Entscheidungsstichwort (Thema)
diplomatische Einrichtung. türkisches Konsulat. terroristische Anschläge. Gebot der Rücksichtnahme. städtebaulich bedeutsame Gründe. unzumutbare Störungen. Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung
Leitsatz (amtlich)
Die möglichen Gefahren für die Nachbarschaft einer diplomatischen Einrichtung durch terroristische Anschläge sind städtebaulich bedeutsame Auswirkungen, die bei der Beurteilung, ob ein Vorhaben das Rücksichtnahmegebot (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) verletzt, zu berücksichtigen sind.
Auch wenn bei Erteilung der Baugenehmigung für eine diplomatische Einrichtung die Gefahr von Anschlägen als unwahrscheinlich einzuschätzen ist, muss sich die Baugenehmigungsbehörde vergewissern, dass bei einer geänderten Einschätzung der Sicherheitslage die dann zu erwartenden Gefahren für die Einrichtung und ihre Umgebung unter Wahrung des Rücksichtnahmegebots durch zusätzliche Maßnahmen beherrscht werden können.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1; BauGB § 31 Abs. 1, § 34; BauNVO §§ 8, 15 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 17.02.2006; Aktenzeichen 5 S 1848/05) |
VG Karlsruhe (Urteil vom 25.07.2005; Aktenzeichen 3 K 3540/04) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 17. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten für die Änderung der Nutzung eines Post-Betriebsgebäudes zu einem türkischen Konsulat.
Der Kläger ist Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft B…straße 1a – 1e in Karlsruhe und Eigentümer einer dort gelegenen Wohnung. Östlich grenzt das Grundstück S…straße 21 der Beigeladenen an. Beide Grundstücke befinden sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans “Nutzungsartfestsetzung” der beklagten Stadt vom 9. Oktober 1984. Der Plan enthält lediglich Festsetzungen über die Art der zulässigen baulichen Nutzung. Er weist ein Gewerbegebiet aus, in dem Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) nur ausnahmsweise zugelassen sind.
Am 19. November 2003 beantragte die Beigeladene die Baugenehmigung zur Änderung der Nutzung des auf dem Baugrundstück gelegenen, bislang von der Post genutzten Gebäudes zu einem türkischen Konsulat mit drei Betriebswohnungen. Der Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft erhob namens und in Vollmacht der Wohnungseigentümer Einwendungen gegen das Vorhaben. Die Einrichtung eines türkischen Konsulats gefährde wegen der nicht auszuschließenden Gefahr von terroristischen Bomben- und Brandanschlägen die Sicherheit der Anwohner. Mit Bescheid vom 27. Januar 2004 erteilte die Beklagte die Baugenehmigung unter Zulassung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB. Die Genehmigung enthält verschiedene der Sicherheit des Konsulatsgrundstücks dienende Nebenbestimmungen, u.a. zur Grundstückszufahrt und zur Errichtung eines nicht übersteigbaren Zauns. Das Konsulat nahm im Laufe des Jahres 2004 seinen Betrieb auf.
Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Kläger Klage und beantragte unter Hinweis auf die Gefährdung der Nachbarschaft durch terroristische Anschläge die Aufhebung der Baugenehmigung und des Widerspruchsbescheids. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe wies die Klage mit Urteil vom 25. Juli 2005 ab. Die hiergegen eingelegte Berufung wies der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg durch Urteil vom 17. Februar 2006 (BauR 2006, 1865 = VBlBW 2006, 431) im Wesentlichen mit folgender Begründung zurück: Gegen die Baugenehmigung könne weder planungsrechtlich im Rahmen der zugelassenen Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB und des Rücksichtnahmegebots nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO noch bauordnungsrechtlich über § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO BW erfolgreich eingewendet werden, dass die Gefahr terroristischer Anschläge bestehe. Derartige von außen durch Dritte verursachte, nicht aus der bestimmungsgemäßen Nutzung des Gebäudes resultierende Gefahren seien dem Vorhaben nicht zuzurechnen und bauplanungsrechtlich unbeachtlich; ihnen müsse durch polizei- und ordnungsrechtlich begegnet werden. Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg auf sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berufen. Eine staatliche Schutzpflicht gegenüber dem Kläger bestehe nicht; denn im Blick auf die befürchteten terroristischen Anschläge sei noch keine über eine unspezifische Besorgnis hinausgehende Gefährdungslage gegeben.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger u.a. geltend: Das angefochtene Urteil beruhe auf einer unzutreffenden Auslegung von § 31 Abs. 1 BauGB und § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sowie auf einer Verkennung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die durch den Betrieb eines türkischen Konsulats auftretenden Gefahren für das Eigentum und für Leib und Leben des Klägers und anderer Anwohner seien als städtebaulich bedeutsame Auswirkungen bei der Erteilung der Baugenehmigung zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht habe es deshalb fehlerhaft unterlassen, sich mit dem bestehenden Gefährdungspotential auseinanderzusetzen. Gerade diplomatische Vertretungen seien seit langem Ziel terroristischer Angriffe; dies zeigten in jüngster Zeit die Angriffe auf diplomatische Vertretungen Dänemarks im Zusammenhang mit dem Karikaturenstreit. Der Erlass von Nebenbestimmungen zum Schutz des Konsulats vor Angriffen von außen sei angesichts der geringen Abstände zur Wohnbebauung nicht ausreichend.
Die Beklagte hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision bleibt ohne Erfolg. Zwar verstoßen die Gründe des angefochtenen Urteils gegen Bundesrecht. Das Berufungsurteil erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
1. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die von der Beklagten erteilte Baugenehmigung für die von der Beigeladenen beantragte Nutzungsänderung Rechte des Klägers nicht verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist indes die das Berufungsurteil tragende Auffassung, die vom Kläger geltend gemachte Gefährdung durch terroristische Anschläge auf das türkische Konsulat sei schon aus Rechtsgründen für die Erteilung der Baugenehmigung unbeachtlich.
1.1 Die Baugenehmigung findet in bauplanungsrechtlicher Hinsicht ihre Grundlage in § 34 Abs. 1 BauGB in Verbindung mit den Festsetzungen des ein Gewerbegebiet ausweisenden (einfachen) Bebauungsplans der Beklagten Nr. 614 “Nutzungsartfestsetzung” vom 9. Oktober 1984 (§ 30 Abs. 3 BauGB). Weil der Bebauungsplan Nutzungen im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO (Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude) gemäß § 1 Abs. 5 BauNVO nur ausnahmsweise zulässt, konnte die Nutzungsänderung nur unter Zulassung einer Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 31 Abs. 1 BauGB) genehmigt werden. Das ist hier geschehen.
Eine derartige Ausnahme darf insbesondere dann nicht zugelassen werden, wenn das Vorhaben mit § 15 Abs. 1 BauNVO nicht zu vereinbaren ist. Diese Vorschrift schränkt die Zulässigkeit von Vorhaben, die mit den Festsetzungen eines Bebauungsplans übereinstimmen oder jedenfalls – wie hier – im Wege einer Ausnahme zugelassen werden können, im Einzelfall ein (vgl. Urteil vom 6. Oktober 1989 – BVerwG 4 C 14.87 – BVerwGE 82, 343 ≪345≫). Sie dient dem Schutz der Nachbarschaft vor Störungen durch Bauvorhaben, die zwar grundsätzlich nach den §§ 2 bis 14 BauNVO zulässig wären, aber wegen der besonderen Verhältnisse des konkreten Vorhabens der Eigenart des Baugebiets widersprechen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO) oder die Umgebung unzumutbar stören (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO).
Zutreffend prüft der Verwaltungsgerichtshof, ob der Baugenehmigung die Regelung in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO entgegensteht. Danach sind bauliche Anlagen unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. Die Bestimmung ist als Ausprägung des Rücksichtnahmegebots drittschützend, verleiht also einem betroffenen Nachbarn im Falle ihrer Verletzung ein Abwehrrecht gegen die Baugenehmigung (vgl. Urteil vom 5. August 1983 – BVerwG 4 C 96.79 – BVerwGE 67, 334 ≪338 f.≫; Urteil vom 6. Oktober 1989 a.a.O.). Dem Verwaltungsgerichtshof ist ferner darin zuzustimmen, dass bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Vorhabens am Maßstab des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO nur Gesichtspunkte mit städtebaulicher (bodenrechtlicher) Erheblichkeit zu berücksichtigen sind. Diese Einschränkung ergibt sich aus dem Zweck der Bauleitplanung. Bauleitpläne sollen die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde vorbereiten und leiten (§ 1 Abs. 1 BauGB). Sie sind dementsprechend auf die “städtebauliche Entwicklung und Ordnung” (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB) ausgerichtet; Festsetzungen dürfen nur aus “städtebaulichen Gründen” erfolgen (§ 9 Abs. 1 BauGB). Daraus folgt, dass auch die unzumutbaren Belästigungen oder Störungen, vor denen § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO schützen will, solche Auswirkungen sein müssen, die einen Bezug zur Bodenordnung im Sinne der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung des Gemeindegebiets haben.
1.2 Zu Unrecht spricht der Verwaltungsgerichtshof den Gefahren, die sich aus einem terroristischen Anschlag auf das türkische Konsulat für Leib und Leben der Anwohner ergeben könnten, die Qualität von städtebaulich beachtlichen Auswirkungen des genehmigten Vorhabens ab.
Zur Begründung dieser Rechtsansicht heißt es im Berufungsurteil: Eine derartige von außen und durch Dritte herbeigeführte Gefährdung sei dem Bauvorhaben und seiner Nutzung nicht zuzurechnen. Grundsätzlich seien nur die aus der bestimmungsgemäßen Nutzung eines Vorhabens resultierenden Auswirkungen städtebaulich beachtlich. Aber auch Gefahren aus einer nicht bestimmungsgemäßen Nutzung könnten dann städtebaulich bedeutsam sein, wenn der Nutzung selbst ein – in der Regel beherrschbares – Gefährdungspotential innewohne, wie etwa bei einem explosionsanfälligen militärischen Gefahrstofflager. Ein solchermaßen zurechenbares Gefährdungspotential weise die hier umstrittene Nutzung nicht auf, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. Zweckveranlassung. Das Städtebaurecht stelle hinsichtlich der von derartigen terroristischen Anschlägen drohenden Gefahren für die Nachbarschaft kein “Konfliktlösungsprogramm” bereit.
Der Verwaltungsgerichtshof lässt sich bei der Frage nach der “Zurechenbarkeit” der Gefahren der Sache nach von einem polizeirechtlichen Ansatz leiten. Durch die Beschaffenheit oder die Nutzung des Grundstücks selbst müsse die Gefahrengrenze überschritten werden, wobei auch eine latente Störung (Beispiel des Gefahrstofflagers) oder eine Zweckveranlassung ausreiche. Diese Ansicht verengt den Begriff der städtebaulich bedeutsamen Auswirkungen in unzulässiger Weise auf eine polizeirechtliche Störerverantwortlichkeit. Städtebauliche Bedeutung kann grundsätzlich jeder nur denkbare Gesichtspunkt erhalten, sobald er die Bodennutzung betrifft oder sich auf diese auswirkt (vgl. auch Gaentzsch, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 1 Rn. 55; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 1 Rn. 110). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn vorhandene oder durch eine Planung entstehende Probleme oder Konflikte dadurch bewältigt werden sollen, dass für Grundstücke bestimmte Nutzungen zugewiesen, eingeschränkt oder untersagt werden oder dass eine räumliche Zuordnung oder Trennung von Nutzungen erfolgt. So sind auch die in § 1 Abs. 6 BauGB beispielhaft aufgeführten, bei der Aufstellung der Bauleitpläne zu berücksichtigenden Belange im Einzelfall (nur) dann städtebaulich bedeutsam und damit abwägungserheblich, wenn sie nach der konkreten Situation die Bodennutzung betreffen oder sich auf diese auswirken. Der im vorliegenden Fall maßgebende abwägungserhebliche städtebauliche Gesichtspunkt findet sich in § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB. Danach sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und – hier vor allem maßgeblich – die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung zu berücksichtigen. Diese Anforderung umfasst die Verpflichtung der Gemeinde, schon bei der Planung Gefahren zu ermitteln und in die planerische Abwägung einzustellen, die als Folge der Planung entstehen oder verfestigt werden können (Urteil vom 21. März 2002 – BVerwG 4 CN 14.00 – BVerwGE 116, 144 ≪148≫; BGH, Urteil vom 18. Februar 1999 – III ZR 272/96 – BGHZ 140,380).
