Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuordnung zu zulassungsfreiem Handwerk. handwerksmäßige Betriebsform
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Gewerbe ist unabhängig von seiner Bezeichnung durch den Betriebsinhaber auch dann als zulassungsfreies Handwerk in Anlage B Abschnitt 1 zur Handwerksordnung aufgeführt (§ 18 Abs. 2 Satz 1 HwO), wenn die in seinem Rahmen ausgeübte Tätigkeit einem dort genannten Gewerbe inhaltlich zuzuordnen ist. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn für dieses Handwerk wesentliche Tätigkeiten ausgeübt werden.
2. Der handwerksmäßige Betrieb eines zulassungsfreien Handwerks setzt einen mindestens mittleren Schwierigkeitsgrad der Kenntnisse und Fertigkeiten voraus, die für die fachgerechte und einwandfreie Ausführung der zum Betriebsgegenstand gehörenden Tätigkeiten erforderlich sind. Daran fehlt es, wenn eine Anlernzeit von weniger als drei Monaten genügt, diese Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben.
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 27.02.2020; Aktenzeichen 6 S 2901/18) |
VG Stuttgart (Urteil vom 12.04.2018; Aktenzeichen 4 K 117/17) |
Tenor
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen hat.
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin wendet sich gegen die Mitteilung der beklagten Handwerkskammer, sie von Amts wegen in das Gewerbeverzeichnis einzutragen.
Rz. 2
Sie absolvierte im Jahr 2016 bei einer privaten Einrichtung einen vierwöchigen, 220 Ausbildungsstunden umfassenden Kurs, der mit einem "Diplom" als "Make-up Artist" abschloss. Anschließend meldete sie eine gewerbliche Tätigkeit als "Make-up Artist" im Nebenerwerb mit Betriebsstätte an ihrem Wohnsitz an. Die Beklagte forderte sie erfolglos dazu auf, die Eintragung ihres Betriebes in das Gewerbeverzeichnis zu beantragen, und teilte ihr anschließend mit Bescheid vom 22. November 2016 die Absicht zur Eintragung von Amts wegen mit. Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2016 zurück. Die Klägerin übe in einem handwerksähnlichen Betrieb Tätigkeiten aus, die dem in Anlage B zu § 18 Abs. 2 der Handwerksordnung (HwO) aufgeführten Kosmetiker-Gewerbe zuzuordnen seien.
Rz. 3
Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Beklagten dagegen zurückgewiesen. Die Klägerin betreibe zwar ein stehendes Gewerbe, weil sie nicht eigeninitiativ mit ihren Kunden in Kontakt trete. Es fehle jedoch eine handwerksähnliche Betriebsform. Die ausgeübte Tätigkeit werde in der Anlage B zur Handwerksordnung nicht ausdrücklich genannt und umfasse nur einen kleinen Teilausschnitt des Berufsbildes der Kosmetikerin nach der dafür geltenden Berufsausbildungsverordnung. Eine Eintragungspflicht setze in einem solchen Fall voraus, dass die Tätigkeit die typische Erscheinungsform eines in Anlage B zur Handwerksordnung genannten Gewerbes erfülle. Die zudem erforderliche handwerksähnliche Betriebsform sei nur gegeben, wenn die Tätigkeit ein Mindestmaß an Fachkenntnissen erfordere und einen gewissen Schwierigkeitsgrad aufweise.
Rz. 4
Die Tätigkeit der Klägerin sei kein handwerksähnliches Gewerbe, weil sie leicht und ohne größeren Zeitaufwand erlernbar sei und sich nur auf wenige Verrichtungen aus dem sehr viel umfassenderen Tätigkeitsgebiet einer Kosmetikerin beschränke. Sie bestehe ausschließlich in der dekorativen Gesichtskosmetik, die nur einen kleinen Teil der dreijährigen Ausbildung zur Kosmetikerin ausmache. Die von der Klägerin absolvierte Schulung bleibe nach Umfang und Qualifikationsniveau deutlich hinter der Ausbildung zur Kosmetikerin zurück und konzentriere sich überdies nicht auf die dekorative Kosmetik, sondern vermittle auch Kenntnisse für Verkaufsgespräche.
