Entscheidungsstichwort (Thema)

Tragen einer Anti-Atomkraft-Plakette im Schuldienst. Zurückhaltung bei politischer Betätigung im Dienst. Zurückhaltung bei politischer Betätigung für Lehrer. Meinungsäußerungsfreiheit. Elternrecht. Erziehungsauftrag der Schule. pädagogische Gestaltungsfreiheit

 

Leitsatz (amtlich)

Das Tragen einer Anti-Atomkraft-Plakette durch einen Lehrer während des Schuldienstes verstößt gegen das Gebot der Zurückhaltung bei politischer Betätigung.

 

Normenkette

GG Art. 5 Abs. 1-2, Art. 6 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1, Art. 33 Abs. 5; HmbBG § 58 (= § 35 Abs. 2 BRRG. § 35 BBG); HmbSchG § 2

 

Verfahrensgang

Hamburgisches OVG (Urteil vom 19.08.1988; Aktenzeichen Bf I 44/84)

VG Hamburg (Urteil vom 18.08.1983; Aktenzeichen I VG 1836/78)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. August 1988 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 18. August 1983 zurückgewiesen hat.

Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 18. August 1983 wird die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger steht als Studienrat an Volks- und Realschulen im Dienste der Beklagten und unterrichtet an einer Grund-, Haupt- und Realschule die Fächer Mathematik, Deutsch und Politik.

Im Zusammenhang mit der verstärkten Diskussion um die Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke in der Bundesrepublik Anfang 1977 trugen zum Teil Lehrer – so auch der Kläger – im Unterricht die Anti-Atomkraft-Plakette, d.h. eine runde Plakette mit einer stilisierten roten Sonne auf gelbem Grund und der Aufschrift: „Atomkraft? Nein Danke!”. Aufgrund einer generellen Anweisung der Behörde der Beklagten für Schule. Jugend und Berufsbildung – Amt für Schule – wurde dem Kläger durch seine Schulleiterin am 4. November 1977 das sichtbare Tragen dieser Plakette während des Schuldienstes untersagt. Am selben Tag erhob der Kläger gegen diese Anordnung Widerspruch mit der Begründung, das Verbot stelle einen gravierenden Eingriff in sein Recht auf freie Meinungsäußerung dar.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat das Verwaltungsgericht nach Erhebung von Beweis darüber, ob und gegebenenfalls in welcher Weise es sich auf die Schüler auswirke, wenn ein Lehrer in der Schule die Anti-Atomkraft-Plakette trage, der Klage stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 19. August 1988 das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg geändert und die Verbotsverfügung und den Widerspruchsbescheid mit Wirkung vom 4. November 1979 aufgehoben. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt:

Zu dem Zeitpunkt, zu dem dem Kläger durch die Beklagte untersagt worden sei, die Anti-Atomkraft-Plakette in der Schule zu trafen, sei ein derartiges Verbot, gestützt auf die §§ 58 und 59 des Hamburgischen Beamtengesetzes, rechtmäßig gewesen. Gegen die in diesen Vorschriften enthaltenen Verpflichtungen habe dar Kläger verstoßen, als er in dem Zeitpunkt, zu dem das Verbot ausgesprochen wurde, die Plakette in der Schule getragen habe. In seinem Verhalten sei eine unzulässige politische Betätigung im Dienst zu sehen. Es könne nicht Aufgabe der Schule sein, die ihr anvertrauten Kinder zugunsten einer Meinung aus dem Spektrum der Anschauungen in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft einzunehmen. Ihrem in § 2 des Hamburgischen Schulgesetzes niedergelegten gesetzlichen Auftrag, die die Erziehung der ihr anvertrauten Kinder zur gesellschaftlichen Tüchtigkeit und Selbständigkeit und die Vorbereitung auf das spätere Leben einschließe, könne die Schule nur genügen, wenn sie den Kindern auch die Grundlagen der politischen Bildung vermittele und sie so in die Lage versetze, politische Auffassungen zu werten und darauf aufbauend eigene sachlich fundierte Ansichten zu entwickeln. Das setze eine Auseinandersetzung auch mit politisch in der Gesellschaft kontrovers diskutierten Fragen voraus, bei denen sich der Lehrer kaum darauf werde beschränken können, lediglich die möglichen Standpunkte und die für und gegen sie sprechenden Argumente darzulegen. Aus der gerade im Bereich der Schule zu beachtenden Neutralitätspflicht des Staates in politischer, weltanschaulicher und religiöser Hinsicht folge, daß der Lehrer sich in der Schule jeder durch den Bildungsauftrag nicht gedeckten politischen Tätigkeit enthalten müsse, wobei es ihm insbesondere verwehrt sei, für seine Auffassung zu werben. Wegen der damit jedenfalls aus der Sicht der Betroffenen verbundenen Gefahr einer Indoktrination der Schüler berühre ein derartiges Verhalten auch die Funktionsfähigkeit des staatlichen Schulwesens, das im Interesse seiner Akzeptanz in der Bevölkerung gerade einen Verzicht der Schule auf Werbung für bestimmte Auffassungen jedenfalls dann verlange, wenn sie in der Gesellschaft nicht allgemein geteilt würden oder nicht wenigstens dem Grundkonsens einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft entsprächen.

