Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundstücksrestitution. geringere Entschädigung. gemischte Erbengemeinschaft. Gesamthandeigentum. Anteilsschädigung. Berechtigter. Diskriminierung. Erbauseinandersetzung
Leitsatz (amtlich)
Wurde ein Grundstück einer aus West- und Ost-Erben bestehenden “gemischten” Erbengemeinschaft unter Anwendung diskriminierender Entschädigungsbestimmungen enteignet, ist die Erbengemeinschaft auch dann von einer schädigenden Maßnahme i.S. des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG betroffen, wenn eine Benachteiligung der in der DDR wohnenden Erben durch die Gewährung eines Zuschlags zur Entschädigung vermieden werden sollte.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 1 Buchst. b
Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 12.11.2002; Aktenzeichen 25 A 37.96) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. November 2002 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass der Kläger zu 1 hinsichtlich der erbrechtlichen Mitberechtigung der Alleinerbin nach Dr. D.… B.… sowie der Kläger zu 2 hinsichtlich der Mitberechtigung der Erbeserbengemeinschaft G.… B.…, R.… S.… und E.… B.… für das veräußerte Grundstück R.…-Platz 8 in Berlin-Mitte Berechtigte nach § 16 Abs. 1 InVorG sind.
Der Bescheid des Amts zur Regelung offener Vermögensfragen Mitte-Prenzlauer Berg vom 15. Mai 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 4. Januar 1996 wird aufgehoben, soweit er der ausgesprochenen Verpflichtung entgegensteht.
Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Beklagte und die Beigeladene jeweils zur Hälfte mit Ausnahme ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten, die sie selbst tragen. Im Übrigen trägt der Beklagte die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Tatbestand
I.
Die Kläger beanspruchen die Feststellung ihrer Restitutionsberechtigung hinsichtlich eines teilweise gewerblich genutzten Mietwohngrundstücks einer Erbengemeinschaft, das auf der Grundlage des Aufbaugesetzes in Anspruch genommen wurde.
Eigentümer des Grundstücks war die ungeteilte Erbengemeinschaft nach A.… B.… Mitglieder der Erbengemeinschaft waren die in Westdeutschland wohnenden R.… B.… und D.… Mi.… sowie die in der DDR wohnenden G.… B.… und H.… B.… Die Grundstücksbewertungsstelle des Magistrats von Berlin ermittelte laut Aufstellung vom 24. Oktober 1980 den Zeitwert des Grundstücks im Mittelwertverfahren mit 134 270 M. Abweichend hiervon legte sie nach den im Ministerratsbeschluss vom 28. Juli 1977 entwickelten Grundsätzen zur Anwendung der Preisbestimmungen für ausländische Grundstücke einen Wert zugrunde, der dem Bodenwert von 44 039 M entsprach. Der als Differenz zwischen Zeitwert und Bodenwert errechnete Betrag von 90 231 M wurde zugunsten der Ost-Erben in Höhe ihrer Erbquoten als Zuschlagsbetrag vorgesehen. Das Grundstück wurde auf Antrag des volkseigenen Dienstleistungsbetriebs durch Bescheid vom 10. März 1981 in Anspruch genommen. Als Rechtsgrundlage war die Zweite Durchführungsbestimmung zum Aufbaugesetz vom 29. September 1972 (GBl DDR II S. 641) angegeben. Der volkseigene Dienstleistungsbetrieb beabsichtigte, das vorhandene Gebäude in ein Verwaltungsgebäude umzubauen. Nach Vorlage einer Gebäudebestandsaufnahme und Erstellung einer Belegungskonzeption sah er “im volkswirtschaftlichen Interesse” von einer Investition in das Gebäude ab.
