Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung von Lastenausgleich. Schadensausgleich. Wiedererlangung der Verfügungsbefugnis über privaten geldwerten Anspruch
Leitsatz (amtlich)
Ist Lastenausgleich für einen Wegnahmeschaden an einer Geldforderung geleistet worden, so stellt schon die Wiedererlangung der Möglichkeit, die Forderung dem Schuldner gegenüber geltend zu machen und gegebenenfalls durchzusetzen, den Schadensausgleich im Sinne des § 342 Abs. 3 LAG dar.
Leitsatz (redaktionell)
Zum Nachweis eines etwaigen Verzehrs einer Darlehensforderung durch Vermögensteuerzahlungen des Schuldners zu Gunsten des Gläubigers müsste zur Höhe und zum Zeitpunkt der Zahlungen und der entsprechenden Norm, aufgrund der die Zahlungen erfolgten, vorgetragen werden.
Normenkette
LAG § 342 Abs. 2-3, § 349; FG § 21a Abs. 1-2; EinigV Art. 3
Verfahrensgang
VG Köln (Urteil vom 27.10.2004; Aktenzeichen 8 K 5101/02) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 27. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Klägerin wehrt sich gegen die Rückforderung von Lastenausgleich, der ihr wegen Entziehung einer Darlehensforderung durch die DDR gewährt worden war.
Der Ehemann der Klägerin war bis zu seinem Tod am 8. September 1939 Mitgesellschafter der im Gebiet des heutigen Landes Sachsen-Anhalt ansässigen Firma G…. Er wurde von der Klägerin beerbt. Durch Vertrag vom 8. Januar 1940 vereinbarte diese mit dem Unternehmen, dass die Geschäftseinlage ihres Mannes als Darlehen in der Firma verbleiben solle; das Darlehen war unkündbar bis zum Eintritt eines der Söhne der Klägerin in die Firma, längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des jüngsten Sohnes, der am 21. April 1939 geboren war. Im Juli 1951 floh die Klägerin aus der DDR. Für das Jahr 1951 belief sich das Darlehen auf 55 048,62 M-Ost. Seit 1960 unterlag das Unternehmen einer staatlichen Zwangsbeteiligung. Sie wurde später im Gefolge der Wiedervereinigung wieder gelöscht. Die Erben der Firma haben diese sodann an Dritte veräußert.
Durch Bescheid vom 12. Dezember 1974 stellte das Ausgleichsamt der Stadt Köln Wegnahmeschäden der Klägerin an der Darlehensforderung in Höhe von 55 048,62 M-Ost und an einem Einfamilienhaus in Höhe von 18 850 M-Ost fest; wegen des illegalen Verlassens der DDR könne die Klägerin nicht mehr über diese Vermögenswerte verfügen. Auf Grund entsprechender Zuerkennungsbescheide wurden der Klägerin im Oktober 1974 27 060,00 DM und im Oktober 1976 weitere 18 346,80 DM ausgezahlt.
Nachdem der Klägerin das Hausgrundstück zurückübertragen worden war, forderte das Ausgleichsamt der Stadt Köln durch Bescheid vom 6. August 1996 von dem gezahlten Lastenausgleich einen Betrag von 4 895,60 DM zurück. Der Bescheid wurde bestandskräftig, der Rückforderungsbetrag von der Klägerin bezahlt.
Wegen der Rückzahlung der Darlehensforderung kam es nach der Wiedervereinigung zu Verhandlungen und Auseinandersetzungen zwischen der Klägerin und den damaligen Gesellschaftern der Firma G…. Diese zahlte der Klägerin als Ergebnis der Verhandlungen einen Teilbetrag aus. Nach Angaben der Klägerin belief sich die ausgezahlte Summe auf 15 653,77 DM.
Durch Bescheid vom 6. Dezember 2001 forderte der Beklagte einen weiteren Betrag von 27 524,31 DM an zu viel gezahltem Lastenausgleich zurück; dabei handelte es sich um die volle Darlehenssumme nach Umrechnung in DM. Dazu führte der Beklagte aus, der Wegnahmeschaden an der Darlehensforderung sei ausgeglichen. Durch die Wiedervereinigung habe die Klägerin die volle Verfügungsgewalt über die Forderung zurückerlangt. Mit der Aufhebung der Zwangsbeteiligung an dem Unternehmen habe die Darlehensschuldnerin auch das Sicherungsgut zurückerhalten, in das das Darlehen seinerzeit eingebracht worden sei.
Die Beschwerde der Klägerin wies die Bezirksregierung Münster durch Bescheid vom 4. Juni 2002 zurück.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, eine volle Wiederherstellung der Verfügungsrechte über die Darlehensforderung sei nicht möglich, da die Forderung verjährt sei. Außerdem sei für das Darlehen seit 1953 regelmäßig Vermögenssteuer erhoben worden, die die Firma G… jeweils unter Anrechnung auf die Darlehenssumme gezahlt habe. Dadurch habe sich das Darlehen auf den schließlich von der Firma G… zurückgezahlten Betrag verringert. Zum Beweis berief sich die Klägerin auf das Zeugnis des Mitgesellschafters der Firma, der die Verhandlungen über die Darlehensrückzahlung geführt hatte, sowie auf ein Sachverständigengutachten der OFD Erfurt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 27. Oktober 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, hinsichtlich der Darlehensforderung gegen die Firma G… sei der festgestellte Schaden in voller Höhe ausgeglichen, da die Klägerin nach der Wiedervereinigung die vollen Verfügungsrechte über die Darlehensforderung wieder erlangt habe. Durch ihre Flucht sei die Klägerin gehindert gewesen, ihren Darlehensanspruch durchzusetzen. Dieses Hindernis sei durch die Wiedervereinigung entfallen. Damit habe die Klägerin genau die vermögensrechtliche Position wieder erlangt, die ihr durch den Vertrag mit der Firma G… eingeräumt gewesen sei. Eine Verjährung der Darlehensforderung, die sich als Einschränkung der vollen Wiederherstellung der Verfügungsrechte darstellen könne, sei nicht eingetreten. Die Verjährung scheitere schon daran, dass eine seit dem 21. April 1964 mögliche Kündigung des Darlehens weder vorgetragen noch ersichtlich sei. Außerdem sei weder im Zeitpunkt der Wiedervereinigung noch bei Erlass des Rückforderungsbescheides die Verjährungsfrist des § 195 BGB a.F. von 30 Jahren abgelaufen gewesen.
Es lasse sich auch nicht feststellen, dass eine volle Wiederherstellung der Verfügungsrechte deshalb nicht eingetreten sei, weil die Darlehensforderung durch von der Firma G… entrichtete Steuern ganz oder teilweise aufgezehrt worden sei. Es fehle bereits ein hinreichend substanziierter Vortrag dazu, wann die Firma G… in welcher Höhe zur Entrichtung einer Steuer über das ihr gewährte Darlehen herangezogen worden sei. Selbst wenn sich aus den von der Klägerin vorgelegten Gesetzestexten eine Vermögenssteuerpflicht der Klägerin ergebe, fehle ein Sachvortrag, dass die Klägerin zur Vermögenssteuer veranlagt worden sei. Weiter könne weder dem DDR-Vermögenssteuergesetz noch dem Bewertungsgesetz der DDR entnommen werden, dass die Firma G… als Darlehensnehmerin für eine etwaige Steuerverpflichtung der Klägerin habe aufkommen müssen. Selbst wenn die Firma G… zu einer entsprechenden Steuer herangezogen worden sein sollte, sei nicht zu erkennen, auf welcher Rechtsgrundlage dies zu einer Minderung der Darlehensforderung geführt habe. Bei dieser Sachlage sei für den von der Klägerin angebotenen Zeugenbeweis kein Raum gewesen, weil keine hinreichend konkreten Beweistatsachen benannt worden seien und der Vortrag der Klägerin, als wahr unterstellt, nicht zu einer Reduzierung der Darlehensforderung führe.
