Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Verkehrsbeschränkung. Anspruch auf Minderung anlagenbezogener Schadstoffemissionen. Feinstaubpartikel. Luftreinhaltung. Aktionsplan. Immissionsgrenzwert. Gesundheitsschutz. Gefahrenabwehr. Vorsorge. Aufgabennorm. Straßenverkehrsbeschränkung
Leitsatz (amtlich)
Ein Dritter, der von Überschreitungen des Immissionsgrenzwerts für Feinstaubpartikel PM(10) betroffen ist, hat ein Recht auf Abwehr seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch planunabhängige Maßnahmen (im Anschluss an Beschluss vom 29. März 2007 – BVerwG 7 C 9.06 – NVwZ 2007, 695 zur Veröffentlichung in BVerwGE und Buchholz vorgesehen). Als planunabhängige straßenverkehrsrechtliche Maßnahme kann insbesondere ein Verbot des LKW-Durchgangsverkehrs im innerstädtischen Bereich in Betracht kommen.
Normenkette
BImSchG § 17 Abs. 1 S. 2, § 24 S. 1, §§ 40, 45 Abs. 1, § 47 Abs. 1-2; 22. BImSchV § 4 Abs. 1; StVO § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 1b Nr. 5, Abs. 9
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 18.05.2006; Aktenzeichen 22 BV 05.2461) |
VG München (Urteil vom 26.07.2005; Aktenzeichen M 1 K 05.1110) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Mai 2006 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Der Kläger möchte die beklagte Landeshauptstadt München verpflichten lassen, Einzelmaßnahmen zu ergreifen, die die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte für Feinstaubpartikel PM(10) an seiner Wohnung sicherstellen.
Er wohnt in München am Mittleren Ring in der Landshuter Allee … Seine Wohnung befindet sich etwa 900 m nördlich der Luftgütemessstelle Landshuter Allee. An der Messstelle wurde der Immissionsgrenzwert für Feinstaubpartikel PM(10) von 50 µg/m(3) im Jahr 2005 bereits am 27. März zum 36. Mal überschritten. Bis zum 13. Dezember wurden 105 Überschreitungen gemessen.
Für das Gebiet der Landeshauptstadt München besteht ein Luftreinhalteplan, der im Jahr 2004 für verbindlich erklärt wurde. Dieser beziffert den Anteil des Straßenverkehrs an den Gesamtemissionen von Feinstaubpartikeln PM(10) im Stadtgebiet München mit mehr als 60 %.
Ein Aktionsplan zur Luftreinhaltung für das Gebiet der Landeshauptstadt München besteht nicht. Der für dessen Erlass zuständige Freistaat Bayern hat die Aufstellung eines Aktionsplans bisher – wie der Senat in seinem Beschluss vom 29. März 2007 (– BVerwG 7 C 9.06 – NVwZ 2007, 695 Rn. 15 ff.; zur Veröffentlichung in BVerwGE und Buchholz vorgesehen) festgestellt hat – rechtswidrig unterlassen.
Im März 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten insbesondere,
den Kraftfahrzeugverkehr durch entsprechende Verkehrszeichen nach der StVO (vor allem 250, 253, 266 oder/und 274) so zu beschränken, dass die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte für Feinstaubpartikel (PM(10)) an der Landshuter Allee … sichergestellt ist.
Nachdem der vom Kläger gestellte Antrag nicht beschieden worden war, hat er Klage zum Verwaltungsgericht erhoben und begehrt, die Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verkehrlichen Maßnahmen, die die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte für Feinstaubpartikel PM(10) an seiner Wohnung sicherstellen, zu bescheiden. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Juli 2005 abgewiesen.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat er sein Begehren über den Anspruch auf verkehrliche Maßnahmen hinaus auf alle nur denkbaren zielführenden Maßnahmen erweitert.
