Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe: Übernahme von Unterkunftskosten. Unterkunftskosten im Rahmen der Sozialhilfe, Übernahme bei Umzug in eine unangemessen teure Unterkunft. Unterkunftskostenzuschuss, kein Anspruch auf –. Regelsatzverordnung-Änderung F. 1996, Geltung der Änderung nur für nach ihrem In-Kraft-Treten eingegangene Mietverhältnisse
Normenkette
BSHG §§ 11-12; Regelsatzverordnung (F. 1962) § 3 Abs. 1; Regelsatzverordnung (F. 1996) § 3 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
VG Hannover (Urteil vom 28.09.2001; Aktenzeichen 7 A 4962/00) |
Tenor
Das Revisionsverfahren wird eingestellt, soweit es die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 28. September 2001 betrifft.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 28. September 2001 insoweit aufgehoben, als es den Beklagten verpflichtet hat, in der Zeit vom 1. April 2000 bis zum 31. August 2000 Unterkunftskosten in Höhe von 615 DM in die Bedarfsberechnung der Kläger einzustellen und entsprechend für diese Zeit Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren, und den Bescheid der Stadt B. S. vom 16. März 2000 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 5. September 2000 aufgehoben hat, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen.
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 1 zu 3/4, die übrigen Erben des ursprünglichen Klägers zu 2 zu je 1/8. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Die Klägerin zu 1 und die übrigen Erben des ursprünglichen Klägers zu 2, des verstorbenen Ehemannes der Klägerin zu 1, begehren die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung der Unterkunftskosten in Höhe von 808,20 DM zuzüglich Heizkosten für die Zeit vom 1. April 2000 bis zum 31. August 2000.
Das ursprünglich klagende Ehepaar erhielt von April 1991 bis zu seinem Umzug in das Gebiet eines anderen Sozialhilfeträgers Ende August 2000 von dem beklagten Landkreis laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Zum 1. Mai 1991 mietete es in der Stadt B. S. eine rund 130 m² große 5-Zimmer-Wohnung zu einem Kaltmietzins von 808,20 DM einschließlich Nebenkosten (daneben 125 DM Heizkostenvorschuss) an. Mit Schreiben vom 21. September 1999 forderte die Stadt B. S. unter Hinweis auf aktuelle Rechtsprechung das Ehepaar auf, sich innerhalb eines Zeitraumes von 6 Monaten darum zu bemühen, angemessenen Wohnraum anzumieten, und kündigte nach fruchtlosem Fristablauf eine gänzliche Versagung der Unterkunftskosten an. Dabei ging sie von einer angemessenen Wohnfläche bis zu 60 m² und einer angemessenen Kaltmiete einschließlich Nebenkosten von 615 DM aus. Ein entsprechendes Kostensenkungsverlangen hatte die Stadt B. S. an das Ehepaar bereits erfolglos im Januar 1996 gestellt. Nachdem das Ehepaar auch auf das erneute Kostensenkungsverlangen nicht reagiert hatte, versagte die Stadt B. S. mit Bescheid vom 16. März 2000 namens und im Auftrag des beklagten Landkreises laufende Leistungen für die Unterkunftskosten überhaupt ab 1. April 2000.
Der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht in Höhe des Teils der für angemessen gehaltenen Unterkunftskosten (615 DM monatlich) stattgegeben und im Übrigen, soweit die Übernahme des vollen Mietbetrages begehrt wurde, die Klage abgewiesen. Das Urteil ist im Wesentlichen wie folgt begründet:
Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer begründe § 3 Abs. 1 Satz 2 RegelsatzVO jedenfalls einen Anspruch des Hilfesuchenden auf Übernahme zumindest des sozialhilferechtlich angemessenen Teils der Unterkunftskosten, so dass es auf die Frage, ob ein Wohnungswechsel nach oder vor In-Kraft-Treten der Neufassung des § 3 RegelsatzVO erfolgt sei, gar nicht ankomme. Die vom Bundesverwaltungsgericht gefundene Auslegung des § 3 Abs. 1 RegelsatzVO teile die Kammer nicht. Sie lasse den Willen des Gesetz- und Verordnungsgebers außer Acht, der gerade im Hinblick auf die „Alles- oder Nichts”-Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts den § 3 RegelsatzVO geändert habe. Mehr als eine Berücksichtigung der angemessenen Miete könnten die Kläger jedoch nicht verlangen. Die Kläger hätten hinreichend Zeit gehabt, ihre Mietkosten zu senken.
Gegen dieses Urteil haben sowohl der Beklagte als auch das klagende Ehepaar die vom Verwaltungsgericht wegen Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Oktober 1998 – BVerwG 5 C 15.97 – zugelassene Sprungrevision eingelegt.
Unter dem 5. März 2002 teilte der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit, dass der ursprüngliche Kläger zu 2 bereits am 26. Mai 2001 verstorben sei, und bat, das Rubrum des Prozesses entsprechend zu berichtigen. Mit Schriftsatz vom 21. Mai 2002 gab er an, dass der verstorbene Kläger zu 2 gesetzlich beerbt worden sei von seiner Ehefrau, der Klägerin zu 1, zur Hälfte und seinen Kindern G. S. und I. S. zu je einem Viertel. Der Anteil des verstorbenen Klägers zu 2 an dem streitbefangenen Sozialhilfeanspruch sei vererblich, weil die Unterkunftskosten seinerzeit von den ursprünglichen Klägern aus Darlehensmitteln bezahlt worden seien. Deswegen möchten die Erben nach dem verstorbenen Kläger zu 2 grundsätzlich in den Rechtsstreit eintreten.
In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat haben die Kläger ihre Revision mit Einwilligung des Beklagten zurückgenommen.
Der Beklagte erstrebt mit seiner Revision die Abweisung der Klage in vollem Umfange. Er rügt unter Hinweis auf die Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Verletzung des materiellen Rechts.
Die Kläger verteidigen insoweit das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
1. Durch den Tod des ursprünglichen Klägers zu 2 ist eine Unterbrechung des Verfahrens nicht eingetreten, weil dieser gemäß § 67 Abs. 1 VwGO durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war (§ 173 VwGO i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO). Dessen Prozessvollmacht ist durch den Tod des Klägers zu 2 nicht erloschen (§ 173 VwGO i.V.m. § 86 ZPO), sondern wirkt für die Erben fort. Dass der Tod des Klägers zu 2 bereits vor Ergehen des verwaltungsgerichtlichen Urteils eingetreten ist, macht weder das Urteil noch die Revisionseinlegung unwirksam. Auch wenn der Tod zunächst unbekannt bleibt, treten die Rechtsnachfolger einfach an die Stelle des Verstorbenen; das Urteil wirkt für und gegen die Erben (§§ 1922, 1967 BGB, § 121 VwGO, § 325 Abs. 1 ZPO sowie RGZ 124, 146 ≪150≫; BGHZ 121, 263 ≪265≫). Die Angabe des Namens des Verstorbenen im Rubrum des Urteils ist eine offenbare Unrichtigkeit, die von Amts wegen zu berichtigen ist (§ 118 Abs. 1 VwGO). Ebenso gilt die namens des Verstorbenen eingelegte Revision als im Namen der Erben erhoben (vgl. BGHZ 121, 263 ≪265≫); die Angabe des Namens des Verstorbenen in der Rechtsmittelschrift ist als unschädliche Fehlbezeichnung, als „falsa demonstratio” (RGZ 68, 390 ≪391≫; BGH, Urteil vom 5. Februar 1958 – IV ZR 204/57 – ≪LM § 325 ZPO Nr. 10≫) zu behandeln, die jederzeit korrigiert werden kann.
Die Kläger haben jedoch ihre Revision in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat mit Einwilligung des Beklagten zurückgenommen. Das Revisionsverfahren ist deshalb insoweit gemäß § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Dies kann, da noch über die Revision des Beklagten zu entscheiden ist, im das Revisionsverfahren insgesamt abschließenden Urteil geschehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1993 – BVerwG 11 C 17.92 – ≪Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 101 S. 51≫).
2. Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, der Beklagte sei verpflichtet, im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Kläger von den unangemessen hohen Unterkunftskosten einen als angemessen angesehenen Teilbetrag von monatlich 615 DM zuzüglich Heizkosten als Bedarf zu berücksichtigen, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Ob die Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung des als angemessen anzusehenden Teils ihrer Unterkunftsaufwendungen haben, beurteilt sich nach §§ 11, 12 BSHG und § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 RegelsatzVO in deren insoweit unveränderten Fassung vom 20. Juli 1962 (BGBl I S. 515). Auf § 3 Abs. 1 Satz 3 RegelsatzVO, angefügt durch Art. 11 des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl I S. 1088), in Kraft getreten am 1. August 1996 (Art. 17 des Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts), können sich die Kläger nicht berufen. Denn sie haben die streitgegenständliche Wohnung bereits zum Mai 1991, also lange Zeit vor dem In-Kraft-Treten des § 3 Abs. 1 Satz 3 RegelsatzVO angemietet. Auf derartige Altmietverträge ist § 3 Abs. 1 Satz 3 RegelsatzVO nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte nicht anwendbar (BVerwG, Urteile vom 1. Oktober 1998 – BVerwG 5 C 15.97 – ≪Buchholz 436.0 § 12 BSHG Nr. 43 = NJW 1999, 1127 = FEVS 49, 150 = DVBl 1999, 454 = ZfSH/SGB 1999, 489≫ und vom 11. September 2000 – BVerwG 5 C 9.00 – ≪NJW 2001, 386 = FEVS 52, 211 = ZfSH/SGB 2001, 287≫). Entgegen der vom Verwaltungsgericht vertretenen Rechtsauffassung hat § 3 Abs. 1 Satz 3 RegelsatzVO auch nicht die Bedeutung einer „Klarstellung”, dass bereits § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 RegelsatzVO F. 1962 bei Anmietung einer sozialhilferechtlich unangemessenen Unterkunft den Sozialhilfeträger zur Übernahme jedenfalls der angemessenen Aufwendungen verpflichtet habe. § 3 Abs. 1 Satz 3 RegelsatzVO soll ausweislich der Gesetzesbegründung der Bundesregierung (vgl. BTDrucks 13/2440 vom 27. September 1995, S. 33) einem Bedürfnis der Praxis Rechnung tragen, das Verhalten der Beteiligten bei einem Umzug des Hilfeempfängers zu regeln; eine die vom Gesetzgeber vorgefundene Rechtslage erhellende Interpretation der bis dahin maßgeblichen Bestimmungen ist damit ersichtlich nicht verbunden (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Oktober 1997 – BVerwG 5 C 22.97 – ≪Urteilsabdruck S. 5≫; vom 1. Oktober 1998 – BVerwG 5 C 15.97 – und vom 11. September 2000 – BVerwG 5 C 9.00 – ≪jeweils a.a.O.≫).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 RegelsatzVO keine Rechtsgrundlage für die Gewährung eines bloßen Unterkunftskostenzuschusses. Nach dem sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz darf kein ungedeckter Bedarfsrest hinsichtlich der Unterkunftskosten übrig bleiben (BVerwGE 92, 1 ≪5≫; 101, 194 ≪197≫; BVerwG, Urteile vom 29. Oktober 1997 – BVerwG 5 C 22.97 – ≪Urteilsabdruck S. 4≫, vom 1. Oktober 1998 – BVerwG 5 C 15.97 – und vom 11. September 2000 – BVerwG 5 C 9.00 – ≪jeweils a.a.O.≫). Andererseits ist dem Hilfesuchenden nur das zu gewähren, was er aus sozialhilferechtlicher Sicht benötigt (vgl. BVerwGE 72, 88 ≪89≫; 75, 168 ≪170≫; 97, 110 ≪112≫; 101, 194 ≪196≫). Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist der Sozialhilfeträger daher berechtigt, einen Hilfesuchenden, der die Übernahme unangemessen hoher Unterkunftskosten aus einem Altmietvertrag begehrt, auf den Bezug einer geeigneten kostenangemessenen Unterkunft zu verweisen. Die darin liegende Beschränkung des Hilfeanspruchs ist im sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz angelegt, sie läuft ihm nicht zuwider (BVerwGE 101, 194 ≪197≫).
Die Klage war deshalb unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidung in vollem Umfang abzuweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Fundstellen
Haufe-Index 838451 |
FEVS 2003, 196 |
GV/RP 2003, 280 |
FuBW 2003, 284 |
FuHe 2003, 248 |
FuNds 2003, 346 |