Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 20.09.2006; Aktenzeichen 6 K 940/00) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 20. September 2006 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt die Rückübertragung des 720 m2 großen Grundstücks in Potsdam, Flur …, Flurstück … Bei der Klägerin handelt es sich um eine 1921 in Berlin gegründete private Gesellschaft zum Bau von Wohnungen für “Festbesoldete”. Sie erwarb in den Jahren 1939 und 1940 die drei Vorläuferparzellen, aus denen das streitbefangene Grundstück hervorgegangen ist.
Die Landesregierung Brandenburg verfügte mit Beschluss vom 5. Mai 1948 die entschädigungslose Enteignung und Übergabe der sequestrierten sonstigen Vermögenswerte in das Eigentum des Volkes. In der Anlage zu diesem Beschluss war die Klägerin nicht aufgeführt. Auch in den Sequesterlisten A…, B… und C… des Landes Brandenburg war ihr Name nicht enthalten. Wegen eines anderen Wohngebäudes der Klägerin in Potsdam wandte sich der Minister für Wirtschaftsplanung des Landes Brandenburg mit Schreiben vom 21. Juni 1948 an die Stadt Potsdam mit dem Ersuchen, die Eigentumsverhältnisse der Klägerin zu klären, sie sei “nicht nach Befehl 124 gemeldet”. In seiner Antwort vom 21. Juli 1948 unterrichtete der Rat der Stadt Potsdam über die Gesellschafterverhältnisse der Klägerin und über die Einsetzung eines Treuhänders.
Die Landesregierung Brandenburg forderte die Städte und Landkreise mit Rundschreiben Nr. 2/1/49 vom 7. Januar 1949 auf, das Wohn- und Siedlungsgesellschaftsvermögen zu erfassen, das auf der Grundlage der SMAD-Befehle Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 und Nr. 64 vom 17. April 1948 enteignet worden war. In der Anlage zu diesem Rundschreiben war unter Nr. 29 eine “W… GmbH” aufgeführt. Im April 1949 erkundigte sich das Ministerium der Finanzen des Landes Brandenburg beim Amt zum Schutze des Volkseigentums, ob es sich bei der W… GmbH um die Klägerin handele. In seiner Antwort vom 20. Juni 1949 teilte das Amt mit, dass es sich bei der genannten Gesellschaft nicht um die Klägerin handele, die aber “nacherfasst” worden sei. In einer “berichtigten Ausfertigung” der Anlage 1 zu dem Rundschreiben 2/1/49 vom 5. Juli 1949 ist die Klägerin unter Nr. 29 neben einer anderen Gesellschaft namentlich aufgeführt. Die Umschreibung im Grundbuch auf das Eigentum des Volkes erfolgte am 2. Februar 1950. Rechtsträger wurde das Kommunalwirtschaftsunternehmen der Landeshauptstadt Potsdam. Die Deutsche Post, Fernmeldeamt Potsdam, erhielt mit Wirkung zum 1. Januar 1959 die Rechtsträgerschaft über das Grundstück, das sie im Jahre 1960 mit einem Fernmeldedienstgebäude für eine Ortsvermittlungsstelle bebaute und das bis 1995 genutzt wurde. Seit 24. November 1993 ist die Bundesrepublik Deutschland (Deutsche Bundespost Telekom) als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.
Den Antrag der Klägerin vom 22. August 1990 auf Rückübertragung des Grundstücks lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24. März 1999 ab, weil eine Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage vorliege. Den Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuss V beim Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2000 zurück.
Die Klage ist auch im erstinstanzlichen Verfahren erfolglos geblieben. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 20. September 2006 u.a. die Ansicht vertreten, dass der Befehl Nr. 64 der sowjetischen Militäradministration zwar das Verbot enthielt, Vermögenswerte zu sequestrieren und bisher nicht sequestrierte Vermögenswerte zu enteignen. Doch auf Grund der obersten Hoheitsgewalt der Besatzungsmacht sei deren Gesamtverantwortung für Enteignungsakte in der Zeit vor dem 7. Oktober 1949 auch unberührt geblieben, wenn deutsche Stellen die einschlägigen Rechtsgrundlagen exzessiv ausgelegt oder nach rechtstaatlichen Maßstäben willkürlich gehandhabt hätten. Eine ausdrückliche Missbilligung der Enteignung der Klägerin durch die Besatzungsmacht sei weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Mit der Nacherfassung in der “berichtigten Ausfertigung” vom 5. Juli 1949 gelte die Klägerin als enteignet und sei in der Folgezeit auch so behandelt worden.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts und beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 20. September 2006, des Bescheides des Beklagten vom 24. März 1999 und des Widerspruchbescheids des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen – Widerspruchsausschuss V – vom 3. Februar 2000 den Beklagten zu verpflichten, das Grundstück M…straße/H…straße, Gemarkung Potsdam, Flur …, Flurstück … an sie zurück zu übertragen.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Revision ist begründet; denn das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es ist deshalb aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat verkannt, dass der Befehl Nr. 64 der sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 17. April 1948 in Nr. 5 das Verbot enthält, nach dessen Inkrafttreten auf der Grundlage des Befehls Nr. 124 Vermögenswerte zu sequestrieren und bisher nicht sequestrierte Vermögenswerte zu enteignen (1.) Gegen dieses Verbot verstieß die Enteignung des streitbefangenen Grundstücks. Dessen Beschlagnahme wurde nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht vor dem 18. April 1948 vorgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war der Befehl Nr. 64 in Kraft getreten. Die unter Verstoß gegen das Enteignungsverbot vorgenommene Enteignung ist der sowjetischen Besatzungsmacht nicht zuzurechen und deshalb nicht auf besatzungsrechtlicher Grundlage (§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG) erfolgt, so dass das Vermögensgesetz Anwendung findet: Es liegt eine entschädigungslose Enteignung im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG vor (2.). Die festgestellten Tatsachen lassen jedoch eine abschließende Entscheidung des Senats gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat nicht geprüft, ob der Rückübertragung ein Ausschlussgrund nach § 5 VermG entgegen steht (3.). Deshalb ist die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG gilt das Vermögensgesetz zwar nicht für Enteignungen von Vermögenswerten auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage. Aber entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Restitution deshalb nicht ausgeschlossen.
