Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung einer Vorbelastung
Leitsatz (amtlich)
Dem abgabepflichtigen Einleiter zugeleitetes Wasser, das aus Wasserversorgungseinrichtungen stammt, ist nicht als einem Gewässer unmittelbar entnommen im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG anzusehen und folglich vom Vorbelastungsabzug ausgenommen.
Normenkette
AbwAG § 4 Abs. 3 S. 1, § 3 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 26.06.2014; Aktenzeichen 4 LB 12/13) |
VG Schleswig-Holstein (Urteil vom 31.01.2013; Aktenzeichen 6 A 264/11) |
Tatbestand
Rz. 1
Der klagende Abwasserzweckverband betreibt eine Kläranlage und leitet geklärte Abwässer in die Elbe ein. Er begehrt die Aufhebung eines Abwasserabgabenbescheids, soweit die abgabenmindernde Anerkennung einer Vorbelastung des Trinkwassers mit Stickstoff abgelehnt wurde.
Rz. 2
In dem Kläger sind kommunale Träger zu dem Zweck der Abwasserbeseitigung zusammengeschlossen. Dem Klärwerk des Klägers wird gebrauchtes Trinkwasser aus Trinkwasserversorgungsanlagen zugeführt, die durch mehrere Wasserwerke gespeist werden. Das zur Trinkwassergewinnung entnommene Grundwasser ist mit Stickstoff belastet; im September 2004 belief sich die mittlere Belastung für den Parameter Nitrat-Stickstoff auf ca. 1,1 mg/l Wasser.
Rz. 3
Die vom Kläger beantragte Anerkennung einer Vorbelastung gemäß § 4 Abs. 3 AbwAG für den Schadstoff Stickstoff lehnte das damals zuständige Staatliche Umweltamt unter dem 31. März 2005 ab. Die auf eine Verpflichtung des Beklagten zur Anerkennung der begehrten Vorbelastung gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Auf die Berufung des Klägers verpflichtete das Oberverwaltungsgericht den Beklagten zur Schätzung und entsprechenden Anerkennung der Vorbelastung. Mit Urteil vom 24. Juni 2010 hob das Bundesverwaltungsgericht (7 C 17.09) das Urteil des Oberverwaltungsgerichts auf. Es habe zu Unrecht angenommen, dass die Vorbelastung in einem gesonderten Bescheid geschätzt werden könne und damit einer isoliert anfechtbaren Teilregelung zugänglich sei. Vielmehr seien alle Schritte bei der Berechnung der Abwasserabgabe in einem einzigen Verfahren vorzunehmen, welches mit Erlass eines Abgabenbescheids ende.
Rz. 4
Bereits mit Bescheid vom 19. Juni 2006 hatte das Staatliche Umweltamt eine Abwasserabgabe für den Veranlagungszeitraum 2005 in Höhe von 998 125,57 € festgesetzt. Mit Ergänzungsbescheid vom 12. Mai 2011 änderte der nunmehr beklagte Kreis den Tenor des Abgabenbescheids, nachdem der Kläger ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens beantragt hatte. Danach blieb die beantragte Anerkennung einer Vorbelastung bei der Berechnung der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr unberücksichtigt. Ein Vorbelastungsabzug sei nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG nur bei einmaliger Verwendung oder einmaligem Gebrauch des entnommenen Wassers und Wiedereinleitung in das Gewässer zulässig.
Rz. 5
Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vor dem Oberverwaltungsgericht ohne Erfolg geblieben. Der Einleitung von durch einen Dritten entnommenem Wasser aus öffentlichen Trinkwasserversorgungsanlagen durch einen Abwasserzweckverband liege keine unmittelbare Entnahme von Wasser zugrunde. Der Wortlaut von § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG sei im Hinblick auf die Auslegung des Merkmals "unmittelbar" zwar nicht eindeutig, die systematische Auslegung des Gesetzes bringe aber hinreichend klar zum Ausdruck, dass dem Unmittelbarkeitserfordernis eigenständige Bedeutung beizumessen sei. Sowohl die Vorbelastung vor Gebrauch des Wassers als auch die unmittelbare Entnahme von Wasser aus einem Gewässer seien Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Vorbelastung. Diesem Ergebnis stehe die Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht entgegen. Das Auslegungsergebnis stimme mit dem Sinn und Zweck des Abwasserabgabengesetzes überein. Für das Verständnis des Gesetzes sei nicht allein das Verursacherprinzip maßgeblich. Die Senkung des Verwaltungsaufwands sei ein weiteres Anliegen des Gesetzes. Die Ermittlung von Schätzungsgrundlagen für den Vorbelastungsabzug sei in einem Fall der mittelbaren Wasserentnahme mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden. Eine verfassungskonforme Auslegung der Ausnahmevorschrift sei nicht geboten.