Gleichwohl rechtfertige die Tatsache, daß eine politische Frage heftig umstritten sei, in der Regel nicht, den Lehrer zeitlich unbefristet zur Unterlassung zu verpflichten. Auch heftig geführte politische Diskussionen verlören im Laufe der Zeit erfahrungsgemäß in der Regel erheblich an Gewicht. Daher gebiete der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine zeitliche Befristung der ausgesprochenen Verbote, weil nur so sichergestellt werden könne, daß in kürzerer. Zeitabständen eine ständige Überprüfung ihrer Berechtigung durch die Behörde stattfinde. Bei Anlegung dieser Maßstäbe erweise sich das gegenüber der Kläger ausgesprochene Verbot als ursprünglich rechtmäßig. Das Verbot habe aber einer zeitlichen Befristung bedurft, wobei hier angesichts der Heftigkeit und Bedeutung der damals geführten Diskussion eine Frist von zwei Jahren zugrunde zu legen sei. Für den anschließenden Zeitraum sei das Verbot daher aufzuheben. Im übrigen sei das Verbot nicht deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte vor seinem Erlaß den Personalrat nicht eingeschaltet habe.

Der Kläger und die Beklagte haben gegen dieses Urteil, gegen das das Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache die Revision zugelassen hat. Revision eingelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 19. August 1988 aufzuheben mit der Maßgabe, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 18. August 1983 zurückzuweisen, und die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er rügt die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts Hamburg vom 19. August 1988 aufzuheben, soweit die Berufung der Beklagten zurückgewiesen worden ist, sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 18. August 1983 aufzuheben und die Klage vollen Umfangs abzuweisen und die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Beklagten, die sich gegen die mit Wirkung vom 4. November 1979 vom Berufungsgericht ausgesprochene Aufhebung des Verbots vom 4. November 1977 richtet, während des Dienstes in der Schule eine Anti-Atomkraft-Plakette zu tragen, ist begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen und zur völligen Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, das der Klage insgesamt stattgegeben hat.

Die Revision des Klägers, die sich gegen die vom Berufungsgericht ausgesprochene Bestätigung der Rechtmäßigkeit des Verbotes für die Zeit vom 4. November 1977 bis 3. November 1979 wendet, ist unbegründet. Die Klage gegen die Verbotsverfügung ist mithin in vollem Umfang abzuweisen.

Das am 4. November 1977 dem Kläger – als Lehrer – gegenüber ausgesprochene Verbot des sichtbaren Tragens einer Anti-Atomkraft-Plakette während des Dienstes in der Schule erweist sich als rechtmäßig. Eine Befristung des Verbots war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht geboten.

