Entscheidungsstichwort (Thema)
Kernkraftwerk. Errichtungsgenehmigungen. Betriebsgenehmigungen. Anlagengenehmigung. Anlagenaufsicht. Nebentätigkeit. Nutzungsentgelt wegen Inanspruchnahme von Personal, Material und Einrichtungen des Krankenhauses auf beamtenrechtlicher und pflegesatzrechtlicher Grundlage. Genehmigungspflicht wesentlicher Änderungen;. keine Zuschüsse zur privaten Krankenversicherung. kein Ersatz von Aufwendungen des Beamten aufgrund einerfehlerhaften Entscheidung des Dienstherrn. Ermessen der Aufsichtsbehörde. hilfsweise Ermessensbetätigung. Ermessensfehler
Leitsatz (amtlich)
1. Eine erforderliche Genehmigung im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG fehlt nicht nur, wenn für die genehmigungspflichtige atomrechtliche Anlage von vornherein keine Genehmigung erteilt worden ist, sondern auch dann, wenn die Anlage wesentlich abweichend von den erteilten Genehmigungen errichtet worden ist.
2. Liegt die Rechtsvoraussetzung des Fehlens einer erforderlichen Genehmigung in § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG vor, so ist für die atomrechtliche Aufsichtsbehörde ein Ermessen eröffnet, das im Grundsatz die Befugnis beinhaltet, eine einstweilige oder endgültige Betriebsstilllegung anzuordnen.
Normenkette
AtG § 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 2, § 19 Abs. 3; BImSchG § 20 Abs. 2; VwGO § 114
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Entscheidung vom 26.10.1999; Aktenzeichen 10 S 352/96) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26. Oktober 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Kläger verlangen vom Beklagten die Anordnung der Stilllegung des von der Beigeladenen betriebenen Kernkraftwerkes Obrigheim (KWO).
Das KWO wurde nach vorheriger Öffentlichkeitsbeteiligung auf der Grundlage von drei Teilerrichtungsgenehmigungen – TEG – vom 16. März 1965, vom 27. September 1965 und vom 17. April 1967 errichtet. Auch die Inbetriebnahme erfolgte in Teilschritten. Gegenstand der 1. Teilbetriebsgenehmigung – TBG – vom 11. September 1965 waren die Bereitstellung der Brennelemente und die Beladung des Reaktors. Mit der 2. TBG vom 20. September 1968 wurde der Anfahr- und Probebetrieb genehmigt. Diese Genehmigung wurde in der Folgezeit durch acht Nachträge geändert und ergänzt.
Die Kläger – Nachbarn der Anlage – beantragten mit Schreiben vom 20. April 1989 beim Beklagten, die Betriebseinstellung des KWO anzuordnen, weil dieses lediglich auf der Grundlage einer Genehmigung für den Anfahr- und Probebetrieb und damit ohne die erforderliche Dauerbetriebsgenehmigung betrieben werde.
Die gegen den ablehnenden Bescheid erhobene Klage ist in letzter Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht erfolglos geblieben (BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1991 – BVerwG 7 C 43.90 – ≪BVerwGE 88, 286≫). Unter dem 27. Oktober 1992 erteilte der Beklagte der Beigeladenen eine Betriebsgenehmigung, durch die der dauernde Betrieb der Anlage mit einer thermischen Leistung bis zu 1050 MW gestattet wurde. Auch die dagegen von den Klägern erhobene Klage blieb letztinstanzlich erfolglos (BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1997 – BVerwG 11 C 7.95 – ≪BVerwGE 104, 36≫).
Mit Schreiben vom 30. Mai 1994 beantragten die Kläger beim Beklagten, den Betrieb des KWO gemäß § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Atomgesetz – AtG – endgültig einzustellen. Sie machten geltend, der in das Kraftwerk eingebaute Reaktordruckbehälter – RDB – entspreche in wesentlichen Merkmalen nicht der 3. TEG vom 17. April 1967. Für das Kraftwerk fehle deshalb eine erforderliche Genehmigung.
Das Umweltministerium des Beklagten lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 25. August 1994 ab, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG nicht vorlägen. So wie er eingebaut worden sei, sei der RDB genehmigt. Diese Begründung wurde durch einen Bescheid vom 2. Juli 1998 ergänzt. In der Ergänzung ist ausgeführt, die atomrechtliche Aufsichtsbehörde habe die Sicherheit des KWO in den vergangenen Jahren in einem in Deutschland und darüber hinaus beispiellosen Aufsichtsverfahren geprüft und sei dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass das KWO sicher betrieben werde. Es bestehe daher kein Anlass für eine vorläufige und erst recht nicht für eine endgültige Betriebseinstellung, selbst wenn die von den Klägern zu Unrecht behauptete formelle Illegalität tatsächlich vorliege.
Schon am 26. September 1994 haben die Kläger beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Klage erhoben und geltend gemacht, das KWO sei gemäß § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG wegen fehlender Genehmigung stillzulegen. Es sei in wesentlichen Teilen abweichend von der 3. TEG vom 17. April 1967 errichtet worden. Damit bestehe ein „Genehmigungsdelta”, das den Beklagten nach § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG dazu verpflichte, die Betriebseinstellung des KWO anzuordnen. Eines vorherigen Widerrufs der Genehmigung gemäß § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG bedürfe es hierfür nicht. Die Vorschrift des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG sei vielmehr auch anwendbar, wenn eine Genehmigung vorliege, die Errichtung oder der Betrieb der Anlage aber von vornherein hiervon abweiche. Da mehrere sicherheitsrelevante Änderungen vorlägen, sei das durch § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG grundsätzlich eröffnete Ermessen auf Null reduziert.
Außerdem sei das Kraftwerk auch nach § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG stillzulegen. Zum einen sei der Sprödbruchsicherheitsnachweis für den RDB nicht erbracht. Deshalb liege mindestens ein Gefahrenverdacht vor, der die Stilllegung bis zu seiner zweifelsfreien Ausräumung erzwinge. Zum anderen wäre ein F-2-Bruch der Hauptkühlmittelleitung nicht beherrschbar.
Die Kläger haben beantragt,
- den Bescheid des Beklagten vom 25. August 1994/2. Juli 1998 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die endgültige Betriebseinstellung des KWO anzuordnen,
- hilfsweise, den Bescheid des Beklagten vom 25. August 1994/2. Juli 1998 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag der Kläger auf Anordnung der endgültigen Betriebseinstellung des KWO unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,
- hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, sie hinsichtlich einer Anordnung der einstweiligen Betriebseinstellung des KWO unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat er vorgetragen, das KWO sei durch Teilgenehmigungen genehmigt, die in ihrer Summe Errichtung und Betrieb vollständig abdeckten. Der eingebaute RDB sei durch die 3. TEG genehmigt worden.
Selbst wenn die Anlage nicht genehmigungskonform errichtet worden wäre, begründe dies keinen Anspruch auf endgültige Stilllegung gemäß § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG. In diesem Fall käme allein ein Widerruf der Genehmigung nach § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG in Betracht. Eine Stilllegung nach § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG sei erst zulässig, wenn die Genehmigung überhaupt nicht erteilt oder nachträglich widerrufen worden sei. Sie könne aber nicht an die Stelle des Widerrufs treten.
Hieran ändere sich auch nichts, wenn die Abweichung als wesentliche Änderung selbst genehmigungsbedürftig sei oder wenn sie so weit gehe, dass offensichtlich eine andere Anlage als die genehmigte errichtet werde. Die Aufsichtsbehörde dürfe bei Abweichungen von der Genehmigung lediglich vorläufig sichernd eingreifen und allenfalls eine einstweilige Einstellung verfügen. Demgegenüber sei es Aufgabe der Genehmigungsbehörde, die mit der Genehmigung das Maß der erforderlichen Vorsorge bestimme, darüber zu entscheiden, ob eine Änderungsgenehmigung erforderlich sei, ob eine nachträgliche Auflage zu erlassen sei oder ob die erteilten Genehmigungen zu widerrufen seien. Im Übrigen hätten die Kläger nicht hinreichend begründet, weshalb das durch § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG eingeräumte Ermessen auf die Anordnung der endgültigen Stilllegung reduziert sein sollte. Sie hätten auch keinen Stilllegungsanspruch nach § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG, da die erforderliche Vorsorge auch bezüglich der Sprödbruchsicherheit des RDB gewährleistet sei und auch ein Sicherheitsdefizit bezüglich eines Abrisses der Hauptkühlmittelleitung nicht bestehe.
Die Beigeladene hat ebenfalls beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Hessische Verwaltungsgerichtshof habe zutreffend entschieden, dass § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG, falls eine bestandskräftige Genehmigung vorliege, nur anwendbar sei, wenn die Anlage so sehr von der Genehmigung abweiche, dass offensichtlich ein aliud-Verhältnis bestehe. Die von den Klägern behaupteten Differenzen genügten diesen Anforderungen jedoch nicht. Entgegen der Auffassung der Kläger erfüllten auch weder formelle noch materielle Mängel der Genehmigung die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG. Im Übrigen sei das KWO genehmigungskonform errichtet worden und werde genehmigungskonform betrieben. § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG ergebe keine Rechtsgrundlage für die endgültige Einstellung des Betriebs und rechtfertige auch keine vorübergehende Betriebseinstellung, weil vom Betrieb des KWO keine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgehe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage mit Urteil vom 26. Oktober 1999 (10 S 352/96 – UPR 2000, S. 198) abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei mit dem Hauptantrag und dem ersten Hilfsantrag zulässig. Insbesondere seien die Kläger hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Anordnung der endgültigen Betriebseinstellung oder erneuten Bescheidung klagebefugt.
Die Klage sei mit diesen Anträgen jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 25. August 1994 in der Fassung des ergänzenden Bescheides vom 2. Juli 1998 sei rechtmäßig; die Kläger hätten keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte den Betrieb des KWO nach § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG endgültig einstelle oder sie insoweit neu bescheide.
Die Aufsichtsbehörde könne den Betrieb nach dieser Vorschrift nur dann endgültig einstellen, wenn die erforderliche Genehmigung nicht erteilt sei. Diese Tatbestandsvoraussetzung liege nicht vor, da für Errichtung und Betrieb des KWO die erforderlichen Genehmigungen vorhanden seien. Ein Abweichen des Betreibers von der Genehmigung bei der Errichtung einer Anlage führe nicht dazu, dass im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt sei. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, der auf die Erteilung der Genehmigung, also auf das Handeln der Behörde und nicht auf dasjenige des Betreibers abstelle. Die Möglichkeit für eine endgültige Betriebseinstellung sei, wie die alternative Tatbestandsvoraussetzung des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG zeige, nur dann wieder eröffnet, wenn die erteilte Genehmigung rechtskräftig widerrufen sei.
Sinn und Zweck der Bestimmung sprächen ebenfalls für dieses Ergebnis. Die Möglichkeit einer endgültigen Betriebseinstellung diene der Durchsetzung des formellen Verbots nach § 7 Abs. 1 AtG. Sei aber eine Genehmigung erteilt, so lasse die damit verbundene Gestattungswirkung dieses formelle Verbot entfallen. Die Anlage sei dann nicht mehr formell illegal, weil die Behörde ihre auf das Genehmigungsverfahren bezogene Kontrollfunktion positiv ausgeübt habe.
Eine andere Auslegung sei auch nicht aus systematischen Erwägungen geboten. Das Atomgesetz sehe auch bei dieser Auslegung hinreichend effektive Eingriffsbefugnisse vor, um nicht genehmigungskonforme Zustände zu unterbinden. Die Aufsichtsbehörde könne einen solchen Zustand durch Anordnungen nach § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG beseitigen und ggf. auch den Betrieb nach § 19 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. der ersten Alternative des Satzes 2 Nr. 3 AtG vorläufig einstellen. Sei der Widerspruch erheblich oder trete er wiederholt auf, so könne die Genehmigungsbehörde die Genehmigung unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Nr. 3 AtG widerrufen. Die Anpassung der Anlage und ihres Betriebs an die normativen Vorgaben sei systematisch nicht ausschließlich den Befugnissen der Aufsichtsbehörde nach § 19 AtG zugeordnet. Auch der Schutzzweck des § 1 Abs. 2 AtG gebiete es angesichts des dargelegten differenzierten und effektiven Eingriffsinstrumentariums nicht, die Frage der genehmigungskonformen Errichtung einer Kernenergieanlage dem Instrument der endgültigen Betriebseinstellung als „schärfstem Mittel der Atomaufsicht” zuzuordnen.
Der Auffassung der Kläger sei auch nicht zu folgen, soweit sie darauf hinwiesen, dass auch eine wesentliche Änderung nach § 7 Abs. 1 AtG einer Genehmigung bedürfe. Zum einen stelle sich die Frage nach einer Änderungsgenehmigung bei Änderungen der Unterlagen im laufenden Genehmigungsverfahren nicht. Im Übrigen sei eine Änderungsgenehmigung keine erforderliche Genehmigung im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG. Nur die Genehmigungsbehörde könne bewerten und entscheiden, ob vor dem Hintergrund der gebotenen Vorsorge eine Änderung unwesentlich oder wesentlich und damit genehmigungsbedürftig sei. Deshalb wäre auch im Falle einer ohne Genehmigung vorgenommenen Änderung die Rechtsfolge einer endgültigen Betriebseinstellung nicht gerechtfertigt, bevor von der Genehmigungsbehörde geprüft sei, ob eine wesentliche Änderung vorliege, und dem Betreiber Gelegenheit gegeben worden sei, eine Änderungsgenehmigung zu beantragen. Entgegen der Ansicht des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs sei die Anwendung des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG auch dann nicht gerechtfertigt, wenn der Anlagenzustand oder -betrieb von der Genehmigung so weit abweiche, dass eine Zurechnung zu dieser Genehmigung nicht mehr möglich sei, weil er offensichtlich in einem aliud-Verhältnis zu der Genehmigung stehe. Diese Auffassung finde weder im Wortlaut noch in sonstigen Auslegungsgrundsätzen eine Stütze. Ein solcher, praktisch nur schwer handhabbarer Ausnahmetatbestand sei angesichts der anderweitigen aufsichtlichen Befugnisse auch entbehrlich. Ansonsten wäre aber wohl die Offensichtlichkeit eines aliud hier zu verneinen.
Im Übrigen spreche einiges dafür, dass das KWO entgegen der Auffassung der Kläger genehmigungskonform errichtet worden sei. Maßgeblich für die Genehmigung der Errichtung der apparativen und maschinellen Teile des Reaktors dürfte der Sicherheitsbericht vom Juni 1967 gewesen sein, dessen Vorgaben im Wesentlichen eingehalten worden seien.
Der erste Hilfsantrag sei damit gleichfalls unbegründet.
Auch mit dem zweiten Hilfsantrag hätten die Klagen keinen Erfolg. Das Begehren der Kläger auf Betriebseinstellung nach § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG wegen einer Gefahrensituation (insbesondere wegen mangelnder Sprödbruchsicherheit) betreffe einen anderen Streitgegenstand als ihre ursprüngliche Klage auf Anordnung der endgültigen Betriebseinstellung wegen nicht genehmigungskonformer Errichtung des Kraftwerks. Der neue Streitgegenstand könne nicht in das Verfahren einbezogen werden, da der Beklagte einer Klageänderung widersprochen habe. Eine Klageänderung sei auch nicht sachdienlich, da insoweit noch kein Verwaltungsverfahren durchgeführt worden sei.
Gegen dieses Urteil haben die Kläger die vom Verwaltungsgerichtshof bezüglich des Hauptantrags und des ersten Hilfsantrags zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung haben sie vorgetragen, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs verfüge das KWO nicht über eine lückenlose Kette von Genehmigungen. Vielmehr liege ein Genehmigungsdelta vor. Bei der 3. TEG handele es sich nur um eine Art Konzeptvorbescheid. Sie habe ausweislich ihrer Auflagen wesentliche Sicherheits- und Auslegungsfragen offen gelassen und sei auf eine Ergänzung durch eine 4. TEG angelegt gewesen. Diese fehle jedoch. Hinzu komme, dass die 3. TEG die tatsächlich verwirklichte Auslegung des KWO nicht abdecke. Die 1. TBG sei nur eine Betriebsgenehmigung und enthalte keine errichtungsbezogenen Genehmigungsaussagen.
Es überzeuge auch nicht, dass das angefochtene Urteil eine Änderungsgenehmigung nicht als erforderliche Genehmigung im Sinne von § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG ansehe. Für das Eingreifen der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift komme es nicht darauf an, ob die Genehmigungsbehörde eine Änderung als wesentlich einschätze. Vielmehr sei entscheidend, ob nach der objektiven Rechtslage eine Änderung wesentlich sei, sodass die Frage der Anlagensicherheit neu aufgeworfen werde.
Im Ergebnis sei der Beklagte deshalb verpflichtet, die von den Klägern beantragte Stilllegungsverfügung zu treffen. Das Bundesverwaltungsgericht könne eine entsprechende Verpflichtung aussprechen. Die Sache sei hierfür entscheidungsreif, da das Genehmigungsdefizit feststehe. Möglicherweise stehe es aber im Ermessen der Behörde, nach weiterer Sachverhaltsaufklärung lediglich eine vorläufige Stilllegung anzuordnen, was als Minus ebenfalls vom Antrag der Kläger abgedeckt sei. Dem könne das Gericht durch ein Bescheidungsurteil Rechnung tragen. Gehe man davon aus, dass noch aufzuklären sei, ob die 3. TEG die tatsächliche Auslegung des Kraftwerks abdecke, müsse die Sache aus diesem Grund zurückverwiesen werden.
Die Kläger beantragen,
- das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und den Bescheid des Beklagten vom 25. August 1994/2. Juli 1998 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die endgültige Betriebseinstellung des Kernkraftwerks Obrigheim anzuordnen,
- hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, über den klägerischen Antrag auf Anordnung der endgültigen Betriebseinstellung des Kernkraftwerks Obrigheim unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,
- weiter hilfsweise, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Soweit die Kläger nunmehr behaupteten, es fehle an einer Teilgenehmigung, stelle dies eine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung dar. Außerdem sei dieses Vorbringen unschlüssig, da es allenfalls eine vorläufige Betriebseinstellung rechtfertigen könne. Im Übrigen setzten sich die Kläger in Widerspruch zu der Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs, dass eine lückenlose Genehmigungskette vorliege. Diese Feststellung hätten sie nicht angegriffen und insoweit auch keine Verfahrensrügen erhoben. Ihre Aufklärungsrüge zu der Frage, ob potentiell Drittbetroffene die Regelungen in der 3. TEG und in der 1. TBG hätten erkennen können, sei unerheblich, da diese Bescheide bestandskräftig seien. Wie die Vorinstanz zutreffend entschieden habe, sei auch der erste Hilfsantrag der Kläger unbegründet, da die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG nicht erfüllt seien. Vorsorglich werde betont, dass die einstweilige Einstellung nach § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG kein minus gegenüber der endgültigen Einstellung darstelle, da sie – anders als diese – auch an die Tatbestandsvoraussetzungen des § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG gebunden sei. Sei eine 1. TEG erteilt, so sei wegen des damit verbundenen vorläufigen positiven Gesamturteils kein Raum für eine endgültige Einstellung. Auch der Widerruf einer Teilgenehmigung erlaube eine endgültige Einstellung nur, wenn die Genehmigungsbehörde feststelle, dass die Anlage nicht genehmigungsfähig sei, und mindestens das vorläufige positive Gesamturteil widerrufe.
Nicht begründet seien auch die Einwendungen der Kläger gegen die das Urteil tragende Auffassung, ein Abweichen des Betreibers von der Genehmigung führe nicht dazu, dass im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt sei. Fehle eine Änderungsgenehmigung, so sei dies mit dem Fehlen einer Teilgenehmigung vergleichbar. Dann liege ein vorläufiges positives Gesamturteil für die Gesamtanlage und ihren Betrieb vor. Vor diesem Hintergrund sei kein Raum für eine endgültige Betriebseinstellung. Dem Grundrechtsschutz der Nachbarn sei ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass in einem solchen Fall eine vorläufige Betriebseinstellung möglich sei.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.
Gegenstand des Revisionsverfahrens sei nur die Frage einer endgültigen Betriebseinstellung. Über die einstweilige Betriebseinstellung habe die Vorinstanz bereits rechtskräftig entschieden. Sie sei Gegenstand des zweiten Hilfsantrags gewesen. Gegen die Entscheidung hierüber sei die Revision nicht zugelassen worden. Deshalb sei es auch verfehlt, wenn die Kläger meinten, eine einstweilige Stilllegung sei als Minus vom ersten Hilfsantrag umfasst.
Soweit die Kläger behaupteten, das KWO verfüge nicht über eine lückenlose Kette von Genehmigungen, liege hierin ein im Revisionsverfahren ausgeschlossener neuer Tatsachenvortrag und eine nicht zulässige Klageänderung. Der Einbau der apparativen und maschinellen Teile des Kernkraftwerks sei durch die 3. TEG gestattet worden. Auf die von den Klägern angegriffene Auffassung, dass eine Änderungsgenehmigung keine erforderliche Genehmigung i.S.v. § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG sei, komme es nicht an, da sich die Frage einer Änderungsgenehmigung bei Änderung der Genehmigungsunterlagen im laufenden Genehmigungsverfahren nicht stelle. Im Übrigen verteidigt die Beigeladene die angefochtene Entscheidung im Wesentlichen mit den bereits vom Beklagten ausgeführten Argumenten.
Der Oberbundesanwalt macht – insoweit in Übereinstimmung mit den Klägern – geltend, die erforderliche Genehmigung i.S.d. § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Fall 2 AtG fehle auch dann, wenn Errichtungs- oder Betriebsmaßnahmen ohne die erforderliche Gestattung erfolgt seien. Für die Anwendung der Vorschrift sei allein ausschlaggebend, ob die existierende Anlage und ihr Betrieb vollständig genehmigt seien. Die Genehmigungsbedürftigkeit beziehe sich auf alle Einzelheiten, die für die Genehmigungsfähigkeit der Anlage von entscheidender Bedeutung seien. Deshalb sei beim Errichten und Betreiben einer kerntechnischen Anlage alles sicherheitstechnisch Relevante verboten, was nicht gestattet sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt mit seiner Auslegung des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 des Atomgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 – BGBl I S. 1565 – (AtG) Bundesrecht und erweist sich auch nicht im Sinne des § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen für eine Entscheidung des Senats in der Sache ist das Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
1. Entgegen der Auffassung des Beklagten und der Beigeladenen gehört zum Streitgegenstand des Revisionsverfahrens auch die Frage einer einstweiligen Betriebseinstellung. Diese ist als Minus in dem auf eine Neubescheidung über das Begehren der endgültigen Betriebseinstellung gerichteten ersten Hilfsantrag der Kläger enthalten. Dies hat bereits der Verwaltungsgerichtshof ohne Verstoß gegen Bundesrecht entsprechend bewertet; denn er hat auf S. 23 des angefochtenen Urteils ausdrücklich ausgeführt, da die Tatbestandsvoraussetzungen des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG nicht erfüllt seien, scheide auch eine nur vorläufige Betriebseinstellung im Rahmen des Ermessens der Beklagten aus.
Soweit der Beklagte und die Beigeladene dem entgegenhalten, der auf eine einstweilige Betriebseinstellung im vorinstanzlichen Verfahren gerichtete Hilfsantrag der Kläger sei rechtskräftig abgewiesen, trifft dies nur zum Teil zu. Das angefochtene Urteil behandelt den genannten Hilfsantrag nämlich nur unter dem Gesichtspunkt der Anlagensicherheit nach § 19 Abs. 3Satz 1 AtG. Nur darauf kann sich folglich auch die Rechtskraft der Klageabweisung erstrecken. Die Frage einer einstweiligen Betriebseinstellung aus dem Gesichtspunkt einer fehlenden Genehmigung ist mithin davon nicht umfasst.
2. Soweit der Beklagte einwendet, die Rechtsverfolgung der Kläger beinhalte eine im Revisionsverfahren nach § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO unzulässige Klageänderung, weil die Kläger erstmals vorgetragen hätten, das Genehmigungsverfahren sei auf den Erlass einer 4. TEG hin angelegt gewesen, kann dem nicht gefolgt werden. Die Kläger haben sich zur Begründung ihrer Forderung auf Stilllegung stets darauf berufen, die Errichtungsgenehmigungen deckten den Istzustand des KWO nicht ab. Daran hat sich nichts geändert. Schon deshalb liegt eine Klageänderung durch Veränderung des für den geltend gemachten Anspruch angeführten Klagegrundes nicht vor. Im Übrigen ist der Revisionsvortrag der Kläger, die 3. TEG sei so beschaffen gewesen, dass sie den Erlass einer 4. TEG erfordert habe, als Wiederholung und Vertiefung des Vorbringens zu verstehen, die vorhandenen Errichtungsgenehmigungen, also auch die 3. TEG, hätten nicht zu einer Genehmigung des tatsächlich vorhandenen Reaktors geführt.
3. Schließlich kann der Klage im Revisionsverfahren auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, der Verwaltungsgerichtshof habe die von den Klägern nicht gerügte und deshalb für das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO verbindliche Tatsachenfeststellung getroffen, Errichtung und Betrieb des KWO beruhten auf einer lückenlosen Kette von Genehmigungen. Dazu enthält das angefochtene Urteil gerade keine tatsächlichen Feststellungen. Die Aussage zum Vorliegen einer Kette lückenloser Genehmigungen ist vor diesem Hintergrund nur dahin zu verstehen, dass all die Erlaubnisse vorlägen, die nach dem Verfahrensplan der Genehmigungsbehörde als erforderlich angesehen wurden. Dies hindert die Kläger rechtlich nicht, ihren Standpunkt weiter zu verfolgen, diese Teilgenehmigungen deckten von ihrem Inhalt her die Anlage, so wie sie errichtet worden ist, nicht vollständig ab.
4. Der Verwaltungsgerichtshof hat die auf Anordnung einer Betriebseinstellung sowie – hilfsweise – auf eine Neubescheidung dieses Begehrens gerichteten Anträge der Kläger mit der Begründung abgewiesen, die tatbestandlichen Voraussetzungen der von den Klägern angeführten Anspruchsnorm in § 19 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 Alt. 2 Fall 1 AtG lägen nicht vor. Es könne nicht vom Fehlen einer erforderlichen Genehmigung gesprochen werden. Dies gelte auch dann, wenn der Reaktor abweichend von den erteilten Genehmigungen errichtet worden sei. Diese Auslegung ist mit dem Bundesrecht nicht vereinbar. Der Wortlaut der genannten Norm, ihr systematischer Zusammenhang mit anderen Vorschriften des Atomgesetzes sowie ihr Sinn erfordern vielmehr eine andere rechtliche Sichtweise. Eine erforderliche Genehmigung fehlt danach auch dann, wenn die atomrechtliche Anlage wesentlich abweichend von der Genehmigungslage errichtet worden ist.
a) Nach § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 AtG kann die Aufsichtsbehörde eine endgültige Betriebseinstellung anordnen, wenn eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt oder rechtskräftig widerrufen ist. Die Betriebseinstellung gehört zu den in § 19 Abs. 3 Satz 2 AtG nicht abschließend, sondern beispielhaft („insbesondere”) aufgezählten Eingriffsbefugnissen, mit denen die Anlagenaufsicht Zustände beseitigen kann, die im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG den Vorschriften des Atomgesetzes oder der auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen widersprechen. Ein solcher atomrechtswidriger Zustand besteht auch bei einem Verstoß gegen das Genehmigungserfordernis nach § 7 Abs. 1 AtG. Die Anordnungsbefugnis der Aufsichtsbehörde ist deshalb bereits eröffnet, wenn eine Anlage wegen Fehlens der erforderlichen Genehmigung lediglich formell rechtswidrig ist, ohne dass es darauf ankommt, ob sie materiellrechtlich genehmigungsfähig wäre.
§ 7 Abs. 1 AtG bestimmt, dass derjenige, der eine kerntechnische Anlage errichtet, betreibt oder sonst innehat oder die Anlage oder ihren Betrieb wesentlich verändert, einer Genehmigung bedarf. Das diesem Genehmigungsvorbehalt zu entnehmende präventive Verbot gilt danach nicht nur, wenn – überhaupt – keine Genehmigung erteilt worden ist, sondern auch dann, wenn eine Genehmigung zwar vorliegt, die Errichtung oder der Betrieb der Anlage aber wesentlich hiervon abweichen. Denn die mit der Genehmigungserteilung verbundene Gestattungswirkung lässt das präventive Verbot des § 7 Abs. 1 AtG nur insoweit entfallen, wie die Genehmigung reicht.
Der systematische Zusammenhang von § 7 Abs. 1 und § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG erfordert insoweit eine parallele Rechtsanwendung. Wird nach § 7 Abs. 1 AtG eine Anlage formell illegal betrieben, löst dies die Eingriffsbefugnis der Anlagenaufsicht nach § 19 Abs. 3 Satz 1 AtG aus, weil im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG eine „erforderliche Genehmigung” fehlt. Da auch die wesentliche Änderung eines Kernkraftwerks genehmigungsbedürftig ist, hat das Fehlen einer Änderungsgenehmigung die gleiche Rechtsfolge. Dabei ist es ohne Belang, ob das Kernkraftwerknach seiner Errichtung wesentlich geändert worden ist oder ob sich die wesentliche Änderung bereitsbei seiner Errichtung vollzogen hat. Denn auch die wesentliche Änderung, die sich im Errichtungsvorgang vollzieht, unterliegt dem Genehmigungserfordernis nach § 7 Abs. 1 AtG. Es kommt also nicht darauf an, ob der Istzustand der Anlage gegenüber ihrem Sollzustand ein aliud darstellt (so aber Hess. VGH, Urteil vom 25. März 1997 – 14 A 3083/89 – ≪UPR 1998, S. 158≫).
b) Das Vorhandensein bestandskräftiger Errichtungs- und Betriebsgenehmigungen steht dieser Auslegung nicht entgegen. Insbesondere bedarf es keines vorausgehenden Widerrufs der 3. TEG. Die Kläger können nicht auf ein Verfahren zum Widerruf einer Errichtungsgenehmigung verwiesen werden. Denn der systematische Zusammenhang des § 19 Abs. 3 AtG mit den §§ 17, 18 AtG fordert beim Fehlen einer Änderungsgenehmigung nicht, dass der Stilllegungsanordnung ein Widerruf der Ausgangsgenehmigung vorangehen muss. Die zuletzt genannten Vorschriften regeln den Bestandsschutz, den die erteilte Genehmigung dem Betreiber der Anlage gewährt. Er ist hierdurch gegen – der Genehmigungserteilung nachfolgende – Änderungen des Genehmigungsbestands geschützt oder muss diese Änderungen zumindest nicht ohne Entschädigung hinnehmen. Es ist richtig, dass die Auslegung des § 19 Abs. 3 AtG nicht zum Ergebnis haben darf, dass dieser Bestandsschutz durchbrochen wird. Ein solcher Normkonflikt kann aber im Fall der formellen Illegalität nicht auftreten. Der Betreiber kann für eine nicht genehmigte Anlage grundsätzlich keinen Bestandsschutz beanspruchen.
Das wird bestätigt durch die beiden in § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG geregelten Alternativen, in denen der Betrieb „endgültig eingestellt” werden darf. Insoweit hat der Gesetzgeber nämlich den rechtskräftigen Widerruf der Genehmigung dem Fehlen der erforderlichen Genehmigung bewusst gleichgestellt. Nach dem rechtskräftigen Widerruf steht die Anlage (wieder) ebenso außerhalb der Regelungen nach §§ 17, 18 AtG, wie wenn sie die erforderliche Genehmigung (noch) nicht erhalten hat. Dies gilt auch beim Fehlen einer Änderungsgenehmigung. Denn die Ausgangsgenehmigung kann den Betreiber nur schützen, wenn und solange er von ihr nicht wesentlich abweicht.
Auch das mit den Teilerrichtungsgenehmigungen verbundene vorläufige positive Gesamturteil führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Beklagte hebt zwar zu Recht hervor, das von den Klägern behauptete Fehlen einer Änderungsgenehmigung sei damit vergleichbar, dass noch eine Teilgenehmigung fehle; in beiden Fällen bestehe infolge der vorhandenen Teilgenehmigung ein vorläufiges positives Gesamturteil (vgl. dazu: BVerwGE 72, 300 ≪309≫; 92, 185 ≪190 ff.≫). Der daran geknüpften Konsequenz, vom Fehlen einer erforderlichen Genehmigung im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG könne erst dann gesprochen werden, wenn dieses vorläufige positive Gesamturteil beseitigt sei, vermag der Senat indes nicht zu folgen. Mit der abschließenden Genehmigung einer Anlage ist auch im gestuften Genehmigungsverfahren die endgültige Feststellung ihrer Genehmigungsfähigkeit verbunden. Daneben haben die in den vorangegangenen Teilgenehmigungen enthaltenen vorläufigen (prognostischen) Feststellungen keinen selbständigen Regelungsgehalt (vgl. BVerwGE 92, 185 ≪191≫). Aus einem vorläufigen positiven Gesamturteil kann schon deswegen keine weitergehende Bindungswirkung erwachsen als aus dem endgültigen positiven Gesamturteil der abschließenden Genehmigung. Dieses sagt aber gerade nichts darüber aus, ob eine wesentliche Änderung genehmigungsfähig ist. Vielmehr ist es gerade typisch für das Änderungsgenehmigungsverfahren, dass sich die bei Erteilung der Ausgangsgenehmigung zugunsten des Betreibers beantwortete Genehmigungsfrage – zumindest teilweise – neu stellt. Das gilt, obwohl er über eine bestandskräftige Genehmigung verfügt, die mit ihrem endgültigen positiven Gesamturteil nicht widerrufen worden ist (vgl. BVerwGE 101, 347 ≪355≫).
Schließlich ist es nicht möglich, die von den Klägern behauptete fehlende Änderungsgenehmigung einem abtrennbaren Teil des KWO zuzuordnen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Das Fehlen einer Änderungsgenehmigung würde folglich, wenn es zuträfe, nicht nur eine teilweise Stilllegung rechtfertigen.
c) Für die dargelegte Auslegung spricht auch, dass mit den §§ 7 ff. AtG im Hinblick auf den Schutzzweck in § 1 Nr. 2 AtG gegenüber den §§ 16 ff. GewO a.F. spezialgesetzliche, weiterreichende Vorschriften geschaffen werden sollten (vgl. § 8 Abs. 1 AtG a.F.; BTDrucks III/759, S. 24), was die Annahme ausschließt, der Gesetzgeber habe die endgültige Stilllegung kerntechnischer Anlagen nur unter gegenüber dem seinerzeit auf genehmigungspflichtige Anlagen anwendbaren § 147 Abs. 3 GewO a.F. (vgl. auch den späteren § 25 GewO sowie § 20 Abs. 2 BImSchG) engeren Voraussetzungen zulassen wollen (vgl. auch BVerwGE 101, 347 ≪357≫). Nach § 147 Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 GewO a.F. konnte gegen Anlagen polizeilich eingeschritten werden, bei denen die wesentlichen Bedingungen, unter welchen die Genehmigung erteilt worden war, nicht eingehalten bzw. ohne neue Genehmigung wesentliche Veränderungen vorgenommen wurden; mithin immer dann, wenn die Anlage selbst oder die Art und Weise ihres Betriebs nicht durch eine wirksame Genehmigung gedeckt sind (Jarass, BImSchG, 4. Aufl. 1999, § 20 Rn. 28; Vallendar in: Feldhaus, BImSchR Bd. 1, 2. Aufl., Stand Oktober 2000, § 20 Anm. 16). Zwar ist in § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG anders als in den §§ 147 Abs. 3, 25 GewO a.F. sowie § 20 Abs. 2 BImSchG der Tatbestand der wesentlichen Änderung nicht ausdrücklich erwähnt, doch rechtfertigt dies keine andere Auslegung. Auch beim Fehlen einer Änderungsgenehmigung ist nicht im Sinne von § 7 AtG sichergestellt, dass der Anlagenzustand den dafür geltenden Genehmigungsvoraussetzungen entspricht. Die Anlage und ihr Betrieb stellen damit typischerweise eine (abstrakte) Gefahr dar. Es entspricht Sinn und Zweck der Anlagenaufsicht, dass sie hier Maßnahmen nach § 19 Abs. 3 AtG ergreifen kann.
5. Demzufolge ergibt sich, dass ohne eine Feststellung dazu, ob das KWO wesentlich abweichend von den erteilten Genehmigungen errichtet worden ist, eine Entscheidung zum Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 Fall 1 AtG nicht getroffen werden kann. Das hat die Vorinstanz verkannt, worauf die Abweisung von Haupt- und erstem Hilfsantrag der Kläger beruht. Dabei hängen die endgültige wie die einstweilige Betriebseinstellung gleichermaßen davon ab, ob zunächst die Tatbestandsseite der Eingriffsnorm erfüllt ist. Weder kann also gesagt werden, dass beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nur eine endgültige, nicht aber eine einstweilige Einstellung in Betracht zu ziehen sei, noch ist die gegenteilige Aussage möglich. Der Wortlaut des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG legt vielmehr die Auslegung nahe, dass im Falle des Fehlens einer erforderlichen Genehmigung oder eines rechtskräftigen Widerrufs der Genehmigung neben der ausdrücklich genannten Anordnung der endgültigen Betriebseinstellung auch eine einstweilige Einstellung im Ermessenswege in Betracht gezogen werden kann. Dies ist bei der Ermessensbetätigung zu beachten. Ebenso wenig kann aus dem systematischen Zusammenhang der einzelnen Bestimmungen in § 19 Abs. 3 AtG gegen den Wortlaut des Satzes 2 Nr. 3 dieser Vorschrift geschlossen werden, im Fall des Vorliegens eines Genehmigungsdefizits in der Form des Fehlens einer Änderungsgenehmigung komme nur eine einstweilige Einstellung in Betracht (so aber ausdrücklich Blümel in Pelzer: Schnittpunkte nationalen und internationalen Atomrechts, 1997, S. 203/214). Dafür kann insbesondere nicht angeführt werden, aus einer zusammenfassenden Betrachtung von Satz 1 und Satz 2 der Norm ergebe sich, dass Satz 2 Alt. 2 Fall 1 nur den Fall meine, in dem eine Genehmigung überhaupt und von Anfang an gefehlt habe. Das Fehlen einer erforderlichen Genehmigung, worunter auch eine Änderungsgenehmigung zu verstehen ist, eröffnet für die Aufsichtsbehörde ein Ermessen, bei dessen Betätigung die Fragen des „Ob” und „Wie” eines Einschreitens unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte zu entscheiden sind.
6. Erweist sich danach die das angefochtene Urteil tragende Erwägung als bundesrechtswidrig, so kann auch nicht festgestellt werden, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs aus anderen als den angeführten Gründen zutreffend ist (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO).
a) Das angefochtene Urteil enthält keine Feststellung dazu, ob das KWO abweichend von den erteilten Genehmigungen errichtet worden ist. Der Senat als Revisionsgericht kann die erforderliche Prüfung der damit zusammenhängenden tatsächlichen Fragen nicht vornehmen (§ 137 VwGO). Denn in dem angefochtenen Urteil werden dazu lediglich hypothetische Erwägungen angestellt. Das gilt sowohl für den tatsächlichen Zustand des RDB als auch für zahlreiche andere Komponenten der Anlage, für die die Kläger wesentliche Abweichungen behauptet haben. Ebenso macht die verbindliche Feststellung des sich aus den Genehmigungen ergebenden Sollzustandes Bewertungen erforderlich, die dem Verwaltungsgerichtshof als Tatsachengericht vorbehalten werden müssen. Denn auch insoweit geht es nicht nur um die Abklärung des objektiven Erklärungsinhalts der Regelungen der Bescheide (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 24. November 1988 – BVerwG 2 C 23.87 – ≪Buchholz 237.6 § 29 NdsLBG Nr. 1 S. 1/2≫), sondern zugleich darum, dass zur Feststellung des jeweiligen Regelungsgehalts mit Hilfe der Begründungen und Beschreibungen in den beigegebenen Unterlagen eine Vielzahl von Tatsachenfeststellungen zu treffen sind.