Die Klägerin könne sich schließlich nicht darauf berufen, dass sie sich mit den Erben der Firma G… auf eine Teilzahlung geeinigt habe; die Vereinbarung habe nichts daran geändert, dass die Klägerin zuvor die volle Verfügungsgewalt über den Rückforderungsanspruch erlangt habe; freiwillige Vermögensdispositionen führten nicht zu einer Reduzierung oder einem Erlöschen des Rückforderungsanspruchs.
Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht, soweit die Klage in Höhe eines Betrages von 6 069,30 € (= 11 870,54 DM) abgewiesen worden ist. Dazu rügt sie die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie ist der Auffassung, die Rückforderung sei nur in Höhe des Betrages berechtigt, den sie selbst von der Firma G… zurückerhalten habe (15 653,77 DM = 8 003,62 €). Nur in dieser Höhe habe sie die volle Verfügungsgewalt über die Darlehensforderung zurückerhalten. Die restliche Darlehensforderung sei durch Zahlungen der Firma auf die Vermögenssteuerschuld der Klägerin aufgezehrt worden. Die volle Verfügungsgewalt über eine Forderung setze voraus, dass die Forderung bei Wiedererlangung der Verfügungsbefugnis noch in voller Höhe bestanden habe. In Bezug auf die Inanspruchnahme der Klägerin für die geschuldete Vermögenssteuer hätte das Verwaltungsgericht den angebotenen Zeugenbeweis erheben müssen. Der damalige Geschäftsführer der Firma G… hätte bestätigt, dass die Vermögenssteuer auf die Darlehensforderung erhoben und von der Firma G… eingezogen worden sei. Er hätte weiter bestätigt, dass die erhobene Steuer sich auf den im Antrag genannten Betrag belaufen habe. Durch das angeregte Sachverständigengutachten der OFD Erfurt hätte darüber hinaus bestätigt werden können, dass die Steuererhebung zu Lasten der Darlehensforderung der Rechtspraxis der DDR entsprochen habe.
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das Verwaltungsgericht habe zu Recht einen vollen Schadensausgleich hinsichtlich der Darlehensforderung angenommen. Eine Reduzierung der Darlehensforderung etwa durch Steuerzahlungen berühre nicht die Objektidentität der zurückerlangten Forderung, sondern nur deren Wert. Eine solche Wertminderung sei wegen der Schadensausgleichsfiktion des § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG unbeachtlich. Eine etwaige Verringerung der Darlehensforderung durch Steuern stelle ihrerseits eine Schadensausgleichsleistung dar, da sie zugleich eine Befreiung von der Steuerschuld bedeute. Die Steuern könnten allenfalls dann den Rückforderungsbetrag mindern, wenn es sich um diskriminierende Steuern handele; davon könne hier keine Rede sein. Außerdem habe das Verwaltungsgericht dem Vortrag der Klägerin zu Recht wegen mangelnder Substanziierung die Relevanz abgesprochen, weil die Klägerin die in ihre Sphäre fallenden Tatsachen zur Steuer wie die Höhe, den Zeitpunkt der Veranlagung und den Vorgang der tatsächlichen Steuerzahlung stimmig und lückenlos hätte vortragen müssen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil verletzt kein Bundesrecht. Der Rückforderungsbescheid in der Fassung der Beschwerdeentscheidung ist rechtmäßig.
1. Rechtsgrundlage der Bescheide ist § 349 des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 845) und des im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidungen geltenden 33. Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes vom 16. Dezember 1999 (BGBl I S. 2422).
Nach § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG sind “in den Fällen des § 342 Abs. 3” die zuviel gewährten Ausgleichsleistungen zurückzufordern. Ein Fall des § 342 Abs. 3 LAG liegt vor, wenn nach dem 31. Dezember 1989 ein Schaden ganz oder teilweise ausgeglichen worden ist. Von einem zumindest teilweisen Schadensausgleich geht inzwischen auch die Klägerin aus. Sie hat mit der Revision das erstinstanzliche Urteil nur insoweit angegriffen, als der zurückgeforderte Betrag die nach ihren Angaben von der Darlehensschuldnerin gezahlte Summe von 15 653,77 DM übersteigt. In Höhe des zurückgezahlten Darlehensbetrages ist der Rückforderungsbescheid mithin bestandskräftig. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Wegnahmeschaden hinsichtlich der Darlehensforderung aber darüber hinaus in vollem Umfang ausgeglichen worden, so dass auch die weitergehende Rückforderung Bestand hat.
2. Grundlage dieser Entscheidung ist die Feststellung, dass bei einem Wegnahmeschaden an einer Geldforderung schon die Wiedererlangung der Möglichkeit, die Forderung dem Schuldner gegenüber geltend zu machen und gegebenenfalls durchzusetzen, als Schadensausgleich anzusehen ist. Der Ausgleich ist nicht erst mit der erfolgreichen Durchsetzung und in deren Umfang erfolgt.
2.1 Allerdings war das Lastenausgleichsrecht jedenfalls zunächst von der gegenteiligen Annahme geprägt. § 21a Abs. 1 Satz 1 des Feststellungsgesetzes (FG) bestimmt, dass bei der Schadensberechnung der Wert von Leistungen abzuziehen ist, durch die der Schaden ganz oder teilweise ausgeglichen worden ist. Als Beispiel eines Schadensausgleichs benennt er vier Fallgruppen. Nach Nummer 3 ist dies der Fall, wenn wegen des Schadens Leistungen von Dritten als Schadensersatz auf Grund eines Vertrages oder aus anderen Rechtsgründen gewährt worden sind. Nach der Kommentierung meint dies insbesondere den Fall, dass auf Grund eines Versicherungsvertrages Leistungen zur Abdeckung des Schadens erbracht werden (vgl. Harmening, Lastenausgleich, B 2 § 21a FG Rn. 5 und 6; Kühne-Wolff, Die Gesetzgebung über den Lastenausgleich FG § 21a S. 67a). Nummer 4 benennt als Schadensausgleich, wenn wegen privatrechtlicher geldwerter Ansprüche, an denen ein Schaden entstanden war, einmalige oder laufende Leistungen des Schuldners, eines Rechtsnachfolgers oder eines Dritten oder aus öffentlichen Mitteln gewährt worden sind oder gewährt werden. Dazu sollen insbesondere Zahlungen von Bürgen gehören. Diese Regelung stellt mithin für den Ausgleich von Schäden an geldwerten Ansprüchen darauf ab, ob und in welchem Umfang tatsächlich Leistungen auf die Forderung erbracht werden. § 21a Abs. 2 FG ergänzt diese Regelung um die Bestimmung, dass Abs. 1 entsprechend gilt, soweit der Schaden durch Geltendmachung von Ansprüchen oder sonstigen Rechten ausgeglichen werden kann oder hätte ausgeglichen werden können, sofern dies möglich und zumutbar ist oder war. Die bloße Möglichkeit, tatsächlichen Schadensausgleich zu erhalten, wird hier als Schadensausgleich fingiert. Das wäre überflüssig, wenn schon die bloße Verfügbarkeit der Forderung den Schadensausgleich herbeiführen würde. Für die Feststellung von Schäden in der DDR erklärte § 20a des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes (BFG) § 21a FG für entsprechend anwendbar. § 28 des Reparationsschadengesetzes (RepG) enthält eine mit § 21a FG wörtlich übereinstimmende Regelung.
Es liegt nahe anzunehmen, dass der Gesetzgeber bei der Neuordnung der Rückforderungsregelung im Lastenausgleich im Gefolge der Wiedervereinigung zunächst ebenfalls die Linie verfolgt hat, einen Schadensausgleich bei weggenommenen geldwerten Ansprüchen an die tatsächliche Erlangung der geschuldeten Leistung zu knüpfen. Diese Neuregelung ist durch das Kontoguthabenumstellungsgesetz vom 24. Juli 1992 (BGBl I S. 1389) erfolgt, der für Fälle des Schadensausgleichs nach dem 31. Dezember 1989 das ansonsten notwendige Wiederaufnahmeverfahren in § 342 Abs. 3 LAG durch ein schlichtes Rückforderungsverfahren ersetzt und die Rückforderungsregelung des § 349 LAG eingefügt hat. § 349 Abs. 1 Satz 2 LAG bestimmt dabei, dass bei der Rückforderung zuviel gewährter Ausgleichsleistungen § 21a Abs. 2 des Feststellungsgesetzes keine Anwendung findet. Die ausdrückliche Bestimmung, dass § 21a Abs. 2 FG keine Anwendung findet, legt den Gegenschluss nahe, dass § 21a Abs. 1 FG für die Rückforderung von Lastenausgleich wegen Schadensausgleich gelten solle. In diese Richtung weist auch § 349 Abs. 2 Satz 2 LAG. Danach sind für die Bemessung des Schadens im Rahmen der Ermittlungen des Rückforderungsbetrages die Vorschriften des Feststellungsgesetzes und des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes in der am 31. Dezember 1991 geltenden Fassung anzuwenden. Bei der Neuberechnung des verbleibenden Schadens anlässlich der Wiederverlangung einzelner Vermögensgegenstände sind damit die beiden genannten Gesetze und folglich auch § 21a FG nach wie vor anwendbar.
Ausweislich des Runderlasses des Präsidenten des Bundesausgleichsamtes zur Änderung des Rückforderungsrundschreibens vom 13. Dezember 2001 haben einige Lastenausgleichsämter aus § 349 Abs. 1 Satz 2 LAG den Schluss gezogen, dass bei geldwerten Ansprüchen der Schadensausgleich erst durch die erfolgreiche Durchsetzung erfolge. Damit sollte den Schwierigkeiten der Lastenausgleichsempfänger Rechnung getragen werden, ihre häufig Jahrzehnte alten Forderungen heute noch durchzusetzen.
2.2 Das Bundesausgleichsamt ist in dem genannten Rundschreiben dieser Auslegung unter Berufung auf § 349 Abs. 3 LAG zu Recht entgegengetreten (ebenso Gallenkamp, in: Das Lastenausgleichsrecht und offene Vermögensfragen, 2. Aufl. 1995, § 349 LAG Rn. 17). Dies ist auch die Grundlage des angefochtenen Urteils. § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG bestimmt in der hier maßgeblichen Fassung, dass bei Rückgaben von Vermögenswerten, die in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet belegen sind, sowie der Wiederherstellung der vollen Verfügungsrechte über solche Vermögenswerte der festgestellte Schaden insoweit stets in voller Höhe als ausgeglichen gilt. An dieser Stelle interessiert nicht die Fiktion des vollen Schadensausgleichs, die durch die ausdrückliche Bestimmung ergänzt wird, dass Wertminderungen sowie das Fehlen von Zubehör oder Inventar nicht berücksichtigt werden. Im vorliegenden Zusammenhang ist vielmehr die Tatsache von Bedeutung, dass der Gesetzgeber überhaupt die Wiedererlangung der vollen Verfügungsrechte über den Vermögensgegenstand als das den Schadensausgleich herbeiführende Element ansieht. Entscheidend ist also die Wiedergewinnung der Rechtsmacht, über den weggenommenen Vermögensgegenstand zu verfügen. Es kann schwerlich bezweifelt werden, dass bei einem geldwerten Anspruch die Verfügungsmöglichkeit in diesem Sinne dann wieder hergestellt ist, wenn der Gläubiger die Forderung wieder geltend machen und gegebenenfalls durchsetzen kann. Rechtlich hat er damit die Position zurückerlangt, die ihm zuvor durch die Wegnahme entzogen worden war.
Es ist einzuräumen, dass diese Lösung der das Lastenausgleichsrecht ansonsten prägenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise (vgl. dazu Urteil vom 22. Oktober 1998 – BVerwG 3 C 37.97 – BVerwGE 107, 294) nicht ohne weiteres entspricht. Eine Forderung, die über Jahrzehnte nicht geltend gemacht werden konnte, ist mit beträchtlichen Durchsetzungsproblemen behaftet. Ihr wirtschaftlicher Wert ist daher regelmäßig deutlich gemindert. Das ändert aber nichts daran, dass der Gesetzgeber, beginnend mit dem 32. LAG-Änderungsgesetz vom 27. August 1995 (BGBl I S. 1090), bei der Frage des Schadensausgleichs eine formale rechtliche Betrachtungsweise vorgegeben hat, die die Wertentwicklung des entzogenen Vermögensgegenstandes weitgehend ausblendet. Verfassungsrechtlich ist dieser Paradigmenwechsel unbedenklich, weil eine übermäßige Belastung der Rückzahlungsverpflichteten durch die Kappungsregelung in § 349 Abs. 4 Satz 4 LAG ausgeschlossen ist. Danach ist der Rückforderungsbetrag zu reduzieren, wenn der Wert der Schadenausgleichsleistung nachweislich hinter dem Rückforderungsbetrag zurückbleibt. Niemand braucht also mehr zurückzuzahlen, als er wertmäßig an Schadensausgleich erhält. Auf diesen Gesichtspunkt ist in der Gesetzesbegründung ausdrücklich hingewiesen worden (vgl. BTDrucks 13/188 S. 6).
Angesichts der klaren Regelung in § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG kann die entgegengesetzte Argumentation aus § 349 Abs. 1 Satz 2 LAG nicht mehr verfangen. Die Frage, ob bei der Wiederherstellung der Verfügungsrechte über eine privatrechtliche Forderung für die Rückforderung nach § 349 LAG der nominelle Wert der Forderung oder der Wert der tatsächlich erlangten Schadensausgleichsleistung maßgeblich ist, ist im ersteren Sinne zu beantworten.
3. Die Klägerin macht geltend, bei der Wiedererlangung der Verfügungsbefugnis über die Darlehensforderung sei diese nur noch in Höhe des von der Schuldnerin später zurückgezahlten Betrages vorhanden gewesen; der Rest sei zuvor durch die Begleichung von Vermögenssteuerschulden der Klägerin seitens der Schuldnerin bereits erloschen gewesen. Der Beklagte meint unter Hinweis auf die Fiktion des vollen Schadensausgleichs in § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG, ein solcher Vortrag sei für die Beurteilung des vollen oder teilweisen Schadensausgleichs nicht relevant.
Das Verwaltungsgericht hat sich mit dieser Frage nicht ausdrücklich auseinander gesetzt. Die Tatsache, dass es sich inhaltlich auf die Argumentation der Klägerin eingelassen hat, belegt aber, dass es den entsprechenden Vortrag prinzipiell für erheblich angesehen hat. Das ist zutreffend.
Die Schadensausgleichsfiktion setzt voraus, dass der entzogene Vermögenswert zurückgegeben oder der Berechtigte die Verfügungsgewalt darüber wieder erlangt hat. Die Regelung besagt nicht, dass bei einer Rückgabe von Teilen des Vermögenswertes die vollständige Rückgabe fingiert werde. Anderenfalls würde zumindest im Beitrittsgebiet die Regelung des § 349 Abs. 2 Satz 1 LAG leerlaufen, die von der Möglichkeit eines teilweisen Schadensausgleichs ausgeht.
Das Urteil des Senats vom 17. November 2005 – BVerwG 3 C 1.05 – betreffend die Geltung der Schadensausgleichsfiktion beim Fehlen geringfügiger Teilflächen des zurückgegebenen Grundbesitzes führt zu keinem anderen Ergebnis. In diesem Fall ist der Senat von einer vollständigen Rückgabe des Vermögenswertes ausgegangen, weil die fehlende Teilfläche wegen ihrer verhältnismäßig geringen Größe für die lastenausgleichsrechtliche Schadensfeststellung irrelevant gewesen war und folglich auch bei der Rückabwicklung des Lastenausgleichsverhältnisses keine Rolle spielen konnte.