1. Gegenstand der angefochtenen Verfügung ist nicht die konkrete Unterrichtsgestaltung, die in der pädagogischen Gestaltungsfreiheit des Lehrers liegt, sondern unabhängig davon allein das sichtbare Tragen der Plakette während des Dienstes. In dem vorliegenden Rechtsstreit ist deshalb nicht darüber zu entscheiden, in welcher Weise der Kläger fachbezogen das in der Gesellschaft kontrovers diskutierte Für und Wider einer friedlichen Nutzung der Kernenergie im Unterricht behandeln darf. Das Verbot, die in Frage stehende Plakette zu tragen, findet seine Rechtsgrundlage in § 58 des Hamburgischen BeamtengesetzesHmbBG – in der Fassung vom 29. November 1977 (GVBl. S. 367). Danach hat der Beamte bei politischer Betätigung das Maß und die Zurückhaltung zu wahren, die sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amtes ergeben (ebenso: § 35 Abs. 2 BRRG, § 53 BBG). Dies betrifft – wie vorliegend – auch private politische Meinungsäußerungen des Beamten während des Dienstes.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 1, 57 ≪59≫; 10, 213 ≪217 f.≫) wie auch des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 39, 334), daß es sich hierbei um eine dem Grunde nach zulässige Beschränkung des Grundrechts der Meinungsfreiheit im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG handelt. Für Beamte darf die Ausübung dieses Rechts beschränkt werden, um die Erhaltung eines durch Art. 33 Abs. 5 GG statuierten, für den Staat unentbehrlichen, ihn tragenden, verläßlichen Beamtentums zu sichern. Jedes Verhalten, das als politische Meinungsäußerung gewertet werden muß, ist danach nur dann durch Art. 5 GG gedeckt, wenn es nicht unvereinbar ist mit den von Art. 33 Abs. 5 GG geforderten besonderen Pflichten des Beamten aus dem Dienst- und Treueverhältnis zu seinem Dienstherrn (vgl. BVerfGE 39, 334 ≪366 f.≫).

Für die Anwendung und Auslegung der die Meinungsfreiheit des Beamten einschränkenden Vorschrift des § 58 HmbBG ist jeweils im konkreten Fall das Interesse des Beamten an der Betätigung der Meinungsfreiheit seinen besonderen Dienst- und Treuepflichten gegenüberzustellen und gegeneinander abzuwägen (BVerfGE 7, 198 ≪208 f.≫). Der zu beachtende Schutzzweck besteht darin, die Funktionsfähigkeit des Beamtentums dadurch zu gewährleisten, daß zum einen im Rahmen des Dienstbetriebes störende politische Auseinandersetzungen vermieden werden, andererseits die politische Neutralität der Amtsführung und das Vertrauen der Öffentlichkeit hierauf nicht gefährdet oder auch nur in Zweifel gezogen werden kann (vgl. Urteil des Senats vom 29. Oktober 1987 – BVerwG 2 C 73.86 – ≪Buchholz 237.95 § 165 Nr. 1 = RiA 1988, 125≫; BVerfG, Beschluß vom 6. Juni 1988 – 2 BvR 111/88 – ≪DöD 1988, 210 = NJW 1989, 93≫). Sine politische Meinungsäußerung liegt deshalb nicht nur dann vor, wenn sie sich auf die Darstellung von Programmen und politischen Zielen solcher Gruppierungen bezieht, die die Beteiligung an der politischen Meinungsbildung in den Institutionen der repräsentativen Demokratie – wie die hergebrachten politischen Parteien – erstreben (vgl. BVerwG. Beschluß vom 11. August 1976 – BVerwG 1 WB 18.75 – ≪NZWehrr 1977, 223≫), sondern auch bei Äußerungen und Aktivitäten von Gruppierungen. die solches nicht anstreben – dies gilt z.B. für sog. Bürgerinitiativen (BVerfGE 44, 197 ≪204≫) –, wenn durch sie der Schutzzweck der Norm berührt wird. Dazu gehören Fragen, die von grundlegender Bedeutung für die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bürger sind, die innerhalb und außerhalb politischer Parteien kontrovers diskutiert werden, wie das bei dem Problem der Grundsatzentscheidung für oder wider die Energiegewinnung aus atomaren Vorgängen der Fall ist.