Während des Berufungsverfahrens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. November 2005 den Antrag des Klägers ab. Zur Begründung führte sie insbesondere aus: § 45 Abs. 1 StVO komme nicht zur Anwendung. § 40 BImSchG enthalte speziellere Regelungen für den Fall der Grenzwertüberschreitung. Planunabhängige Maßnahmen dürften nicht ergriffen werden. Im Übrigen wären eine Sperrung der Landshuter Allee und Geschwindigkeitsbeschränkungen keine geeigneten Maßnahmen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung mit Urteil vom 18. Mai 2006 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er insbesondere ausgeführt:
Der Kläger habe zunächst eine Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) erhoben, die auf den Erlass von Verwaltungsakten nach § 45 Abs. 1 StVO gerichtet gewesen sei. Im Berufungsverfahren habe er sein Begehren im Wege einer allgemeinen Leistungsklage auf alle nur denkbaren zielführenden Maßnahmen erweitert. Die hierin liegende Klageänderung sei zulässig.
Die Berufung habe jedoch keinen Erfolg. Die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, tätig zu werden. Dahinstehen könne, ob beim Wohnhaus des Klägers dieselben oder ähnliche Immissionsgrenzwertüberschreitungen vorlägen wie an der Luftgütemessstelle. Zwar stehe § 40 Abs. 1 BImSchG einer Anwendung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften zum Zwecke der Einhaltung des Immissionsgrenzwerts für Feinstaubpartikel unabhängig von einem Luftreinhalteplan oder einem Aktionsplan nicht zwingend entgegen. Einzuräumen sei auch, dass die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 5 i.V.m. Abs. 9 StVO hier grundsätzlich vorlägen. So könnten bei Feinstaub örtlich begrenzte Einzelmaßnahmen erfolgversprechend sein. Die Feinstaubbelastung in der Landshuter Allee werde zu einem guten Drittel durch den lokalen Verkehr verursacht. Seien die tatsächlichen Verhältnisse aber derart komplex, dass ein Bedürfnis nach planerischer Bewältigung bestehe, müssten planunabhängige Einzelmaßnahmen von vornherein als ermessensfehlerhaft ausscheiden. Hier dränge sich eine planerische Bewältigung des Konflikts mit Hilfe eine Aktionsplans i.S.v. § 47 Abs. 2 BImSchG geradezu auf.
Die Beklagte habe eine Sperrung der Landshuter Allee und eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h auch im Einzelnen ermessensfehlerfrei abgelehnt.
Dass die Beklagte die vom Kläger begehrten Maßnahmen nicht straßenverkehrsrechtlicher Natur abgelehnt habe, sei rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden: Es fehle bereits an einer Anspruchsgrundlage. § 45 Abs. 1 Satz 1 BImSchG scheide aus. Diese Vorschrift schließe zwar neben dem Erlass von Plänen auch andere Maßnahmen ein. Zu denken sei an Tätigkeiten, die keine Eingriffsmaßnahmen darstellten. Das Bundesimmissionsschutzgesetz räume den betroffenen Anwohnern aber keinen völlig unbestimmten Anspruch auf Aufgabenerfüllung gegen Behörden ohne jede nähere Konkretisierung ein. Vielmehr sei die Bewältigung der komplexen tatsächlichen Verhältnisse mit planerischen Mitteln der Begründung von Ansprüchen auf konkrete Maßnahmen vorgeschaltet. Jedenfalls habe die Beklagte auch insofern ermessensfehlerfrei entschieden. Dies gelte sowohl für die Ablehnung der vom Kläger geforderten Nassreinigung als auch für die Ablehnung des Einsatzes von Staubbindern an Lichtsignalanlagen und von Bepflanzungsmaßnahmen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers. Zur Begründung führt er insbesondere aus: Ansprüche des Klägers könnten nicht durch den Verweis auf einen immer noch nicht vorhandenen Plan ausgeschlossen werden. In Betracht kämen insbesondere verkehrsbeschränkende Maßnahmen gemäß § 45 Abs. 1 StVO. Die Einhaltung der Grenzwerte der 22. BImSchV stehe dabei nicht im Ermessen der Behörden.