b) Das angefochtene Urteil enthält darüber hinaus auch keine tatsächlichen Feststellungen dazu, ob – das Fehlen einer Änderungsgenehmigung unterstellt – der Beklagte das ihm dann zustehende Ermessen dahingehend ausüben durfte, eine einstweilige oder endgültige Stilllegung abzulehnen. Eine dahingehende Entscheidung hat der Beklagte – wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat – in seinem Bescheid vom 2. Juli 1998 getroffen. Er hat sich nämlich dort nicht nur hypothetisch darauf berufen, dass ihm die „Rechtsfolgeseite des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG” auch im Falle einer formellen Illegalität des KWO ein Ermessen einräume. Er hat dieses Ermessen vorsorglich bereits auch dahingehend ausgeübt, die Betriebseinstellung unter Hinweis darauf abzulehnen, die Sicherheit des KWO sei in den vergangenen Jahren „in einem in Deutschland und darüber hinaus beispiellosen Aufsichtsverfahren” mit dem Ergebnis überprüft worden, dass die erforderliche Schadensvorsorge gewährleistet sei. Von seinem Rechtsstandpunkt ausgehend, dass bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten der Anlagenaufsicht nach § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG nicht vorliegen, hat sich das Oberverwaltungsgericht mit einer Überprüfung dieser Ermessensentscheidung nicht befasst. Auch insoweit fehlen dem Senat somit die Feststellungen zum Sachverhalt, die es ihm ermöglichen würden, den Rechtsstreit selbst abschließend zu entscheiden.
Davon abgesehen behandelt der Ergänzungsbescheid vom 2. Juli 1998 das von den Klägern gegen die Sicherheit der Anlage angeführte Problem eines sog. 2-F-Bruchs der Hauptkühlmittelleitung (vgl. dazu auch S. 3 ff. der von den Klägern vorgelegten Dokumentation vom 11. Oktober 1999) nicht. Das angefochtene Urteil trifft dazu keine Feststellungen. Auch deswegen sieht sich der Senat gehindert, die Verwaltungsentscheidung der Beklagten und damit das angefochtene Urteil in ihren Ergebnissen zu bestätigen.
7. Dem Oberverwaltungsgericht stehen verschiedene Wege offen, wie es den Rechtsstreit entscheidungsreif machen kann. Es kann zum einen überprüfen, ob das KWO genehmigungskonform errichtet worden ist. Ist dies zu bejahen, muss die Klage abgewiesen werden. Gleiches gilt aber auch dann, wenn das Oberverwaltungsgericht die Frage der genehmigungskonformen Errichtung offen lässt und die von dem Beklagten getroffene Ermessensentscheidung rechtlich billigt. Dagegen kann das Oberverwaltungsgericht der Klage – sei es auch im Wege eines Bescheidungsurteils – nur dann stattgeben, wenn es zu dem Ergebnis gelangt, dass das KWO ohne die erforderliche Genehmigung betrieben wird und der Beklagte darüber hinaus die Betriebseinstellung ermessensfehlerhaft abgelehnt hat.
8. Fehlt dem Senat als Revisionsgericht mithin die Kompetenz, entweder die Frage einer Abweichung des Ist- vom Sollzustand oder die Frage zu entscheiden, ob die Aufsichtsbehörde hilfsweise ermessensfehlerfrei ein Einschreiten durch Anordnung einer Betriebseinstellung abgelehnt hat, weil er gehindert ist, die erforderlichen Tatsachen zu ermitteln und festzustellen, so muss die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen werden.
a) Der Verwaltungsgerichtshof wird zur Beurteilung des Vorliegens der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG zu prüfen und zu entscheiden haben, ob das KWO im Sinne einer wesentlichen Veränderung von dem Sollzustand abweicht. Soweit in dem angefochtenen Urteil (S. 22 des Entscheidungsabdrucks) die Auffassung angedeutet wird, die Errichtung des KWO könnte abschließend erst mit der 1. TBG vom 11. Dezember 1967 erfolgt sein, ist dazu aus revisionsrechtlicher Sicht nur Folgendes zu bemerken: Mit den Errichtungsgenehmigungen ist die verbindliche Feststellung zu treffen, dass eine Anlage die atomrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt. Folglich haben materiellrechtliche Probleme, die thematisch zur Errichtung der Anlage gehören, in einer Betriebsgenehmigung nichts zu suchen (vgl. BVerwGE 104, 36). Wird beachtet, dass die strikte Einhaltung dieses sich aus dem Atomgesetz ergebenden, von der Rechtsprechung aber erst später herausgearbeiteten Grundsatzes in dem hier fraglichen Zeitraum der Jahre 1967/68 womöglich nicht immer hinreichende Beachtung gefunden haben könnte, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass gleichwohl Errichtungsfragen des KWO in der – bestandskräftig gewordenen – 1. TBG gelöst worden sind. Vorausgesetzt wäre allerdings, dass der 1. TBG tatsächlich ein entsprechender Regelungsgehalt entnommen werden kann und dass dieser sowohl für den Adressaten als auch einen potentiell Drittbetroffenen erkennbar gewesen ist (BVerwGE 88, 286 ≪292≫; BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 1999 – BVerwG 11 B 47.98 – ≪Buchholz 451.171 § 7 b AtG Nr. 1≫). Das Vorliegen beider Voraussetzungen erscheint zweifelhaft, nachdem der Beklagte und die Beigeladene übereinstimmend die Auffassung vertreten, die Errichtung des KWO sei abschließend durch die 3. TEG vom 17. April 1967 erfolgt. Daraus nämlich ist mindestens zu schließen, dass der Beklagte mit der 1. TBG eine Regelung zur Errichtung nicht treffen wollte und die Beigeladene als Adressatin eine solche auch nicht erkannt hat. Eine andere – ebenfalls vom Verwaltungsgerichtshof zu beantwortende – Frage ist es, ob der 3. TEG beigefügte Auflagen es der Genehmigungsbehörde ermöglichen sollten, auch auf der Stufe der Teilbetriebsgenehmigung noch in Auswertung zwischenzeitlich gewonnener Erkenntnisse (z.B. aufgrund der Fertigungsdokumentation) baubegleitend Prüfungen und Regelungen zu treffen, die sich auf die Anlagenbeschaffenheit beziehen konnten.