2. In Anbetracht dieses Schutzbereichs des die beamtenrechtliche politische Mäßigung für einen Lehrer festlegenden § 58 HmbBG erweist sich die Verbotsverfügung vom 4. November 1977, während des Dienstes eine Anti-Atomkraft-Plakette zu tragen, als rechtmäßig. Das sichtbare Tragen dieser Plakette stellt eine unzulässige politische Meinungsäußerung während des Schuldienstes im Sinne des § 58 HmbBG dar.

Wie das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 2. März 1982 – 1 AZR 694/79 – (BAGE 38, 85 ≪92 f.≫ = NJW 1982, 2888 f.) und in anderem Zusammenhang der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts im Beschluß vom 6. August 1981 – BVerwG 1 WB 89.80 – (NJW 1982, 118 = DVBl. 1981, 1066 f. ≪Anti-Atomkraft-Plakette als Autoaufkleber≫) zutreffend ausgeführt haben und in gleicher Weise im angefochtenen Urteil festgestellt worden ist (S. 15 ff. UA), bringt der Träger dieser Plakette zum Ausdruck, daß er die friedliche Nutzung der Kernkraft zum Zwecke der Energieversorgung ablehnt. Er nimmt damit zu einer in Politik und Gesellschaft bedeutsamen und umstrittenen Frage Stellung. Neben der bloßen Kundgabe der politischen Meinung hat das Tragen dieser Plakette in erster Linie die Bedeutung einer Werbung für das politisch angestrebte Ziel. Das demonstrative, ständige Herausstellen dieser Meinung und der damit verbundenen Werbung – auch im Hinblick auf die Größe und farbliche Gestaltung der Plakette – kann in ihrer beabsichtigten Wirkung einer gezielten Ansprache oder etwa dem Verteilen von Schriften als die Bekanntgabe einer eigenen politischen Überzeugung gleichgesetzt werden. Hinzu kommt, daß durch die Verwendung gleichartiger Plaketten der Eindruck vermittelt wird und – wie der Kläger in der Revisionsverhandlung auch selbst vorgetragen hat – auch vermittelt werden soll, daß die gezeigte politische Meinung von vielen geteilt werde. Die Anti-Atomkraft-Plakette ist mithin ein politisches Propagandamittel und ihr Tragen eine politische Betätigung zur Verbreitung der damit umschriebenen allgemeinpolitischen Auffassung ihres Trägers. Der Lehrer greift damit in unzulässiger Weise in den Meinungsbildungsprozeß der Schüler ein. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, ohne daß es dafür – worauf auch das Berufungsgericht zutreffend abstellt – der Hinzuziehung erziehungswissenschaftlicher Gutachten bedarf, daß das persönliche Werben eines Lehrers für eine bestimmte Ansicht zu einem politischen Problem gerade bei jüngeren Schülern auf deren eigene Meinungsbildung nicht unmaßgeblich einwirkt und daß darin nicht lediglich ein bloßer Anstoß zur eigenen Meinungsbildung liegt. Dies begründet sich schon aus der besonderen Näne des Verhältnisses zwischen Lehrer und Schüler. Eine wesentliche Rolle spielt hierbei auch, daß sich Schüler wirklich oder vermeintlich einem gewissen Anpassungszwang an die zur Schau getragene Meinung des Lehrers ausgesetzt sehen könnten, um schulische Machteile zu vermeiden.

3. Der Kläger hat damit nicht das Maß und die Zurückhaltung gewahrt, wie sie sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amts ergeben. Durch das Tragen der Plakette im Dienst setzt er unzulässig sein Amt als Lehrer zur Werbung für seine politische Auffassung gegenüber den Schülern ein. Damit setzt er sich auch in Widerspruch zum schulgesetzlich festgelegten Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule sowie dessen Verhältnis zum Elternrecht. Denn als Maßstab für das politische Mäßigungsgebot kommen neben Art und Inhalt der politischen Betätigung auch das jeweilige Amt im statusrechtlichen und funktionellen Sinn sowie der Bezug der politischen Betätigung zum Amt in Betracht (vgl. Fürst. GKöD I K § 53 RZ 3; Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, BayBG, Art. 63 Erl. 2 b). Für den Lehrer gelten zunächst die allgemeinen Beamtenpflichten. Darüber hinaus sind die Stellung des Lehrers gegenüber der Allgemeinheit wie auch seine besonderen Amtspflichten in erster Linie nach dem Leitbild zu bemessen, das Verfassung und Gesetz, für das Lehramt an Schulen bestimmen. Das in Konkretisierung von Art. 33 Abs. 5 GG in § 58 HmbBG formulierte politische Mäßigungsgebot findet daher für Lehrer zusätzlich seine Inhaltsbestimmung in dem Elternrecht und dem festgelegten Erziehungsauftrag der Schule sowie in den – möglicherweise – kollidierenden Grundrechten von Eltern und Schülern.

In Anwendung des nicht revisiblen § 2 des Schulgesetzes der Freien und Hansestadt Hamburg vom 17. Oktober 1977 – HmbSchG – (GVBl. S. 297) hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß die Schule ihrem gesetzlichen Auftrag, der die Erziehung der ihr anvertrauten Kinder zur gesellschaftlichen Tüchtigkeit und Selbständigkeit und die Vorbereitung auf das spätere Leben einschließe, nur genügen könne, wenn die Schule ihnen auch die Grundlagen der politischen Bildung vermittele und sie so in die Lage versetze, politische Auffassungen zu werten und darauf aufbauend eigene sachlich fundierte Ansichten zu entwickeln. Das setze eine Auseinandersetzung auch mit politisch in der Gesellschaft kontrovers diskutierten Fragen voraus, bei denen sich der Lehrer kaum werde darauf beschränken können, die möglichen Standpunkte und die für und gegen sie sprechenden Argumente darzulegen. Es könne aber nicht Aufgabe der Schule sein, die ihr anvertrauten Schüler zugunsten einer Meinung aus dem Spektrum der Anschauungen in einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft einzunehmen.

Dieses Gebot der politischen Neutralität des Lehrers im Dienst, wie es in § 58 HmbBG gefordert wird und vom Berufungsgericht in Anwendung hamburgischen Schulrechts zum Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule konkretisiert worden ist, entspricht dem Elternrecht und seinem Verhältnis zum verfassungsrechtlich festgelegten Erziehungsauftrag der Schule (Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG). Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährt zuvörderst den Eltern das Recht und die Pflicht, die Pflege und Erziehung ihrer Kinder frei und – vorbehaltlich des Art. 7 GG – mit Vorrang vor anderen Erziehungsträgern zu gestalten. Damit verträgt es sich aber nicht, wenn Eltern fürchten müssen, ihr Kind werde in gesellschaftspolitisch grundlegenden Kontroversen in der Schule einseitig indoktriniert und damit ihre eigene Erziehung möglicherweise beeinträchtigt. Der Staat hat daher die Pflicht, die Neutralität der Schule insoweit sicherzustellen, als für eine angemessene Rücksichtnahme auf die in einer pluralen Gesellschaft sehr unterschiedlichen Elternauffassungen gesorgt und jede einseitige Werbung politischer Art seitens der Lehrerschaft unterbunden wird. Zu Recht weist das Berufungsurteil darauf hin, daß anderenfalls die Akzeptanz des öffentlichen Schulsystems bei der Elternschaft, deren Vertrauen in die Objektivität und politische Neutralität, der Schule nachhaltig erschüttert würde, wenn sie gewärtig sein müßte, daß Lehner politische Auseinandersetzungen in die Schule hineintragen und dadurch die ihnen anvertrauten Kinder indoktrinieren. Der Dienstherr darf nicht hinnehmen, daß ihm politische Äußerungen zugerechnet werden oder auch nur der Eindruck erweckt wird, er stehe hinter ihnen (vgl. BVerwGE 72, 183 ≪187 f.≫), erst recht dann nicht, wenn ihm dadurch ein empfindlicher Vertrauensschaden in der Öffentlichkeit droht. Er kann deshalb verlangen, daß ein Lehrer es unterläßt, sein Amt und das mit diesem verbundene Ansehen und Vertrauen dazu zu benutzen und einzusetzen, politische Auffassungen wirksamer als der „Normalbürger” durchzusetzen (vgl. Urteil des Senats vom 29. Oktober 1987 – BVerwG 2 C 73.86 – ≪a.a.O.≫; BVerfG, Beschluß vom 6. Juni 1988 – 2 BvR 111/88 – ≪a.a.O.≫).