Er mache darüber hinaus einen auf § 45 Abs. 1 Satz 1 BImSchG gestützten Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung über nicht verkehrliche Maßnahmen, die keine Eingriffsmaßnahmen darstellten, geltend. Auch müssten die Feinstaubimmissionen, die von Anlagen ausgingen, durch nachträgliche Anordnungen reduziert werden.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie verteidigt ihren Bescheid vom 7. November 2005 und das Berufungsurteil. Ergänzend führt sie insbesondere aus:
Die lufthygienische Situation an der Wohnung des Klägers sei mit der an der Luftgütemessstelle nicht vergleichbar. Die Beklagte arbeite schon seit geraumer Zeit “mit Hochdruck” an Maßnahmen zur Feinstaubreduzierung. Bereits im Juli 2004 habe der Stadtrat beispielsweise ein Konzept zur Aufnahme in den Luftreinhalteplan beschlossen, das die Umleitung des LKW-Durchgangsverkehrs auf den Münchner Autobahnring A 99 vorsehe.
Die Landesanwaltschaft Bayern nimmt als Vertreterin des öffentlichen Interesses wie folgt Stellung: Da bis heute kein Aktionsplan aufgestellt sei, sei es aus der Sicht des Klägers verständlich, ein Eingreifen der Straßenverkehrsbehörde gemäß § 45 StVO zu fordern. Jedenfalls in dem gewünschten vollen Umfang könne die Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte auf dem Umweg über straßenverkehrsrechtliche Anordnungen nicht erreicht werden. Deshalb sei die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist begründet.
Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zu Unrecht meint der Verwaltungsgerichtshof, der Kläger könne keine Maßnahmen zur Verminderung der Feinstaubimmissionen auf Grund der Straßenverkehrsordnung verlangen (vgl. 1.). Insoweit stellt sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. 2.). Auch einen Anspruch des Klägers auf sonstige Maßnahmen zur Reduzierung der Feinstaubimmissionen hat das Berufungsgericht mit fehlerhafter Begründung verneint (vgl. 3.). Die Entscheidung selbst stellt sich insoweit aber aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. 4.). Da der Verwaltungsgerichtshof die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht getroffen hat, ist das Bundesverwaltungsgericht an einer Entscheidung in der Sache gehindert (vgl. 5.).
1. Soweit der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis gelangt ist, die Beklagte habe den Antrag des Klägers, Maßnahmen zur Verminderung der Feinstaubimmissionen auf Grund der Straßenverkehrsordnung zu treffen, zu Recht abgelehnt, beruht sein Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht. Er hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass planunabhängige Einzelmaßnahmen auf Grund der Straßenverkehrsordnung von vornherein als ermessensfehlerhaft ausschieden, wenn – wie hier – die tatsächlichen Verhältnisse derart komplex seien, dass ein Bedürfnis nach planerischer Bewältigung durch einen Luftreinhalte- bzw. einen Aktionsplan bestehe. Das Gegenteil der Auffassung des Berufungsgerichts trifft zu. Verletzt die zuständige Stelle ihre Pflicht, einen Aktionsplan aufzustellen, sind die zuständigen Behörden verpflichtet, zur Verringerung von Grenzwertüberschreitungen geeignete und verhältnismäßige, planunabhängige Maßnahmen zu ergreifen. Lehnen sie solche ab, verletzten sie Anwohner von Grenzwertüberschreitungen betroffener Gebiete regelmäßig in ihren Rechten. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Der in § 4 Abs. 1 der Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft – 22. BImSchV – bestimmte Immissionsgrenzwert für Feinstaubpartikel PM(10) dient dem Schutz der menschlichen Gesundheit (Beschluss vom 29. März 2007 a.a.O. Rn. 23). Damit dient der Wert auch dem Schutz eines individualisierbaren Personenkreises in von unzulässigen Grenzwertüberschreitungen betroffenen Gebieten.
Der über 24 Stunden gemittelte Immissionsgrenzwert für den Schutz der menschlichen Gesundheit beträgt 50 µg/m(3) bei 35 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr (§ 4 Abs. 1 Satz 1 der 22. BImSchV). Die Gefahr einer Überschreitung dieses Werts besteht, wenn die zu erwartende Überschreitungshäufigkeit die zulässige Schwelle übertrifft. Besteht diese Gefahr, müssen die zuständigen Behörden die erforderlichen Maßnahmen zu deren Abwehr ergreifen. Denn sie sind grundsätzlich verpflichtet, die Einhaltung des Feinstaubgrenzwerts sicherzustellen.
