Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsbeschränkung des Erben auf den Nachlaß bei sozialhilferechtlicher Kostenersatzpflicht. Sozialhilfekostenersatz durch Erben, Haftung nur mit dem Nachlaß. Ersatzpflicht des Erben des Sozialhilfeempfängers, Haftung nur mit dem Nachlaß. Nachlaß, Beschränkung der sozialhilferechtlichen Erbenhaftung auf den –

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Haftung des Erben nach § 92 c Abs. 2 Halbsatz 2 BSHG „mit dem Nachlaß” ist nur möglich, solange aktives Vermögen aus der Erbschaft vorhanden ist.

2. Die Haftungsbeschränkung auf den Nachlaß in § 92 c Abs. 2 Halbsatz 2 BSHG ist eine eigenständige und abschließende Regelung; sie verbietet einen haftungserweiternden Rückgriff auf § 1978 BGB.

 

Normenkette

BSHG § 92c; BGB §§ 419, 1978

 

Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.07.1988; Aktenzeichen 6 S 2148/86)

VG Stuttgart (Urteil vom 05.06.1986; Aktenzeichen 12 K 4970/85)

 

Tenor

Der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. Juli 1988 wird aufgehoben. Ferner werden das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5. Juni 1986, der Bescheid des Beklagten vom 30. August 1983 und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 26. Oktober 1983 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger wendet sich als Erbe seines Vaters, des früheren Klägers, gegen einen Bescheid, mit dem sein Vater zum Kostenersatz nach § 92 c BSHG herangezogen wurde.

Die Mutter des Klägers war seit 1979 in einem Altenheim untergebracht; für die Heimkosten erhielt sie bis zu ihrem Tod im Jahre 1983 vom Beklagten Sozialhilfe. Die Eltern des Klägers waren Miteigentümer zu je 1/4, der Kläger und seine Ehefrau Miteigentümer zu 1/2 an einem Hausgrundstück in L. mit einer Grundfläche von 319 qm und einem Verkehrswert von 211.000 DM. Das Haus mit zwei Wohnungen zu je 58 qm und mit einem Zimmer im Dachgeschoß mit 20 qm wurde vom Kläger mit seiner Ehefrau und zwei Kindern sowie seinem Vater und seiner Großmutter mütterlicherseits bewohnt.

Der Vater des Klägers, der die Mutter des Klägers allein beerbte, übertrug die ihm gehörenden Miteigentumsanteile mit notariellem Vertrag vom 25. Juli 1983 auf den Kläger und dessen Ehefrau. Die Eintragung im Grundbuch fand am 26. September 1983 statt.

Der Beklagte, der von der Miteigentumsübertragung keine Kenntnis hatte, zog den Vater des Klägers mit Bescheid vom 30. August 1983 zum Kostenersatz nach § 92 c BSHG heran. Nachdem für die Heimunterbringung der Ehefrau Sozialhilfe in Höhe von 76.272,40 DM erbracht worden sei, müsse der Vater des Klägers als Alleinerbe aus dem Nachlaß seiner Ehefrau im Wert von 52.750 DM unter Abzug eines Freibetrages von 4.080 DM Kostenersatz in Höhe von 48.670 DM leisten. Falls er dazu nicht in der Lage sei, komme die Gewährung eines verzinslichen Darlehens unter Sicherung durch eine Grundschuld am Hausanteil in Betracht.

Die nach erfolglosem Widerspruch gegen den Kostenersatzbescheid erhobene Klage des Vaters des Klägers hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof im wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen:

Der Betrag der aufgewandten Sozialhilfe sowie der Wert des Nachlasses seien unstreitig. Der Freibetrag nach S 92 c Abs. 3 Nr. 1 BSHG sei im Ergebnis richtig berechnet. Ein Freibetrag nach § 92 c Abs. 3 Nr. 3 BSHG komme nicht in Betracht, da für eine besondere Härte nichts ersichtlich sei; dies um so weniger, als der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt habe, er werde sich bis zum Tode des Vaters des Klägers mit einer dinglichen Sicherung des Ersatzanspruchs begnügen, diesen Anspruch bis dahin zinslos stunden und bis dahin keinerlei Vollstreckungsmaßnahmen einleiten. Die Ersatzpflicht des Vaters des Klägers sei nicht durch die Übertragung der Miteigentumsanteile an den Kläger und dessen Ehefrau entfallen. Wer, wie der Vater des Klägers, einmal ersatzpflichtig geworden sei, bleibe es nach § 92 c Abs. 1 und 3 BSHG unabhängig vom Schicksal des Nachlasses. Es sei nicht auf den Gegenstand des Nachlasses, sondern auf den Wert des Nachlasses abzustellen. Aber auch bei einem gegenständlichen Verständnis sei eine Haftung nicht entfallen. In diesem Falle beruhte die Haftung auf einer entsprechenden Anwendung des § 1978 Abs. 1 Satz 1 BGB. Denn der Vater des Klägers habe zumindest leicht fahrlässig ohne nähere Prüfung der Verbindlichkeiten über den Nachlaß oder wesentliche Teile davon verfügt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Aufhebung der Bescheide des Beklagten begehrt, hilfsweise die Beschränkung seiner Haftung auf den Bestand des Nachlasses. Er rügt die Verletzung des § 92 c Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 3 BSHG.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist zulässig und auch begründet. Die Berufungsentscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