Rz. 5
Die Beklagte macht zur Begründung ihrer Revision geltend, das Berufungsgericht habe ihre Beweisanträge zu Unrecht abgelehnt. Außerdem gehe es von zu strengen Anforderungen an die Handwerksähnlichkeit eines Gewerbes nach § 18 Abs. 2 HwO als Voraussetzung für dessen Eintragungspflicht aus. Nach dem Zweck dieser Norm sei dafür allein maßgeblich, ob die Beratung und Betreuung des Gewerbes durch die Handwerkskammer fachlich geboten sei. Eine Tätigkeit könne einem in Anlage B zur Handwerksordnung genannten Berufsbild zugeordnet werden, wenn sie mindestens einen Ausschnitt der davon erfassten Tätigkeiten abdecke. Dieser müsse weder für das betreffende Handwerk wesentliche Tätigkeiten enthalten noch die typische Erscheinungsform des genannten Berufsbildes darstellen. Eine handwerksähnliche Betriebsform setze keine bestimmte berufliche Qualifikation des Gewerbetreibenden voraus. Danach sei die Tätigkeit der Klägerin dem Berufsbild einer Kosmetikerin zuzuordnen.
Rz. 6
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27. Februar 2020 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. April 2018 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Rz. 7
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 8
Sie verteidigt das Berufungsurteil.
Rz. 9
Die Beigeladene schließt sich dem Vorbringen der Beklagten an, ohne einen Antrag zu stellen.
Rz. 10
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält die Eintragungsmitteilung ebenfalls für rechtmäßig. Eine Tätigkeit sei einem in Anlage B zur Handwerksordnung genannten Gewerbe zuzuordnen, wenn sie in quantitativer Hinsicht einen nach der Verkehrsauffassung maßgeblichen Ausschnitt abdecke. Eine Betriebsform sei handwerksmäßig oder ähnlich, wenn das technische und wirtschaftliche Gesamtbild des Betriebes - vor allem nach der Verkehrsauffassung - dem Meisterprüfungsberufsbild oder dem Ausbildungsberufsbild eines in Anlage B genannten Gewerbes entspreche. Die Tätigkeit der Klägerin erfülle beide Tatbestandsvoraussetzungen.
Entscheidungsgründe
Rz. 11
Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Die Klage ist zulässig (1.). Das angegriffene Berufungsurteil leidet nicht an den geltend gemachten Verfahrensmängeln (2.). Es verstößt zwar gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil es die angefochtene Eintragungsmitteilung nicht an der erst während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen und seither für ihre Bewertung maßgeblichen Fassung der Handwerksordnung gemessen hat (3.). Das Urteil erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) (4.). Die Eintragungsmitteilung ist rechtswidrig. Die Tätigkeit der Klägerin ist zwar einem zulassungsfreien Handwerk zuzuordnen (a), wird jedoch nicht handwerksmäßig betrieben (b).
Rz. 12
1. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin kann die Eintragungsmitteilung der Beklagten als Einzelfallregelung ihrer Eintragungspflicht anfechten (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2018 - 8 C 15.17 - BVerwGE 163, 351 Rn. 9 m.w.N.). Die Klage ist rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO erhoben worden, die wegen der gesetzlichen Fiktion der Zustellung des Widerspruchsbescheides durch Übergabeeinschreiben am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post (§ 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG) am 4. Dezember 2016 begann.
Rz. 13
2. Das Berufungsurteil leidet nicht unter den von der Beklagten geltend gemachten Verfahrensmängeln. Die Ablehnung ihrer Beweisanträge verletzte weder ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) noch die Aufklärungspflicht des Berufungsgerichts (§ 86 Abs. 1 VwGO). Gegen diese Gewährleistungen verstößt die Ablehnung eines Beweisantrags, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO, § 244 StPO). Das ist hier nicht der Fall.