Für das Gebiet, in dem der Kläger wohnt, war wegen der Gefahr von Grenzwertüberschreitungen spätestens Anfang 2005 ein Aktionsplan aufzustellen. Ein solcher Plan ist in besonderem Maß geeignet, die erforderlichen Maßnahmen zu bündeln, für alle Träger öffentlicher Verwaltung verbindlich zu machen und damit eine Einhaltung der Grenzwerte zu erreichen (Beschluss vom 29. März 2007 a.a.O. Rn. 26). Ein den gesetzlichen Anforderungen genügender Aktionsplan besteht für das Gebiet der Beklagten bis heute nicht. Der hierfür zuständige Freistaat Bayern hat dies in rechtswidriger Weise unterlassen.
Fehlt es an einem Aktionsplan, kann ein von gesundheitsrelevanten Überschreitungen des Immissionsgrenzwerts für Feinstaubpartikel PM(10) betroffener Dritter sein Recht auf Abwehr gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch Feinstaubpartikel PM(10) im Wege eines Anspruchs auf Durchführung planunabhängiger Maßnahmen durchsetzen. Das Gebot, den Grenzwert einzuhalten, misst sich auch Geltung bei, wenn ein Aktionsplan nicht aufgestellt ist. Dies folgt aus § 45 Abs. 1 BImSchG. Diese Vorschrift verpflichtet in Satz 1 die zuständigen Behörden, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung des durch § 4 Abs. 1 der 22. BImSchV festgelegten Grenzwerts sicherzustellen (Beschluss vom 29. März 2007 a.a.O. Rn. 25). Zu diesen Maßnahmen gehören auch planunabhängige. Solange kein Aktionsplan aufgestellt ist, kann und muss Schutz vor gesundheitlicher Belastung durch Feinstaubpartikel daher durch planunabhängige Maßnahmen gewährt werden. Dem Betroffenen würde der gebotene Schutz seiner Gesundheit verweigert, wenn solche als ermessensfehlerhaft bewertet werden, weil zur Konfliktbewältigung ein Aktionsplan erforderlich sei, mangels pflichtgemäßer Aufstellung eines solchen Maßnahmen zum Schutz vor Gesundheitsbeeinträchtigung jedoch nicht getroffen werden könnten (Beschluss vom 29. März 2007 a.a.O. Rn. 33).
Allerdings ist der Anspruch durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt. Unverhältnismäßige oder aus anderem Grund rechtswidrige Maßnahmen muss die Beklagte selbstverständlich nicht ergreifen (Beschluss vom 29. März 2007 a.a.O. Rn. 32). Da unverhältnismäßige Anordnungen nach nationalem Recht unzulässig sind, ergibt sich – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs – aus dem Europarecht nichts Weiteres; denn dieses verbietet lediglich unverhältnismäßige Beschränkungen der sich aus der Freiheit des Warenverkehrs (Art. 28 und 29 EG-Vertrag) ergebenden Freiheit der Warendurchfahrt (vgl. EuGH, DVBl 2006, 103).
Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird sich in der Regel eine Begrenzung der Maßnahmen nach dem Verursacheranteil ergeben. Die zuständigen Behörden werden die einzelnen Emittenten-Gruppen – wie Straßenverkehr, oder Anlagen i.S.d. § 3 Abs. 5 BImSchG – regelmäßig nur anteilig zur Verringerung der Feinstaubbelastung heranziehen können und müssen. Im Einzelfall können aber auch darüber hinausgehende Anordnungen möglich und notwendig sein. Dies ist beispielsweise für Maßnahmen zur Reduzierung der von Baustellen ausgehenden Feinstaubimmissionen denkbar.
Bei der Auswahl unter mehreren geeigneten Maßnahmen verfügt die Behörde dabei über einen Gestaltungsspielraum (Auswahlermessen), der einen Anspruch Betroffener auf Ergreifen einer bestimmten Maßnahme regelmäßig ausschließt.