Zu Unrecht meint der Verwaltungsgerichtshof, Gefährdungen durch terroristische Anschläge könne nicht durch bodenordnende Maßnahmen, insbesondere durch Zuordnung und Trennung von Nutzungen begegnet werden. Richtig ist allenfalls, dass derartige Gefahren je nach Situation nicht allein durch bodenordnende Maßnahmen beherrscht werden können, sondern gegebenenfalls durch Maßnahmen bauordnungsrechtlicher und polizeirechtlicher Art ergänzt werden müssen. Im Übrigen aber liegt es auf der Hand, dass durch die Zuordnung oder Trennung von Grundstücken, durch die Zuweisung zulässiger oder unzulässiger Nutzungen, durch die Regelung von einzuhaltenden Abständen und von überbaubaren Grundstücksflächen, durch die Führung von Verkehrswegen und die Regelung von Grundstückszufahrten ein Beitrag zumindest zur Verringerung solcher Gefährdungen geleistet werden kann und muss. Besonders deutlich wird der (auch) städtebauliche Charakter solcher Auswirkungen einer Grundstücksnutzung, wenn man sich das Beispiel vor Augen führt, dass im Zuge der Aufstellung eines Bebauungsplans in einem noch unbebauten Gebiet neben anderem auch die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung einer anschlaggefährdeten Einrichtung geschaffen werden sollen. Es wäre abwägungsfehlerhaft, die daraus folgenden Besonderheiten bei der Planung nicht zu berücksichtigen.
Soweit zur Begründung der Auffassung, die in Rede stehenden Gefahren könnten nicht mit Mitteln des Städtebaurechts bewältigt werden, auf das Urteil des erkennenden Senats vom 25. November 1983 – BVerwG 4 C 21.83 – BVerwGE 68, 213 Bezug genommen wird (so etwa VG Berlin, Urteil vom 20. Mai 1999, LKV 1999, 412 ≪414≫ zur Errichtung der israelischen Botschaft in Berlin), ist dies auf ein Missverständnis zurückzuführen. In der genannten Entscheidung des Senats ging es um die Frage, ob ein Bordellbetrieb in einem Gewerbegebiet oder nur in einem Industriegebiet zulässig war. Nach der seinerzeit maßgebenden Fassung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1968 waren in einem Gewerbegebiet – anders als in einem Industriegebiet nach § 9 BauNVO 1968 – Gewerbebetriebe nur zulässig, soweit sie für die Umgebung keine erheblichen Nachteile oder Belästigungen zur Folge haben konnten. In diesem Zusammenhang hat der Senat ausgeführt, dass die geltend gemachten unerwünschten sozialen “Außenwirkungen” eines Bordellbetriebs, wie anstößiges Verhalten von Besuchern, Belästigungen von in dem Gewerbegebiet tätigen jugendlichen oder weiblichen Beschäftigten oder Ansehensverlust für die in der Umgebung angesiedelten Unternehmen, keine Nachteile oder Belästigungen im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1968 seien. Es handle sich um Konflikte, die nicht durch Verweisung in eine andere Gebietskategorie der Baunutzungsverordnung zu lösen wären, weil sie überall und so auch in einem Industriegebiet auftreten könnten. Diese auf das Verhältnis zwischen §§ 8 und 9 BauNVO 1968 bezogenen Ausführungen dürfen nicht auf die einen anderen Zweck erfüllende Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO und das dort verwendete Begriffspaar der Belästigungen oder Störungen übertragen werden.
2. Ist somit die Baugenehmigung entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs am Maßstab des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu messen, so erweist sich das Berufungsurteil dennoch im Ergebnis als richtig. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil ist davon auszugehen, dass die Genehmigung zur Änderung der Nutzung des bisherigen Post-Betriebsgebäudes zu einem türkischen Konsulat das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme zu Lasten des Klägers und der übrigen Anwohner nicht verletzt. Auch sonst sind Rechtsmängel der Baugenehmigung nicht erkennbar.
Nach der Rechtsprechung des Senats hängt das Maß der nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO gebotenen Rücksichtnahme von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (vgl. zusammenfassend Beschluss vom 3. März 1992 – BVerwG 4 B 70.91 – Buchholz 406.12 § 3 BauNVO Nr. 8 m.w.N.). Es sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen. Feste Regeln lassen sich dabei nicht aufstellen; erforderlich ist vielmehr eine Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen. Geht man von diesen Grundsätzen aus, kann von einer unzumutbaren Gefährdung der Bewohner der dem Konsulat benachbarten Wohnhäuser nicht gesprochen werden.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Baugenehmigung bereits eine Reihe von sicherheitstechnisch bedingten, bei derartigen Einrichtungen üblichen Nebenbestimmungen enthält, etwa für die Zufahrt zum und auf das Gelände des Konsulats sowie für die Umzäunung des Grundstücks. Entscheidend ist indes die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, mit der terroristische oder sonstige die Nachbarschaft gefährdende Anschläge auf das Konsulat zu erwarten sind. Im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zu einer möglichen Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG betont der Verwaltungsgerichtshof, dass hier keine über eine unspezifische Besorgnis hinausgehende Gefährdungslage gegeben sei. Mit dieser Bewertung befindet sich das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Einschätzung der zuständigen Sicherheitsbehörden, wie aus den zum Verfahren beigezogenen Behördenakten hervorgeht. Diese Feststellung hat der Kläger nicht mit revisionsrechtlich beachtlichen Rügen angegriffen, so dass der Senat an sie gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO). Bei dieser Sachlage kann nicht von einer rücksichtslosen, mit § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO nicht zu vereinbarenden und deshalb nicht genehmigungsfähigen Nutzung ausgegangen werden.
Allerdings weist die Revision zu Recht darauf hin, dass sich die Einschätzung, wie wahrscheinlich mit Anschlägen auf diplomatische Vertretungen und ähnliche Einrichtungen gerechnet werden muss, ändern kann, wenn bestimmte weltpolitische oder einzelne Staaten betreffende Ereignisse oder Entwicklungen eintreten. Dies lehrt die Erfahrung gerade aus den letzten Jahren und gilt auch für türkische Einrichtungen. Eine Baugenehmigungsbehörde muss sich deshalb in Fällen wie dem vorliegenden vergewissern, ob bei einer nicht auszuschließenden nachteiligen Änderung der Sicherheitslage die dann zu erwartende Gefährdung der betreffenden Einrichtung und ihrer Umgebung unter Wahrung des Rücksichtnahmegebots beherrschbar ist, z.B. durch zusätzliche baurechtliche oder ordnungsrechtliche Maßnahmen. Ist dies aufgrund der örtlichen Verhältnisse nicht gewährleistet, kann dies ein Grund für die Versagung einer Baugenehmigung sein. Anhaltspunkte dafür, dass keine ausreichenden Vorkehrungen möglich wären, um auf eine geänderte Gefährdungslage angemessen reagieren zu können, sind im hier zu entscheidenden Fall aber nicht zu erkennen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Dr. Paetow, Prof. Dr. Rojahn, Gatz, Dr. Jannasch, Buchberger
Fundstellen
Haufe-Index 1711903 |
BVerwGE 2007, 118 |
BauR 2007, 1002 |
DWW 2007, 304 |
IBR 2007, 399 |
DÖV 2007, 795 |
VR 2007, 251 |
ZfBR 2007, 346 |
DVBl. 2007, 637 |
GuT 2007, 307 |
Info M 2007, 324 |
NordÖR 2007, 191 |
RÜ 2007, 330 |
UPR 2007, 229 |
BBB 2007, 58 |
BRS-ID 2007, 3 |
FuB 2008, 45 |