Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme eines rechtswidrigen Vermögenszuordnungsbescheides. Rücknahme eines Zuordnungsbescheides. Anspruch auf Rücknahme. Ermessensreduzierung auf Null. Vertrauensschutz zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung. öffentliches Interesse. Bestandkraft. Wiederaufgreifen. Sonderabfall. Sondermüll. Sondermülldeponie, Rekultivierungspflichten. Sanierungspflichten. Altlasten. Verwaltungsvermögen
Leitsatz (amtlich)
Ausschließlicher Maßstab für die nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu treffende Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen Vermögenszuordnungsbescheides ist das öffentliche Interesse. Dieses wird nicht nur durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bestimmt, sondern auch durch den Gesichtspunkt der Beständigkeit von Zuordnungsentscheidungen, dem § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG besonderes Gewicht verleiht.
Normenkette
VwVfG §§ 48-49, 51; VZOG § 2 Abs. 5; EV Art. 21 Abs. 1-2
Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 10.06.2004; Aktenzeichen 30 A 53.01) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Tatbestand
I
Die Klägerin, eine kreisangehörige Gemeinde, begehrt die Aufhebung eines Zuordnungsbescheides, soweit er auch eine in der DDR als Deponie zur Ablagerung von Sonderabfall genutzte Teilfläche umfasste.
Im Februar 1991 beantragte die Klägerin die Restitution der zur Flur 54 der Gemarkung P… gehörenden Flurstücke 114 und 115, deren Nutzung zu den Stichtagen 1. Oktober 1989 und 3. Oktober 1990 sie mit “Schießplatz” angab.
Der Oberfinanzpräsident der Oberfinanzdirektion Rostock stellte mit Bescheid vom 5. April 1995 fest, dass die Flurstücke wegen ihrer Nutzung als Sport- und Erholungsfläche als Finanzvermögen gemäß Art. 22 Abs. 1 EV Eigentum der Klägerin seien. Die Klägerin erklärte den Verzicht auf Rechtsmittel, sie wurde im Juni 1995 als Eigentümerin ins Grundbuch eingetragen.
Tatsächlich befand sich nur auf dem südöstlichen Teil der Flurstücke eine Schießanlage mit dazu gehörenden Gebäuden, dagegen wurde auf deren nordwestlichem Teil seit ungefähr 1970 bis mindestens 1982 eine Deponie für Industrieabfälle betrieben. Rechtsträger der im Eigentum des Volkes stehenden Flurstücke 114 und 115 war die Klägerin, als Hauptbetreiber der Deponie war ein VEB bestimmt. Abgelagert bzw. abgebrannt wurden auf der Deponie vor allem Ölschlämme, Bohremulsionen und ähnliche Produktionsrückstände aus der metallverarbeitenden Industrie. Nach einem 1994 erstatteten Altlastengutachten enthielt das Verkippungsmaterial u.a. Mineralöl-Kohlenwasserstoffe, Schwermetalle und chlorierte Kohlenwasserstoffe. Die Schadstoffbelastung des Verkippungsmaterials, das unterliegende Bodenschichten durchdrungen hat, wird im Gutachten als außerordentlich hoch eingeschätzt. Die Verkippungsfläche weise ein hohes Gefährdungspotenzial auf, die ermittelten Schadstoffgehalte im Verkippungsmaterial und im Schichtenwasser seien teilweise dramatisch hoch.
In der Folgezeit bemühte sich die Klägerin erfolglos um eine Beteiligung des beigeladenen Landes an der Sanierung der Deponie. Im Juni 1998 beantragte sie die Aufhebung der die Deponieflächen betreffenden Zuordnung.