b) Zu der Frage, ob der Beklagte die Betriebseinstellung ermessensfehlerfrei ablehnen konnte, ist aus revisionsrechtlicher Sicht folgendes zu bemerken:
Der erkennende Senat teilt nicht die Auffassung der Kläger, dass zu ihren Gunsten eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten sei, weil der Betreiber eines ungenehmigten Kernkraftwerks sich nach § 327 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar mache. Nach dieser Norm ist der Betrieb einer kerntechnischen Anlage ohne die „erforderliche Genehmigung” zwar strafbewehrt; zugleich wird aber in § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG das Ermessen der Anlagenaufsicht („kann”), ob und wie sie in diesem Fall gegen den Betreiber einschreitet, zumindest dem Wortlaut nach nicht eingeschränkt (anders z.B. in § 20 Abs. 2 BImSchG). Hieraus ergibt sich kein Wertungswiderspruch, wenn man davon ausgeht, dass eine behördliche Duldung formell illegal betriebener kerntechnischer Anlagen auf atypische Ausnahmefälle beschränkt bleiben muss. In derartigen Fällen ist allerdings auch eine Strafbarkeit ausgeschlossen. Dies war für den Gesetzgeber so selbstverständlich, dass er es nicht durch einen entsprechenden Normbefehl zum Ausdruck bringen musste. Um eine behördliche Duldung formeller Illegalität zu rechtfertigen, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:
Erstens muss das Fehlen der erforderlichen Genehmigung dem Betreiber der Anlage verborgen geblieben sein, ohne dass ihn ein Verschuldensvorwurf trifft. Dieses Erfordernis ist daraus herzuleiten, dass § 327 Abs. 3 i.V.m. § 15 StGB auch fahrlässiges Tun des Betreibers unter Strafe stellt. Im vorliegenden Fall dürfte die subjektive Seite des Straftatbestandes nicht nachweisbar sein. Zugunsten der Beigeladenen ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Beklagte ihr gegenüber nach eingehender Prüfung der von den Klägern angesprochenen Genehmigungsproblematik die Rechtsauffassung verlautbart hat, das KWO sei genehmigungskonform errichtet worden. Wenn die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht eines Amtsträgers als rechtlich vertretbar anzusehen ist, kann aus einer späteren Missbilligung dieser Auffassung durch ein Gericht ein Schuldvorwurf nicht hergeleitet werden (vgl. BGHZ 119, 365 ≪369 f.≫; BGH, Urteil vom 13. Juli 1995 – III ZR 160/94 – NJW 1995, 2918 ≪2920≫; Urteil vom 17. März 1994 – III ZR 27/93 – NJW 1994, 3158 ≪3159≫). Es kommt hinzu, dass das Oberverwaltungsgericht, also ein mit Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht, zum Ausdruck gebracht hat, es spreche einiges für die genehmigungskonforme Errichtung des KWO. Diese Aussage beruht ebenfalls auf umfassender Aktenkenntnis und detaillierter Befassung mit dem genehmigungsrechtlichen Problem, so dass sie in jedem Fall als vertretbar erscheint.
Voraussetzung für eine behördliche Duldung formeller Illegalität ist zweitens, dass es mit den staatlichen Schutzpflichten vereinbart werden kann, wenn eine atomrechtliche Anlage, für die das in § 7 Abs. 1 AtG vorgeschriebene Genehmigungsverfahren nicht vollständig durchgeführt worden ist, nicht nach § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AtG stillgelegt wird. Dies kann für eine Anlage wie das KWO, für das – unterstellt – ein Genehmigungsdefizit erst nach über 20 Betriebsjahren erkannt wird, bejaht werden, wenn die Aufsichtsbehörde aufgrund ausreichender tatsächlicher Ermittlungen und deren hinreichend vorsichtiger Bewertung zweifelsfrei ausschließen kann, dass die Anlage so, wie sie errichtet wurde und betrieben wird, materiell den atomrechtlichen Anforderungen, soweit sie drittschützend sind, widerspricht. Denn in diesem Fall steht trotz Fehlens der erforderlichen Genehmigung fest, dass der Verfahrensverstoß keine Auswirkungen auf materiellrechtliche Positionen der Nachbarn der Anlage hat. Dabei kommt es hinsichtlich der Errichtung der Anlage auf die im Errichtungszeitpunkt geltenden atomrechtlichen Anforderungen an. Der Verwaltungsgerichtshof hat insoweit wie bei einer Genehmigung nur zu prüfen, ob die Behörde ausreichende Daten ermittelt und ihren Bewertungen zugrunde gelegt hat und ob diese Bewertungen hinreichend vorsichtig sind. Welche Methoden und Überlegungen zur Beurteilung geeignet und notwendig sind, ob die Anlage materiell den atomrechtlichen Anforderungen widerspricht, ist vor allem eine Frage tatrichterlicher Würdigung (vgl. BVerwGE 106, 115 ≪123≫ m.w.N.). Sind die Ermittlungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik ausreichend und hat die Behörde sie ihren Bewertungen zugrunde gelegt, so muss sich das Gericht bei der Prüfung, ob diese Bewertungen hinreichend vorsichtig sind, auf eine Willkürkontrolle beschränken (vgl. BVerwGE 106, 115 ≪122≫ m.w.N.).
Drittens darf die Duldung eines formell illegalen Anlagenbetriebs Drittbetroffene nicht schlechter stellen, als sie stünden, wenn die erforderliche Genehmigung seinerzeit erteilt worden wäre. Deswegen darf die Anlagenaufsicht die Stilllegung nicht ablehnen, wenn der Anlagenbetrieb eine erhebliche Gefährdung Dritter zur Folge hat. Denn unter diesen Voraussetzungen hätten Dritte nach § 17 Abs. 5 AtG einen Anspruch auf Widerruf der Genehmigung; erst Recht haben sie dann einen Anspruch auf Betriebseinstellung. Dies hat der Beklagte in seinem Bescheid vom 2. Juli 1998 nicht verkannt. Er stützt dort seine Ermessensentscheidung nämlich ausdrücklich auch auf das Ergebnis seiner Prüfung, ob ein Widerrufsgrund i.S. des § 17 Abs. 5 AtG gegeben ist. Da die Kläger bereits ein Verfahren auf Rücknahme der Dauerbetriebsgenehmigung des KWO betrieben haben, das bestandskräftig beendet ist, nachdem im Klageverfahren insoweit Erledigungserklärungen abgegeben worden sind (VGH 10 S 3180/90), können die Kläger, wenn sie sich auf das Vorliegen eines Widerrufsgrundes berufen, nunmehr nur nachträglich eingetretene Entwicklungen oder Erkenntnisfortschritte geltend machen. In diese Richtung zielender Vortrag der Kläger fehlt bislang.
Unterschriften
Hien, Dr. Storost, Kipp, Vallendar, RiBVerwG Prof. Dr. Rubel ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben Hien
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 25.10.2000 durch Wichmann Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BVerwGE, 123 |
NVwZ 2001, 567 |
NuR 2001, 330 |
RdE 2001, 188 |
DVBl. 2001, 381 |
UPR 2001, 141 |
ZNER 2001, 277 |
VA 2001, 48 |