung an die Stelle des vereinbarten Kaufpreises getreten. Allerdings müßte dann das dabei erzielte Entgelt nachweislich angemessen gewesen und in die freie Verfügung der Erbengemeinschaft gelangt sein.
Die sonstigen Feststellungen des Verwaltungsgerichts und der übrige Akteninhalt ermöglichen es dem Senat auch nicht, abschließend über die Frage der freien Verfügbarkeit zu entscheiden. Allerdings ist aufgrund der vom bevollmächtigten Kaufmann Georg B. im September 1938 erteilten löschungsfähigen Quittung davon auszugehen, daß die Erbengemeinschaft zumindest in der Person ihres Bevollmächtigten den vereinbarten Kaufpreis tatsächlich erhalten hat. Anhaltspunkte dafür, daß der Inhalt der Quittung unzutreffend sein könnte, liegen nicht vor. Die dem Kaufmann B. im Jahre 1933 erteilte Vollmacht war auch nicht verfolgungsbedingt. Nach den Gesamtumständen einschließlich seiner Tätigkeit für Angehörige der Familie Sabersky schon lange vor 1933 und seiner weiteren Beauftragung durch Mitglieder der Erbengemeinschaft nach Kriegsende in den Wiedergutmachungsverfahren muß davon ausgegangen werden, daß B. das Vertrauen der Erbengemeinschaft besaß. Auf die Frage, ob nicht jedenfalls die Zusatzvollmacht aus dem Jahre 1939 verfolgungsbedingt war, kommt es hier nicht an, weil die löschungsfähige Quittung bereits mehrere Monate vorher erteilt wurde.
Grundsätzlich wird man auch davon ausgehen müssen, daß die einem verfolgungsfrei bestellten Bevollmächtigten zugeflossenen Gelder in die freie Verfügbarkeit der Verfolgten gelangt sind, solange der Bevollmächtigte in der Lage war, entsprechend den tatsächlichen oder vermuteten Weisungen der Vollmachtgeber zu handeln. Wie die Beziehungen zwischen dem Bevollmächtigten und den von ihm vertretenen Verfolgten sich im Einzelfall tatsächlich darstellten, ist in erster Linie eine Frage des Innenverhältnisses, zu dem der im Prinzip beweispflichtige Beklagte naturgemäß kaum Angaben machen kann. Trotz der gesetzlich geregelten Beweislastverteilung müssen in diesen Fällen die Rechtsnachfolger der Verfolgten wenigstens ausreichende Anhaltspunkte dafür aufzeigen, daß die freie Verfügbarkeit im genannten Sinne nicht mehr gewährleistet war.
In diesem Zusammenhang kommt im übrigen dem Inkrafttreten der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 (RGBl I S. 1709 – RVI Bd. IV Dok I 12) erhebliche Bedeutung zu. Nach dieser Verordnung war es Juden nicht mehr möglich, Rechte an Grundstücken zu erwerben. Außerdem bedurften sie der Genehmigung für Verfügungen und Kausalgeschäfte über Grundstücke, wobei die Genehmigung auch unter Auflagen, insbesondere von Geldleistungen oder der Zeichnung von Staatsverschuldungen erfolgen konnte. Ab diesem Zeitpunkt kann daher generell nicht mehr vermutet werden, daß Verfolgte über im Zusammenhang mit Grundstücksgeschäften an Bevollmächtigte geleistete Gelder noch frei verfügen konnnten. Insoweit bedarf es daher in jedem Einzelfall des vom Beklagten geführten Nachweises, auf welchem Wege die Gelder in die freie Verfügung der Erbengemeinschaft gelangt sind, ohne daß es insoweit auf weiteren Vortrag der Kläger ankäme.
d) Schließlich läßt sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen auch nicht abschließend entscheiden, ob das konkrete Geschäft seinem wesentlichen Inhalt nach auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus geschlossen worden wäre. In diesem Zusammenhang wird insbesondere der Frage nachzugehen sein, ob die im Parzellierungsvertrag vereinbarte Provisionsregelung als verfolgungsbedingt anzusehen ist. Dabei kann dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht von Amts wegen gehalten gewesen wäre, insoweit weitere Sachverhaltsermittlungen anzustellen. Jedenfalls aufgrund des im Revisionsverfahren nachgereichten Gutachtens des Diplom-Kaufmanns Dr. Z. vom 24. November 1998 (Anlage 8 zum Schriftsatz vom 17. Februar 1999 – Bl. 386 ff. der Streitakten) haben die Kläger ihr entsprechendes Vorbringen jedenfalls soweit substantiiert, daß das Gericht im Rahmen der Aufklärungspflicht dem weiter nachzugehen haben wird. Im Unterschied zu der mit Urteil vom 16. Dezember 1998 vom Senat entschiedenen Streitsache (BVerwG 8 C 14.98), bei der die Frage der Provisionsvereinbarung nur im Zusammenhang mit von den Klägern ggf. darzulegenden „anderen Tatsachen” im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO entscheidungserheblich sein konnte und bei der bis zum Abschluß der Tatsacheninstanz vor dem Verwaltungsgericht ein entsprechend substantiierter Vortrag fehlte, ist diese Frage im vorliegenden Fall, bei dem der Kaufvertrag nach dem 14. September 1935 geschlossen wurde, schon im Rahmen der Widerlegung der gesetzlichen Vermutung zu überprüfen, so daß es auf substantiierten Vortrag der Kläger insoweit nicht ankommt.
5. Die Klage wäre allerdings hinsichtlich des mit dem Hauptantrag verfolgten Restitutionssanspruchs entscheidungsreif, wenn schon jetzt feststünde, daß ein etwa dem Grunde nach bestehender Restitutionsanspruch von Gesetzes wegen ausgeschlossen wäre. Das ist aber nicht der Fall.
a) Die Ausschlußtatbestände des § 4 VermG greifen nicht ein. Insbesondere hat die Beigeladene das Eigentum an dem streitgegenständlichen Grundstück nicht i.S.d. § 4 Abs. 2 VermG nach dem 8. Mai 1945 in redlicher Weise erworben, weil diese Vorschrift nur rechtsgeschäftliche Erwerbsvorgänge, nicht aber den Erwerb im Rahmen von Erbfällen erfaßt (vgl. Holst/Liedtke in Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG, Stand April 1998, § 4 Rn. 72, 77; vgl. auch BVerfG, Beschluß vom 3. März 1995 – 1 BvR 236/95 – VIZ 1995, 343).
b) Auch die Regelung des § 3 Abs. 1 S. 11 VermG steht – entgegen der Rechtsansicht des Oberbundesanwalts – einer Rückübertragung nicht entgegen. Ihrem Wortlaut nach erfaßt die Vorschrift nur Veräußerungen durch Unternehmen und nicht den Verkauf durch private Parzellierer. Auch eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht, weil das Vermögensgesetz generell zwischen der Unternehmensrestitution und der Einzelrestitution unterscheidet. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß Vorschriften, die im Zusammenhang mit Unternehmen stehen, auf Einzelrestitutionen übertragbar sind. Auch Sinn und Zweck des § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG, den gutgläubigen Erwerber zu schützen, entsprechen nicht der generellen Regelung für Ansprüche nach § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. den rückerstattungsrechtlichen Vorschriften, weil es insoweit im Rückerstattungsrecht einen Gutglaubenschutz nicht gab. Auch aus diesem Grunde muß daher die Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG eng ausgelegt werden.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Krauß, Golze, Postier
Fundstellen
BVerwGE |
BVerwGE, 301 |
VIZ 1999, 334 |