Die von deutschen Stellen während der Besatzungszeit durchgeführten Enteignungen sind der sowjetischen Besatzungsmacht nicht zuzurechnen, wenn sie einem generellen oder im Einzelfall ausgesprochenen Verbot der Besatzungsmacht zuwiderliefen. Ein solches Verbot greift vorliegend ein. Nach Nr. 5 des Befehls der SMAD Nr. 64 vom 17. April 1948 wurde jegliche weitere Sequestrierung von Eigentum auf Grund des Befehls der SMAD Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 verboten. Auf Grund dieses Befehls war u.a. das Vermögen der Nazi- und Kriegsverbrecher, das in der sowjetischen Besatzungszone belegen war, beschlagnahmt, listenmäßig erfasst und gemäß den Beschlüssen der Landesregierungen enteignet und in das Eigentum des Volkes überführt worden. Mit dem in Nr. 5 des Befehls Nr. 64 der SMAD ausgesprochenen Verbot hatte die sowjetische Besatzungsmacht ausdrücklich entschieden, dass weitere Enteignungen von Vermögenswerten, die bis zum Inkrafttreten des Befehls Nr. 64 noch nicht auf Grund des Befehls Nr. 124 der SMAD beschlagnahmt worden waren, nicht mehr ihrem Willen entsprachen und verboten waren (Urteil vom 13. Dezember 2006 – BVerwG 8 C 25.05 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 34, vgl. auch von Raumer, ZOV 2007, S. 127 ff.). Der Befehl Nr. 64 der SMAD ist mit seiner Veröffentlichung in der Täglichen Rundschau am 18. April 1948 in Kraft getreten. Die Nacherfassung der Klägerin in der Liste der enteigneten Wohnungsunternehmen mit Stand 5. Juli 1949 widersprach diesem Verbot. Eine Aufhebung des Verbots zu Lasten der Klägerin ist nach Lage der Akten nicht erfolgt. Mit der bloßen Kenntnisnahme der Enteignungslisten durch die sowjetische Besatzungsmacht wurde das Verbot nicht wieder außer Kraft gesetzt (Urteil vom 13. Dezember 2006 – BVerwG 8 C 25.05 – a.a.O.).
2. Ist die unter Verstoß gegen das Enteignungsverbot vorgenommene Enteignung der sowjetischen Besatzungsmacht nicht zuzurechnen, findet das Vermögensgesetz mit der Folge Anwendung, dass das streitbefangene Grundstück im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG als entschädigungslos enteignet anzusehen ist. Die Klägerin ist daher Berechtigte gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG.
3. Die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts lassen jedoch eine Entscheidung darüber, ob auch eine Rückgabe erfolgen darf, nicht zu. Es ist unklar, ob eine Restitution an § 4 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG scheitert. Danach ist die Rückübertragung des Eigentums an einem Grundstück ausgeschlossen, wenn das Grundstück mit erheblichem baulichen Aufwand in seiner Nutzungsart oder Zweckbestimmung verändert wurde und ein öffentliches Interesse an dieser Nutzung besteht. Auf dem streitbefangenen Grundstück hatte die Deutsche Post ein Fernmeldedienstgebäude für eine Ortsvermittlungsstelle errichtet, das bis 1995 in Betrieb war. Über die gegenwärtige Nutzung verhalten sich die Akten nicht, auch ist offen, ob ein öffentliches Interesse an einer Nutzung besteht. Dieses Interesse muss bis zur gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz vorliegen, sonst stehen die zur Umnutzung in der Vergangenheit getätigten erheblichen Aufwendungen der Restitution des Grundstücks nicht mehr entgegen (Urteil vom 28. Februar 2001 – BVerwG 8 C 32.99 – Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 27). Die Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht ist daher unumgänglich, um die gegenwärtige Sachlage zu klären.
Unterschriften
VRiBVerwG Gödel ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben.
Dr. Pagenkopf
Dr. Pagenkopf, Dr. von Heimburg, Postier, Dr. Hauser
Fundstellen