Mit Bescheid vom 24. März 2000 lehnte der Oberfinanzpräsident der Oberfinanzdirektion Berlin den Antrag ab. Eine Änderung des begünstigenden bestandskräftigen Bescheides vom 5. April 1995 sei nur nach § 49 Abs. 2 VwVfG möglich, die Voraussetzungen hierfür lägen jedoch nicht vor. Ein teilweiser Widerruf des Zuordnungsbescheides liege nicht im öffentlichen Interesse, dieses mache vielmehr eine endgültige Zuordnung von Vermögensgegenständen im Beitrittsgebiet notwendig. Die gesamte Vermögenszuordnung werde relativiert, wenn die Entdeckung von Altablagerungen zur Wiederaufnahme des Vermögenszuordnungsverfahrens führen könne.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Beklagte mit Urteil vom 10. Juni 2004 verpflichtet, den Zuordnungsbescheid vom 5. April 1995 hinsichtlich der 1999 durch Trennvermessung aus den Flurstücken 114 und 115 hervorgegangenen Flurstücke 114/3 und 115/3 zurückzunehmen. Zur Begründung führt das Verwaltungsgericht aus: Die Klägerin habe nach § 48 Abs. 1 VwVfG einen Anspruch auf die Aufhebung des Bescheides, soweit ihr damit auch die Deponieflächen zugeordnet worden seien. Der Zuordnungsbescheid vom 5. April 1995 sei insoweit rechtswidrig. Die Abfalldeponie sei als Sondermülldeponie zu qualifizieren, so dass die hierfür genutzten Grundstücksflächen gemäß Art. 21 Abs. 1 EV Verwaltungsvermögen des beigeladenen Landes seien. Dem stehe nicht entgegen, dass die Deponie möglicherweise vor dem 1. Oktober 1989 geschlossen worden sei. Der Zweck einer Deponie beschränke sich nicht auf die Öffnung von Flächen für die Anlieferung und Ablagerung von Abfällen, sondern umfasse auch die Rekultivierung des Geländes. Diese Nachsorgepflicht habe an den maßgeblichen Stichtagen fortbestanden. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts stehe zwar nach § 48 Abs. 1 VwVfG im Ermessen der Behörde. Doch liege hier eine Ermessensreduzierung auf Null vor. Im innerstaatlichen Bereich im Verhältnis zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung gebe es – anders als wenn grundgesetzlich geschützte Interessen Privater berührt seien – kein Bedürfnis für die Aufrechterhaltung rechtswidriger Vermögenszuordnungen. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG hindere die Rücknahme nicht. Diese Frist werde erst in Gang gesetzt, wenn der Behörde die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt seien und die Behörde außerdem die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt habe. Hier sei die Beklagte jedoch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von der Rechtmäßigkeit des Zuordnungsbescheides ausgegangen.
Zur Begründung ihrer Revision macht die Beklagte geltend: Das Rücknahmeermessen sei nicht auf Null reduziert. Bei der Gewichtung der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns einerseits und der Bestandskraft des Bescheides andererseits seien weder die Interessen der den Bescheid erlassenden Behörde noch die des beigeladenen Landes hinreichend berücksichtigt worden. Der Beigeladene habe die Zuordnung der Grundstücke an die Klägerin bestandskräftig werden lassen und damit eine Lage akzeptiert, die nicht einfach ungeschehen gemacht werden könne. Ebenso wenig könne das Interesse der für die Zuordnung zuständigen Behörde an einem zügigen Abschluss der vermögenszuordnungsrechtlichen Verfahren unberücksichtigt bleiben. Wende man in diesen Fällen § 48 Abs. 3 VwVfG an, komme auf die Behörde außerdem ein nicht vertretbares Haftungsrisiko zu. Die Klägerin sei durch den Ausgangsbescheid begünstigt worden, da ihr rechtswidrig Vermögen zugeordnet worden sei, das beigeladene Land habe eine Belastung erfahren, weil es ihm zustehendes Vermögen rechtswidrig nicht erhalten habe. Wie in solchen Fällen eine den Anforderungen von § 40 VwVfG gerecht werdende Ermessensausübung auszusehen habe, sei zweifelhaft. Mit Blick allein auf die begünstigte Klägerin sei eine Rücknahme nur unter den Einschränkungen von § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG möglich. Betrachte man dagegen den durch die anderweitige Zuordnung belasteten Beigeladenen, liege es nahe, aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eine grundsätzlich freie Rücknehmbarkeit herzuleiten. Hier aber begehre gerade die begünstigte Klägerin – aus wirtschaftlich nachvollziehbaren Gründen – die Aufhebung der Zuordnung, während der durch die Nichtzuordnung belastete Beigeladene naturgemäß kein Interesse daran habe, eine weitere Sondermülldeponie zu erhalten. Insoweit seien hinsichtlich der Klägerin kaum Vertrauensschutzfragen zu prüfen, zudem trage eine Änderung der Zuordnung dem Grundsatz gesetzmäßigen Handelns Rechnung. Doch lasse ein Blick auf den Beigeladenen, der möglicherweise darauf vertraut habe, die Grundstücke gerade nicht zu erhalten, eine solche Gewichtung nicht ohne weiteres zu. Außerdem könne sich eine Behörde, wenn ein Verwaltungsakt bestandskräftig geworden sei, in der Regel ermessensfehlerfrei auf die Bestandskraft berufen. Dies habe die Behörde hier – wenn auch möglicherweise vom unzutreffenden Ausgangspunkt des § 49 VwVfG aus – getan. Sie habe den Widerruf deshalb abgelehnt, weil er wegen des Ziels einer baldigen endgültigen Vermögenszuordnung nicht im öffentlichen Interesse liege. Außerdem habe sie sich nicht in die Gefahr begeben müssen, nach § 48 Abs. 3 VwVfG zu einem Ausgleich etwaiger Vermögensnachteile verpflichtet zu sein.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen.