Mit Feststellungsbescheid vom 14. Dezember 1981 wurde die Entschädigung auf 44 039 M festgesetzt und bestimmt, dass den Entschädigungsberechtigten mit Wohnsitz in der DDR “entsprechend dem territorialen Preisrecht” ein Zuschlag in Höhe von 45 115,50 M zustehe. Laut Anlage zum Feststellungsbescheid betrugen die Erbquoten der West-Erben R.… B.… und D.… Mi.…, des in der DDR wohnenden Dr. D.… B.… als Alleinerben von G.… B.… sowie der aus den DDR-Bürgern G.… B.…, R.… S.… und E.… B.… bestehenden Erbengemeinschaft nach H.… B.… jeweils ein Viertel. Die Ost-Erben, der für die West-Erben bestellte Pfleger und die Sparkasse schlossen am 6. Mai 1983 eine “Vereinbarung über eine Auseinandersetzung im Entschädigungsverfahren sowie über eine Teil-Erbauseinandersetzung”. Hiernach wurde die Entschädigung jeweils entsprechend den Erbquoten auf die Mitglieder der Erbengemeinschaft aufgeteilt und einschließlich der anteiligen Zuschläge für die Ost-Erben mit den ebenfalls anteilig angesetzten Schulden gegenüber den ehemaligen Grundpfandrechtsgläubigern verrechnet. Für die so errechneten Restentschädigungsansprüche der Ost-Erben wurden Einzelschuldbuchforderungen begründet.
Im Jahr 1990 beantragte die Erbengemeinschaft die Rückübertragung des Grundstücks. Die Erbeserbengemeinschaften nach R.… B.… und D.… Mi.… sowie die Alleinerbin nach Dr. B.… traten ihre Rückübertragungsansprüche an den Kläger zu 1, die übrigen Ost-Erben traten ihre Rückübertragungsansprüche an den Kläger zu 2 ab. Im Jahr 1992 wurde das Grundstück zu investiven Zwecken veräußert.
Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen stellte durch Bescheid vom 15. Mai 1995 die Berechtigung des Klägers zu 1 hinsichtlich der Ansprüche nach den beiden West-Erben R.… B.… und D.… Mi.… fest und verpflichtete die Beigeladene zur Herausgabe der Hälfte des Veräußerungserlöses an den Berechtigten; im Übrigen lehnte es die Feststellung der Berechtigung ab. Zur Begründung führte es aus, dass zu Lasten der West-Erben eine diskriminierend geringe Entschädigung i.S. von § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG festgesetzt worden sei; das sei bei den Ost-Erben wegen des Zuschlagsbetrags nicht der Fall gewesen, sie hätten genau die ihren Erbquoten entsprechenden Anteile am Zeitwert erhalten. Die Voraussetzungen anderer Schädigungstatbestände lägen nicht vor. Der gegen den ablehnenden Teil des Bescheids gerichtete Widerspruch der Kläger blieb ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die auf Feststellung der Restitutionsberechtigung nach den Ost-Erben gerichtete Klage abgewiesen: Gegenstand der Schädigung seien nicht das Gesamthandeigentum der Erbengemeinschaft, sondern nur die Erbanteile der West-Erben gewesen. Ihnen gegenüber seien diskriminierende Entschädigungsvorschriften angewendet worden, indem man den Entschädigungsbetrag anders als bei DDR-Eigentümern auf der Grundlage des Ertragswerts ermittelt habe. Die unterschiedliche Behandlung der West-Erben und der Ost-Erben gebiete eine entsprechende Differenzierung bei der Feststellung der vermögensrechtlichen Berechtigung. Die gesamthändische Bindung des Eigentums stehe einer solchen schadensbezogenen Beurteilung nicht entgegen. Die Schädigung der West-Erben habe nicht zu einer Schädigung der Erbengemeinschaft insgesamt geführt. Die Ost-Erben seien keiner nach dem Vermögensgesetz wieder gutzumachenden Schädigung ausgesetzt gewesen.
Gegen dieses Urteil haben die Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung führen sie aus: Nach § 2a VermG sei die Erbengemeinschaft Berechtigte, wenn sie als solche von Schädigungsmaßnahmen betroffen sei. Das müsse auch für “gemischte” Erbengemeinschaften gelten. Demgegenüber ergebe sich die erbteilsbezogene Betrachtung des Verwaltungsgerichts daraus, dass es zu Unrecht auf die erst nach Abschluss der schädigenden Maßnahme vorgenommene Teilerbauseinandersetzung abstelle.
Der Beklagte und die Beigeladene treten der Revision entgegen. Nach Ansicht der Beigeladenen ist der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG nicht erfüllt, weil eine generelle, gemischte Erbengemeinschaften diskriminierende Regelung oder Verwaltungspraxis nicht ersichtlich sei. Das werde auch daraus deutlich, dass die Entschädigung erst nach Rücksprache mit dem Ministerrat festgesetzt worden sei. Außerdem fehle es am notwendigen Zusammenhang der Entschädigungsregelung mit der Enteignung der Erbengemeinschaft. In dem Entschädigungs-Feststellungsbescheid seien nicht diese, sondern die einzelnen Miterben als Berechtigte benannt und für sie jeweils anteilsbezogene Entschädigungen festgesetzt worden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Erbengemeinschaft nicht von einer Schädigungsmaßnahme betroffen sei, verletzt Bundesrecht (1). Die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ergeben, dass die Erbengemeinschaft gegen eine geringere Entschädigung enteignet wurde, als sie Bürgern der DDR zustand (2).
1. Das Verwaltungsgericht ist unter Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG davon ausgegangen, dass von der schädigenden Maßnahme gemäß § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG nicht die aus Ost-Erben und West-Erben bestehende Erbengemeinschaft, sondern die Anteile der ihr zugehörigen West-Erben betroffen wurden.
Gegenstand des enteignenden Zugriffs war ein Grundstück, das im Eigentum einer ungeteilten Erbengemeinschaft stand. Berechtigter i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG ist derjenige, dessen Vermögenswert von einer Schädigungsmaßnahme betroffen ist, oder sein Rechtsnachfolger. Mit dieser Regelung knüpft das Gesetz an die im Schädigungszeitpunkt bestehende zivilrechtliche Zuordnung des Vermögenswerts an. Das Zivilrecht behandelt das nicht aufgeteilte Nachlassvermögen als einheitliches Sondervermögen, das eigentumsrechtlich den Mitgliedern der Erbengemeinschaft zur gesamten Hand zugeordnet ist. Der Zugriff auf das Gesamthandeigentum lässt sich nicht in parallele Enteignungen von Mitberechtigungen der einzelnen Gesamthänder umdeuten. Einer solchen Umdeutung steht der restitutionsrechtliche Grundsatz der Konnexität entgegen, der entsprechend dem Zweck einer Wiedergutmachung in Natur die Gleichartigkeit von Schädigungsgegenstand und Restitutionsgegenstand voraussetzt und damit bei der Enteignung von Gesamthandeigentum die Restitution einzelner Mitberechtigungen ausschließt. Wurde auf das Eigentum einer Erbengemeinschaft zugegriffen, führt die Anmeldung des Restitutionsanspruchs zu deren Wiederaufleben und die Rückübertragung zum Erfordernis einer weiteren Auseinandersetzung. Eine Restitution des ungeteilten Nachlassvermögens nach Anteilen entspricht nicht dem Gesetz (vgl. § 2a Abs. 4 VermG). Zwar kann Gegenstand einer Schädigung ungeachtet ihrer mangelnden Verkehrsfähigkeit auch die Gesamthandberechtigung eines Miterben an einem Vermögensgegenstand sein (Urteil vom 24. August 2000 – BVerwG 7 C 90.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 10 m.w.N.). Abgesehen davon aber, dass der enteignende Zugriff nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts das gesamthändisch gebundene Nachlassvermögen erfasste, würde die Restitution einzelner Mitberechtigungen, wie sie dem Verwaltungsgericht vorschwebt, dem Grundsatz der Konnexität auch deswegen widersprechen, weil das Grundstück der Erbengemeinschaft mit der Enteignung aus dem Nachlassvermögen ausgeschieden ist und sich infolgedessen Mitberechtigungen nur unter gleichzeitiger Begünstigung der nicht geschädigten Miterben wiederherstellen ließen (vgl. Urteil vom 20. September 2001 – BVerwG 7 C 4.01 – Buchholz 428 § 4 Abs. 1 VermG Nr. 7 m.w.N.).