Zu Unrecht schließt das Berufungsgericht aus dem Zweck des Kostenersatzes nach § 92 c BSHG in der hier maßgeblichen, vom 1. Juli 1983 an geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 24. Mai 1983 (BGBl. I S. 613) – F. 1983 –, daß der Erbe des Hilfeempfängers dem Sozialhilfeträger gegenüber unabhängig vom Schicksal des Nachlasses zum Kostenersatz verpflichtet sein müsse. Wäre das vom Gesetzgeber gewollt gewesen, hätte die Begrenzung des Ersatzanspruchs auf die in § 92 c Abs. 3 Nrn. 1 und 2 BSHG bestimmten Nachlaßwerte genügt. In § 92 c Abs. 2 Halbsatz 2 BSHG bestimmt der Gesetzgeber aber weitergehend: der Erbe haftet nur mit dem Nachlaß. Nachlaß ist das Vermögen aus der Erbschaft einschließlich der Verbindlichkeiten des Erben als solchem. Der Erbe soll nur aus dem ererbten, nicht aus seinem eigenen Vermögen leisten müssen. So lange aktives Vermögen aus der Erbschaft vorhanden ist, aber nur so lange, ist eine Haftung nach § 92 c Abs. 2 BSHG „mit dem Nachlaß” möglich. Mit der Übertragung des von der Ehefrau des Vaters geerbten Miteigentums an den Kläger und dessen Ehefrau gehörte dieser Miteigentumsanteil nicht mehr zum Nachlaß. Die Übertragung war mit der Grundbuchumschreibung am 26. September 1983, also vor Abschluß des Verwaltungsverfahrens, vollzogen. Damit war der Haftungsgegenstand, auf den sich die Ersatzpflicht des Vaters des Klägers nach § 92 Abs. 2 BSHG hätte beziehen können, im hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 26. Oktober 1983 bei dem Vater des Klägers nicht (mehr) vorhanden. Die Gegenleistung, die der Vater des Klägers für die Übertragung dieses Miteigentumsanteils erhielt, nämlich das Wohnrecht, die Pflegezusage und der Schuldenerlaß zur Hälfte (die andere Hälfte erhielt er für die Übertragung seines eigenen Miteigentumsanteils), ist als Haftungsgegenstand für einen Sozialhilfekostenersatzanspruch nicht geeignet.

Die Erbenhaftung des Vaters des Klägers läßt sich auch nicht mit einer entsprechenden Anwendung des § 1978 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen. Der Gesetzgeber hat die Ersatzpflicht nach § 92 c BSHG zwar als Nachlaßverbindlichkeit (§ 1967 BGB) bezeichnet, die Beschränkung der Haftung des Erben (so die Überschrift im Zweiten Teil des Zweiten Abschnitts des Fünften Buches des Bürgerlichen Gesetzbuchs unter III.) aber nicht den Regelungen der §§ 1975 ff. BGB überlassen. Vielmehr hat er die Erbenhaftung nach § 92 c BSHG mit der eigenständigen Regelung in Absatz 2 Halbsatz 2 von vornherein und abschließend auf den Nachlaß beschränkt. Dies verbietet einen haftungserweiternden Rückgriff auf die §§ 1975 ff. BGB und damit auch auf § 1978 BGB.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Dabei kann offenbleiben, ob der Beklagte als Folge der Miteigentumsübertragung vom Vater des Klägers auf den Kläger und dessen Ehefrau einen Kostenersatzanspruch über § 419 BGB unmittelbar gegen den Kläger geltend machen kann. Denn ein solcher Anspruch gegen den Übernehmer – mit dem gesetzlichen Schuldbeitritt nach § 419 BGB wird der Übernehmer nicht Rechtsnachfolger des bisherigen (und ggf. bleibenden) Schuldners – bzw. ein auf einen solchen Anspruch gestützter Verwaltungsakt gegen den Übernehmer steht hier nicht im Streit. Streitgegenstand dieses Verfahrens, in das der Kläger als Gesamtrechtsnachfolger (als Erbe §§ 1922, 1967 BGB) nach seinem Vater eingetreten ist, ist allein der gegen den Vater des Klägers gerichtete Kostenersatzbescheid.

Nach alledem kann die Entscheidung des Berufungsgerichts keinen Bestand haben. Sie ist nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO ebenso aufzuheben wie das Urteil des Verwaltungsgerichts und die Verwaltungsentscheidungen des Beklagten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Franke, Dr. Hömig, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel

 

Fundstellen

BVerwGE, 250

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