Rz. 14
Eine Beweiserhebung ist unter anderem dann nicht erforderlich, wenn das Beweismittel ungeeignet ist, weil es auf die zu beweisende Tatsache nach der für die Feststellung eines Verfahrensmangels maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsansicht des Gerichts nicht ankommt (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO entsprechend; vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. September 2014 - 8 B 15.14 - ZOV 2014, 268 Rn. 8). Danach durfte das Berufungsgericht den ersten Beweisantrag der Beklagten, der auf die sachverständige Ermittlung des der Klägerin vermittelten Maßes an Fachkenntnissen gerichtet war, ablehnen. Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs kam es nicht auf die der Klägerin tatsächlich vermittelten, sondern allein auf die für ihre Tätigkeit erforderlichen Fachkenntnisse an.
Rz. 15
Der Verwaltungsgerichtshof durfte auch den weiteren, auf die sachverständige Ermittlung des Schwierigkeitsgrades der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit gerichteten Beweisantrag der Beklagten ablehnen und sich die erforderliche Sachkunde zur Bewertung des nach seiner Auffassung für eine handwerksähnliche Betriebsform erforderlichen gewissen Schwierigkeitsgrades der Tätigkeit selbst beimessen. Es steht im Ermessen des Tatsachengerichts, darüber zu befinden, ob es zur Entscheidung des Rechtsstreits die Hilfe eines Sachverständigen benötigt. Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens kann nur dann als verfahrensfehlerhaft beanstandet werden, wenn das Gericht für sich eine Sachkunde in Anspruch nimmt, die ihm unmöglich zur Verfügung stehen kann, oder wenn es sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es für die Beteiligten und für das zur Nachprüfung berufene Revisionsgericht überzeugend darlegt, dass ihm das erforderliche Fachwissen in genügendem Maße zur Verfügung steht (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 18. Juni 2012 - 5 B 5.12 - ZOV 2012, 289 Rn. 7). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen legt die Beklagte nicht dar. Für die Frage der Schwierigkeit einer beruflichen Tätigkeit im Bereich der Kosmetik ist nach dem Berufungsurteil maßgeblich, ob sie leicht zu erlernen ist und welche Zahl an Verrichtungen aus dem Tätigkeitsfeld einer Kosmetikerin durchgeführt wird. Dafür stellt es auf die Dauer des Unterrichts und den Umfang des Lehrmaterials sowie auf den Ausbildungsrahmenplan für Kosmetiker ab. Diese objektiven Kriterien und ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall erfordern keine Sachkunde, die über die Lebens- und Erkenntnisbereiche hinausginge, die einem Richter allgemein zugänglich sind (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10. November 1983 - 3 C 56.82 - BVerwGE 68, 177 ≪182≫).
Rz. 16
3. Das Berufungsurteil verstößt gegen revisibles Recht, weil es nicht auf die Rechtsvorschriften gestützt ist, die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides maßgeblich sind. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Mitteilung nach § 11 HwO, mit der die künftige Eintragung in die Handwerksrolle angekündigt wird, kommt es zwar grundsätzlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht an. Rechtsänderungen bis zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung sind allerdings zu berücksichtigen, sofern das Berufungsgericht das neue Recht hätte anwenden müssen, wenn es nach dessen Inkrafttreten entschieden hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2018 - 8 C 15.17 - BVerwGE 163, 351 Rn. 12; Beschluss vom 9. August 2018 - 6 C 11.17 - DVBl 2019, 372 Rn. 3 m.w.N.). Das ist hier der Fall.
Rz. 17
Danach ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides an § 19 Satz 1, § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 HwO i.V.m. Anlage B zur Handwerksordnung in der am 1. Juli 2021 in Kraft getretenen Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften vom 9. Juni 2021 (BGBl. I S. 1654, 1660, 1662) zu messen. Sie führt das Gewerbe der Kosmetiker nicht mehr in Abschnitt 2 der Anlage B als handwerksähnliches Gewerbe im Sinne von § 18 Abs. 2 Satz 2 HwO, sondern in Abschnitt 1 Nr. 56 als zulassungsfreies Handwerk im Sinne von § 18 Abs. 2 Satz 1 HwO auf. Das Berufungsurteil ist nicht auf diese - nach seinem Ergehen erlassene - Vorschrift gestützt und verletzt daher revisibles Recht.