Daraus ergibt sich für straßenverkehrsrechtliche Anordnungen zur Verminderung der Feinstaubimmissionen Folgendes:
Hauptverursacher einer Feinstaubbelastung der Anwohner einer vielbefahrenen Durchgangsstraße wird in der Regel der Straßenverkehr sein. In Fällen dieser Art kann die zuständige Straßenverkehrsbehörde die Benutzung bestimmter Straßen aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StVO). Zu Maßnahmen dieser Art ist die Behörde insbesondere zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen ermächtigt (§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Abs. 1b Nr. 5 i.V.m. Abs. 9 StVO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zur Beeinträchtigung durch Verkehrslärm kann sich das Ermessen der Behörde zum Einschreiten zu einer entsprechenden Pflicht verdichten, wenn eine Verletzung der geschützten Rechte des Einzelnen in Betracht kommt und von verkehrsbeschränkenden Maßnahmen nicht wegen der damit verbundenen Nachteile abgesehen werden muss (Urteil vom 4. Juni 1986 – BVerwG 7 C 76.84 – BVerwGE 74, 234 ≪236, 239 f.≫). Für den Schutz der Anwohner einer überörtlichen Durchgangsstraße vor einer Überschreitung des Immissionsgrenzwerts für Feinstaubpartikel PM(10) gilt nichts anderes. Wegen der damit gegebenen Gesundheitsbeeinträchtigung sind verkehrsbeschränkende Maßnahmen der Struktur nach unter denselben Voraussetzungen zu treffen, die bei Vorliegen eines entsprechenden Aktionsplans nach § 40 Abs. 1 BImSchG maßgebend wären.
Solange kein Luftreinhalte- oder Aktionsplan besteht, der Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften vorsieht, kann der Anwohner deshalb verlangen, dass die Straßenverkehrsbehörde Maßnahmen ergreift, die eine Verletzung seiner Gesundheit durch straßenverkehrsbedingte Überschreitungen des Immissionsgrenzwerts nach Maßgabe des Verursacheranteils und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausschließen. Örtlich begrenzte planunabhängige Maßnahmen dieser Art sind, was der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nicht in Abrede stellt, durchaus geeignet, die Gefahr der Überschreitung des Immissionsgrenzwerts für Feinstaubpartikel PM(10) zu verringern oder deren Zeitraum zu verkürzen. Nicht zweifelhaft ist auch, dass zu den von Verbrennungsmotoren in die Luft emittierten Abgasen i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO (s. dazu Urteil vom 15. April 1999 – BVerwG 3 C 25.98 – BVerwGE 109, 29 ≪34≫) auch Feinstaubpartikel PM(10) z.B. aus Dieselruß und Asche gehören (vgl. zu alledem Beschluss vom 29. März 2007 a.a.O. Rn. 31 f.).
Auf der geschilderten Verletzung von Bundesrecht beruht das angegriffene Urteil. Der Verwaltungsgerichtshof ist zwar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte eine Sperrung der Landshuter Allee und eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf dieser Straße auch aus anderen Gründen ermessensfehlerfrei abgelehnt hat, wogegen revisionsrechtlich nichts zu erinnern ist. Dies bedeutet aber lediglich, dass diese beiden – im Übrigen auch vom Kläger nicht mehr angestrebten – Maßnahmen nicht erneut geprüft werden müssen. Auf alle anderen denkbaren Maßnahmen zur Verkehrsbeschränkung beziehen sich diese ergänzenden Ausführungen im Berufungsurteil dagegen nicht.
2. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs selbst stellt sich hinsichtlich der von ihm nicht erörterten straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Ein Anspruch des Klägers auf straßenverkehrsrechtliche Anordnungen zur Reduzierung der Feinstaubimmissionen bestünde nur dann nicht, wenn es keine geeigneten und auch sonst verhältnismäßigen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung gäbe. Davon kann keine Rede sein. Vielmehr kommen unterschiedliche zeitlich befristete und örtlich oder sachlich beschränkte Verkehrsverbote in Betracht.
So hat der Stadtrat der Beklagten bereits im Jahr 2004 beschlossen, zur Luftreinhaltung den LKW-Durchgangsverkehr in seinem Stadtgebiet zu verbieten und auf den Münchner Autobahnring umzuleiten. Ein detailliertes Konzept der Beklagten hierzu liegt vor. Diese Maßnahme würde nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom 18. Mai 2006 (NVwZ 2007, 233) die Grenzwertüberschreitungen bei Feinstaubpartikeln in der Landshuter Allee um 8 bis 15 verringern. Die Beklagte selbst bewertet diese Maßnahme als verhältnismäßig. Sie hat den LKW-Durchgangsverkehr bisher nur auf Grund von Rechtsirrtümern nicht verboten. Ihre Meinung, zunächst müsse das Verbot in einen Luftreinhalte- bzw. Aktionsplan aufgenommen werden, trifft – wie dargelegt – nicht zu. Ebenso fehlerhaft ist ihre Auffassung, der LKW-Durchgangsverkehr könne nur in von Grenzwertüberschreitungen getroffenen Straßen verboten werden. Ist es zur Abwehr von Gesundheitsgefahren für Anwohner einer Straße erforderlich, dort den LKW-Durchgangsverkehr zu verbieten, muss dieser auf geeignete Strecken umgeleitet werden. Ist hierfür nur ein Autobahnring geeignet, muss ein großräumiges Verbot ausgesprochen werden. Gegenwärtig sind keine Gründe ersichtlich, die es der Beklagten erlauben könnten, von dieser Maßnahme im Rahmen ihres Auswahlermessens doch noch abzusehen.
Der Hinweis der Beklagten auf die notwendige Mitwirkung umliegender Gemeinden bzw. angrenzender Landkreise vermag daran nichts zu ändern. Soweit diese wegen des Verbots des LKW-Durchgangsverkehrs im Stadtgebiet von München Verkehrszeichen aufstellen müssen, ist nicht ersichtlich, dass sie sich weigern werden, dies zu tun. Schließlich haben sie ein eigenes Interesse daran, dass der LKW-Durchgangsverkehr nicht in ihre Gemeinden verlagert wird. Auch könnte die Beklagte gegebenenfalls die Aufsichtsbehörde beteiligen. Schließlich kann von einem Verbot des LKW-Durchgangsverkehrs nicht abgesehen werden, falls dieses (zunächst) nicht an allen Einfahrtsstraßen verwirklicht werden kann.
Daneben hat die Beklagte im Revisionsverfahren den Erlass von Parkverboten zur Verkehrsberuhigung angesprochen. Auch diese können zur Verringerung der Feinstaubimmissionen geeignete Maßnahmen sein. Ob weitere geeignete und verhältnismäßige straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen in Betracht kommen, wird der Verwaltungsgerichtshof in der erneuten Verhandlung zu klären haben.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat einen Anspruch des Klägers auf sonstige (nicht straßenverkehrsrechtliche) Maßnahmen zur Reduzierung der Feinstaubimmissionen allgemein verneint und ausgeführt, es fehle bereits an einer Anspruchsgrundlage. § 45 Abs. 1 Satz 1 BImSchG scheide aus. Auch insoweit verletzt das Berufungsurteil Bundesrecht. Wie unter 1. dargelegt, kann der Kläger sein Recht auf Abwehr gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch Feinstaubpartikel im Wege eines Anspruchs auf Durchführung planunabhängiger Maßnahmen durchsetzen.
Soweit nicht in Rechte Dritter eingegriffen wird, ergibt sich dieser Anspruch unmittelbar aus § 45 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Dies gilt beispielsweise für vom Kläger geforderte Maßnahmen wie die Reduktion verwaltungseigener Immissionsbeiträge, die Modernisierung des städtischen Fuhrparks, eine bessere Straßenreinigung (Nassreinigung) und Baumbepflanzungen. Auch hier sind die Behörden zum Handeln verpflichtet, verfügen aber über ein Auswahlermessen. Der Anspruch wird begrenzt durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Maßnahmen, die nicht geeignet oder der Beklagten nicht möglich sind, scheiden deshalb aus. Die ohne Aktionsplan zu beanspruchenden Maßnahmen entsprechen strukturell denen, die auch in einem Aktionsplan vorzusehen wären. Sie müssen deshalb auf eine kurzfristig angelegte Abwehr von Grenzwertüberschreitungen zielen. Maßnahmen beratender, empfehlender und fördernder Art in Bezug auf kleinere Feuerungsanlagen, Baustellen und Straßenverkehr, wie sie im Luftreinhalteplan vorgesehen sind, genügen nicht und haben sich auch als nicht geeignet erwiesen, in den Jahren 2005 und 2006 dem Umweltqualitätsstandard für Feinstaubpartikel im Bereich der Wohnung des Klägers tatsächlich näher zu kommen. Gleiches gilt für die durchgeführten Maßnahmen zur Verbesserung des Verkehrsflusses auf der Landshuter Allee (vgl. zu alledem Beschluss vom 29. März 2007 a.a.O. Rn. 17).
Neben den kurzfristig zu ergreifenden Maßnahmen können selbstverständlich nur langfristig zu verwirklichende – wie der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs – zur Verringerung der Feinstaubimmissionen geeignet und notwendig sein. Die Arbeit an langfristigen Maßnahmen rechtfertigt es aber nicht, kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen zur Abwehr von Gesundheitsgefahren zu unterlassen.
Ein behördliches Einschreiten gegen anlagenbezogene Schadstoffimmissionen kann der Einzelne verlangen, soweit die Überschreitung des Immissionsgrenzwerts durch Emissionen verursacht wird, die von bestehenden Anlagen i.S.d. § 3 Abs. 5 BImSchG ausgehen. Er kann im Regelfall den Erlass nachträglicher Anordnungen gegen Betreiber immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtiger Anlagen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG verlangen. Entsprechendes gilt bei immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen (§ 24 Satz 1 BImSchG, vgl. auch hierzu Beschluss vom 29. März 2007 a.a.O. Rn. 30).
4. Das angegriffene Urteil stellt sich hinsichtlich der nicht straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Den nunmehr begehrten Erlass von Anordnungen zur Verringerung anlagenbezogener Schadstoffimmissionen hatte der Kläger nicht beantragt. Deshalb bleibt seine Klage insoweit ohne Erfolg. An sonstigen Maßnahmen hat der Kläger im Berufungsverfahren eine Nassreinigung von Straßen, den Einsatz von Staubbindern an Lichtsignalanlagen und Bepflanzungsmaßnahmen gefordert. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Ablehnung dieser Maßnahmen im Einzelnen hilfsweise als ermessensfehlerfrei bewertet. Die Ausführungen des Berufungsgerichts hierzu verletzen Bundesrecht nicht.
5. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – ausdrücklich offen gelassen, ob beim Wohnhaus des Klägers dieselben oder ähnlichen Immissionsgrenzwertüberschreitungen vorliegen, wie an der Luftgütemessstelle. Die Beklagte hat dies mit tatsächlichen Behauptungen in Abrede gestellt. Deshalb ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Dieses wird prüfen müssen, ob die Gefahr gesundheitsrelevanter Grenzwertüberschreitungen – und damit die Gefahr, dass der Feinstaubgrenzwert von 50 µg/m(3) mehr als 35 Mal im Jahr überschritten wird (§ 4 Abs. 1 Satz 1 der 22. BImSchV) – auch an der Wohnung des Klägers besteht. Dabei wird es die Anforderungen an den Nachweis der Gefahr nicht überspannen dürfen. Es ist insbesondere nicht nötig, die Feinstaubimmissionen an der Wohnung des Klägers ein Jahr lang zu messen. Vielmehr wird eine auf sachverständiger Berechnung beruhende Einschätzung der Immissionsbelastung ausreichen.
Unterschriften
Herbert, Krauß, Dr. von Heimburg, Neumann, Guttenberger
Fundstellen
Haufe-Index 1830514 |
BVerwGE 2008, 297 |
DÖV 2008, 156 |
NuR 2008, 38 |
ZUR 2007, 587 |
BayVBl. 2008, 87 |
DVBl. 2007, 1497 |
KommJur 2008, 75 |
NPA 2008 |
NordÖR 2007, 449 |
SVR 2008, 313 |
UPR 2008, 36 |
EurUP 2008, 96 |
Immissionsschutz 2007, 178 |
KommP BY 2008, 27 |