4. Die Berufung des Klägers auf die pädagogische Gestaltungsfreiheit vermag das Tragen der Anti-Atomkraft-Plakette während des Dienstes nicht zu rechtfertigen. Zunächst ist – wie bereits ausgeführt – Gegenstand des Rechtsstreits nicht die konkrete Gestaltung des Unterrichts, in dem es ggf. um das Für oder Wider der Atomkraft ginge, sondern ganz allgemein die Zulässigkeit des Tragens dieser Plakette während des Dienstes. Das Tragen der Plakette diente damit nicht als Mittel der pädagogischen Unterrichtsgestaltung, sondern der politischen Meinungsäußerung während des Schuldienstes.

5. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war eine Befristung des Verbots des Tragens der Plakette nicht geboten. Die Verbotsverfügung der Beklagten aktualisiert sich dem Kläger gegenüber ständig neu, wirkt also so lange, wie der Kläger die beanstandete Plakette im Dienst tragen will. Sie muß dann aufgehoben werden, wenn sie sich als nicht mehr erforderlich erweist, um ihren Zweck zu erreichen. Befristungen belastender Verwaltungsakte mit Dauerwirkung gelten zwar als geeignetes Mittel, die Eingriffsadäquanz im Lichte des verfassungsrechtlichen Gebotes der Verhältnismäßigkeit zu sichern (vgl. BVerfGE 51, 386 ≪398 ff.≫). Sie sind deshalb dann sachgerecht, wenn schon im Zeitpunkt der Untersagung feststeht oder doch wenigstens anhand bestimmter Gesichtspunkte in etwa abgesehen werden kann, ab wann der Eingriff nicht mehr erforderlich ist. Vorliegend konnte aber die Beklagte beim Erlaß ihres Verbotes nicht beurteilen, ob und wann die Voraussetzungen für den Erlaß, der Verbotsverfügung nicht mehr gegeben sein würden. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher auch entschieden (BVerwGE 60, 269 ≪276 f.≫), daß auf der Grundlage veränderter tatsächlicher Verhältnisse in der Zukunft zu treffende Ermessensentscheidungen grundsätzlich nicht im Wege einer Befristung vorweggenommen werden müssen. Daß sich inzwischen die für den Erlaß der angefochtenen Verfügung maßgebend gewesenen tatsächlichen Verhältnisse geändert haben und aus diesem Grunde das Verbot ab einem bestimmten Zeitpunkt aufzuheben wäre, ergibt sich weder aus dem festgestellten Sachverhalt noch ist dies geltend gemacht.

Zutreffend hat das Berufungsgericht auch ausgeführt, daß die angefochtene Maßnahme ohne Einschaltung des Personalrats Rechtens ist. Das Verbot einer bestimmten politischen Betätigung im Unterricht bezieht sich unmittelbar und ausschließlich auf die Ausübung der dem Kläger übertragenen dienstlichen Funktionen. Diese Dienstausübung unterliegt allein dein Weisungsrecht des Dienstherrn und ist einer Mitbestimmung nicht zugänglich (vgl. auch BAGE 38, 85 ≪89 ff.≫).

Da es nach der – zutreffenden – Auffassung des Berufungsgerichts auf eine konkret feststellbare Beeinträchtigung der Schüler nicht ankommt, ist die insoweit von der Revision des Klägers erhobene Verfahrensrüge mangelnder Sachaufklärung unbegründet. Die hinsichtlich der Befristung vom Kläger geltend gemachte Verfahrensrüge entfällt mit der Aufhebung der Befristung durch den Senat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Schwarz, Dr. Franke, Dr. Lemhöfer, Dr. Müller, Dr. Maiwald

 

Fundstellen

BVerwGE, 292

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