Rz. 18
4. Das Urteil erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, weil die Voraussetzungen einer Eintragung in das nach § 19 HwO zu führende Verzeichnis nach § 18 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Anlage B Abschnitt 1 Nr. 56 HwO bei dem Betrieb der Klägerin nicht vorliegen. Die Tätigkeit der Klägerin als "Make-up Artist" ist zwar nach § 18 Abs. 2 Satz 1 HwO dem in Anlage B Abschnitt 1 Nr. 56 zur Handwerksordnung aufgeführten zulassungsfreien Handwerk der Kosmetiker zuzuordnen, sie wird aber nicht handwerksmäßig betrieben.
Rz. 19
a) Für die Zuordnung zu einem Handwerk des Abschnitts 1 der Anlage B zur Handwerksordnung ist unerheblich, dass das Gewerbe eines "Make-up Artist" dort nicht genannt wird. Ein Gewerbe ist nicht erst dann in dieser Anlage im Sinne von § 18 Abs. 2 HwO aufgeführt, wenn seine durch den Betriebsinhaber gewählte Bezeichnung mit einer der in Anlage B ausdrücklich aufgelisteten Bezeichnungen übereinstimmt. Maßgeblich ist vielmehr, ob die ausgeübte Tätigkeit einem der in Anlage B genannten Gewerbe inhaltlich zuzuordnen ist. Dafür kommt hier unstreitig allein das Gewerbe der Kosmetiker in Betracht.
Rz. 20
Die inhaltliche Zuordnung zu einem in Anlage B zur Handwerksordnung aufgeführten Gewerbe ist nach der insoweit zutreffenden Auslegung des Berufungsgerichts auch nicht ausgeschlossen, wenn die im Rahmen des Betriebes ausgeübten Tätigkeiten lediglich einen Teilausschnitt dieses Gewerbes abdecken. Anders als § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 HwO fordert schon der Wortlaut des § 18 Abs. 2 HwO nicht, dass der Betrieb des Gewerbes das in Anlage B aufgeführte zulassungsfreie Handwerk vollständig umfasst. Die Entstehungsgeschichte der Handwerksordnung belegt zudem, dass der Gesetzgeber an die damalige Rechtsprechung und Verwaltungspraxis angeknüpft hat, wonach der Betrieb eines Handwerks im Sinne der Handwerksordnung nicht die Ausführung aller nach dessen Berufsbild zum jeweiligen Gewerbe gehörenden Tätigkeiten voraussetzt (vgl. den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Mittelstandsfragen vom 2. Juni 1965 über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, BT-Drs. 4/3461 S. 9). Auch Betriebe, die sich auf bestimmte Arbeiten im Tätigkeitsbereich eines Handwerks spezialisieren, können deshalb diesem Handwerk zuzuordnen sein (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1963 - 7 C 18.63 - BVerwGE 17, 230 ≪232≫). Dass die Überführung eines Teils der vormals zulassungspflichtigen Handwerke aus Anlage A als künftig zulassungsfreie Handwerke in den Abschnitt 1 der Anlage B daran etwas ändern sollte, lässt sich weder dem Wortlaut der Norm noch den Erwägungen des Gesetzentwurfes zur Dritten Handwerksnovelle entnehmen (vgl. BT-Drs. 15/1206 S. 33).
Rz. 21
Das vorliegende Verfahren bietet keinen Anlass, abschließend zu erörtern, wie der Teilausschnitt eines Berufsbildes eines ausdrücklich in Anlage B zur Handwerksordnung aufgeführten zulassungsfreien Handwerks beschaffen sein muss, um eine Zuordnung zu diesem Handwerk nach § 18 Abs. 2 Satz 1 HwO vornehmen zu können. Ein Gewerbe ist jedenfalls dann einem in Anlage B genannten zulassungsfreien Handwerk zuzuordnen, wenn es mindestens eine für dieses Gewerbe wesentliche Tätigkeit umfasst. Diese Tätigkeiten gehören zu den für das jeweilige Handwerk charakteristischen Elementen des Berufsbildes. Weil für ein Handwerk wesentliche Tätigkeiten dadurch definiert sind, dass sie ihm nicht nur fachlich zugehören, sondern gerade seinen Kernbereich ausmachen und ihm sein essentielles Gepräge verleihen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 2014 - 8 C 50.12 - BVerwGE 149, 265 Rn. 21 f. m.w.N.), rechtfertigt schon die Verwirklichung einer dieser eine Zuordnung zum jeweiligen in der Anlage B zur Handwerksordnung aufgeführten Gewerbe. Übt ein Gewerbetreibender wesentliche Tätigkeiten eines solchen Handwerks aus, spricht auch der Zweck der Eintragungspflicht nach § 18 Abs. 2 HwO dafür, das Gewerbe als in Anlage B Abschnitt 1 zur Handwerksordnung aufgeführt anzusehen. Die zulassungsfreien Handwerke und handwerksähnlichen Gewerbe sind den Handwerkskammern zugeordnet, weil diese für ihre Betreuung und Beratung nach der Einschätzung des Gesetzgebers fachlich besser geeignet erscheinen als die Industrie- und Handelskammern (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 1 C 7.98 - BVerwGE 108, 169 ≪171≫). Diese fachliche Nähe zu den Handwerkskammern ist ohne weiteres jedenfalls dann anzunehmen, wenn wesentliche Tätigkeiten eines zulassungsfreien Handwerks ausgeübt werden.
Rz. 22
Diese Auslegung ist mit dem Wortlaut des § 18 Abs. 2 Satz 1 HwO vereinbar und steht im Einklang mit der Systematik und der Entstehungsgeschichte der Norm. Danach wollte der Gesetzgeber die Ausübung einer wesentlichen Tätigkeit nicht zur notwendigen Voraussetzung der Zuordnung zu einem zulassungsfreien Handwerk des Abschnitts 1 der Anlage B zur Handwerksordnung machen. § 1 Abs. 2 HwO wird in § 20 HwO nicht genannt. Der Vorschlag, seine entsprechende Anwendung auf zulassungsfreie Handwerke in § 18 Abs. 2 HwO anzuordnen, scheiterte im Vermittlungsausschuss (BT-Drs. 15/1481 S. 22; BT-Drs. 15/2083 S. 13 u. 48; BT-Drs. 15/2246 S. 3). Daraus folgt, dass für die Ausübung eines zulassungsfreien Handwerks nicht die Ausübung einer wesentlichen Tätigkeit gefordert werden darf. Dies schließt jedoch nicht aus, die Ausübung einer solchen Tätigkeit für ausreichend zu halten, eine Zuordnung zu begründen.
Rz. 23
Nach den revisionsrechtlich bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) hat der Betrieb der Klägerin wesentliche Tätigkeiten des Kosmetikerhandwerks zum Gegenstand. Danach arbeitet die Klägerin im Bereich der dekorativen Kosmetik des Gesichts als einer Pflichtqualifikation der Ausbildung zum Kosmetiker/zur Kosmetikerin (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 10 i.V.m. Abschnitt 1 Nr. 1.10 der Anlage zu § 5 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Kosmetiker/zur Kosmetikerin vom 9. Januar 2002 - KosmAusbV - BGBl. I S. 417). Tätigkeiten aus dem Bereich einer Pflichtqualifikation für das Berufsbild eines Handwerks sind für dieses wesentlich und rechtfertigen deshalb jedenfalls eine Zuordnung zu ihm. Darüber hinaus weist die Tätigkeit der Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch Bezüge zu den Wahlqualifikationen "Visagismus" und "Permanentes Make-up" (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 und 4 KosmAusbV) auf.
Rz. 24
b) Die Klägerin betreibt ihr Gewerbe jedoch nicht handwerksmäßig im Sinne von § 18 Abs. 2 Satz 1 HwO.
Rz. 25
Unter welchen Voraussetzungen ein Betrieb handwerksmäßig ist (vgl. auch § 1 Abs. 2 Satz 1 HwO), wird in der Handwerksordnung nicht definiert und richtet sich nach dem Gesamtbild des einzelnen Betriebes (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1963 - 7 C 18.63 - BVerwGE 17, 230 ≪232≫). Die handwerksmäßige Betriebsform ist im Wesentlichen in der Abgrenzung zum Industriebetrieb einerseits und zum Kleingewerbe oder zum Minderhandwerk andererseits zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 1979 - 5 C 10.79 - BVerwGE 58, 217 ≪223≫; Beschluss vom 1. April 2004 - 6 B 5.04 - GewArch 2004, 488). Für sie ist kennzeichnend, dass die Arbeitsleistung im Betrieb durch - ggf. mit Hilfsmitteln unterstützte - qualifizierte Handarbeit erzielt wird und fachgerecht und einwandfrei nur bei Beherrschung der in handwerklicher Schulung erworbenen Kenntnisse und Handfertigkeit erzielt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1963 - 7 C 18.63 - BVerwGE 17, 230 ≪233≫; dazu BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 1971 - 1 BvR 280/66 - BVerfGE 32, 54 ≪67≫; BVerwG, Urteil vom 12. Juli 1979 - 5 C 10.79 - BVerwGE 58, 217 ≪224≫; vgl. Stork, in: Schwannecke, Die deutsche Handwerksordnung, § 18 Rn. 7; Schreiner, in: Schwannecke, ebd. § 1 Rn. 63; Leisner, in: Leisner, BeckOK zur Handwerksordnung, Stand: 1. August 2021, § 1 Rn. 23, 25; Thiel, in: Honig/Knörr/Thiel, Handwerksordnung, 5. Aufl. 2017, § 1 Rn. 39). Die für die ausgeübte Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und die dafür nötige Handfertigkeit müssen - wie schon für handwerksähnliche Betriebe anerkannt ist - mindestens einen mittleren Schwierigkeitsgrad aufweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 1973 - 1 C 10.70 - Buchholz 451.45 § 18 HwO Nr. 2 S. 4; vgl. auch den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Mittelstandsfragen vom 2. Juni 1965 zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung, BT-Drs. 4/3461 S. 8). Zur Konkretisierung des Erfordernisses eines mindestens mittleren Schwierigkeitsgrades kann die Dauer der Anlernzeit für eine einwandfreie Ausübung der Tätigkeiten des jeweiligen Betriebes herangezogen werden. Anknüpfend an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Gesetzgeber bei der Einführung von § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 HwO Tätigkeiten als lediglich einfach angesehen, die in einem Zeitraum von bis zu drei Monaten erlernt werden können (vgl. BT-Drs. 15/1089 S. 6 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1992 - 1 C 27.89 - Buchholz 451.45 § 1 HwO Nr. 23 S. 16).
Rz. 26
Gemessen hieran wird die Tätigkeit der Klägerin als "Make-up Artist" nicht handwerksmäßig betrieben, weil sie nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts leicht und ohne größeren Zeitaufwand erlernbar ist, danach setzt sie lediglich eine Anlernzeit von 220 Stunden oder etwa vier Wochen voraus. Dies bleibt deutlich hinter der für Tätigkeiten mittleren Schwierigkeitsgrades erforderlichen Anlernzeit von mindestens drei Monaten zurück.
Rz. 27
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Fundstellen
BVerwGE 2022, 58 |
DÖV 2022, 344 |
GewArch 2022, 162 |
VR 2022, 144 |
DVBl. 2022, 535 |