Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 24.01.2006; Aktenzeichen 13 A 407/02) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I
Die Klägerin erbringt Postdienstleistungen. Nach derzeitiger Rechtslage (§ 51 Satz 1 Postgesetz – PostG – vom 22. Dezember 1997, BGBl I S. 3294, in der Fassung des Gesetzes vom 16. August 2002, BGBl I S. 3218) steht ihr bis zum 31. Dezember 2007 das ausschließliche Recht zu, Briefsendungen und adressierte Kataloge innerhalb bestimmter Gewichts- und Preisgrenzen gewerbsmäßig zu befördern.
Die Beigeladene befördert ebenfalls Postgut. Am 17. August 1999 erteilte die damalige Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (jetzt: Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen) der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen eine Lizenz zur gewerbsmäßigen Beförderung von Briefsendungen. Gegenstand dieser Lizenz sind u.a. Dienstleistungen, die von Universaldienstleistungen trennbar sind, besondere Leistungsmerkmale aufweisen und qualitativ höherwertig sind. Unter der Überschrift “Hinweise” heißt es dazu in der Lizenzurkunde:
“Die im Antragsverfahren spezifizierte Dienstleistung nach § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG umfasst folgende Merkmale:
(1) Werktägliche Abholung von Briefsendungen bei den Auftraggebern bis 12.00 Uhr,
(2) garantierte Zustellung dieser Sendungen am Tag der Abholung,
(3) garantierte Zustellung von Sendungen zu einem vom Auftraggeber im Einzelfall festgelegten Termin, nicht jedoch an dem auf die Abholung folgenden Werktag,
(4) Umleitbarkeit bzw. Rückholbarkeit der Sendungen zwischen Abholung und Zustellung,
(5) Nichtberechnung des Sendungsentgelts bei Verfehlen des Zustellzeitziels,
(6) nachträgliche Abrechnung der tatsächlich erbrachten Dienstleistungen,
(7) – (11) …
Die o.a. Dienstleistung erfüllt – solange und soweit sie zumindest die Merkmale (1) bis (6) umfasst (…) – die Tatbestandsmerkmale des § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 PostG. Sie berührt damit nicht die befristete gesetzliche Exklusivlizenz der Deutschen Post AG nach § 51 PostG.”
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen diesen Lizenzbescheid abgewiesen. Nachdem die Klägerin Berufung eingelegt hatte, teilte die Beklagte der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen durch Bescheid vom 17. März 2003 mit, dass die lizenzierte Dienstleistung u.a. auch mit folgenden Merkmalen die gesetzlichen Voraussetzungen erfülle und die Exklusivlizenz der Klägerin nicht berühre:
Werktägliche Abholung von Briefsendungen bei den Auftraggebern nach 17.00 Uhr, Zustellung dieser Sendungen bis spätestens 12.00 Uhr des folgenden Werktags.
Die Klägerin hat die durch die vorgenannten Merkmale gekennzeichnete Zustellungsart (sogenannte Übernacht-Zustellung) – nach Zurückweisung des gegen den Änderungsbescheid eingelegten Widerspruchs – in die Klage einbezogen und diese darauf beschränkt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage auch insoweit abgewiesen, da die angefochtene Lizenz in Bezug auf die Übernacht-Zustellung keine Rechte der Klägerin verletze. Insoweit handele es sich um eine nicht der Exklusivlizenz der Klägerin unterfallende Dienstleistung im Sinne von § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG, die von Universaldienstleistungen trennbar sei, besondere Leistungsmerkmale aufweise und qualitativ höherwertig sei. Die mit der Übernacht-Zustellung verbundene Verlässlichkeit in Bezug auf eine kurzfristige Zustellung auch solcher Briefsendungen, die erst gegen Ende eines Arbeits- oder Geschäftstages fertiggestellt würden, gewährleiste der Universaldienst nicht. Der Umstand, dass sich die Beigeladene nur regional betätige, stelle die Höherwertigkeit ihres Produktes für die Nutzer nicht in Frage. Das Gesetz stelle über die ausdrücklich geregelten Genehmigungsvoraussetzungen hinaus keine ungeschriebenen Anforderungen an diejenigen Dienstleistungen, die es von der Exklusivlizenz ausnehme. Dies gelte insbesondere für eine mögliche Gefährdung des wirtschaftlichen Gleichgewichts des Universaldienstes. Solche Gefahren seien aber im Übrigen auch tatsächlich nicht zu besorgen.
Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Aufhebung der Lizenz für die Übernacht-Zustellung weiter. Sie macht im Wesentlichen geltend, diese Dienstleistung sei nicht von Universaldienstleistungen trennbar, sondern mit ihnen austauschbar. Übereinstimmend mit dem Wettbewerbsrecht müsse § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG als Marktabgrenzungsvorschrift verstanden werden. Nur soweit die betreffenden Dienstleistungen eigenständige Kundenbedürfnisse befriedigten, gehörten sie getrennten Märkten an, ließen den Universaldienst unberührt und seien schon während der Dauer der Exklusivlizenz genehmigungsfähig. Dagegen seien Dienstleistungen, die für die Postkunden dieselbe Funktion erfüllten wie die reservierten Dienstleistungen, vom Wettbewerb ausgeschlossen. Dabei sei die Grenze zwischen dem Vorbehalts- und dem Wettbewerbsbereich nach dem Kriterium der Preisbereitschaft zu ziehen: Nur wenn der Kunde bereit sei, für ein anderes Produkt einen höheren Preis zu zahlen, sei nicht der Preis, sondern die Qualität des Produkts für seine Wahl entscheidend. Nach diesem Maßstab sei die Übernacht-Zustellung nicht von Universaldienstleistungen trennbar, denn beide deckten gleichermaßen den allgemeinen Bedarf an Standard-Briefdienstleistungen. Die Nachfrage werde nicht von besonderen Leistungsmerkmalen der lizenzierten Dienstleistung bestimmt, die allenfalls schmückendes Beiwerk seien und keine qualitative Höherwertigkeit begründeten, sondern allein von dem Preis. Lizenzen für eine Übernacht-Zustellung gefährdeten zudem das wirtschaftliche Gleichgewicht des Universaldienstes.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2006 aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen wurde, und den Bescheid der Beklagten vom 17. August 1999 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17. März 2003 und des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2003 aufzuheben, soweit der Beigeladenen die nachstehend beschriebene Dienstleistung erlaubt worden ist: werktägliche Abholung von Briefsendungen bei den Auftraggebern nach 17.00 Uhr, Zustellung dieser Sendungen bis spätestens 12.00 Uhr des folgenden Werktages.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einer Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO).
1. Die Klage auf Aufhebung des Lizenzbescheides hinsichtlich der Übernacht-Zustellung ist zulässig. Die Klägerin ist im Sinne vom § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Sie ist zwar nicht Adressatin des von ihr angefochtenen Verwaltungsakts, kann sich aber auf eine öffentlich-rechtliche Norm stützen, die nach dem in ihr enthaltenen Entscheidungsprogramm auch sie als Dritte schützt. Die ihr in § 51 Satz 1 PostG gewährte Exklusivlizenz, deren Verletzung durch die hier angefochtene Lizenz der Beigeladenen jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, begünstigt ausdrücklich und in individualisierter Weise das Unternehmen der Klägerin und dient damit zumindest auch deren Interesse an Konkurrenzabwehr innerhalb des (noch) monopolisierten Bereichs.
2. Die Klage ist aber nicht begründet. Die angefochtene Lizenz verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
a) Einem etwaigen Verstoß gegen Anhörungs- oder Beteiligungsrechte der Klägerin im Verwaltungsverfahren ist schon deshalb nicht nachzugehen, weil sich derartige Verfahrensfehler, sollten sie tatsächlich unterlaufen sein, auf die Erteilung der Lizenz als eines gebundenen Verwaltungsakts (§ 6 Abs. 1 Satz 3 PostG) nicht ausgewirkt haben können und daher nach § 46 VwVfG unbeachtlich sind.
b) Die Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit der angegriffenen Lizenz (§ 37 Abs. 1 VwVfG) sind, soweit sie überhaupt dem Schutz der Klägerin dienen, im vorliegenden Fall (noch) erfüllt. Nach ständiger Rechtsprechung richtet sich die Auslegung eines Verwaltungsakts entsprechend den zu §§ 133, 157 BGB entwickelten Regeln nicht nach den subjektiven Vorstellungen der erlassenden Behörde oder des Adressaten, sondern nach dem erklärten Willen, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (Urteil vom 21. Juni 2006 – BVerwG 6 C 19.06 – BVerwGE 126, 149 ≪Rn. 52≫ = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 264).
Der Lizenzbescheid vom 17. August 1999 beschreibt seinen sachlichen Geltungsbereich in Nr. 1.1 Buchst. c dahin, dass er der Lizenznehmerin erlaubt, “dem Ergebnis des Antragsverfahrens entsprechende Dienstleistungen”, die von Universaldienstleistungen trennbar sind, besondere Leistungsmerkmale aufweisen und qualitativ höherwertig sind, zu erbringen. Die “im Antragsverfahren spezifizierte Dienstleistung” wird sodann in Nr. 3.1 des Bescheides nochmals aufgegriffen und durch insgesamt 11 Merkmale gekennzeichnet, von denen zumindest die Merkmale 1 bis 6 gegeben sein müssen, damit die Dienstleistung die Exklusivlizenz der Klägerin nicht berührt. Der Ergänzungsbescheid vom 17. März 2003 hat dieses “Mindestprogramm” im Kern nicht geändert, aber dahin erweitert, dass die Dienstleistung auch mit den neu aufgeführten Merkmalen die Voraussetzungen des § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG erfüllt. Die im Bescheid vom 17. März 2003 enthaltenen Merkmale ergänzen und überlagern damit die in der ursprünglichen Lizenz vom 17. August 1999 enthaltenen Merkmale. Auch wenn die dort verwendete Überschrift “Hinweise” missverständlich ist, erschließt sich aus dem Gesamtzusammenhang beider Bescheide, dass die Lizenz dadurch in dem Sinne konkretisiert wird, dass eine Kombination der oben genannten Merkmale aus dem Bescheid vom 17. März 2003 mit den Merkmalen 4 bis 6 der Ursprungslizenz vom 17. August 1999 die hier allein noch umstrittene Übernacht-Zustellung als eine der Beigeladenen gestattete Dienstleistung kennzeichnet.
c) Auch in materieller Hinsicht hält die angefochtene Lizenz den Angriffen der Klägerin stand. Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 PostG ist die Lizenz zu erteilen, wenn nicht ein Versagungsgrund nach § 6 Abs. 3 PostG besteht. Die in § 6 Abs. 3 PostG genannten Versagungsgründe gehören zu denjenigen Regelungen des Gesetzes, die ohne zeitliche Beschränkung gelten. Sie werden ergänzt durch die Übergangsvorschrift in § 51 Satz 1 PostG, die der Klägerin zeitlich begrenzt das als “gesetzliche Exklusivlizenz” bezeichnete ausschließliche Recht zugesteht, Briefsendungen und adressierte Kataloge einer bestimmten Gewichts- und Preisklasse gewerbsmäßig zu befördern. Nach dem eindeutigen Wortsinn schließt § 51 Satz 1 PostG in den Grenzen seines sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereichs andere Unternehmen von gleichartigen Berechtigungen aus, ohne dass es dafür des Rückgriffs auf die allgemeinen Versagungsgründe des § 6 Abs. 3 PostG bedarf.
Die angefochtene Lizenz verletzt nicht die der Klägerin übergangsweise gewährte Exklusivlizenz. Diese gilt u.a. nicht für Dienstleistungen, die von Universaldienstleistungen trennbar sind, besondere Leistungsmerkmale aufweisen und qualitativ höherwertig sind (§ 51 Satz 2 Nr. 4 PostG); um eine derartige Dienstleistung handelt es sich bei der hier allein noch umstrittenen Übernacht-Zustellung.
aa) Ob eine Dienstleistung von Universaldienstleistungen “trennbar” ist, beurteilt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht nach dem sogenannten Bedarfsmarktkonzept. Dieses wurde im Wettbewerbsrecht entwickelt, um den sachlich relevanten Markt im Hinblick auf die Ermittlung einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 Abs. 1 GWB) zu bestimmen. Hiernach sind diejenigen Produkte demselben Markt zuzurechnen, die aus der Sicht der Nachfrager nach Eigenschaft, Verwendungszweck und Preislage zur Deckung eines bestimmten Bedarfs austauschbar sind (BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 1995 – KVR 17/94 – BGHZ 131, 107 ≪110≫, vom 5. Oktober 2004 – KVR 14/03 – BGHZ 160, 321 ≪326≫; s.a. BVerwG, Urteil vom 25. April 2001 – BVerwG 6 C 6.00 – BVerwGE 114, 160 ≪170 f.≫ = Buchholz 442.066 § 33 TKG Nr. 1 S. 6; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 19 Rn. 24). Diese Kriterien sind für die Auslegung des § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG nicht heranzuziehen. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Anwendung dieser Vorschrift ist vielmehr, dass sich bei einer wertenden Gesamtbetrachtung die zu untersuchende Dienstleistung wegen besonderer, ihre qualitative Höherwertigkeit begründender Leistungsmerkmale hinreichend deutlich von den Universaldienstleistungen unterscheidet. Dies ergibt sich im Einzelnen aus folgenden Erwägungen:
(1) Schon der Gesetzeswortlaut, der das Adjektiv “trennbar” auf Dienstleistungen und nicht auf Märkte bezieht, spricht dagegen, die Norm als Marktabgrenzungsvorschrift zu begreifen.
(2) Der Entstehungsgeschichte lassen sich weitere Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es nicht auf eine Abgrenzung von Märkten ankommt, sondern auf die Unterscheidbarkeit der vom Wettbewerber angebotenen Dienstleistung von den Universaldienstleistungen. Mit der nunmehr in § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG enthaltenen Regelung sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass vom Monopolinhaber nicht erbrachte Dienste nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht Gegenstand eines ausschließlichen Rechts sein können (BTDrucks 13/7774 vom 30. Mai 1997 S. 33); der Hinweis bezieht sich auf das Urteil vom 19. Mai 1993 – Rs. C-320/91, Corbeau – (Slg. 1993, I-2533). Dieses befasst sich mit der Frage, inwieweit Art. 86 Abs. 1 und 2 EG (früher Art. 90 Abs. 1 und 2 EGV) eine Beschränkung des Wettbewerbs bei Postdiensten äußerstenfalls gestattet, um es dem Inhaber eines ausschließlichen Rechts zu ermöglichen, seine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu erfüllen. Da ein solches Postunternehmen auf den Ausgleich zwischen rentablen und weniger rentablen Tätigkeitsbereichen angewiesen ist, darf anderen Unternehmen grundsätzlich verwehrt werden, mit ihm in den rentablen Bereichen in Wettbewerb zu treten. Dies gilt aber nicht für spezifische, von den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse trennbare Dienstleistungen, die besonderen Bedürfnissen von Wirtschaftsteilnehmern entsprechen und bestimmte zusätzliche Leistungen verlangen, die der herkömmliche Postdienst nicht anbietet, sofern diese Dienstleistungen aufgrund ihrer Art und der Umstände, unter denen sie angeboten werden, das wirtschaftliche Gleichgewicht der exklusiv erbrachten, im Allgemeininteresse liegenden Dienstleistung nicht in Frage stellen (Urteil vom 19. Mai 1993 a.a.O. Rn. 16 ff.).
Diese Aussagen, an denen sich der deutsche Gesetzgeber mit der Regelung in § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG orientiert hat, lassen nicht darauf schließen, dass die darin angesprochenen Dienstleistungen des Inhabers der Exklusivlizenz und der anderen Unternehmen jeweils unterschiedlichen Bedarfsmärkten zugeordnet sein müssen. Der grundsätzlich gerechtfertigte Ausschluss des Wettbewerbs und seine ausnahmsweise gebotene Zulassung unter den vom Gerichtshof umschriebenen Voraussetzungen legen vielmehr den Schluss nahe, dass jedenfalls typischerweise ein Wettbewerb auf demselben sachlich relevanten Markt für Postdienstleistungen gemeint ist. Denn nur in einer unmittelbaren Konkurrenzsituation kann es zu einem konkurrenzbedingten Verlust von Kunden und damit zu der in dem Urteil als möglich vorausgesetzten Gefahr für das wirtschaftliche Gleichgewicht der Dienstleistung von allgemeinem Interesse kommen.
Aufschlussreich für die Motive des deutschen Gesetzgebers ist ferner der 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstqualität (ABl EG 1998 Nr. L 15 S. 14) – PostRL –, die bei Erlass des Postgesetzes als Entwurf bereits vorlag und an der der Gesetzgeber sich ebenfalls orientiert hat (BTDrucks 13/7774 S. 18). Wenn danach für neue Dienste (Dienste, die sich von traditionellen Postdiensten deutlich unterscheiden) kein Grund besteht, sie für die Anbieter von Universaldienstleistungen zu reservieren, spricht dies ebenfalls für ein Verständnis des in § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG enthaltenen Begriffs “trennbar” im Sinne von “unterscheidbar” und nicht von “icht austauschbar”.
(3) Auch rechtssystematisch überzeugt der Rückgriff der Klägerin auf das Bedarfsmarktkonzept nicht. Wie schon erwähnt, wurde diese Rechtsfigur entwickelt, um auf den mit ihrer Hilfe definierten Märkten Zutrittsschranken, die mit einer marktbeherrschenden Stellung verbunden sind, zu beseitigen. In dem Regelungszusammenhang des § 51 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 PostG würde das Bedarfsmarktkonzept aber umgekehrt dazu führen, Marktzutrittsschranken zu erhöhen, indem es Wettbewerber von den Postmärkten fernhielte.
(4) Vor allem der vor dem Hintergrund der generellen Zielsetzung des Postgesetzes und der Regelung über die Exklusivlizenz in § 51 Satz 1 PostG zu betrachtende Normzweck des § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG belegt, dass es sich bei den von Universaldienstleistungen trennbaren Dienstleistungen um solche handelt, die ohne Rücksicht auf die Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes durch einen deutlichen qualitativen Mehrwert gekennzeichnet sind. Das Hauptziel des Postgesetzes besteht nicht in der Schließung, sondern gerade umgekehrt in der Öffnung der Postmärkte. Es ist darauf gerichtet, dort unter Wahrung der Infrastrukturbelange einen den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft entsprechenden chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerb zu fördern (s. § 1 PostG sowie BTDrucks 13/7774 S. 1).
Die Exklusivlizenz der Klägerin nach § 51 Satz 1 PostG stellt eine sachlich und zeitlich begrenzte Ausnahme von dem Grundsatz der Marktfreigabe dar. Mit ihr verfolgte der Gesetzgeber – neben der Bewältigung des Strukturwandels und der Harmonisierung der deutschen mit der europäischen Rechtsentwicklung – den Zweck, die Finanzierung des Universaldienstes sicherzustellen (s. BTDrucks 13/7774 S. 33, 44). Die sichere und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit ausreichenden Postdienstleistungen bildet zugleich den wesentlichen Bezugspunkt für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der übergangsweise fortbestehenden Exklusivrechte (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 – 1 BvR 1712/01 – BVerfGE 108, 370 ≪400 f.≫); diese Verknüpfung von Exklusivlizenz und Universaldienst kommt nunmehr auch deutlich in § 52 PostG in der Fassung des Gesetzes vom 30. Januar 2002 (BGBl I S. 572) zum Ausdruck. § 51 Satz 1 PostG wird seinerseits u.a. durch § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG durchbrochen. Diese Vorschrift soll die Konkurrenz mit innovativen Postdienstleistungen im Interesse des stufenweisen Übergangs vom Monopol zum Wettbewerb schon während der Dauer der Exklusivlizenz ermöglichen (s. BTDrucks 13/7774 S. 33) und führt daher zu dem das Postgesetz beherrschenden Grundsatz der Marktfreigabe zurück.
Der Regelung in § 51 PostG liegt demnach nicht allein der Zweck zugrunde, die Klägerin vor dem Eindringen von Wettbewerbern in ihren Exklusivbereich gemäß Satz 1 zu schützen, sondern zugleich auch der Zweck, sie innerhalb dieses Bereichs unter den Tatbestandsvoraussetzungen des Satzes 2 Nr. 4 einem begrenzten Wettbewerb auszusetzen. Dieser Ambivalenz des Normzwecks entspricht allein eine Gesetzesauslegung, nach der ein hinreichend deutlicher qualitativer Mehrwert der von Wettbewerbern erbrachten Postdienste gegenüber dem Universaldienst erforderlich, aber auch ausreichend ist, um die Ausnahme von der Exklusivlizenz zu rechtfertigen. Ein Normverständnis dagegen, welches in Anwendung des zu anderen Zwecken entwickelten Bedarfsmarktkonzepts den Wettbewerbern nur solche Dienstleistungen ermöglichen würde, die durch der Klägerin reservierte Dienstleistungen nicht substituiert werden können, ließe die Öffnungsklausel weitestgehend leerlaufen. Denn die Postdienstleistung als ein im Kern einfacher Vorgang, die Verbringung eines körperlichen Gegenstandes von einem Absender zu einem Empfänger, lässt das Erschließen “neuer” Märkte in dem von § 51 PostG erfassten Bereich kaum zu. Bei zweckentsprechender Gesetzesanwendung wird darum nicht eine völlig andere, sondern eine an sich gleiche, aber durch merkliche Hebung des Standards verbesserte Postdienstleistung von dem ausschließlichen Recht freigestellt (so bereits OLG Stuttgart, Urteil vom 10. Juli 1998 – 2 U 70/98 – Archiv PT 1998, 386 ≪388≫; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. September 2000 – 20 U 110/99 – NJW 2001, 686 ≪690≫).
Aus dem die Anwendung des Bedarfsmarktkonzepts ausschließenden Normzweck folgt zugleich, dass es für die “Trennbarkeit” im Sinne des § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG nicht darauf ankommt, ob die Kunden bereit sind, für das von der beigeladenen Wettbewerberin angebotene Produkt einen höheren Preis zu zahlen als für die Universaldienstleistung. Das Gesetz knüpft nicht an diese Preisbereitschaft an, sondern nur an den Qualitätsunterschied, durch den sich die alternative Postdienstleistung vom Universaldienst abhebt. Ein solcher Mehrwert für die Kunden, auf dessen Entstehung die in § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG gestattete Ausnahme von der Exklusivlizenz – wie dargelegt – gerade abzielt, kann auch bei einem gleich hohen oder niedrigeren Preis gegeben sein. Da die Klägerin bei der Kalkulation ihrer Preise die Kosten des Universaldienstes mit zu berücksichtigen hat, die Wettbewerber hingegen nicht, lag schon beim Erlass des Postgesetzes die Möglichkeit nicht fern, dass die Wettbewerber trotz der erforderlichen höheren Qualität ihrer Leistungen die Preise der Klägerin für die Universaldienstleistungen sogar noch unterbieten würden. Es ist daher anzunehmen, dass der Gesetzgeber diese Möglichkeit – zumindest – in Kauf genommen hat.
bb) Über die ausdrücklich genannten Tatbestandsvoraussetzungen hinaus stellt § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG keine zusätzlichen, ungeschriebenen Anforderungen an die Erteilung einer Lizenz.
(1) Für die Anwendbarkeit der in Nummer 4 getroffenen Regelung kommt es nicht darauf an, ob die Übernacht-Zustellung (auch) die Voraussetzungen des Kurierdienstes erfüllt. Von der Exklusivlizenz sind nach Nummer 3 des § 51 Satz 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 3 PostG (auch) solche Briefsendungen ausgenommen, die im Interesse einer schnellen und zuverlässigen Beförderung vom Absender zum Empfänger mit der Möglichkeit jederzeitigen Zugriffs ständig begleitet werden. Der teilweise geäußerten Ansicht, nur Beförderungsleistungen, die diese Anforderungen an einen Kurierdienst erfüllten und zugleich überträfen, hätten einen Mehrwert im Sinne von § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG (so insbesondere OLG Jena, Urteil vom 3. März 1999 – 2 U 920/98 – NJW 1999, 3053 ≪3055≫), ist nicht zu folgen. Sie verkennt vor allem, dass Kurierdienste, anders als die in § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG genannten Dienstleistungen, nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 PostG lizenzfrei angeboten werden können. Die engen Voraussetzungen dieser Norm sind der Lizenzfreiheit geschuldet, aus der § 51 Satz 2 Nr. 3 PostG die Konsequenz für das übergangsrechtliche Abgrenzungsproblem zwischen Exklusiv- und Wettbewerbsbereich zieht. Demgegenüber begründet § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG eine eigenständige Ausnahme von der Exklusivlizenz. Sie zielt im Unterschied zu der in Nummer 3 getroffenen Regelung auf Tätigkeiten, die lizenzfähig, aber auch lizenzpflichtig sind. Es kommt hinzu, dass der Kurierdienst schon seit Anfang 1994 für den Wettbewerb freigegeben ist (vgl. BTDrucks 13/7774 S. 20), das Grundgesetz hingegen in Art. 143b nur eine Fortschreibung der vormals bestehenden gesetzlichen Monopolrechte des Bundes in den Bereichen Postwesen und Telekommunikation zulässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 a.a.O. S. 392). Die Ausnahme von der Exklusivlizenz der Klägerin in § 51 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 3 PostG folgt daher – abgesehen vom Wegfall der früher bestehenden Mindestpreisgrenze – bloß einer verfassungsrechtlichen Notwendigkeit.
(2) Die Rechtmäßigkeit der einzelnen Lizenz hängt auch nicht von der positiven Feststellung ab, dass von ihr keine Gefährdung des wirtschaftlichen Gleichgewichts des Universaldienstes ausgehen kann, den die Klägerin als Inhaberin der befristeten Exklusivlizenz während der Übergangsfrist gemäß § 52 PostG zu leisten hat. Zwar hat der Europäische Gerichtshof in seinem schon erwähnten Urteil vom 19. Mai 1993 (a.a.O. Rn. 19), an das sich die in § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG getroffene Regelung anlehnt, eine Pflicht zur Öffnung des reservierten Bereichs für den Wettbewerb nur insoweit angenommen, als die im Wettbewerb angebotenen Dienstleistungen nach ihrer Art und den Umständen, unter denen sie angeboten werden, das wirtschaftliche Gleichgewicht der vom Inhaber des ausschließlichen Rechts übernommenen Universaldienstleistung nicht in Frage stellen. Diese Einschränkung wurde aber in die Tatbestandsvoraussetzungen des § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG nicht übernommen.
(a) Abgesehen vom Wortlaut ist insoweit die Systematik des Gesetzes aufschlussreich. So ermächtigt § 55 PostG das zuständige Bundesministerium, das sich aus § 51 PostG ergebende Beförderungsverbot zu Marktuntersuchungs- und Erprobungszwecken durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates weiter einzuschränken. Diese Einschränkung ist ausdrücklich unzulässig, soweit sie wirtschaftliche Nachteile der Klägerin zur Folge hätte, die die Erfüllung einer ihr nach diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegten Verpflichtung gefährden würde. Daraus folgt im Gegenschluss, dass bei Anwendung des § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG derartige wirtschaftliche Nachteile nicht zu prüfen sind, weil der Gesetzgeber typisierend unterstellt, dass die dort geregelte Erteilung von Lizenzen für qualitativ deutlich höherwertige Beförderungsdienstleistungen keine ins Gewicht fallenden wirtschaftlichen Einbußen für den Universaldienst bewirkt.
(b) Die Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt diesen Befund. So war dem Erlass des Postgesetzes in seiner ursprünglichen Fassung ein Änderungsantrag im Ausschuss für Post und Telekommunikation (17. Ausschuss des Deutschen Bundestages) vorausgegangen. Danach sollte die Ausnahme von der Exklusivlizenz ausdrücklich nur gelten, soweit qualitativ höherwertige Dienstleistungen das wirtschaftliche Gleichgewicht der Grundversorgungsleistungen nicht beeinträchtigen können (s. Kurzprotokoll der 42. Sitzung des Ausschusses für Post und Telekommunikation vom 1. Oktober 1997, S. 23 f.). Dieser Antrag fand aber keine Mehrheit und blieb im weiteren Gesetzgebungsverfahren unberücksichtigt.
Abgesehen davon wurde das Verhältnis zwischen Exklusivlizenz und Universaldienst später durch § 52 PostG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 30. Januar 2002 (a.a.O.) neu geordnet. Nach der Neuregelung ist die Klägerin für den Zeitraum der gesetzlichen Exklusivlizenz zur Erbringung der Universaldienstleistungen verpflichtet; der in §§ 15 f. PostG vorgesehene Ausgleichsmechanismus für die Universaldienstleistungen ist so lange ausgesetzt. Wie oben bereits erwähnt, bestätigt dies zwar einerseits, dass die Exklusivlizenz während des Übergangszeitraums der finanziellen Sicherung des Universaldienstes dient. Auf der anderen Seite zeigt sich daran aber auch, dass der Gesetzgeber die Exklusivlizenz in ihrem zu diesem Zeitpunkt tatsächlich ausgeübten Umfang hierfür als ausreichend angesehen hat. Hätte er Einschränkungen gegenüber der ihm damals sicher bekannten Lizenzierungspraxis für erforderlich gehalten, um den Universaldienst für den weiteren Verlauf der gesetzlichen Übergangsfrist zu sichern, hätte sich eine Präzisierung des Prüfungsauftrags der Regulierungsbehörde aufgedrängt. Dass eine derartige Regelung unterblieb, erklärt sich auch daraus, dass der Ausschluss einer Gefährdung des Universaldienstes prognostische Bewertungen erfordert, die zwar dem Normsetzungsverfahren immanent sind, aber von der Bundesnetzagentur im Verfahren auf Erteilung einer gesetzlich gebundenen Lizenz (s. § 6 Abs. 1 Satz 3 PostG) kaum geleistet werden könnten.
(c) Höherrangiges Recht gebietet ebenfalls nicht, die in § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG als Ausnahme von der Exklusivlizenz der Klägerin vorgesehene Lizenzerteilung an Wettbewerber von dem Ergebnis der Prüfung abhängig zu machen, ob eine Gefährdung des wirtschaftlichen Gleichgewichts des Universaldienstes eintreten kann.
Das deutsche Verfassungsrecht sieht in Art. 87f GG für den Postbereich die Verbindung eines staatlichen Gewährleistungsauftrags (Absatz 1) mit der Eröffnung wirtschaftlicher Betätigungsmöglichkeiten für privatrechtliche Anbieter (Absatz 2 Satz 1) vor. Der marktwirtschaftliche Wettbewerb ist bei Postdienstleistungen nicht völlig freigegeben, sondern eingebettet in das Gewährleistungsregime des Art. 87f Abs. 1 GG (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 a.a.O. S. 393). Indessen verpflichtet das Verfassungsrecht den Bundesgesetzgeber nicht dazu, der Klägerin ausschließliche Rechte überhaupt oder gar in einem bestimmten Mindestumfang vorzubehalten. Ein solches Verfassungsgebot ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 143b Abs. 2 GG, der zu einer derartigen gesetzlichen Regelung lediglich – für eine Übergangszeit – berechtigt, aber nicht verpflichtet. Den Gewährleistungsauftrag erfüllt der Bund, indem er durch geeignete gesetzliche Maßnahmen eine angemessene postalische Grundversorgung der Bevölkerung dauerhaft sicherstellt. Bei der Wahl dieser Maßnahmen hat der Gesetzgeber einen weiten Einschätzungsspielraum. Er hat sich dafür entschieden, die finanzielle Grundlage des Universaldienstes einstweilen durch die – nach Maßgabe obiger Erwägungen eingeschränkte – Exklusivlizenz zugunsten der Klägerin und nach deren Auslaufen, soweit erforderlich, durch das Ausgleichsregime der §§ 15 f. PostG zu sichern. Es gibt derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass das Maß des verfassungsrechtlich Gebotenen dadurch unterschritten sein könnte. Dies gilt umso mehr, als das wirtschaftliche Gleichgewicht des Universaldienstes nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gegenwärtig und auf absehbare Zeit nicht bedroht ist.
Auch aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer auf § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG gestützten Lizenz. Gemäß Art. 3 Abs. 1 PostRL stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass den Nutzern ein ausreichender postalischer Universaldienst zur Verfügung steht. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich dem Gewährleistungsauftrag in Art. 87f Abs. 1 GG (sowie dem allgemeinen Auftrag an die Mitgliedstaaten zur Sicherung der Daseinsvorsorge in Art. 16 EG). In Art. 7 Abs. 1 PostRL werden die Mitgliedstaaten – ebenfalls im Einklang mit dem nationalen Verfassungsrecht (Art. 143b GG) – nur ermächtigt, nicht verpflichtet, zur Aufrechterhaltung des Universaldienstes Dienste für Anbieter von Universaldienstleistungen zu reservieren. Dementsprechend sind ihnen Maßnahmen zur Liberalisierung des Postsektors über den Inhalt der Richtlinie hinaus ausdrücklich freigestellt (Art. 26 Abs. 1 PostRL). Auch aus dem primären Gemeinschaftsrecht lässt sich keine Verpflichtung zur Gewährung von Ausschließlichkeitsrechten an die Klägerin oder zu ihrem Schutz vor dem Wettbewerb herleiten. Soweit Art. 86 Abs. 2 Satz 1 EG Unternehmen, die mit Dienstleistungen im Allgemeininteresse betraut sind, von den Vorschriften des Vertrages teilweise ausnimmt, dient diese Ausnahme dem Interesse der einzelnen Mitgliedstaaten an der Aufrechterhaltung bestimmter öffentlicher Wirtschaftssektoren (EuGH, Urteile vom 23. Oktober 1997 – Rs. C-157/94, Kommission gegen Niederlande – Slg. 1997, I-5699 Rn. 39 f. sowie – Rs. C-159/94, Kommission gegen Frankreich – Slg. 1997, I-5815 Rn. 55 f.) und begründet daher keine Pflicht des einzelnen Mitgliedstaats, einen reservierten Bereich zu schaffen oder auszuweiten.
(3) Die im Wettbewerb erbrachte Beförderungsdienstleistung braucht schließlich über die in § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG ausdrücklich normierten Tatbestandsvoraussetzungen hinaus kein “Flächenkriterium” zu erfüllen, muss also nicht in einem Teil des Bundesgebietes von einer bestimmten Mindestgröße angeboten werden. Nach dem schon mehrfach erwähnten Urteil des Europäischen Gerichthofs vom 19. Mai 1993 (a.a.O. Rn. 19) gehört das Flächenkriterium in den Zusammenhang des wirtschaftlichen Gleichgewichts der Universaldienstleistung, das durch die Umstände, unter denen konkurrierende Dienste geleistet werden – etwa des von ihnen abgedeckten Gebiets –, in Frage gestellt werden könnte. Da der nationale Gesetzgeber das wirtschaftliche Gleichgewicht des Universaldienstes nicht als einschränkendes Merkmal in § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG aufgenommen hat, entfällt konsequenterweise auch eine Prüfung des Flächenkriteriums. Mit den im Gesetz normierten Tatbestandsmerkmalen weist es keine Berührungspunkte auf. So kann eine im Wettbewerb angebotene Beförderungsdienstleistung auch dann im Sinne der oben angestellten Erwägungen von den Universaldienstleistungen trennbar (unterscheidbar) sein, besondere Leistungsmerkmale aufweisen und ihnen gegenüber höherwertig sein, wenn sie nur in einem begrenzten, vom Universaldienst notwendigerweise mit abgedeckten Gebiet erbracht wird.
cc) Die von der Beigeladenen angebotene Übernacht-Zustellung ist eine Dienstleistung, die sich im Sinne von § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG durch einen deutlichen qualitativen Mehrwert von den Universaldienstleistungen unterscheidet. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Mai 1993 (a.a.O. Rn. 19), an das sich § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG anlehnt, hebt die Abholung beim Absender, eine schnellere oder zuverlässigere Verteilung oder die Möglichkeit, den Bestimmungsort während der Beförderung zu ändern, als besondere Leistungsmerkmale beispielhaft hervor. Vergleichsmaßstab hierfür sind schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht die von der Klägerin tatsächlich erbrachten Dienstleistungen, sondern die Universaldienstleistungen, deren Inhalt und Umfang sich aus § 11 Abs. 2 PostG i.V.m. den Bestimmungen der Post-Universaldienstleistungsverordnung – PUDLV – ergeben.
Ein besonderes, die qualitative Höherwertigkeit der Übernacht-Zustellung begründendes Leistungsmerkmal ist zunächst die Abholung der Briefsendungen bei den Auftraggebern, die § 2 PUDLV für den Universaldienst nicht vorsieht. Gegen die Würdigung dieses Merkmals im Rahmen der Nummer 4 des § 51 Satz 2 PostG spricht nicht, dass die Abholung beim Absender in Nummer 5 selbständig zum Wettbewerb freigegeben ist. Die dort geregelte Abholung verfolgt einen anderen Zweck, nämlich die Einlieferung der abgeholten Sendungen in den Beförderungsablauf der Klägerin. Diese Sonderregelung schließt es nicht aus, die Abholung im Rahmen eines alternativen Zustelldienstes als ein gegenüber den Universaldienstleistungen zusätzliches Leistungsmerkmal zu bewerten.
Die der Beigeladenen lizenzierte Beförderung ist schneller, als es dem Standard des Universaldienstes entspricht. Dies betrifft sowohl den Zeitpunkt der Absendung als auch den Zeitpunkt des Empfangs der Sendungen. Die Übernacht-Zustellung ist dadurch gekennzeichnet, dass Briefsendungen nach 17.00 Uhr in die Beförderungskette eingeliefert werden können und bis spätestens 12.00 Uhr des folgenden Werktages zugestellt werden. Dagegen trifft § 2 Nr. 3 PUDLV weder für den Absende- noch für den Zustellzeitpunkt derartige stundengenaue Festlegungen. Das Gegenargument der Klägerin, nach der normativen Wertung des § 2 Nr. 3 PUDLV könnten überhaupt nur tageweise Verbesserungen rechtserheblich sein, überdehnt die dort getroffene Regelung: Diese stellt Mindestanforderungen an die Universaldienstleistung “Briefbeförderung”, aber nicht an die Unterschiede, die andere Dienstleistungen aufweisen müssen, um sich von der Universaldienstleistung abzuheben.
Positive Qualitätsunterschiede zwischen der Übernacht-Zustellung und der Universaldienstleistung bestehen auch in Bezug auf die Zuverlässigkeit des Versendungsvorgangs. Während § 2 Nr. 3 PUDLV lediglich statistische Durchschnittswerte für die Beförderungsdauer vorgibt (Auslieferung von mindestens 80 % der Briefsendungen am ersten und von mindestens 95 % davon am zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag), verlangt die der Beigeladenen erteilte Lizenz die Zustellung der Sendungen ausnahmslos bis spätestens 12.00 Uhr des folgenden Werktages. Insoweit hat sich die Beigeladene nach der ihr erteilten Lizenz rechtlichen Bindungen zu unterwerfen, die der Universaldienst nicht kennt. Denn zu den von ihr zu erfüllenden Mindestanforderungen gehört neben der nachträglichen Abrechnung der Dienstleistungen auch der Wegfall der Entgeltpflicht bei Verfehlen des Zustellzeitziels. Obwohl diese Vorgaben sich unmittelbar auf die Gegenleistung beziehen, tragen sie zur Zuverlässigkeit des Leistungsversprechens erheblich bei. Insoweit besteht ein deutlicher Unterschied zum Universaldienst, bei dem das Versendungsentgelt vorab und ohne Rücksicht darauf fällig wird, ob und wann die Sendung ihren Empfänger erreicht.
Selbst unter der Prämisse, dass der “Umleitbarkeit bzw. Rückholbarkeit der Sendungen zwischen Abholung und Zustellung” wegen des wohl eher geringen praktischen Nutzwertes keine besondere Bedeutung für die Unterscheidbarkeit der lizenzierten Tätigkeit von Universaldienstleistungen zugemessen wird, stimmt der Senat mit dem Berufungsgericht im Ergebnis darin überein, dass die Übernacht-Zustellung bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung durch einen deutlichen Mehrwert gegenüber dem Universaldienst gekennzeichnet ist, der ihre Lizenzierung gemäß § 51 Satz 2 Nr. 4 PostG rechtfertigt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Dr. Hahn, Dr. Graulich, Vormeier, Dr. Bier
Fundstellen