Zu keiner anderen Beurteilung führt, dass § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG sich insofern als gestreckter Schädigungstatbestand darstellt, als er durch den Enteignungsakt und eine ihm nachfolgende diskriminierend geringe Entschädigung gekennzeichnet ist. Das Verwaltungsgericht schließt aus dem Umstand, dass die Entschädigungsansprüche erbteilsbezogen und unter Berücksichtigung der auf die Ost-Erben beschränkten Zuschläge festgesetzt wurden, auf einen bei den Ost-Erben einerseits und den West-Erben andererseits in jeweils verschiedener Weise eingetretenen Erfolg der Enteignung; weil den Ost-Erben durch den Zuschlag die ihnen zustehenden Anteile am Zeitwert des Grundstücks zugekommen seien, hätten sie diskriminierungsfrei die übliche Entschädigung erhalten und damit im Ergebnis keinen Schaden erlitten. Das ist aus mehreren Gründen mit Bundesrecht unvereinbar. Das Verwaltungsgericht verkennt erstens, dass § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG mit dem Merkmal der diskriminierend geringen Entschädigung nicht die Anknüpfung an den Enteignungsakt aufhebt. Da der enteignende Zugriff auf den Vermögensgegenstand die Beurteilung bestimmt, ob er gegen eine diskriminierend geringe Entschädigung erfolgte, sind die Entschädigungsmodalitäten – anteilige oder einheitliche Festsetzung – für den Schädigungstatbestand unerheblich. Daraus folgt zweitens, dass bei der Enteignung des gesamthändisch gebundenen Grundstücks einer Erbengemeinschaft § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG schon dann erfüllt ist, wenn die für die einzelnen Miterben festgesetzten Entschädigungen in ihrer Summe die bei Bürgern der DDR übliche Entschädigung, also den nach nicht diskriminierenden Vorschriften ermittelten Zeitwert des Grundstücks, unterschreiten. Drittens und vor allem vernachlässigt das Verwaltungsgericht den instrumentellen Zusammenhang der diskriminierend geringen Entschädigung mit der Enteignung, der darin besteht, dass die diskriminierende Herabsetzung der Enteignungsentschädigung durch generelle Bestimmungen dazu diente, den Zugriff auf das Eigentum zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen (Urteil vom 24. März 1994 – BVerwG 7 C 11.93 – BVerwGE 95, 289 ≪291 f.≫; Urteil vom 5. März 1998 – BVerwG 7 C 8.97 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 140 S. 421 ≪423 f.≫; Urteil vom 28. April 1999 – BVerwG 8 C 3.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 4 S. 9 ≪11 f.≫). Dieser Zusammenhang wird gesetzwidrig gelöst, wenn der Zugriff auf das Eigentum einer gemischten Erbengemeinschaft als eine Mehrheit von Anteilsenteignungen bewertet und anhand der anteiligen Entschädigungsbeträge gefragt wird, bei welchen Miterben der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG erfüllt ist.
Soweit sich das Verwaltungsgericht für seine “schadensbezogene Betrachtung” auf das Urteil des Senats vom 15. Dezember 1994 – BVerwG 7 C 26.93 – (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 35) beruft, übersieht es, dass es dort nicht um die Frage der Konnexität von Schädigung und Restitution, sondern um die selbstverständliche Feststellung ging, der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG könne nicht weiter reichen als die vom staatlichen Verwalter wahrgenommenen Befugnisse.
2. Die Enteignung des in Rede stehenden Grundstücks erfüllt den Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG. Die Erbengemeinschaft wurde aufgrund genereller Entschädigungsbestimmungen gegen eine diskriminierend geringe Entschädigung enteignet.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist Gegenstand des Schädigungstatbestands nicht das bloße Unterbleiben einer in der DDR üblichen Entschädigung, sondern der diskriminierende Zugriff auf das Eigentum. Erfasst sind grundsätzlich nur solche Enteignungen, bei denen gegenüber den Betroffenen in bewusster Abkehr von den ansonsten für Bürger der DDR geltenden Vorschriften Entschädigungsbestimmungen zur Anwendung kamen, die den diskriminierenden Zugriff auf das Eigentum erleichtern sollten. Den typischen Fall einer solchen diskriminierenden staatlichen Praxis bilden Entschädigungsfestsetzungen, bei denen durch interne Anweisungen wie die Ministerratsbeschlüsse vom 23. Dezember 1976 und 28. Juli 1977 (abgedr. in Schriftenreihe des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen, Heft 1, Dok. 1 und 3) generell die Pflicht zur Zahlung der in der DDR üblichen Entschädigung außer Anwendung gesetzt und zu Lasten der davon Betroffenen durch eine für sie ungünstigere Entschädigungsregelung ersetzt wurde. Durch den Ministerratsbeschluss vom 28. Juli 1977 wurde bei gewerblich genutzten Grundstücken und Mietwohngrundstücken von Eigentümern “aus kapitalistischen Staaten und West-Berlin” eine allein am Ertragswert der Grundstücke orientierte und damit zu geringeren Entschädigungsbeträgen führende Berechnungsmethode vorgeschrieben. Die Regelung war Teil eines im Ministerratsbeschluss vom 23. Dezember 1976 im Einzelnen näher beschriebenen Maßnahmenbündels, das dem Ziel diente, mit diskriminierenden Methoden, insbesondere mit Maßnahmen der gezielten Verschuldung, Vermögen von Gebietsfremden in staatliche Hand zu bringen. Demgegenüber rechtfertigt allein der Umstand, dass bei der Enteignung eines Grundstücks einer nach der Rechtsordnung der DDR bestehenden – diskriminierungsfreien – Entschädigungsregelung im Einzelfall nicht voll entsprochen und eine geringere als die in der DDR übliche Entschädigung gezahlt worden ist, nicht die Grundstücksrückgabe. Eine Rückübertragung des Grundstücks würde den Enteigneten in Fällen dieser Art einen ungerechtfertigten und vom Vermögensgesetz nicht gewollten Vorteil gegenüber solchen Enteignungsbetroffenen einräumen, die die in der DDR übliche Entschädigung erhalten haben und deshalb nicht verlangen können, dass die Entziehung des Eigentums rückgängig gemacht wird (Urteil vom 24. März 1994 – BVerwG 7 C 11.93 – BVerwGE 95, 289 ≪291 ff.≫).
b) Die Erbengemeinschaft war von einem derartigen Eigentumszugriff betroffen. Das Grundstück wurde gegen eine geringere Entschädigung enteignet, als sie bei einem ausschließlich DDR-Bürgern gehörenden Grundstück festgesetzt worden wäre. Die in der DDR übliche Entschädigung richtete sich seinerzeit nach den Bewertungsrichtlinien zum Entschädigungsgesetz vom 4. Mai 1960 (BewRL). Der hiernach gemäß Abschnitt III Buchst. b Abs. 3 BewRL im Mittelwertverfahren zu bestimmende Zeitwert des Grundstücks betrug nach der Aufstellung der Grundstücksbewertungsstelle 134 270 M. Demgegenüber wurde nach Maßgabe des unveröffentlichten Ministerratsbeschlusses vom 28. Juli 1977 für die Entschädigung der Erbengemeinschaft der Grundstückswert auf der Grundlage des Ertragswerts errechnet und, da dieser bei den West-Erben mit 27 280 M ermittelt wurde, in Höhe des Bodenwerts von 44 039 M festgesetzt. Dies entsprach den im Ministerratsbeschluss vorgegebenen “Grundsätze(n) zur Anwendung der Preisbestimmungen für ausländische Grundstücke”. Die generellen Grundsätze waren für die Enteignungsentschädigung bei Grundstücken maßgebend, die West-Eigentümern gehörten. Sie wurden auch auf Grundstücke angewendet, die einer aus Ost-Erben und West-Erben bestehenden gemischten Erbengemeinschaft gehörten.