Rz. 6
Der Kläger hat die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung vorgetragen:
Rz. 7
Dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG könnten Anforderungen an die das Wasser entnehmende und einleitende Person nicht entnommen werden. Näher liegend sei eine Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts, zu dem das Wasser eine Schädlichkeit aufweisen müsse. Die systematische Auslegung des Abwasserabgabengesetzes spreche für die Anerkennung einer Vorbelastung des aus kommunalen Trinkwasserversorgungsanlagen bezogenen Wassers. Dem Regierungsentwurf zu einem Abwasserabgabengesetz lasse sich entnehmen, dass es nicht darauf ankomme, ob das Wasser von den Einleitern selbst oder von Dritten entnommen und den Einleitern zur Verfügung gestellt worden sei. Sinn und Zweck des § 4 Abs. 3 AbwAG sei es, das Verursacherprinzip umfassend zu verwirklichen. Die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts zur Verwaltungspraktikabilität trügen der in § 4 Abs. 3 AbwAG erfolgten konkreten Ausgestaltung des Vorbelastungsabzugs nicht Rechnung. Denn der Gesetzgeber habe die Schätzung der Vorbelastung vorgesehen und damit den Verwaltungsaufwand berücksichtigt. Schließlich stehe einem Vorbelastungsabzug die bezweckte Verringerung der Gewässerbelastung durch gefährliche Stoffe, also der Lenkungszweck der Abwasserabgabe, nicht entgegen. Bei Anerkennung eines Vorbelastungsabzugs würde die Abgabenpflicht nicht in einem Maße reduziert, dass weitere Investitionen in den Gewässerschutz ihren wirtschaftlichen Sinn verlören.
Rz. 8
Unabhängig hiervon sei eine gleichheitssatzkonforme Auslegung des § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG geboten. Eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung des Einleiters, der das Wasser selbst entnommen habe und damit in den Genuss eines Vorbelastungsabzugs komme, und des Einleiters, der das Wasser von einem Dritten bezogen habe und deshalb keinen Vorbelastungsabzug erhalte, lasse sich nicht finden.
Rz. 9
Der Ausschluss des aus Trinkwasserversorgungsanlagen stammenden Wassers vom Vorbelastungsabzug führe zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Sonderabgabe. Der entgeltliche Charakter der Abwasserabgabe gebiete einen Vorbelastungswert dem Grunde nach und eine möglichst weitgehende Berücksichtigung des Verursacherprinzips.
Rz. 10
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2014 und das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 31. Januar 2013 zu ändern
und
I. den Abwasserabgabenfestsetzungsbescheid des Staatlichen Umweltamtes I. vom 19. Juni 2006 in Gestalt des Ergänzungsbescheids des Beklagten vom 12. Mai 2011 und des Widerspruchsbescheids vom 23. September 2011
1. nach Anerkennung einer Vorbelastung des dem Kläger aus öffentlichen Trinkwasserversorgungsanlagen zugeflossenen Schmutzwassers von 1,1 mg/l Stickstoff aus Nitrat gemäß § 4 Abs. 3 AbwAG aufzuheben, soweit die Abgabenfestsetzung den Betrag von 984 215,91 € übersteigt,
hilfsweise
2. den Abwasserabgabenfestsetzungsbescheid des Staatlichen Umweltamtes I. vom 19. Juni 2006 in Gestalt des Ergänzungsbescheids des Beklagten vom 12. Mai 2011 und des Widerspruchsbescheids vom 23. September 2011 aufzuheben, soweit darin eine Abwasserabgabe ohne vorherige Schätzung der Vorbelastung für den Schadstoffparameter Stickstoff aus Nitrat gemäß § 4 Abs. 3 AbwAG festgesetzt wurde, mithin soweit die Abwasserabgabenfestsetzung den Betrag von 864 981,70 € übersteigt,
hilfsweise anstelle von I.
