Verfahrensgang
Hessischer VGH (Beschluss vom 02.10.2003; Aktenzeichen 7 UE 2509/03.A) |
Tenor
Auf die Revision des Beigeladenen wird der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Oktober 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der 1982 geborene Beigeladene stammt aus dem Kosovo und kam Ende April 1997 über Tschechien nach Deutschland zu seinem Vater, der seit April 1995 bestandskräftig als Asylberechtigter anerkannt ist. Dem Asylantrag des Beigeladenen gab das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) – Bundesamt – durch Bescheid vom 13. Juni 1997 nach § 26 Abs. 2 AsylVfG statt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) Klage mit der Begründung, die Zuerkennung von Familienasyl sei nach § 26 a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG zu Unrecht erfolgt, weil der Beigeladene auf dem Landweg über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat zunächst im vereinfachten Berufungsverfahren durch Beschluss vom 21. Februar 2003 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und den Anerkennungsbescheid vom 13. Juni 1997 aufgehoben. Nach Aufhebung dieser Entscheidung durch Beschluss des erkennenden Senats vom 17. Juli 2003 – BVerwG 1 B 140.03 – hat der Verwaltungsgerichtshof die Beteiligten mit Schreiben vom 15. September 2003 erneut zu einer Entscheidung nach § 130 a VwGO angehört. Diesem mit normaler Post versandten Schreiben war ein Empfangsbekenntnis beigefügt, das jedoch nur vom Kläger und der Beklagten zurückgesandt wurde (GA Bl. 196 a und 196 b). Der Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen teilte dem Verwaltungsgerichtshof durch Schreiben vom 24. September 2003 mit, dass sich seine Anschrift geändert habe. Durch den angefochtenen Beschluss vom 2. Oktober 2003 hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts erneut geändert und den Anerkennungsbescheid wiederum aufgehoben; die Revision hat er nicht zugelassen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Beigeladene erneut Beschwerde erhoben und vorgebracht, er sei zu dem beabsichtigten Verfahren nach § 130 a VwGO nicht angehört worden. Darin liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Nach entsprechendem Hinweis des Verwaltungsgerichtshofs auf das Anhörungsschreiben vom 15. September 2003 hat der Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen unter Versicherung an Eides statt erklärt, dass er die Verfügung des Gerichts vom 15. September 2003 nicht erhalten habe. Er gehe davon aus, dass der Verlust des Schreibens darauf beruhe, dass sich die Kanzleianschrift geändert habe und der Nachsendeauftrag von der Post nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden sei. Auch in anderen Angelegenheiten seien Schreiben nicht an die neue Anschrift weitergeleitet, sondern – trotz eines dort vorhandenen Hinweises auf die neue Anschrift – einfach in dem auch für zahlreiche Dritte zugänglichen Treppenhaus des Hauses, in dem sich die Kanzlei früher befunden habe, abgelegt worden. Der Umzug habe in der Zeit zwischen dem 1. Juli und 31. Juli 2003 stattgefunden. Während dieses Zeitraums sei die eingehende Post sowohl an der neuen wie auch an der alten Anschrift abgeholt worden. Der Nachsendeantrag sei am 22. Juli 2003 in Auftrag gegeben und für sechs Monate ab dem 28. Juli 2003 gestellt worden. Nach dem 28. Juli 2003 sei die Beschriftung des Hausbriefkastens an der alten Kanzlei entfernt und an der Briefkastenanlage ein deutlicher Hinweis auf die neue Anschrift angebracht worden. Auf Hinweis von früheren Nachbarn, dass mehrere Schreiben im Treppenhaus lägen, seien diese von einer Mitarbeiterin am 18. September 2003 im Haus der alten Kanzlei abgeholt worden. Auf eine Beschwerde vom 22. September 2003 habe sich die Post mit Schreiben vom 24. September 2003 entschuldigt. Auch danach seien nochmals zwei Briefe am Sitz der alten Kanzlei aufgefunden worden; auf eine erneute telefonische Reklamation habe sich die Post mit Schreiben vom 6. Oktober 2003 wieder entschuldigt. Daraufhin hat der Verwaltungsgerichtshof auf die Beschwerde des Beigeladenen hin die Revision durch Beschluss vom 16. März 2004 nachträglich zugelassen. Mit Beschluss vom 28. April 2004 hat der Verwaltungsgerichtshof diesen Beschluss hinsichtlich der Rechtsmittelbelehrung berichtigt.
Zur Begründung der Revision macht der Beigeladene geltend, die Berufungsentscheidung verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör, weil der angefochtene Beschluss vom 2. Oktober 2003 ergangen sei, ohne dass er zuvor ordnungsgemäß angehört worden wäre. Das Anhörungsschreiben vom 15. September 2003 sei seinem Prozessbevollmächtigten nicht zugegangen. Er habe deshalb keine Gelegenheit gehabt, sich mit der Auffassung des Berufungsgerichts auseinander zu setzen und ihr entgegenzutreten.
Der Kläger und die Beklagte haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung – ebenso wie der Beigeladene – zugestimmt, sich aber nicht weiter geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat kann im Einverständnis der Beteiligten über die Revision ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Revision ist zulässig und begründet. Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt Bundesrecht. Der im sog. vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO ergangene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs ist ohne Nachweis der nach § 130 a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO erforderlichen Anhörung des Beigeladenen ergangen. Die angefochtene Entscheidung ist deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Der Beigeladene ist zu der beabsichtigten Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 130 a VwGO nach seinem Vortrag und dem Inhalt der Akten schon deshalb nicht ordnungsgemäß angehört worden, weil nicht festgestellt werden kann, dass das in den Berufungsakten befindliche Anhörungsschreiben vom 15. September 2003 seinem Prozessbevollmächtigten tatsächlich zugegangen ist. In den Akten befindet sich zwar ein Postabgangsvermerk der Geschäftsstelle (GA Bl. 193 Rückseite), jedoch kein Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen. Ohne ein solches Empfangsbekenntnis ist die vom Verwaltungsgerichtshof angeordnete Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nach § 56 Abs. 2 VwGO, § 174 Abs. 4 ZPO nicht wirksam erfolgt. Dabei kann offen bleiben, ob eine förmliche Zustellung des Anhörungsschreibens wegen der darin regelmäßig gesetzten richterlichen Äußerungsfrist nach § 56 Abs. 1 VwGO erfolgen muss (so der Beschluss des Senats vom 17. November 1994 – BVerwG 1 B 42.94 – Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 11; dagegen offen gelassen: Beschluss vom 26. August 1993 – BVerwG 4 B 126.93 – ≪juris≫ sowie Urteil vom 21. Dezember 1987 – BVerwG 9 C 86.87- BayVBl 1988, 350, Urteil vom 23. November 1981 – BVerwG 8 C 25.81 – und Urteil vom 13. Dezember 1979 – BVerwG 7 C 76.78 – Buchholz 312 EntlG Nrn. 28 und 12). Eine Heilung des Formmangels wäre nach § 189 ZPO nur anzunehmen, wenn nachweislich feststeht, dass der Zustellungsempfänger (hier: der Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen) das Schriftstück tatsächlich erhalten hat. Dem entspricht es, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. die zitierten Beschlüsse und Urteile a.a.O.) die Anhörung der Beteiligten in jedem Falle nur dann ordnungsgemäß erfolgt ist, wenn der Zugang der Anhörungsmitteilung des Gerichts nachgewiesen ist. Insoweit trifft das Berufungsgericht eine verfahrensrechtliche Beweislast (Beschluss vom 26. August 1993 a.a.O.). Das Fehlen des Nachweises begründet danach einen wesentlichen Mangel des Gerichtsverfahrens und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs mit der Folge, dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist. So verhält es sich hier. Im vorliegenden Fall ist vom Fehlen eines solchen Nachweises schon deshalb auszugehen, weil der Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen ein Empfangsbekenntnis ausweislich der Akten nicht abgegeben und in der Beschwerdeschrift ausdrücklich erklärt hat, dass ihm ein Anhörungsschreiben nicht zugegangen ist.
Der Senat bemerkt hierzu ergänzend: Das Berufungsgericht hat mit seinen darüber hinaus gehenden weiteren Bemühungen zur Aufklärung des tatsächlichen Zugangs des Anhörungsschreibens beim Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen im Beschwerdeverfahren die insoweit an die Beteiligten zu stellenden Anforderungen überspannt. Der geforderten (und abgegebenen) eidesstattlichen Versicherung, dass das Schreiben tatsächlich nicht zugegangen ist, hätte es unter den hier gegebenen Umständen ebenso wenig bedurft wie der weiteren von dem Prozessbevollmächtigten geforderten Erklärungen und Nachweise dazu, dass seine Angaben zu einem möglichen Verlust des Schreibens auf dem Postweg (wegen Verlegung seiner Kanzlei) zutreffen können. Wird – wie hier – eine Zustellung gegen Empfangsbekenntnis im Wege der Übermittlung auf dem Postweg durch einfachen Brief angeordnet und durchgeführt, lässt sich der Nachweis des tatsächlichen Zugangs des zuzustellenden Schriftstücks in aller Regel nur durch die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses führen. Erklärt ein Rechtsanwalt, dass ihm das Schriftstück nicht zugegangen ist, so besteht ohne weitere Anhaltspunkte kein Grund, dem zu misstrauen und im Wege des Freibeweises weitere Nachforschungen anzustellen. Will das Gericht das Risiko eines Scheiterns der Zustellung vermeiden, so kann es eine andere, sicherere Form der Zustellung nach §§ 175, 176 ZPO wählen. Außerdem hätte das Berufungsgericht eine verfahrensfehlerhafte Entscheidung hier auch dadurch vermeiden können, dass es vor Erlass seiner Entscheidung nach § 130 a VwGO die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses über den Erhalt des Anhörungsschreibens vom 15. September 2003 selbst nachgeprüft und die Anhörung nachgeholt hätte.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Hund, Richter, Beck, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen