Entscheidungsstichwort (Thema)
Sanierungsmaßnahmen nach dem Umweltschadensgesetz wegen Biodiversitätsschäden durch Offshore-Windpark
Leitsatz (amtlich)
1. Der Erfolg der Klage einer Umweltvereinigung auf Anordnung von Sanierungsmaßnahmen nach dem Umweltschadensgesetz setzt nicht voraus, dass die Vereinigung zuvor bei der zuständigen Behörde nach § 10 USchadG die Durchsetzung von Sanierungspflichten beantragt und zur Begründung des Antrags Tatsachen vorträgt, die den Eintritt eines Umweltschadens glaubhaft erscheinen lassen.
2. Der räumliche Bereich, der den natürlichen Lebensraum einer geschützten Art im Sinne des Umweltschadensrechts bildet, ist unabhängig von den Gebietsgrenzen ausgewiesener FFH- und Vogelschutzgebiete zu bestimmen.
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 11.03.2021; Aktenzeichen 21 A 49/17) |
VG Köln (Urteil vom 29.11.2016; Aktenzeichen 2 K 6873/15) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. März 2021 wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger, eine anerkannte Umweltvereinigung, begehrt vom Beklagten, gegenüber der Beigeladenen geeignete Maßnahmen zur Sanierung durch die Errichtung und den Betrieb des Offshore-Windparks "B." verursachter Umweltschäden am Lebensraum der Vogelarten Sterntaucher und Prachttaucher anzuordnen.
Rz. 2
Der mit Bescheid des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie vom 18. Dezember 2002 seeanlagenrechtlich genehmigte, 80 Windenergieanlagen umfassende Windpark "B." liegt 32,6 km westlich vor der Insel Sylt innerhalb der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone und des im April 2005 ausgewiesenen Europäischen Vogelschutzgebiets "Östliche Deutsche Bucht" sowie des im Juli 2011 ausgewiesenen Flora-Fauna-Habitat-Gebiets "Sylter Außenriff". Der Standard-Datenbogen vom 20. April 2004 weist das Vogelschutzgebiet als wichtigstes Gebiet für Sterntaucher und Prachttaucher in der deutschen Nordsee aus.
Rz. 3
Der Genehmigung vom 18. Dezember 2002 lag eine Bewertung der Auswirkungen des Windparks für die Population der Seetaucher zugrunde. Artenspezifische Scheucheffekte seien zu erwarten, etwaige auftretende Störungen oder Beeinträchtigungen seien jedoch als vergleichsweise gering und damit als hinnehmbar zu bewerten. Nach mehrfacher Verlängerung der Frist für den Beginn der Bauarbeiten bis zuletzt zum 31. Dezember 2014 erfolgte bis August 2015 die Errichtung des Windparks.
Rz. 4
Im Mai 2014 beantragte der Kläger gegenüber dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, die weitere Errichtung und den Betrieb des Windparks zu untersagen. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 1. August 2014 ab. Das Verwaltungsgericht hat die diesbezügliche Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 29. April 2021 - Az. 4 C 2.19 - das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben, soweit die Klage auf Verpflichtung zum Einschreiten auf der Grundlage des § 16 Abs. 3 Satz 1 der Seeanlagenverordnung abgewiesen worden ist, und den Rechtsstreit insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Rz. 5
Mit Schreiben vom 30. April 2014 und 8. August 2014 beantragte der Kläger gegenüber dem Bundesamt für Naturschutz, wegen Umweltschäden am Lebensraum der Vogelarten Sterntaucher und Prachttaucher die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen gegenüber der beigeladenen Vorhabenträgerin anzuordnen. Mit Bescheid vom 26. März 2015 lehnte das Bundesamt den Antrag ab. Den Widerspruch des Klägers wies es mit Bescheid vom 30. Oktober 2015 zurück. Dessen Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 29. November 2016 abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 11. März 2021 zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Beklagten in Gestalt der Anordnung von Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen lägen schon deshalb nicht vor, weil die vom Kläger zur Begründung seines Antrags vorgebrachten Tatsachen den Eintritt eines Umweltschadens nicht glaubhaft erscheinen ließen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Rz. 6
Mit Bescheid vom 9. März 2021 gewährte das Bundesamt für Naturschutz der Beigeladenen für die erfolgte Errichtung, den bisherigen und den zukünftigen Betrieb des Windparks im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung der Seevogelarten Sterntaucher und Prachttaucher sowie ihres Lebensraums befristet bis Ende 2041 Ausnahmen von naturschutzrechtlichen Verboten hinsichtlich der Beeinträchtigung des Vogelschutzgebiets "Östliche Deutsche Bucht" sowie der Störung der Arten. Mit Bescheid vom 10. März 2021 ordnete das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie zur Verminderung der schifffahrtsbedingten Störwirkungen auf die Population der Seetaucher ein Verkehrslogistikkonzept und die Weiterführung des Betriebsmonitorings an.
Rz. 7
Zur Begründung der vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 1. März 2022 - Az. 7 B 12.21 - zugelassenen Revision trägt der Kläger im Wesentlichen vor: Entscheide die Behörde - wie hier - zur Sache, schaffe sie einen vom Erfordernis der Glaubhaftmachung eines Umweltschadens im Verwaltungsverfahren entkoppelten Anknüpfungspunkt für den Erfolg einer Klage. Allen Arten von natürlichen Lebensräumen im Sinne der Umwelthaftungsrichtlinie sei gemeinsam, dass sie nach Maßgabe der Natura-2000-Richtlinien förmlich geschützt sein müssten, um Objekt eines Umweltschadens sein zu können. Errichtung und Betrieb des Windparks "B." hätten erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die geschützten Arten Sterntaucher und Prachttaucher, indem sie eine Verschlechterung des Erhaltungszustands der Population im Vogelschutzgebiet "Östliche Deutsche Bucht" verursachten.
Rz. 8
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. März 2021 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Rz. 9
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 10
Die Beigeladene beantragt,
die Revision zu verwerfen,
hilfsweise,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 11
Beklagte und Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil. Die Beigeladene hält die Revision des Klägers mangels Sachantrags für unzulässig. Auch habe er sich nicht dazu geäußert, ob er die Bescheide des Bundesamts für Naturschutz vom 9. März 2021 und des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie vom 10. März 2021 in die Revision einbeziehe. Nach Erlass dieser Bescheide fehle für die Klage das Rechtsschutzinteresse.
Rz. 12
Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht stellt keinen Antrag. Sie ist der Auffassung, der Erfolg der Klage einer Umweltvereinigung auf Anordnung von Sanierungsmaßnahmen nach dem Umweltschadensgesetz setze voraus, dass die Vereinigung zuvor bei der zuständigen Behörde zur Begründung des dort gestellten Antrags Tatsachen vortrage, die den Eintritt eines Umweltschadens glaubhaft erscheinen ließen.
Entscheidungsgründe
Rz. 13
Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verstößt gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen kann über die Klage nicht abschließend entschieden werden. Die Sache war deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Rz. 14
A. Die Revision ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen ist es unschädlich, dass der Kläger innerhalb der Revisionsbegründungsfrist keinen ausdrücklichen Sachantrag formuliert und lediglich die Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht beantragt hat. Zwar fordert § 139 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 1 VwGO im Rahmen der Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag. Dem Antragserfordernis wird aber bereits dann entsprochen, wenn das Vorbringen Umfang und Ziel der Revision erkennen lässt (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 20. März 2019 - 4 C 5.18 - NVwZ 2020 Rn. 12 m. w. N.). Vorliegend ist nicht zweifelhaft, dass der Kläger mit der Revision sein auf die Anordnung von Sanierungsmaßnahmen gerichtetes Begehren uneingeschränkt weiterverfolgt und für den Erfolg der Klage weitere tatrichterliche Feststellungen für erforderlich hält. Die Zulässigkeit der Revision ist auch nicht in Zweifel zu ziehen, weil sich der Kläger nicht zu einer Einbeziehung der Bescheide des Bundesamts für Naturschutz vom 9. März 2021 bzw. des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie vom 10. März 2021 geäußert hat. Schon eine Möglichkeit zur förmlichen Einbeziehung dieser Bescheide in das Revisionsverfahren ist nicht ersichtlich (vgl. § 141 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rz. 15
B. Die Revision ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang und stellt sich - auf der Grundlage der bislang festgestellten Tatsachen - auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.
Rz. 16
1. Die Klage ist zulässig. Der Kläger ist als anerkannter Umweltverband nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG i. V. m. § 11 Abs. 2 des Gesetzes über die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (Umweltschadensgesetz - USchadG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 5. März 2021 (BGBl. I S. 346) klagebefugt. Das Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte Anordnung von Sanierungsmaßnahmen ist durch die Bescheide vom 9. und 10. März 2021 nicht entfallen. Sanierungsmaßnahmen sehen diese nicht vor.
Rz. 17
2. Über die Begründetheit der Klage muss erneut tatrichterlich verhandelt und entschieden werden. Im Grundsatz zu Recht hält das Oberverwaltungsgericht das Umweltschadensgesetz für anwendbar (hierzu a). Der vom Oberverwaltungsgericht aus § 10 USchadG abgeleitete Maßstab für die Prüfung der Begründetheit steht jedoch mit Bundesrecht nicht in Einklang (hierzu b). Maßstab für die gerichtliche Prüfung sind allein die Bestimmungen des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (hierzu c). Zur Klärung der Begründetheit der Klage bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen (hierzu d).
Rz. 18
a) Die Regelungen des Umweltschadensgesetzes kommen vorliegend für die Anordnung von Sanierungsmaßnahmen ohne Anlagen- oder Betriebsbezug zur Anwendung. Für die Anordnung anlagen- oder betriebsbezogener Sanierungsmaßnahmen ist das Umweltschadensgesetz hier wegen der in § 1 Satz 1 USchadG angeordneten Subsidiarität nicht anwendbar.
Rz. 19
Der Kläger verfolgt mit der Revision sein Begehren weiter, die Beklagte zu verpflichten, die Beseitigung angenommener Umweltschäden für das Vogelschutzgebiet "Östliche Deutsche Bucht" und die beiden Vogelarten Sterntaucher und Prachttaucher sowie die Beseitigung der Verschlechterung des Vogelschutzgebiets durch geeignete Maßnahmen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts anzuordnen. Welche Maßnahmen konkret angeordnet und ergriffen werden sollen, lässt der Kläger offen. Nach dessen Erläuterung in der mündlichen Verhandlung kommen aus seiner Sicht im Grundsatz sowohl Maßnahmen mit Bezug auf den Bestand und den Betrieb des Windparks der Beigeladenen als auch solche ohne Anlagen- oder Betriebsbezug in Betracht.
Rz. 20
Nach § 1 Satz 1 USchadG findet das Umweltschadensgesetz (nur) Anwendung, soweit Rechtsvorschriften des Bundes oder der Länder die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden nicht näher bestimmen oder in ihren Anforderungen dem Umweltschadensgesetz nicht entsprechen. Nach § 1 Satz 2 USchadG bleiben Rechtsvorschriften mit weitergehenden Anforderungen unberührt. Mit diesen Reglungen bestimmt das Umweltschadensgesetz in Einklang mit Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 (ABl. L 143 S. 56) über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (Umwelthaftungs-Richtlinie - UHRL) einen Mindeststandard für die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden. Ob dieser Mindeststandard von einschlägigen bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften übertroffen wird, bedarf einer generalisierenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die jeweilige Sachverhaltskonstellation. Wird der Mindeststandard übertroffen, gehen die entsprechenden bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften dem Umweltschadensgesetz vor. Im Rahmen der generalisierenden Gesamtbetrachtung können sowohl die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschriften als auch die im jeweiligen Normprogramm vorgesehenen Rechtsfolgen von ausschlaggebender Bedeutung sein (BVerwG, Urteil vom 25. November 2021 - 7 C 6.20 - BVerwGE 174, 190 Rn. 16 im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 29. April 2021 - 4 C 2.19 - BVerwGE 172, 271 Rn. 50 f.).
Rz. 21
Als weitergehende Rechtsvorschriften im Sinne des § 1 Satz 2 USchadG kommen die Regelungen des § 16 Abs. 2 und 3 der Verordnung über Anlagen seewärts der Begrenzung des deutschen Küstenmeeres (Seeanlagenverordnung - SeeAnlV) vom 23. Januar 1997 (BGBl. I S. 57), zuletzt geändert durch Änderungsverordnung vom 2. Juni 2016 (BGBl. I S. 1257, 1728) in Betracht. Die Seeanlagenverordnung ist aufgrund der Übergangsbestimmungen in § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entwicklung und Förderung der Windenergie auf See (Windenergie-auf-See-Gesetz - WindSeeG) vom 13. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2258, 2310), zuletzt geändert durch Art. 14 des Gesetzes vom 22. März 2023 (BGBl. I Nr. 88), das hinsichtlich der Anlagen zur Erzeugung von Energie aus Wind an die Stelle der Seeanlagenverordnung getreten ist, für den nach den Bestimmungen der Seeanlagenverordnung errichteten und vor dem 1. Januar 2017 in Betrieb genommenen Windpark der Beigeladenen weiterhin anwendbar.
Rz. 22
Führt eine Anlage oder ihr Betrieb zu einer Gefahr für die Meeresumwelt, kann das nach § 1a SeeAnlV zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie den Betrieb nach § 16 Abs. 3 Satz 1 SeeAnlV ganz oder teilweise bis zur Herstellung des ordnungsgemäßen Zustands untersagen, soweit sich die Gefahr auf andere Weise nicht abwenden lässt oder die Einstellung des Betriebs zur Aufklärung der Ursachen der Gefahr unerlässlich ist. Kann die Gefahr nicht auf andere Weise abgewendet werden, kann es nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SeeAnlV die Beseitigung der Anlage anordnen. Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SeeAnlV kann das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie die im Einzelfall zur Durchführung der Seeanlagenverordnung erforderlichen Anordnungen treffen. Insbesondere kann es gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 SeeAnlV Gebote oder Verbote zur Durchsetzung der in § 14 SeeAnlV genannten Pflichten erlassen. § 14 Nr. 1 SeeAnlV verpflichtet die für eine Anlage verantwortlichen Personen sicherzustellen, dass von dieser während des Betriebs keine Gefahren für die Meeresumwelt ausgehen.
Rz. 23
Im Rahmen einer generalisierenden Gesamtbetrachtung ergeben sich aus den genannten Regelungen der Seeanlagenverordnung weitergehende Anforderungen im Sinne des § 1 Satz 2 USchadG als nach den Bestimmungen des Umweltschadensgesetzes, so dass in deren Anwendungsbereich letzteres nach § 1 Satz 1 USchadG zurücktritt. Der Anwendungsbereich des § 16 Abs. 2 und 3 SeeAnlV erstreckt sich auf die Anordnung von Ge- oder Verboten bis hin zur Beseitigung der Anlage. Allen als Gegenstand einer Anordnung in Betracht kommenden Maßnahmen ist gemeinsam, dass sie nach dem Tatbestand des § 16 Abs. 2 und 3 SeeAnlV auf die Abwendung von Gefahren für die Meeresumwelt durch eine den Vorschriften der Seeanlagenverordnung unterliegende Anlage bzw. deren Betrieb gerichtet sind. Soweit angeordnete anlagen- oder betriebsbezogene Maßnahmen bewirken, dass eine bestehende Beeinträchtigung der Meeresumwelt beseitigt oder jedenfalls gemindert wird, stellen die diesbezüglichen Gefahrenabwehrmaßnahmen zugleich Maßnahmen zur (Teil-)Sanierung dieser Beeinträchtigung dar. Für auf § 16 Abs. 2 und 3 SeeAnlV gestützte Anordnungen ist allein das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie zuständig (§ 1a SeeAnlV). Demgegenüber wird die Anordnung von Maßnahmen, die keinen Anlagen- oder Betriebsbezug aufweisen, von den Tatbeständen des § 16 Abs. 2 und 3 SeeAnlV nicht erfasst. Für die Anordnung derartiger Sanierungsmaßnahmen wird das Umweltschadensgesetz, das im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone durch das Bundesamt für Naturschutz vollzogen wird (§ 58 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG), mangels einer Überschneidung des tatbestandlichen Anwendungsbereichs nicht von den Regelungen der Seeanlagenverordnung verdrängt.
Rz. 24
Hinsichtlich anlagen- oder betriebsbezogener Anordnungen von auf die Sanierung von Beeinträchtigungen der Meeresumwelt gerichteten Maßnahmen überschneidet sich hingegen der tatbestandliche Anwendungsbereich des § 16 Abs. 2 und 3 SeeAnlV mit demjenigen des Umweltschadensgesetzes, das in § 7 Abs. 2 Nr. 3 die Anordnung erforderlicher Sanierungsmaßnahmen vorsieht. Insoweit sind die Regelungen des Umweltschadensgesetzes jedoch nicht anzuwenden, weil sich nach den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 und 3 SeeAnlV weitergehende Anforderungen an die Sanierung von Umweltschäden als nach dem umwelthaftungsrechtlichen Regelungsregime ergeben. Dies gilt zunächst mit Blick auf die Reichweite der sachlichen Anwendungsbereiche. Anordnungen nach § 16 Abs. 2 und 3 SeeAnlV beziehen sich auf das Schutzgut der Meeresumwelt. Dieser Begriff ist weit auszulegen und umfasst neben den grundlegenden Umweltelementen wie der Qualität des Meerwassers, der Hydrographie und den Sedimentverhältnissen insbesondere die Tier- und Pflanzenwelt des Meeres (näher hierzu BVerwG, Urteil vom 29. April 2021 - 4 C 2.19 - BVerwGE 172, 271 Rn. 27 f. m. w. N.). Demgegenüber beschränkt sich die Verantwortlichkeit nach dem Umweltschadensgesetz für berufliche Tätigkeiten, die - wie die Errichtung und der Betrieb eines Windparks - nicht in Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz aufgeführt sind, nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG i. V. m. § 19 Abs. 2 und 3 BNatSchG auf Schädigungen von bestimmten Arten und natürlichen Lebensräumen (sogenannte Biodiversitätsschäden) und damit lediglich auf einen Ausschnitt des maritimen Naturhaushalts. Darüber hinaus sind die Eingriffsvoraussetzungen nach § 16 Abs. 2 und 3 SeeAnlV mit dem Vorliegen einer Gefahr deutlich weniger streng als für die Anordnung von Sanierungsmaßnahmen nach dem Umweltschadensgesetz, die den Eintritt eines Umweltschadens voraussetzen (§ 6 Nr. 2 USchadG). Weitergehend sind die Regelungen der Seeanlagenverordnung nach ihren tatbestandlichen Voraussetzungen auch und nicht zuletzt dahingehend, als die Inanspruchnahme zur Gefahrenabwehr kein Verschulden der für die Anlage und deren Betrieb verantwortlichen Personen voraussetzt. Demgegenüber setzt die Inanspruchnahme für Schädigungen von Arten und natürlichen Lebensräumen, die durch nicht in Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz aufgeführte berufliche Tätigkeiten verursacht werden, nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln des Verantwortlichen voraus.
Rz. 25
Demgegenüber sind weitergehende Anforderungen des Umweltschadensgesetzes hier nicht ersichtlich. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Möglichkeiten zur Inanspruchnahme des Betreibers einer genehmigten Anlage nach § 16 Abs. 2 und 3 SeeAnlV wegen einer grundsätzlich abweichenden Bewertung der Legalisierungswirkung einer nach der Seeanlagenverordnung erteilten Genehmigung hinter denjenigen nach dem Umweltschadensgesetz zurückbleiben. Die Legalisierungswirkung der erteilten seeanlagenrechtlichen Genehmigung, die einer Haftung nach dem Umweltschadensgesetz grundsätzlich nicht entgegensteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 2017 - 7 C 29.15 - Buchholz 406.257 USchadG Nr. 1 Rn. 25), kann auch einem Einschreiten nach § 16 Abs. 2 und 3 SeeAnlV nicht generell entgegengehalten werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2021 - 4 C 2.19 - BVerwGE 172, 271 Rn. 33 und 51). Darüber hinaus kann es im Rahmen der Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG bei einer zuvor genehmigten Tätigkeit am haftungsbegründenden Verschulden des Verantwortlichen fehlen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 2017 - 7 C 29.15 - Buchholz 406.257 USchadG Nr. 1 Rn. 27), auf das es im Falle der Inanspruchnahme nach der Seeanlagenverordnung nicht ankommt. Weitere Einschränkungen der Haftung nach dem Umweltschadensgesetz ergeben sich aus § 19 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG (siehe hierzu unten Rn. 40) und aus § 19 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25. November 2021 - 7 C 6.20 - BVerwGE 174, 190 Rn. 30 ff.; vgl. auch EuGH, Urteil vom 9. Juli 2020 - C-297/19 [ECLI:EU:C:2020:533] - NuR 2020, 610 Rn. 36 ff.).
Rz. 26
Die Subsidiarität des Umweltschadensgesetzes nach § 1 Satz 1 USchadG für die Anordnung anlagen- oder betriebsbezogener Sanierungsmaßnahmen schließt es im Übrigen aus, dass es zur Anordnung gleichgerichteter Maßnahmen im Rahmen der Zuständigkeiten des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie nach § 1a SeeAnlV und des Bundesamts für Naturschutz nach § 58 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG und in diesem Zusammenhang zu einer nicht erforderlichen mehrfachen oder widersprüchlichen Inanspruchnahme des Verantwortlichen kommen kann. Dies wird dem rechtsstaatlichen Gebot gerecht, Kompetenzen nur einer Behörde einzuräumen und Doppelbeauftragungen zu vermeiden (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2023 - 7 CN 1.22 - juris Rn. 23 m. w. N.).
Rz. 27
b) Die Klage ist nicht bereits deshalb unbegründet, weil die vom Kläger zur Begründung seines Antrags an das Bundesamt für Naturschutz, gegenüber der Beigeladenen Sanierungsmaßnahmen anzuordnen, vorgebrachten Tatsachen nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts den Eintritt eines Umweltschadens nicht glaubhaft erscheinen lassen.
Rz. 28
Nach § 10 USchadG wird die zuständige Behörde zur Durchsetzung von Sanierungspflichten (§ 6 Nr. 2 USchadG) entweder von Amts wegen oder dann tätig, wenn ein von einem Umweltschaden Betroffener oder wahrscheinlich Betroffener oder - wie hier - eine anerkannte Umweltvereinigung dies beantragt und die zur Begründung des Antrags vorgebrachten Tatsachen den Eintritt eines Umweltschadens glaubhaft erscheinen lassen. Die Verpflichtung der zuständigen Behörde, zur Durchsetzung der Sanierungspflichten von Amts wegen tätig zu werden, ergibt sich hierbei bereits aus § 7 Abs. 1 USchadG und wird in § 10 USchadG lediglich klarstellend erwähnt (vgl. hierzu auch BT-Drs. 16/3806 S. 34, 40). Über die Pflicht der zuständigen Behörde zum Tätigwerden von Amts wegen hinaus räumt § 10 USchadG Betroffenen und anerkannten Umweltvereinigungen ein Initiativrecht zur Durchsetzung von Sanierungspflichten ein. Eine hierauf gestützte Initiative einer Umweltvereinigung verpflichtet die Behörde zum Tätigwerden, wenn die zur Begründung des Antrags vorgebrachten Tatsachen den Eintritt eines Umweltschadens glaubhaft erscheinen lassen. Die verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung des § 10 USchadG setzt Art. 12 Abs. 1 und 3 der Umwelthaftungs-Richtlinie um, der - auch ausweislich des Erwägungsgrundes 25 der Richtlinie - unter anderem Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, die Möglichkeit geben soll, angemessen zur wirksamen Umsetzung der Richtlinie beizutragen (vgl. BT-Drs. 16/3806 S. 27). § 10 USchadG dient auf dieser Grundlage der Effektivierung der Mitwirkung anerkannter Umweltvereinigungen an der Durchsetzung von Sanierungspflichten nach dem Umweltschadensgesetz und verleiht diesen hierzu eine besondere Rechtsposition in einem strukturierten Verwaltungsverfahren (vgl. Art. 12 Abs. 3 UHRL; vgl. auch § 8 Abs. 4 USchadG). § 10 USchadG trifft demgegenüber weder nach seinem Wortlaut, seiner systematischen Stellung im Umweltschadensgesetz noch nach dem dargelegten Sinn und Zweck der Regelung eine Aussage über die Zulässigkeit oder die Begründetheit der verwaltungsgerichtlichen Klage einer Umweltvereinigung, die sich vielmehr nach den Bestimmungen des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes richtet.
Rz. 29
§ 11 Abs. 2 USchadG verweist für Rechtsbehelfe von Umweltvereinigungen auf die Geltung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes. Die Regelung betrifft entgegen der von der Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht vertretenen Auffassung nicht lediglich die Klagebefugnis, sondern bestimmt sowohl ihrem Wortlaut als auch dem erklärten Willen des Gesetzgebers des Umweltschadensgesetzes nach überdies, unter welchen Voraussetzungen ein Klageverfahren begründet sein kann (BT-Drs. 16/3806, S. 28). Der Erfolg der Klage einer Umweltvereinigung auf Anordnung von Sanierungsmaßnahmen nach dem Umweltschadensgesetz setzt mithin nicht voraus, dass die Vereinigung zuvor bei der zuständigen Behörde nach § 10 USchadG die Durchsetzung von Sanierungspflichten beantragt und zur Begründung des Antrags Tatsachen vorträgt, die den Eintritt eines Umweltschadens glaubhaft erscheinen lassen.
Rz. 30
c) Maßstab für die Begründetheit der Klage ist hiernach § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwRG. Nach dieser Vorschrift sind Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz begründet, wenn die Entscheidung gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind. Für die auf dieser Grundlage erfolgende gerichtliche Prüfung, ob die zuständige Behörde nach den Regelungen des Umweltschadensgesetzes von Amts wegen verpflichtet ist, einem Verantwortlichen aufzugeben, erforderliche Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 USchadG), ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht maßgeblich. Eine Beschränkung der gerichtlichen Prüfung auf Tatsachen, die der Kläger bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens glaubhaft gemacht hat, ist gesetzlich nicht vorgesehen.
Rz. 31
d) Kommen nach tatrichterlicher Feststellung aus naturschutzfachlicher Sicht Sanierungsmaßnahmen (§ 6 Nr. 2 i. V. m. § 8 USchadG) ohne Anlagen- oder Betriebsbezug in Betracht, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG zu prüfen. Der Senat weist hierzu auf Folgendes hin:
Rz. 32
aa) Die Auslegung der Begriffe des Umweltschadens (§ 2 Nr. 1 USchadG) und der Schädigung von Arten und natürlichen Lebensräumen (§ 2 Nr. 1 Buchst. a USchadG) durch das Oberverwaltungsgericht steht entgegen der Auffassung des Klägers mit Bundesrecht in Einklang. Zu Recht geht es hierbei von einem spezifisch umwelthaftungsrechtlichen Verständnis dieser Begriffe aus. Ungeachtet der engen Bezüge, die das Umwelthaftungsrecht auf der Grundlage der Regelungen der Umwelthaftungs-Richtlinie (vgl. hierzu etwa Erwägungsgrund 3) zu den Bestimmungen der FFH- und der Vogelschutz-Richtlinie aufweist, handelt es sich um ein selbständiges Regelungsgefüge mit eigenständiger Begrifflichkeit und eigenständigem Anwendungsbereich. Die Umwelthaftungs-Richtlinie bezieht sich zwar auf Elemente der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 (ABl. L 20 S. 7) über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutz-Richtlinie - VS-RL) sowie der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 (ABl. L 206 S. 7) zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie - FFH-RL), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndRL 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl. L 158 S. 193). Sie wird aber nicht durch die Grenzen des dort verfolgten Schutzkonzepts beschränkt (vgl. Petersen, USchadG, 2013, § 2 Rn. 55).
Rz. 33
Zutreffend nimmt das Oberverwaltungsgericht an, dass der räumliche Bereich, der den natürlichen Lebensraum einer geschützten Art im Sinne des Umweltschadensrechts bildet, unabhängig von den Gebietsgrenzen ausgewiesener FFH- oder Vogelschutzgebiete zu bestimmen ist. Natürliche Lebensräume im Sinne des Umweltschadensrechts sind nach § 2 Nr. 1 Buchst. a USchadG i. V. m. § 19 Abs. 3 BNatSchG die Lebensräume der Arten, die in Art. 4 Abs. 2 oder Anhang I der Vogelschutz-Richtlinie oder in Anhang II der FFH-Richtlinie aufgeführt sind, natürliche Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse (die in Anhang I FFH-RL aufgeführten Lebensraumtypen; vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG) sowie Fortpflanzungs- und Ruhestätten der in Anhang IV der FFH-Richtlinie aufgeführten Arten. Diese Bestimmung entspricht der Begriffsbestimmung der natürlichen Lebensräume in Art. 2 Nr. 3 Buchst. b UHRL.
Rz. 34
Abgesehen davon, dass die genannten Regelungen schon ihrem Wortlaut nach nicht an förmliche Schutzgebietsausweisungen anknüpfen, entspricht ein schutzgebietsunabhängiges Verständnis natürlicher Lebensräume auch dem ausdrücklich erklärten Willen des Normgebers. So führt die Begründung des Regierungsentwurfs zur Umsetzung der Umwelthaftungs-Richtlinie aus, dass sich der Begriff des Umweltschadens in Bezug auf Habitate nicht auf die nach der FFH-Richtlinie auszuweisenden Gebiete beschränkt (BT-Drs. 16/3806, S. 30). Nicht minder deutlich tritt der Wille des Gesetzgebers in einer Erwiderung auf einen Vorschlag des Bundesrates, den räumlichen Anwendungsbereich des Umweltschadensgesetzes auf Natura-2000-Gebiete zu beschränken, hervor. In dieser Erwiderung legt die Bundesregierung dar, die Europäische Kommission habe auf entsprechende Anfrage klargestellt, dass sich der Schutz der Umwelthaftungs-Richtlinie in Bezug auf Arten und natürliche Lebensräume nicht auf Arten und natürliche Lebensräume innerhalb der nach der FFH- und der Vogelschutz-Richtlinie ausgewiesenen Gebiete beschränke (BT-Drs. 16/3806, S. 37 und 41; vgl. hierzu Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Aufl. 2018, § 19 Rn. 12 m. w. N.; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Januar 2023, BNatSchG § 19 Rn. 12 f. m. w. N.; Petersen, USchadG, 2013, § 2 Rn. 51 ff. m. w. N.). Der Regelungswille des deutschen Gesetzgebers spiegelt denjenigen des Unionsgesetzgebers wider. Neben der von der Bundesregierung zitierten Stellungnahme der Kommission zeigt dies auch die Entstehungsgeschichte der Umwelthaftungs-Richtlinie. Ein dem Vorschlag des Bundesrates entsprechender Änderungsantrag des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt zu Art. 2 Nr. 3 Buchst. b UHRL, wonach die Sanierungsverpflichtung für Lebensräume ausdrücklich auf ausgewiesene Natura-2000-Gebiete beschränkt bleiben sollte (vgl. Europäisches Parlament, Sitzungsdokument A5-0461/2003 Vorschlag 6), konnte sich nicht durchsetzen (vgl. hierzu auch Petersen, USchadG, 2013, § 2 Rn. 58).
Rz. 35
Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich aus der französischen Sprachfassung der Umwelthaftungs-Richtlinie, namentlich aus der Formulierung "espèces et habitats naturels protégés" in Art. 2 Nr. 1 Buchst. a UHRL, nichts Gegenteiliges ableiten. Auch bei einem Wortlautverständnis als "geschützte Arten und geschützte natürliche Lebensräume" ergibt sich nicht, dass "geschützte natürliche Lebensräume" in dieser Regelung mit Gebieten gleichzusetzen wären, die förmlich als Vogelschutz- oder als FFH-Gebiet ausgewiesen sind. Näher liegt es vielmehr, das Wort "geschützt" als Bezugnahme auf Art. 2 Nr. 3 UHRL zu verstehen, der ausweist, zu Gunsten welcher Arten natürliche Lebensräume nach der Umwelthaftungs-Richtlinie unter Schutz gestellt werden (vgl. auch Petersen, USchadG, 2013, § 2 Rn. 57).
Rz. 36
Auch der Verweis des Klägers auf die Erwägungsgründe 3 und 5 der Umwelthaftungs-Richtlinie ist nicht durchgreifend. Die im Erwägungsgrund 3 angesprochene Verflechtung der Umwelthaftungs-Richtlinie mit der FFH- und der Vogelschutz-Richtlinie, die nicht in Zweifel steht, besagt nichts über die im Einzelnen bestehenden rechtlichen Zusammenhänge. Das Bekenntnis zur einheitlichen Definition von Begriffen in Erwägungsgrund 5 der Richtlinie gilt nur für den Rückgriff auf Begrifflichkeiten aus anderen Rechtsvorschriften, wie er hinsichtlich des umwelthaftungsrechtlichen Begriffs der natürlichen Lebensräume gerade nicht stattfindet. Nicht weiter führen schließlich die Bezugnahmen des Klägers auf Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH München, Urteil vom 28. Oktober 2022 - 8 BV 20.1918 - DVBl. 2023, 674 Rn. 46 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 25. November 2021 - 7 C 6.20 - BVerwGE 174, 190 Rn. 26). Diese Urteile setzen sich nicht mit den Voraussetzungen des Eintritts eines Umweltschadens oder dem Begriff der natürlichen Lebensräume auseinander.
Rz. 37
Soweit sich die Bestimmung des natürlichen Lebensraums der Arten Sterntaucher und Prachttaucher, als dessen kleinsten räumlichen Bereich das Oberverwaltungsgericht die deutsche Nordsee benennt, als entscheidungserheblich erweisen sollte, wird die auf naturschutzfachlicher Grundlage zu ermittelnde Fläche in einer Weise einzugrenzen sein, welche in rechtlicher Hinsicht dem unionsrechtlichen Grundsatz des "effet utile" nicht zuwiderläuft.
Rz. 38
Ob nachteilige Auswirkungen auf Lebensräume oder Arten erheblich im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sind, wird gegebenenfalls mit Bezug auf den Ausgangszustand unter Berücksichtigung der Kriterien des Anhangs I der Umwelthaftungs-Richtlinie einzelfallbezogen zu ermitteln sein (§ 19 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG). Die in Anhang I der Umwelthaftungs-Richtlinie genannten naturschutzfachlichen Kriterien sind hierbei nicht abschließend ("u. a."). Ergänzend kann auf der Grundlage naturschutzfachlicher Einschätzung auf Kriterien zurückgegriffen werden, die im Rahmen der Umsetzung der FFH- und der Vogelschutz-Richtlinie für maßgeblich erachtet werden (vgl. BT-Drs. 16/3806, S. 31). Die Schädigung von Arten innerhalb eines ausgewiesenen Schutzgebietes stellt zwar ein - gegebenenfalls gewichtiges - Indiz für die Feststellung der Erheblichkeit von Auswirkungen und damit für die Bejahung eines Umweltschadens dar. Dies schließt jedoch eine abweichende Beurteilung im Einzelfall - namentlich etwa mit Blick auf (hoch-)mobile Arten - nicht aus (vgl. hierzu auch Gellermann, NVwZ 2008, 828 ≪832 f.≫).
Rz. 39
Den Anregungen des Klägers zu Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV zum Begriff der natürlichen Lebensräume nach der Umwelthaftungs-Richtlinie und zum Verhältnis dieser Richtlinie zur Vogelschutz- und zur FFH-Richtlinie kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die Entscheidungserheblichkeit dieser Fragestellungen im derzeitigen Verfahrensstadium offen ist.
Rz. 40
bb) Eine sogenannte Enthaftung nach § 19 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG kommt vorliegend nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist eine Schädigung von Arten und natürlichen Lebensräumen im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG zu verneinen, wenn die nachteiligen Auswirkungen von Tätigkeiten zuvor von der zuständigen Behörde nach den §§ 34, 35, 45 Abs. 7 oder § 67 Abs. 2 BNatSchG genehmigt wurden oder zulässig sind. Diesen tatbestandlichen Anforderungen wird weder die erteilte seeanlagenrechtliche Genehmigung vom 18. Dezember 2002 noch die mit Bescheid des Bundesamts für Naturschutz vom 9. März 2021 erfolgte Erteilung gebiets- und artenschutzrechtlicher Ausnahmen gerecht.
Rz. 41
Der seeanlagenrechtlichen Genehmigung vom 18. Dezember 2002 liegt die Annahme zugrunde, dass der Windpark der Beigeladenen mit keinen erheblichen Auswirkungen verbunden sei und vorhandene Auswirkungen durch Schutzanordnungen ganz vermieden oder in einer Weise gemindert würden, dass sie hinnehmbar seien. Eine Gefährdung der Meeresumwelt sei mit ausreichender Sicherheit ausgeschlossen. Eine naturschutzrechtliche Ausnahme oder Befreiung nach den §§ 34, 35, 45 Abs. 7, § 67 Abs. 2 BNatSchG wurde auf dieser Grundlage nicht erteilt. Auch auf sonstige Weise dispensiert die Genehmigung vom 18. Dezember 2002 nicht von naturschutzrechtlichen Maßgaben. Von einer Ermittlung als nachteilig bewerteter Auswirkungen, die sehenden Auges zugelassen worden wären, kann deshalb nicht die Rede sein. Auswirkungen, die im Genehmigungsverfahren nicht erkannt, vorhergesehen oder in ihrer Tragweite unterschätzt worden sind, unterfallen § 19 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG nicht (vgl. auch BayVGH, Urteil vom 28. Oktober 2022 - 8 BV 20.1918 - DVBl. 2023, 674 Rn. 51; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Januar 2023, BNatSchG § 19 Rn. 26 m. w. N.; Schrader, in: BeckOK Umweltrecht, Stand Januar 2023, BNatSchG § 19 Rn. 33 ff. m. w. N; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Aufl. 2018, § 19 Rn. 12 und 29 ff. m. w. N.).
Rz. 42
Auch die mit Bescheid vom 9. März 2021 gewährten gebiets- und artenschutzrechtlichen Ausnahmen führen zu keiner Enthaftung im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG. Dies gilt schon deshalb, weil nach dieser Vorschrift, die den insoweit gleichlautenden Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Unterabs. 2 UHRL in innerstaatliches Recht umsetzt, die nachteiligen Auswirkungen "zuvor" und damit vor ihrem Eintritt ermittelt worden sein müssen. Einer nachträglichen Prüfung und Zulassung kommt deshalb keine haftungsfreistellende Wirkung zu (vgl. auch BayVGH, Urteil vom 28. Oktober 2022 - 8 BV 20.1918 - DVBl. 2023 674 Rn. 37 und 52). Das Vorhaben muss in Kenntnis der nachteiligen Auswirkungen zugelassen worden sein (vgl. auch Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Aufl. 2018, § 19 Rn. 29 m. w. N.; Gärditz/Kahl, in: Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 12. Aufl. 2021, § 4 Rn. 169).
Rz. 43
cc) Eine Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG setzt - wie dargelegt - vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln des Verantwortlichen voraus. Ob ein derartiges schuldhaftes Handeln der Beigeladenen anzunehmen ist, bedarf tatrichterlicher Klärung.
Rz. 44
Vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG bestimmt sich nach zivilrechtlichen Maßstäben. Vorsatz des Verantwortlichen ist dann zu bejahen, wenn dieser erhebliche nachteilige Auswirkungen seines Verhaltens auf die Erreichung oder Beibehaltung des günstigen Erhaltungszustands geschützter Lebensräume oder Arten oder die unmittelbare Gefahr solcher erheblichen nachteiligen Auswirkungen vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen hat. Fahrlässig handelt der Verantwortliche, wenn er erhebliche nachteilige Auswirkungen seines Verhaltens auf die Erreichung oder Beibehaltung des günstigen Erhaltungszustands geschützter Lebensräume oder Arten oder unmittelbare Gefahren solcher erheblichen nachteiligen Auswirkungen unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vorhersehen und vermeiden konnte (BVerwG, Urteil vom 21. September 2017 - 7 C 29.15 - Buchholz 406.257 USchadG Nr. 1 Rn. 18 ff.).
Rz. 45
Darauf, ob das zum Erfolgseintritt führende Verhalten eines Verantwortlichen rechtmäßig ist, kommt es nicht an. Auch - wie hier - genehmigte oder gesetzeskonforme Tätigkeiten sind grundsätzlich der verschuldensabhängigen Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG unterworfen (näher hierzu BVerwG, Urteil vom 21. September 2017 - 7 C 29.15 - Buchholz 406.257 USchadG Nr. 1 Rn. 25). Die Rechtmäßigkeit eines Verhaltens und die Reichweite der Legalisierungswirkung einer Genehmigung für eine schadensverursachende berufliche Tätigkeit sind dessen ungeachtet bei der Frage nach der Haftung des Verantwortlichen von maßgeblicher Bedeutung. So wird ein Verantwortlicher, der schutzwürdig auf eine Genehmigung vertraut, bei einem von der Legalisierungswirkung der Genehmigung umfassten Verhalten regelmäßig nicht fahrlässig handeln. Eine Haftung für vermutetes Verschulden kommt ohne einen diesbezüglichen normativen Anhaltspunkt, der für die Verantwortlichkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG nicht ersichtlich ist, hierbei nicht in Betracht. Die Beurteilung eines Verhaltens als vorsätzlich oder fahrlässig ist Sache der tatrichterlichen Würdigung (BVerwG, Urteil vom 21. September 2017 - 7 C 29.15 - Buchholz 406.257 USchadG Nr. 1 Rn. 27 ff.).
Rz. 46
Bei dieser tatrichterlichen Würdigung werden neben der Genehmigung vom 18. Dezember 2002 und der Reichweite deren Legalisierungswirkung (hierzu BVerwG, Urteil vom 29. April 2021 - 4 C 2.19 - BVerwGE 172, 271 Rn. 33) insbesondere auch der Bescheid des Bundesamts für Naturschutz vom 9. März 2021 sowie der Bescheid des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie vom 10. März 2021 zu berücksichtigen sein. Ausweislich dieser Bescheide sind auf der Grundlage des Sach- und Rechtsstandes vom März 2021 zwei Fachbehörden übereinstimmend zu der Auffassung gelangt, dass unter Beachtung der jeweils erlassenen Nebenbestimmungen der Windpark der Beigeladenen weiterhin in rechtmäßiger Weise betrieben werden kann.
Rz. 47
3. Wegen der Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung kann die Rüge des Klägers, das Berufungsurteil sei verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, dahinstehen.
Fundstellen
BVerwGE 2024, 265 |
NVwZ 2023, 8 |
NVwZ 2024, 1432 |
DÖV 2023, 974 |
JZ 2023, 476 |
LKV 2023, 4 |
NuR 2023, 699 |
NuR 2023, 7 |
VR 2023, 395 |
NordÖR 2023, 308 |
UPR 2023, 256 |
UPR 2023, 386 |
ZNER 2023, 314 |
UWP 2023, 97 |