II. den Ergänzungsbescheid des Beklagten vom 12. Mai 2011 und den Widerspruchsbescheid vom 23. September 2011 aufzuheben und den Beklagten
1. zu verpflichten, das Verwaltungsverfahren betreffend den Abwasserabgabenfestsetzungsbescheid des Staatlichen Umweltamtes I. vom 19. Juni 2006 gemäß § 118a Abs. 1 LVwG wieder aufzugreifen
und
2. zu verpflichten, nach Wiederaufgreifen des Verfahrens
a) eine Vorbelastung des aus dem Grundwasser entnommenen und in der Folge von dem Kläger behandelten und in die Elbe eingeleiteten Trinkwassers von 1,1 mg/l Stickstoff aus Nitrat gemäß § 4 Abs. 3 AbwAG anzuerkennen und unter Berücksichtigung dieser Vorbelastung den Abwasserabgabenfestsetzungsbescheid vom 19. Juni 2006 für das Kalenderjahr 2005 zurückzunehmen, soweit eine höhere Abwasserabgabe als 984 215,91 € festgesetzt wurde,
hilfsweise
b) den Abgabenbescheid zurückzunehmen, soweit eine höhere Abwasserabgabe festgesetzt wurde, als sich nach der durch den Beklagten vorzunehmenden Schätzung der Vorbelastung ergibt.
Rz. 11
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 12
Er schließt sich den Ausführungen in dem Berufungsurteil an.
Rz. 13
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren beteiligt. Er verteidigt das Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
Rz. 14
Die zulässige Revision ist nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verstößt nicht gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Rz. 15
Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht die Zulässigkeit der Anfechtungsklage bejaht (1.). Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass bei der Berechnung der streitigen Abwasserabgabe eine Vorbelastung des Trinkwassers mit Stickstoff nicht in Abzug gebracht werden dürfe, ist frei von Bundesrechtsverstößen (2.).
Rz. 16
1. Der Anfechtungsklage steht die Unanfechtbarkeit des Abwasserabgabenbescheids vom 19. Juni 2006 nicht entgegen. Der Kläger hat nach Ergehen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2010 das Wiederaufgreifen des Verfahrens für die Festsetzung der Abwasserabgabe beantragt. Hierauf hat der Beklagte sich auf die Bestandskraft des Bescheids nicht berufen, sondern nach erneuter Prüfung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Abwasserabgabengesetz - AbwAG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 18. Januar 2005 (BGBl. I S. 114), für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch die Verordnung vom 2. September 2014 (BGBl. I S. 1474), unter Würdigung des klägerischen Vorbringens die Anerkennung eines Vorbelastungsabzugs abgelehnt.
Rz. 17
2. Der Kläger kann nicht verlangen, dass bei der Bemessung der Abwasserabgabe eine Vorbelastung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG für den Schadstoff Stickstoff berücksichtigt wird. Nach dieser Vorschrift ist auf Antrag des Abgabepflichtigen die Vorbelastung für die in § 3 Abs. 1 AbwAG genannten Schadstoffe und Schadstoffgruppen zu schätzen und ihm die geschätzte Vorbelastung nicht zuzurechnen, wenn das aus einem Gewässer unmittelbar entnommene Wasser vor seinem Gebrauch bereits eine Schädlichkeit nach § 3 Abs. 1 AbwAG (Vorbelastung) aufweist.
Rz. 18
Das Oberverwaltungsgericht legt die Vorschrift dahin aus, dass Wasser, das aus öffentlichen Trinkwasserversorgungsanlagen bezogen wird, kein "unmittelbar entnommenes" Wasser und deshalb vom Vorbelastungsabzug ausgeschlossen sei. Dieses Auslegungsergebnis ist nicht zu beanstanden.
Rz. 19
a) Allein aus dem Wortlaut der Vorschrift folgt dieses Verständnis allerdings noch nicht. Das Adjektiv "unmittelbar" kann darauf hinweisen, dass das Wasser bereits zum Zeitpunkt seiner Entnahme die Vorbelastung aufgewiesen haben muss. Damit würde das weitere gesetzliche Tatbestandsmerkmal "vor seinem Gebrauch bereits eine Schädlichkeit... (Vorbelastung) aufweist" lediglich verstärkend wiederholt. Mit dem Wort "unmittelbar" kann aber auch zum Ausdruck gebracht werden, dass Wasser nach seiner Entnahme ohne wesentliche weitere Zwischenschritte gebraucht und anschließend eingeleitet wird. Schließlich sieht § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG davon ab, ausdrücklich eine Person zu bezeichnen, die das Wasser unmittelbar entnommen hat. Die Norm nennt indessen den Abgabepflichtigen als Antragsberechtigten. Dies könnte für das Erfordernis einer Identität der entnehmenden Person und des Abgabepflichtigen sprechen.
Rz. 20
b) Die systematische Auslegung spricht hingegen für einen eigenständigen Regelungscharakter des Merkmals der unmittelbaren Wasserentnahme (vgl. auch OVG Magdeburg, Beschluss vom 14. Mai 2002 - 3 L 287/00 - BA S. 4 f.). Dies folgt aus einer Gegenüberstellung mit § 10 Abs. 1 Nr. 1 AbwAG, der ebenfalls für die Abgabepflicht die Verunreinigung des Wassers berücksichtigt. Nach dieser Vorschrift ist das Einleiten von Schmutzwasser nicht abgabepflichtig, das vor Gebrauch einem Gewässer entnommen worden ist und über die bei der Entnahme vorhandene Schädlichkeit im Sinne dieses Gesetzes hinaus keine weitere Schädlichkeit im Sinne dieses Gesetzes aufweist. Im Unterschied zu § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG verlangt § 10 Abs. 1 Nr. 1 AbwAG nicht, dass Wasser aus einem Gewässer "unmittelbar" entnommen worden ist. Deshalb kommt für die Anwendung dieser Begünstigungsregelung auch Wasser aus der Trinkwasserversorgung in Betracht, wenn die weiteren Voraussetzungen gegeben sind (vgl. Zöllner, in: Sieder/Zeitler/Dahme, Wasserhaushaltsgesetz und Abwasserabgabengesetz, Stand September 2015, § 10 AbwAG Rn. 4).
Rz. 21
c) Die Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 3 AbwAG deutet ebenfalls darauf hin, dass der Kläger sich auf das Tatbestandsmerkmal der unmittelbaren Wasserentnahme nicht berufen kann.
Rz. 22
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem Gesetz über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer vom 18. Juni 1974 (BT-Drs. 7/2272 S. 8) enthielt in § 6 eine Regelung, die die Vorbelastung von Abwasser berücksichtigte und die, soweit hier von Interesse, in ihrem Satz 1 mit der Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 übereinstimmt (BT-Drs. 7/5183 S. 6). Nach der Begründung zu § 6 des Regierungsentwurfs (BT-Drs. 7/2272 S. 31) soll die Vorschrift es ermöglichen, diejenigen Einleiter, die verschmutztes Wasser entnehmen und nach der Nutzung in ein Gewässer einleiten, insoweit von der Zahlung der Abgabe für die Schädlichkeit des Abwassers, das sie einleiten, freizustellen, als das entnommene Wasser bereits verschmutzt war. Dies sei gerechtfertigt, da die Einleiter diese Verschmutzung nicht verursacht hätten. Damit ist der Gesetzgeber von einem Leitbild ausgegangen, wonach die das Wasser entnehmende Person typischerweise mit der das Wasser einleitenden Person identisch ist. Dem Gesetzgeber stand ersichtlich der das vorbelastete Wasser nutzende Einleiter (§ 14 Abs. 1, § 3 Abs. 3 des Regierungsentwurfs/§ 9 Abs. 1, § 2 Abs. 2 Halbs. 1 AbwAG) im Sinne des gewerblichen oder industriellen Direkteinleiters vor Augen. In dieser Fallkonstellation ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Entnahme, Nutzung und Verschmutzung sowie anschließender Einleitung des Wassers gegeben. Damit liegen die Voraussetzungen für eine verlässliche Ermittlung des Verursachungsbeitrags des Einleiters in der Regel klar zutage. Denn die hierfür erforderliche Feststellung der Absonderung des betreffenden Wassers vom natürlichen Wasserhaushalt, das heißt von der Entnahme bis zur (Wieder-)Einleitung, ist hier deutlich nachvollziehbar. Hiervon unterscheiden sich Fallgestaltungen, in denen diese verschiedenen Schritte - wie vorliegend - auf verschiedene Personen aufgeteilt sind und das Wasser nicht vom verschmutzenden Nutzer eingeleitet wird mit der Folge, dass sich die Zurechnung schädlicher Veränderungen des Wassers typischerweise problematisch gestaltet. Demgegenüber kann der weiteren Begründung des Regierungsentwurfs, wonach es nicht darauf ankommen soll, ob das Wasser von den Einleitern selbst oder von Dritten entnommen und den Einleitern zur Verfügung gestellt worden ist (BT-Drs. 7/2272 S. 31), keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden. Zur Person dieser Dritten fehlt es an jeglichen Erläuterungen; wegen des unmittelbar zuvor verlautbarten Leitbildes des selbst entnehmenden Direkteinleiters liegt es nahe, dass der Gesetzgeber damit nur Erfüllungsgehilfen oder sonst auf Geheiß des einleitenden Nutzers handelnde Personen vor Augen hatte.
Rz. 23
Ein weiterer Gesichtspunkt kommt hinzu. Zum Abwasserabgabengesetz war schon früh die Auffassung vertreten worden, mit dem Erfordernis der Unmittelbarkeit der Wasserentnahme sei vor allem die Wasserversorgung über das öffentliche Trinkwassernetz vom Begriff der Vorbelastung ausgeschlossen, weil der Gesetzgeber zutreffend davon ausgegangen sei, dass das Trinkwasser ohnehin keine abgaberelevante Schädlichkeit aufweise (so Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, 3. Aufl. 1995, S. 85; Nisipeanu, Abwasserrecht, 1991, S. 532 Fn. 76; vgl. auch Köhler/Meyer, AbwAG, 2. Aufl. 2006, § 4 Rn. 126; Zöllner, in: Sieder/Zeitler/Dahme, Wasserhaushaltsgesetz und Abwasserabgabengesetz, Stand September 2015, § 4 AbwAG Rn. 23). Die Grundlage für diese Begründung entfiel zwar mit der Änderung der Trinkwasserverordnung im Jahr 2001, die zur Aufnahme von auch für das Abwasserabgabengesetz bedeutsamen Parametern führte. Wie der Vertreter des Bundesinteresses zu Recht anmerkt, wäre aber zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber, dem die Äußerungen im juristischen Schrifttum über die fachlich zuständige Ministerialverwaltung sicherlich geläufig waren, hierauf mit einer Änderung oder Klarstellung der gesetzlichen Regelung reagiert hätte, wenn er die Vorbelastung von Trinkwasser im Rahmen des § 4 Abs. 3 AbwAG als beachtlich hätte eingestuft sehen wollen.
Rz. 24
d) Sinn und Zweck des § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG bestätigen das durch die Gesetzessystematik und die Entstehungsgeschichte nahegelegte Verständnis des Rechtsbegriffs "unmittelbar".
Rz. 25
Das Abwasserabgabengesetz will eine wirksamere Reinhaltung der Gewässer und eine gerechtere Zuordnung der Kosten für die Vermeidung, die Beseitigung und den Ausgleich der durch die Verschmutzung der Gewässer verursachten Schäden erreichen. Dabei beschränkt das Abwasserabgabengesetz die Abgabepflicht im Grundsatz auf den Verursacher. Die Abgabe soll ihn als den Einleiter veranlassen, es nach Möglichkeit erst gar nicht zur Abgabepflicht kommen zu lassen. Der Einleiter soll eine Abgabe nur für die von ihm selbst verursachte Gewässerbelastung zahlen. Lässt sich der Umfang der Verursachung feststellen, so kann hieran die Abgabepflicht problemlos anknüpfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1988 - 4 C 24.85 - BVerwGE 79, 54 ≪55 f.≫; Zöllner, in: Sieder/Zeitler/Dahme, Wasserhaushaltsgesetz und Abwasserabgabengesetz, Stand September 2015, § 4 Rn. 21; vgl. auch Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, 3. Aufl. 1995, S. 84).
Rz. 26
Die Feststellung des im Grundsatz maßgeblichen Verursachungsbeitrags, der durch eine Vorbelastung begrenzt wird, kann sich allerdings als aufwendig und schwierig erweisen. Triftige Gründe der Verwaltungspraktikabilität begrenzen indes die Reichweite des Verursacherprinzips, das vom Abwasserabgabengesetz auch im Übrigen nicht strikt verwirklicht wird (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1988 - 4 C 24.85 - BVerwGE 79, 54 ≪57≫). Dem Anliegen der Verbesserung der Verwaltungspraktikabilität sollte auch mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 19. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2619) Rechnung getragen werden. Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ist zur Änderung und Ergänzung von § 4 Abs. 3 Satz 2 und 3 AbwAG zu entnehmen, dass der Verwaltungsaufwand durch Vereinfachung des Gesetzesvollzugs gesenkt werden sollte (BT-Drs. 10/5533 S. 1, 8 und 12). Insbesondere sollte der Verwaltungsvollzug bei der Ermittlung der Vorbelastung mit Hilfe einer Schätzung der Konzentrationswerte mehrerer Jahre vereinfacht werden. Diese Ausführungen weisen auf den allgemeinen Gedanken hin, dass die Ermittlung der Vorbelastung nicht zu einem unangemessen hohen Verwaltungsaufwand führen darf. Hinsichtlich der Frage, wann der Vorbelastungsabzug Anwendung findet, trägt das Merkmal der Unmittelbarkeit diesem Gedanken Rechnung. Es verhindert, dass Ermittlungen zu Verursachungsbeiträgen in Konstellationen durchgeführt werden müssen, in denen solche Ermittlungen typischerweise mit einem problematischen Verwaltungsaufwand verbunden wären. Das trifft namentlich für die Einleitung von Abwasser zu, das aus Trinkwasserversorgungsanlagen stammt. Um hierfür einen Vorbelastungsabzug vornehmen zu können, müsste - differenzierend nach Herkunft und davon abhängiger Schadstoffbelastung - die Trinkwassermenge festgestellt werden, die nach Verwendung durch die Verbraucher der Abwasserbehandlungsanlage zugeführt wurde. Zur öffentlichen Trinkwasserversorgung gehört nämlich in der Regel eine Vielzahl von Brunnen, aus denen Rohwasser von oft unterschiedlicher Qualität für ein Wasserwerk gefördert wird. Außerdem speisen Wasserwerke in häufig weit verzweigte Trinkwasserverteilungssysteme ein. Bei solchen Trinkwasserringleitungen ist nicht hinreichend genau ermittelbar, aus welchen Wasserwerken welcher Anteil des Trinkwassers bezogen wird.
Rz. 27
e) Entgegen der Auffassung des Klägers liegt kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsgleichheit vor, wenn § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG in der beschriebenen Art und Weise ausgelegt wird. Der Auffassung, der Ausschluss der Entnahme von Trinkwasser aus Trinkwasserversorgungseinrichtungen vom Vorbelastungsabzug sei unter dem Gesichtspunkt der abgabenrechtlichen Gleichbehandlung höchst bedenklich, wenn vom Einleiter nicht verursachte Vorbelastungen allein wegen der gesetzlichen Beschränkung auf "unmittelbare" Entnahmen gänzlich außer Betracht gelassen würden (vgl. Zöllner, in: Sieder/Zeitler/Dahme, Wasserhaushaltsgesetz und Abwasserabgabengesetz, Stand September 2015, § 4 AbwAG Rn. 23; Nisipeanu, Abwasserabgabenrecht, 1997, S. 107; vgl. auch Köhler/Meyer, AbwAG, 2. Aufl. 2006, § 4 Rn. 135), ist nicht zu folgen.
Rz. 28
Die Abwasserabgabe ist in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Wasserentnahmeentgelt als nichtsteuerliche Abgabe einzuordnen, die nicht voraussetzungslos, sondern für das Einleiten von Abwasser nach § 1 AbwAG erhoben wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 1995 - 2 BvR 413/88 u.a. - BVerfGE 93, 319 ≪346≫ und Kammerbeschluss vom 18. Dezember 2002 - 2 BvR 591/95 - NVwZ 2003, 467 ≪470≫; vgl. auch Köhler/Meyer, AbwAG, 2. Aufl. 2006, Einl. Rn. 44). Es handelt sich damit um eine Vorteilsabschöpfungsabgabe.
Rz. 29
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 7. Februar 2012 - 1 BvL 14/07 - BVerfGE 130, 240 ≪252≫ und vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668/10 u.a. - BVerfGE 137, 1 Rn. 47; stRspr). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen. Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht alle Differenzierungen. Diese bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668/10 u.a. - BVerfGE 137, 1 Rn. 47). Aus dem Gleichheitssatz folgt für das Steuer- und Abgabenrecht der Grundsatz der Belastungsgleichheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 2006 - 1 BvL 10/02 - BVerfGE 117, 1 ≪30≫; Urteil vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12 u.a. - BVerfGE 135, 155 Rn. 121).
Rz. 30
Bei der Auswahl des Abgabengegenstands sowie bei der Bestimmung von Beitragsmaßstäben und Abgabensatz hat der Gesetzgeber einen weitreichenden Gestaltungsspielraum. Nichtsteuerliche Abgaben bedürfen aber im Hinblick auf die regelmäßig ohnehin zu zahlenden Steuern einer besonderen sachlichen Rechtfertigung, die bei Gebühren und Beiträgen in der Kostendeckung, dem Vorteilsausgleich, der Verhaltenslenkung und sozialen Zwecken liegen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668/10 u.a. - BVerfGE 137, 1 Rn. 49). Zu berücksichtigen ist ebenfalls, dass Abgabengesetze in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betreffen. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben abgabenrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und können dabei die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen. Es ist auch ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, die Erhebung von Abgaben so auszugestalten, dass sie praktikabel bleibt, und sie von übermäßigen, mit Rechtsunsicherheit verbundenen Differenzierungsanforderungen zu entlasten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668/10 - BVerfGE 137, 1 Rn. 49 f.).
Rz. 31
Danach können die oben dargelegten Gründe der Verwaltungspraktikabilität die unterschiedliche Behandlung des das Wasser selbst entnehmenden Einleiters und des Einleiters, der gebrauchtes Trinkwasser aus Trinkwasserversorgungsanlagen bezogen hat, über das gesetzliche Merkmal der Unmittelbarkeit im Hinblick auf den Vorbelastungsabzug rechtfertigen. Eine Schätzung der Vorbelastung von Trinkwasser ist verfassungsrechtlich nicht geboten.
Rz. 32
Der Senat kann deshalb dahinstehen lassen, ob das Oberverwaltungsgericht zu Recht auf die Schonung des Trink- und Grundwassers als sachlicher Grund für eine abweichende Behandlung des das Wasser aus Trinkwasserversorgungsanlagen beziehenden Einleiters abgestellt hat.
Rz. 33
Ohne Erfolg macht der Kläger auch geltend, dass die Versagung des Vorbelastungsabzugs zu einem im Vergleich zu § 10 Abs. 1 AbwAG nicht nachvollziehbaren Abgabensprung führe. Werde das aus einer Trinkwasserversorgungsanlage stammende Wasser nach Gebrauch so gereinigt, dass der Zustand vor Entnahme erreicht werde, falle keine Abwasserabgabe an, während bei einer nur geringen zusätzlichen Verschmutzung bei Einleitung die volle Abgabenlast entstehe. Dies ist allerdings lediglich Folge des verfassungsrechtlich unbedenklichen gesetzlichen Regelungskonzepts, wonach gerade jede weitere Schädlichkeit die Abgabepflicht begründet (BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1988 - 4 C 24.85 - BVerwGE 79, 54 ≪56≫).
Rz. 34
f) Schließlich führt die Auffassung des Klägers, die Abwasserabgabe werde zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Sonderabgabe, wenn der Bezug des aus Trinkwasserversorgungsanlagen stammenden Wassers vom Vorbelastungsabzug nicht erfasst werde, die Revision nicht zum Erfolg. Aufgrund des gewährten Sondervorteils unterscheidet sich die Abwasserabgabe von einer Sonderabgabe, der ebenso wie der Steuer keine Gegenleistung gegenübersteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. November 1995 - 2 BvR 413/88 u.a. - BVerfGE 93, 319 ≪344≫; Beschluss vom 24. November 2009 - 2 BvR 1387/04 - BVerfGE 124, 348 ≪365≫). Die Abwasserabgabe behält ihren Charakter als nichtsteuerliche Vorteilsabschöpfungsabgabe im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Nutzungsregelung auch dann, wenn der Gesetzgeber das Verursacherprinzip näher ausgestaltet und Gründe der Verwaltungspraktikabilität seine Reichweite begrenzen.
Rz. 35
3. Demnach haben weder der unter I. gestellte Hauptantrag noch der erste Hilfsantrag Erfolg. Über die unter II. gestellten weiteren Hilfsanträge hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht nicht entschieden, weil die Klage hinsichtlich des Antrags zu I. nicht unzulässig ist.
Rz. 36
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Fundstellen
DÖV 2016, 876 |
JZ 2016, 608 |
VR 2016, 396 |
KomVerw/LSA 2017, 133 |
FuBW 2017, 190 |
FuHe 2017, 201 |
FuNds 2017, 203 |
KomVerw/B 2017, 135 |
KomVerw/MV 2017, 133 |
KomVerw/S 2017, 130 |
KomVerw/T 2017, 133 |