Der Umstand, dass die diskriminierende Entschädigungsfestsetzung bei den in der DDR wohnenden Miterben durch Gewährung eines Zuschlags ausgeglichen wurde, ändert nichts an der Diskriminierung der Erbengemeinschaft. Das Tatbestandsmerkmal einer Enteignung gegen eine generell geringere Entschädigung wird nicht in Frage gestellt, wenn neben diskriminierenden Vorschriften auch andere, nicht diskriminierende Bestimmungen angewendet wurden. Entscheidend ist, dass die zur Benachteiligung von West-Eigentümern angewendeten Entschädigungsbestimmungen zu Lasten der Erbengemeinschaft eine Enteignungsentschädigung bewirkten, die hinter der bei DDR-Bürgern üblichen Entschädigung zurückblieb. Darum hängt die Anwendbarkeit des Schädigungstatbestands auch nicht davon ab, ob es generelle Vorschriften gab, die gerade auf die Diskriminierung gemischter Erbengemeinschaften zielten. Abgesehen davon geht aus dem dem Ministerratsbeschluss vom 20. Juli 1978 beigefügten Bericht des Amts für den Rechtsschutz des Vermögens der DDR (Schriftenreihe a.a.O., Dok. 2, S. 57 ≪86≫) hervor, dass die diskriminierenden Entschädigungsbestimmungen generell auch auf gemischte Erbengemeinschaften Anwendung fanden.
Nach diesem Muster gingen die staatlichen Stellen auch im Streitfall vor. Im Feststellungsbescheid vom 14. Dezember 1981 wurde unter Angabe der Erbanteile im Innenverhältnis die Entschädigungsberechtigung der Miterben “in ungeteilter Erbengemeinschaft” festgestellt. Im Auseinandersetzungsverfahren sollte allerdings verhindert werden, dass die nicht durch anteilige Entschädigungsansprüche gedeckten Hypothekenforderungen öffentlicher Gläubiger gegenüber den West-Erben durch Rückgriff aus den an die Ost-Erben gezahlten Zuschlägen befriedigt werden konnten. Der Magistrat von Berlin bat darum mit Schreiben an den Ministerrat vom 22. März 1982 um Klärung, ob die Sparkasse angewiesen werden könne, gegen die einzelnen Schuldner nur den anteilig auf sie entfallenden Haftungsbetrag geltend zu machen und den nicht gedeckten Restbetrag als persönliche Forderung gegen die West-Erben weiterzuführen. Das Antwortschreiben des Ministerrats vom 5. August 1982, in dem die Beigeladene einen Beleg für fehlende generelle Entschädigungsvorschriften zur Diskriminierung gemischter Erbengemeinschaften sieht, enthält die Empfehlung, den gewünschten Zweck mittels Erbauseinandersetzung unter entsprechenden Vereinbarungen im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Grundpfandrechtsgläubigern zu verwirklichen (vgl. § 12 der Ersten Durchführungsbestimmung zum Entschädigungsgesetz vom 30. April 1960 ≪GBl DDR I S. 336≫). Hieraus wird deutlich, dass die diskriminierenden Entschädigungsvorschriften in der Praxis auf gemischte Erbengemeinschaften angewendet und Vorkehrungen zur Vermeidung einer Benachteiligung der Ost-Erben getroffen wurden, wie sie auch in den Zuschlägen “entsprechend dem territorialen Preisrecht” zum Ausdruck kamen. Die Korrekturen zugunsten der DDR-Bürger im Rahmen der Erbauseinandersetzung bestätigen, dass die Erbengemeinschaft gegen eine Entschädigung enteignet wurde, die die West-Eigentümer diskriminieren und damit auch den Eigentumszugriff erleichtern sollte. Da die Erbauseinandersetzung nicht Sache des Staates ist, macht ein hierbei vorgenommener Ausgleich zugunsten einzelner Miterben den diskriminierenden Zugriff auf das Eigentum unter Anwendung genereller Entschädigungsbestimmungen nicht ungeschehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Sailer, Kley, Herbert, Postier, Neumann
Fundstellen
Haufe-Index 978436 |
BVerwGE 2004, 337 |
VIZ 2003, 524 |
ZfIR 2004, 38 |
DÖV 2004, 133 |