Der Beigeladene schließt sich der Revisionsbegründung an. Wie im erstinstanzlichen Verfahren stellt er keinen Antrag.
Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. Sie hält das angefochtene Urteil ebenfalls für unzutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Die an die Klägerin erfolgte Zuordnung der Flurstücke 114 und 115 war teilweise rechtswidrig. Die für Zwecke einer Sondermülldeponie genutzte Teilfläche hätte, nachdem die Voraussetzungen für eine Realteilung der Buchgrundstücke vorlagen, dem beigeladenen Land zugeordnet werden müssen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Deponie – was das Verwaltungsgericht offen gelassen hat – vor 1989 geschlossen wurde. Die den Ländern zugewiesene Aufgabe der Entsorgung von als Sondermüll zu klassifizierendem Abfall umfasst auch die Rekultivierungs- und Sanierungspflichten nach der Deponieschließung. Die Klägerin hat danach einen Anspruch auf die teilweise Rücknahme dieser Zuordnung. Zwar führt bei der von der Beklagten gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu treffenden Ermessensentscheidung nicht bereits der Umstand zu diesem Anspruch, dass Beteiligte des Vermögenszuordnungsverfahrens nur Träger öffentlicher Verwaltung sind. Doch war das Ermessen hier deshalb auf Null reduziert, weil Teil des die Rücknahmeentscheidung bestimmenden öffentlichen Interesses neben der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch das Erfordernis einer effektiven und raschen Beseitigung der Gefahren ist, die sich aus einer – auch bereits geschlossenen – Sondermülldeponie für das Wohl der Allgemeinheit ergeben. Die Klägerin als kreisangehörige Gemeinde wäre mit dieser Aufgabe, wie bereits deren Zuweisung an die Länder zeigt, sowohl finanziell als auch fachlich überfordert.
1. Die auf die teilweise Aufhebung des Zuordnungsbescheides gerichtete Klage ist zulässig. Die Klagebefugnis der Klägerin entfällt nicht deshalb, weil sie die von ihr angegriffene Zuordnung selbst beantragt hat. Die Klägerin kann geltend machen, dass mit der Zuordnung des Eigentums an den Grundstücken auch die Pflicht verbunden ist, als Zustandstörer für die Beseitigung der Gefahren zu sorgen, die von den dort lagernden Abfällen ausgehen. Diese Pflichtenstellung begründet einen für die Klägerin rechtlich erheblichen Nachteil. Zwar kann sich die Klägerin als Gemeinde nicht auf den Schutz des Eigentums nach Art. 14 GG berufen, doch wäre sie in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG betroffen, müsste sie aufgrund einer rechtswidrigen Zuordnungsentscheidung Finanzmittel aus ihrem Vermögen aufwenden, um an sich gemeindefremde Verwaltungsaufgaben zu erfüllen.
2. Der Zuordnungsbescheid vom 5. April 1995 war – entgegen der im angefochtenen Bescheid und auch noch im erstinstanzlichen Verfahren von der Beklagten vertretenen Auffassung – teilweise rechtswidrig.
a) Aufgrund der auf einer Teilfläche der zugeordneten Grundstücke betriebenen Sondermülldeponie wären die entsprechenden Grundstücksflächen nach Art. 21 Abs. 1 und 2 EV nicht der klagenden Gemeinde, sondern dem beigeladenen Land Mecklenburg-Vorpommern als Verwaltungsvermögen zuzuordnen gewesen.
Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurde auf Teilflächen der der Klägerin zugeordneten Buchgrundstücke 114 und 115 eine Mülldeponie betrieben; dort wurden als Sonderabfall zu klassifizierende Stoffe abgelagert bzw. verbrannt. Ausgehend hiervon hat das Verwaltungsgericht die betroffenen Flächen zu Recht als dem Beigeladenen zuzuordnende Sondermülldeponie eingestuft.
Gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EV wird das Vermögen der DDR, das unmittelbar bestimmten Verwaltungsaufgaben dient (Verwaltungsvermögen), Bundesvermögen, sofern es nicht nach seiner Zweckbestimmung am 1. Oktober 1989 überwiegend für Verwaltungsaufgaben bestimmt war, die nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes von Ländern, Gemeinden (Gemeindeverbänden) oder sonstigen Trägern öffentlicher Verwaltung wahrzunehmen sind. Nach Art. 21 Abs. 2 EV steht Verwaltungsvermögen, soweit es nicht gemäß Abs. 1 Bundesvermögen wird, mit Wirksamwerden des Beitritts demjenigen Träger öffentlicher Verwaltung zu, der nach dem Grundgesetz für die Verwaltungsaufgabe zuständig ist.
Für die Zuordnung wird grundsätzlich zunächst auf das Buchgrundstück und dessen Nutzung zu den maßgeblichen Stichtagen abgestellt. Doch kann, liegt eine unterschiedliche Nutzung von Teilflächen eines Buchgrundstückes vor, statt der Zuordnung des gesamten Buchgrundstückes eine getrennte Zuordnung von Teilflächen entsprechend der auf diesen Teilflächen geübten Nutzungen erfolgen. Ein Anspruch auf die Abtrennung der entsprechend genutzten Teilfläche besteht jedenfalls dann, wenn ein Verwaltungsträger die Teilfläche ausschließlich genutzt hat und deren Verselbstständigung keine gravierenden Probleme aufwirft (Urteile vom 3. August 2000 – BVerwG 3 C 21.00 – BVerwGE 111, 364 ≪367 f.≫ und vom 7. Oktober 2004 – BVerwG 3 C 43.03 – Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 30). Hier bestanden nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auf den Flurstücken 114 und 115 räumlich getrennte ausschließliche Nutzungen. Eine Verselbstständigung der Teilflächen warf, wie die 1999 zu diesem Zweck vorgenommene Trennvermessung der Flurstücke 114/3 und 115/3 belegt, keine gravierenden Probleme auf.
War danach eine Realteilung und getrennte Zuordnung geboten, hätte nach Art. 21 Abs. 1 und 2 EV die Zuordnung der als Sondermülldeponie genutzten Fläche an das beigeladene Land erfolgen müssen. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts war eine Widmung als Mülldeponie erfolgt, es wurden dort als gefährliche Gewerbeabfälle i.S.v. § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 3 des Abfallgesetzes (AbfG) vom 27. August 1986 (BGBl I S. 1410) – sog. Sonderabfall – zu klassifizierende Stoffe abgelagert bzw. abgebrannt. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 24. September 1998 – BVerwG 3 C 13.97 – Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 17) sind Sondermülldeponien Verwaltungsvermögen, das im Beitrittszeitpunkt den Ländern zugefallen ist.
Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob die Deponie vor dem 1. Oktober 1989 geschlossen wurde. Doch würde auch dies nichts an ihrer Zugehörigkeit zum Verwaltungsvermögen und damit an der Zuständigkeit des beigeladenen Landes ändern. Eine Entwidmung hätte eine hierauf gerichtete definitive Entscheidung des zuständigen Verwaltungsträgers der DDR erfordert (vgl. Urteil vom 16. Dezember 2003 – BVerwG 3 C 50.02 – BVerwGE 119, 349 ≪354≫). Hierfür hat das Verwaltungsgericht nichts festgestellt. Abgesehen davon sprechen auch die Umstände nicht für eine Entwidmung. Diese hätte vorausgesetzt, dass die Aufgabe, die mit der Deponie erfüllt werden sollte, abgeschlossen gewesen wäre. Das ist auch nach dem insofern maßgeblichen Recht der DDR mit ihrer bloßen Schließung – also mit der Beendigung ihrer Beschickung – noch nicht der Fall. Vielmehr mussten oberirdische Deponien rekultiviert werden (§ 9 Abs. 4 der 6. Durchführungsverordnung zum Landeskulturgesetz der DDR vom 1. September 1983, GBl I S. 257; vgl. zur Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland: § 10 Abs. 2 AbfG). Dafür, dass dies geschehen wäre, ist nichts ersichtlich; im Gegenteil ging nach den auf das Altlastengutachten gestützten Feststellungen des Verwaltungsgerichts noch im Jahr 1994 ein hohes Gefährdungspotenzial von der Deponie aus.
b) Der nach Art. 21 Abs. 1 und 2 EV teilweise rechtswidrige Zuordnungsbescheid kann nicht in einen rechtmäßigen Restitutionsbescheid nach Art. 21 Abs. 3 EV umgedeutet werden. Zwar hatte die Klägerin ihren Antrag vom 12. Februar 1991 als Restitutionsantrag gestellt. Doch hat sie bereits dadurch von ihrem Restitutionsbegehren Abstand genommen, dass sie die Zuordnung der Grundstücke als Finanzvermögen widerspruchslos hingenommen hat. Vor allem zeigt jedoch ihr auf die Aufhebung der Zuordnung gerichtetes Begehren, dass sie an ihrem ursprünglichen Restitutionsantrag nicht mehr festhalten will. Die Restitution nach Art. 21 Abs. 3 EV bzw. Art. 22 Abs. 1 Satz 7 i.V.m. Art. 21 Abs. 3 EV setzt jedoch einen entsprechenden Antrag voraus, der – soll eine Umdeutung erfolgen – auch noch fortgelten muss (vgl. § 47 Abs. 1 VwVfG a.E.).
3. War der Zuordnungsbescheid vom 5. April 1995 mithin hinsichtlich der strittigen Teilfläche rechtswidrig, so musste ihn die Beklagte insoweit zurücknehmen. Zwar räumt ihr § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Ermessen ein; ermessensfehlerfrei ist jedoch allein die Rücknahme.
a) Das ergibt sich allerdings nicht aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen. Das Verwaltungsgericht war der Auffassung, das der Behörde zustehende Rücknahmeermessen sei schon deshalb auf Null reduziert, weil es im innerstaatlichen Bereich – anders als bei der Berührung grundrechtlich geschützter Interessen – kein Bedürfnis für die Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Vermögenszuordnung gebe. Dem kann nicht gefolgt werden.
Richtig ist allerdings, dass sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Behörde gegenüber einer anderen nicht auf Vertrauensschutz berufen kann. Das Institut des Vertrauensschutzes ist in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 242 BGB im Verwaltungsrecht entwickelt worden, um den Staatsbürger unter gewissen Voraussetzungen im Vertrauen auf Maßnahmen der Verwaltung zu schützen. Eines solchen Schutzes bedarf die Verwaltung selbst nicht (Urteile vom 8. Dezember 1965 – BVerwG 5 C 21.64 – BVerwGE 23, 25 ≪30≫ und vom 20. Juni 1967 – BVerwG 5 C 175.66 – BVerwGE 27, 215 ≪217 f.≫). Die Träger öffentlicher Verwaltung sind an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden und können sich nicht auf den Fortbestand eines rechtswidrigen Zustands berufen (vgl. Urteil vom 29. Mai 1980 – BVerwG 5 C 11.78 – BVerwGE 60, 208 ≪211≫ m.w.N.). Das gilt auch für Selbstverwaltungskörperschaften wie Gemeinden, die – ungeachtet ihrer Autonomie – dem Staat eingegliedert sind (Urteil vom 29. Mai 1980 a.a.O.).
Der Ausschluss von Vertrauensschutz im Verhältnis zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung hat zur Folge, dass die den Vertrauensschutz sichernden Absätze 2 und 3 des § 48 VwVfG für die von der Zuordnungsbehörde zu treffende Rücknahmeentscheidung nicht anwendbar sind. Das bedeutet indes nicht, dass eine rechtswidrige Zuordnungsentscheidung stets korrigiert werden muss. Das öffentliche Interesse, das in diesen Fällen den ausschließlichen Maßstab für die Rücknahmeentscheidung bildet, wird nicht nur vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, sondern ebenso vom Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bestimmt (vgl. nur Urteil vom 30. Januar 1974 – BVerwG 8 C 20.72 – BVerwGE 44, 333 ≪336≫ m.w.N.). Im Zuordnungsrecht besitzt der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit oder Beständigkeit einmal getroffener Zuordnungsentscheidungen sogar besonderes Gewicht. Das zeigt § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG. Nach dieser Vorschrift ist im Zuordnungsrecht das Verwaltungsverfahrensgesetz anzuwenden, § 51 VwVfG aber nur, wenn die in dessen Abs. 1 Nr. 1 und 2 vorausgesetzten Umstände nicht später als zwei Jahre nach Eintritt der Bestandskraft eingetreten sind. Zwar bleibt § 51 Abs. 5 VwVfG und damit die Befugnis der Zuordnungsbehörde, fehlerhafte Zuordnungsbescheidungen auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nach ihrem Ermessen zu korrigieren, unberührt. § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG liegt aber die gesetzgeberische Wertung zugrunde, dass nach Ablauf der dort bestimmten Zweijahresfrist dem öffentlichen Interesse an der Beständigkeit auch fehlerhafter Zuordnungsentscheidungen erhöhtes Gewicht zukommt. Mit der Vorschrift wollte der Gesetzgeber verhindern, dass sich Zuordnungsverfahren unendlich fortsetzen (BTDrucks 12/6228 S. 108). Diese Absicht beansprucht über den engeren Anwendungsbereich von § 51 VwVfG hinaus Geltung und führt dazu, dass auch das Rücknahmeermessen der Zuordnungsbehörde nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG im Sinne einer Ermessensdirektive eingeschränkt wird.
b) Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich im Ergebnis gleichwohl als richtig. Die beschriebene Ermessensdirektive schließt nicht aus, dass im Einzelfall öffentliche Belange von derart hohem Gewicht für die Korrektur einer fehlerhaften Zuordnung streiten, dass sie sich auch noch nach Ablauf der Zweijahresfrist durchsetzen. So liegt der Fall hier. Im vorliegenden Fall ergibt sich ein Rücknahmeanspruch der Klägerin daraus, dass das öffentliche Interesse eine rasche und effektive Beseitigung der sich aus dem Betrieb der Sondermülldeponie entstandenen Gefahren gebietet. Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage des Altlastengutachtens auch für das Jahr 1994 ein erhebliches Gefährdungspotenzial festgestellt. Das von ihm herangezogene Gutachten hat schon zum damaligen Zeitpunkt die reinen Entsorgungskosten auf rund 583 000 DM veranschlagt, hinzuzurechnen seien Beladungs- und Transportkosten in Höhe von rund 55 000 DM. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass sich diese Kosten derzeit auf mehr als das Doppelte beliefen. Mit der Sanierung der Sondermülldeponie wäre die Klägerin als kreisangehörige Gemeinde sowohl finanziell als auch fachlich überfordert. Konkrete Unterstützungszusagen seitens des Landes konnte sie, wie den Verwaltungsakten zu entnehmen ist und die mündliche Verhandlung bestätigt hat, nicht erlangen. Dagegen wäre das beigeladene Land, dem die entsprechenden Teilflächen von Gesetzes wegen zuzuordnen gewesen wären, weit eher in der Lage, die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen durchzuführen. Gerade der Aspekt der nicht hinreichenden Leistungsfähigkeit von kreisangehörigen Gemeinden für die Entsorgung von Sondermüll ist aber der maßgebliche Grund für die Zuweisung dieser Verwaltungsaufgabe an die Länder. Nach all dem besteht ein dringendes öffentliches Interesse daran, die rechtswidrige Zuordnungsentscheidung zu korrigieren und die Deponieflächen dem gesetzmäßigen Zuordnungsempfänger zuzuordnen.
4. Einer (Teil-)Rücknahme des Zuordnungsbescheides vom 5. April 1995 steht schließlich die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG nicht entgegen.
Da § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG neben den eindeutig den Vertrauensschutz sichernden Absätzen 2 und 3 ausdrücklich auch § 48 Abs. 4 VwVfG als das Rücknahmeermessen einschränkende Regelungen benennt, spricht einiges dafür, dass auch die Rücknahmefrist des § 48 Abs. 4 VwVfG dem Vertrauensschutz dient und schon deshalb im Verhältnis zwischen Trägern öffentlicher Verwaltung keine Anwendung findet (a.A. Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 48 Rn. 204). Jedenfalls war hier aber im Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten über die Änderung des Zuordnungsbescheides die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG noch nicht abgelaufen. Sie wird als Entscheidungsfrist erst in Gang gesetzt, wenn der Behörde die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind und sie auch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 – BVerwG Gr. Sen. 1 und 2.84 – BVerwGE 70, 356). Hier hatte die Beklagte aber noch im erstinstanzlichen Verfahren die Auffassung vertreten, der Zuordnungsbescheid sei rechtmäßig gewesen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Kley, van Schewick, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen
Haufe-Index 1550932 |
BVerwGE 2007, 7 |
ZfIR 2006, 656 |
DVBl. 2006, 1306 |