4. Das Verwaltungsgericht ist dem Vorbringen der Klägerin zu einer teilweisen Aufzehrung der Darlehensforderung durch Steuerzahlungen der Schuldnerin im Wesentlichen aus zwei Gründen nicht gefolgt. Zum einen hat es den gesamten diesbezüglichen Vortrag der Klägerin, angefangen mit der Frage ihrer Veranlagung zur Vermögenssteuer bis zum Zeitpunkt und zur Höhe etwaiger Steuerzahlungen durch die Firma G…, für unsubstanziiert erklärt. Zum anderen hat es ausgeführt, es gebe weder eine Rechtsnorm, die die Firma G… zur Zahlung von Steuern für die Klägerin verpflichtet habe, noch eine Norm, die aus einer solchen Zahlung eine Minderung der Darlehensschuld ableite. Beide Argumentationsstränge werden von der Klägerin angegriffen.
Es kann hier offen bleiben, ob die Ausführungen des Verwaltungsgerichts über die rechtliche Irrelevanz des klägerischen Vorbringens einer rechtlichen Prüfung in jeder Hinsicht standhalten. Jedenfalls geht die Rüge der Klägerin fehl, das Gericht habe im Hinblick auf die zu ihren Gunsten erfolgten Steuerzahlungen den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und damit § 86 Abs. 1 VwGO verletzt. Die Feststellung, die Darlehensforderung sei durch solche Steuerzahlungen nicht reduziert gewesen, ist daher zu Recht erfolgt.
Das Verwaltungsgericht hat ohne Rechtsverstoß darauf verzichtet, den früheren Gesellschafter der Firma G… als Zeugen zur Zahlung von Vermögenssteuern für die Klägerin zu vernehmen. Das folgt schon daraus, dass die anwaltlich vertretene Klägerin in der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Beweisantrag nicht gestellt hat (§ 86 Abs. 2 VwGO). Unter solchen Umständen kann sich die Partei anschließend grundsätzlich nicht auf eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung berufen, es sei denn, dass sich die Notwendigkeit der Beweisaufnahme aufgedrängt hätte. Davon kann jedoch angesichts der sehr komplexen Sach- und Rechtslage vorliegend nicht die Rede sein.
Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht zu Recht die Beweiserhebung wegen mangelnder Substantiierung des Vortrags abgelehnt. Dieser entbehrte jeder konkreten Angabe im Hinblick auf die angebliche Erhebung von Vermögenssteuer für die Klägerin bei der Firma G…. Es handelte sich um eine Behauptung ins Blaue hinein, die erst durch die Zeugenvernehmung mit Substanz gefüllt werden sollte. Dagegen kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, diese Vorgänge hätten sich außerhalb ihres Einfluss- und Verantwortungsbereichs abgespielt. Hätte die Klägerin entsprechend ihrer Pflicht nach § 342 Abs. 2 LAG der Ausgleichsbehörde umgehend Mitteilung von der teilweisen Befriedigung der entschädigten Forderung und von den Gründen für die angebliche Reduzierung gemacht, so hätten die Unterlagen der Firma leicht Aufklärung über die Richtigkeit der behaupteten Steuerzahlungen geben können. Erst durch das pflichtwidrige Schweigen der Klägerin ist ihr und dem Beklagten ein Zugriff auf diese Unterlagen unmöglich geworden.
5. Mit der Kappungsvorschrift des § 349 Abs. 4 Satz 4 LAG hat sich das Verwaltungsgericht nicht ausdrücklich auseinander gesetzt. Auch die Revision geht auf diese Vorschrift nicht ein. Rechtsfehler sind insoweit nicht zu erkennen. Es sind keine Umstände ersichtlich, die die Annahme rechtfertigen könnten, der objektive Wert der Darlehensforderung habe zum Zeitpunkt der zurückerlangten Verfügungsrechte durch die Klägerin wesentlich unter dem nominellen Wert gelegen, der als Schadensausgleich im Ansatz gebracht worden ist. Erst recht ist für die Anwendung der Norm kein Raum, wenn in die Betrachtung das zurückgegebene Hausgrundstück einbezogen wird, das die Klägerin für 200 000 DM weiterveräußert hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Kley, van Schewick, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen